Wie können transkulturelle Kompetenzen ins Medizinstudium integriert werden?
Anerkennung und Unterstützung der medizinischen Fakultäten sind nötig

Wie können transkulturelle Kompetenzen ins Medizinstudium integriert werden?

Editorial
Ausgabe
2019/4748
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08410
Swiss Med Forum. 2019;19(4748):761

Affiliations
Département de médecine de premier recours, Hôpitaux Universitaires de Genève

Publiziert am 20.11.2019

Der Artikel von Kunz et al. in dieser Ausgabe des Swiss Medical Forum [1] will uns darauf aufmerksam machen, dass die heutigen Ärztinnen und Ärzte bereit sein müssen, immer heterogenere Populationen medizinisch zu versorgen. Dafür ist der Erwerb sogenannter transkultureller klinischer Kompetenzen (TKK) erforderlich [2].
Zahlreiche internationale Organisationen, denen Qualität und Versorgungsgleichheit am Herzen liegen, haben eine Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte in TKK gefordert, um eine auf die immer vielfältigeren Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten abgestimmte Versorgung zu gewährleisten [3–7].
Während jedoch ein allgemeiner Konsens über die Notwendigkeit einer spezifischen Ausbildung herrscht, um die Herausforderungen der Versorgung von Patienten diverser Hintergründe zu bewältigen, variieren die Struktur, der Inhalt, die Dauer sowie die Unterrichts- und Evaluationsmethoden stark und spiegeln den fehlenden Konsens darüber, was TKK sind, sowie das Fehlen empirischer Daten, wie erstere am besten erworben werden können, wider [8].
In einem europäischen Projekt mit 13 Ländern zur Aufnahme von TKK ins Medizinstudium wurden mehrere gemeinsame Herausforderungen medizinischer Fakultäten identifiziert: Die Veranstaltungen in TKK werden häufig von einer kleinen Zahl interessierter «Fachleute» mit geringer oder fehlender offizieller Anerkennung und Unterstützung der medizinischen Fakultät entwickelt und gefördert, die Fachgebiete, in denen TKK vorkommen, werden von den anderen Lernzielen getrennt behandelt und die Vermittlung von TKK wird selten objektiv evaluiert [9].
Der Artikel von Kunz et al. und der informelle Austausch zwischen den Mitgliedern des Netzwerks «Swiss Hospitals for Equity» (SH4E), von denen zahlreiche an der Vermittlung von TKK beteiligt sind, legen nahe, dass diese Herausforderungen auch an den medizinischen Fakultäten in der Schweiz üblich sind [10].
Wenn man darüber nachdenkt, wie letztere die TKK-Vermittlung fördern könnten, ist es möglicherweise sinnvoll, sich an den Empfehlungen der «International Association for Medical Education» (AMEE) für mehr Professionalität im Medizinstudium zu orientieren, die viele derselben oben genannten Herausforderungen aufgreifen [11]. Darin wird ein mehrstufiger Prozess aufgezeigt, der eine sinnvolle Roadmap liefern könnte, um die Vermittlung von TKK im Medizinstudium zu fördern und dauerhaft zu verankern. Die Richtlinien betonen, wie wichtig es ist:
– sich auf eine Arbeitsdefinition zu einigen;
– sich bezüglich der Lernziele zu einigen;
– entsprechende Vermittlungsmöglichkeiten im Curriculum zu identifizieren;
– das Medizinstudium so zu strukturieren, dass TKK-Themen in allen Studienjahren wiederholt und aufeinander aufbauend integriert werden;
– ein Studienprogramm zu erarbeiten, das die unterschiedlichen Lernmodelle berücksichtigt (praktisches Lernen, reflektierende Praxis und situatives Lernen);
– geeignete Rollenvorbilder einzusetzen;
– den Unterricht und die Studenten zu evaluieren.
Der Erfolg eines derartigen Prozesses hängt jedoch vor allem und zunächst einmal von der Anerkennung sowie der Unterstützung der Fakultäten bei der Erstellung eines Studienprogramms ab, das es den Ärztinnen und Ärzten von morgen ermöglicht, den Herausforderungen bei der Versorgung von Patienten verschiedenster sozialer, kultureller und sprachlicher Hintergründe zu begegnen.
Die Autorin hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Patricia Hudelson, PhD
Anthropologue médicale
Consultation transculturelle et interprétariat
Département de médecine de premier recours
Hôpitaux Universitaires de Genève
Rue Gabrielle-Perret-Gentil 4
CH-1211 Genève 14
patricia.hudelson[at]hcuge.ch
 1 Kunz L, Dominicé Dao M, Schuster S, Bonvin R, Biller-Andorno N, von Känel R, et al. Für eine qualitativ hochstehende Medizin ? Swiss Med Forum. 2019;19(47–48):775–780.
 2 F Althaus, P Hudelson, D Domenig, AR Green, P Bodenmann. Transkulturelle Kompetenz in der medizinischen Praxis Swiss Medical Forum. 2010;10(05):79–83.
 3 Napier AD, et al. Culture and health. Lancet. 2014 No 1; 384(9954):1607–39.
 4 The Joint Commission. (2010). Advancing Effective Communication, Cultural Competence, and Patient- and Family-Centered Care: A Roadmap for Hospitals. Oakbrook Terrace, IL: The Joint Commission.
 5 National Quality Forum (NQF). A Comprehensive Framework and Preferred Practices for Measuring and Reporting Cultural Competency: A Consensus Report. Washington, DC: NQF; 2009.
 6 Council of Europe. (2006). Recommendation Rec (2006)18 of the Committee of Ministers to member states on health services in a multicultural society.
 7 World Health Organisation. (2010). How health systems can address health inequities linked to migration and ethnicity. Copenhagen: WHO Regional Office for Europe.
 8 Betancourt JR. Cultural competence and medical education: many names, many perspectives, one goal. Acad Med. 2006 Jun;81(6):499–501.
 9 Sorensen J, Norredam M, Suurmond J, Carter-Pokras O, Garcia-­Ramirez M, Krasnik A. Need for ensuring cultural competence in medical programmes of European universities. BMC Med Educ. 2019 Jan 15;19(1):21.
11 Helen O’Sullivan, Walther van Mook, Ray Fewtrell & Val Wass (2012) Integrating professionalism into the curriculum: AMEE Guide No. 61, Medical Teacher, 34:2, e64-e77, DOI:10.3109/0142159X.2012.655610.