Antidepressiva haben in ihrer Kernindikation einen schweren Stand. Sie bewirken einen statistisch signifikanten, wenn auch bescheidenen Effekt bei ausgeprägten depressiven Episoden. Leider wirken sie bei einem Drittel bis zur Hälfte der Patient(inn)en gar nicht. Eine Personalisierung der antidepressiven Therapie ist also dringend. Was ist aber ihr Effekt bei weiterhin unselektionierten Patient(inn)en in der Hausarztpraxis? Hausärztinnen und -ärzte (ohne Pharma-Sponsoring) behandelten in der PANDA-Studie Patient(inn)en mit Depression und Angststörungen plazebokontrolliert mit dem Antidepressivum Sertralin. Die Diagnose wurde im Wesentlichen mit einem Fragenbogen (PHQ-9) gestellt. Nach sechs Wochen war die Depression unter Plazebo und Antidepressivum gleich unbeeinflusst, nach 12 Wochen unter letzterem leicht, aber signifikant besser. Allerdings waren die Angstsymptomatik sowie die subjektiv beurteilte «allgemeine Lebensqualität» und «geistige Gesundheit» deutlich und signifikant besser unter Sertralin.
Also Antidepressiva in der Hausarztpraxis häufiger verschreiben, wie die Autoren empfehlen? Auf jeden Fall wirken sie mehr auf Angst- als auf Depressionssymptome und ein Effekt ist erst nach zwei bis drei Monaten abzuschätzen. Einmal verschrieben, müssen sie laut Empfehlungen sechs Monate über die Beschwerdefreiheit (-armut) hinaus weiter eingenommen werden. Viele Patient(inn)en führen die Therapie aber trotzdem weiter, unter anderem wegen des Absetz- oder Entzugseffektes. Also nach wie vor ein schwieriger und wörtlich weitreichender Entscheid …
Wie sähe er aus, wie interessant bliebe die englische Version dieses weltweit am häufigsten betriebenen Ballsports ohne Kopfballspiel? Vielleicht werden wir das schon bald erfahren, denn laut Informationen aus dem Gesundheitsregister von knapp 8000 ehemaligen schottischen Fussballprofis (geboren vor 1977) hatten diese (im Vergleich zu dreimal mehr Kontrollindividuen) eine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit, eine zentralnervöse degenerative Erkrankung zu erleiden. Basis für die Analyse waren Todesursachen, ein Index der sozialen Isolierung und die Verschreibehäufigkeit von Demenzmedikamenten. Torhüter scheinen vor dieser Entwicklung relativ geschützt, was rezidivierende Traumata als Folge von Kopfballstössen als wahrscheinlichste Ursache nahelegt. Allerdings war die demenzbedingte Mortalität bei Torhütern nicht geringer. Insgesamt lag die Gesamtmortalität bis etwa zum 70. Altersjahr vor allem wegen geringerer kardiovaskulärer Ursachen bei Profifussballern tiefer, stieg danach aber – demenzbedingt – signifikant über jene der Kontrollgruppe an.
Tocopherole (alpha, beta, gamma, «Vitamin E») werden in die doppelschichtige, aus Phospholipiden und Cholesterol bestehende Zellmembran eingebaut und erhöhen dort die sogenannte Gelphase auf Kosten der festen (soliden) Phase der Membran, induzieren also quasi eine Membranverflüssigung (gut bekannt von In-vitro-Tests bei humanen Thrombozyten [1]). In der Flüssigkeit der Bronchiallavage von Patient(inn)en mit «vaping illness» wurde Vitamin-E-Acetat, aber nicht andere der auch inkriminierten Additiva (Pflanzenöle, Petrol, Terpene etc.) gefunden [2]. Vitamin E wurde in allen 29 untersuchten Proben von Erkrankten gefunden, wobei in 28 der 29 Fälle auch Tetrahydrocannabinol (THC) nachweisbar war, inklusive bei drei Patient(inn)en, die eine THC-Einnahme verneinten. Vitamin E wird dem THC zugesetzt, zumindest in den USA. Vitamin-E-Acetat könnte die Zellmembranen in den Alveolen oder die Surfactant-Flüssigkeit direkt schädigen. Eine Interventionsstudie wohl an einem Tiermodell wäre wichtig. Der offizielle, für das Auffinden weiterer Information wichtige Name für diese Krankheit ist übrigens: «e-cigarette, or vaping, product use associated lung injury», einfacher EVALI. Bis zum 11. November 2019 sind gut 2100 EVALI-Fälle gemeldet, die Mortalität betrug etwa 2%.
Immunglobuline: ohne Nutzen bei Influenza A, dafür bei B?
In einer Studie über fünf Grippesaisons (2013/14–2017/18) in verschiedenen Ländern wurden über 18-jährige (im Falle von Frauen nicht schwangere) Patient(inn)en mit Influenza A oder B doppelblind, prospektiv, randomisiert entweder einmaIig mit Immunglobulinen (0,25 g/kg Körpergewicht, n = 168) oder Plazebo (n = 161) behandelt [1]. Die meisten Patient(inn)en erhielten zusätzlich den Neuraminidasehemmer Oseltamivir. Obwohl die Immunglobuline einen signifikant höheren Titeranstieg (gemessen mit der Hämagglutinationshemmung) induzierten, war ein klinischer Nutzen (Tod, Hospitalisationen, Sauerstoffbedarf, Intensivstationsbedürftigkeit) bei Influenza A nicht nachweisbar. Die Wahrscheinlichkeit solcher Endpunkte bei Infekt mit Influenza B war aber bei der Immuntherapie signifikant tiefer («odds ratio» um 3,2 für alle Endpunkte zusammen). Eine zweite Studie – fokussierend auf den Effekt bei Influenza A – kommt für diesen Infekt zum gleichen Schluss [2].
Im Gegensatz zu einer früheren, (zu) kleinen, unizentrischen Studie führte die plazebokontrollierte Gabe von Amoxicillin/Clavulansäure (3× 1,2 g/Tag für 2 Tage) bei Patient(inn)en mit Reanimation nach Herzkreislaufstillstand ausserhalb des Spitals zu einer Reduktion der Inzidenz einer frühen (erste 7 Tage) ventilatorassoziierten Pneumonie um fast die Hälfte, bei allerdings bescheidener Signifikanz (p = 0,03). In dieser multizentrischen, französischen Studie gehörte eine artifizielle Hypothermie von 32–34 oC zum Protokoll beider Gruppen, die je 99 Patient(inn)en umfassten. Andere Infekte wie katheterassoziierte Infekte oder Harnwegsinfekte wurden nicht signifikant beeinflusst.
Genetik von Krebsgenomen: Wirksamkeitshinweise für bekannte Medikamente
Diese Studie macht wieder einmal auf die zu limitiert und zu wenig benutzte Möglichkeit der Tumorgenetik aufmerksam: Bei Analyse des gesamten Exoms (aller in RNA/Proteine übersetzten DNA-Abschnitte, sogenanntes «whole exome sequencing») von Zervixkarzinomen wurden eine Reihe von Mutationen in verschiedenen zellulären Prozessen (Wachstumsregulierung, Apoptose, Zellzyklusmechanismen etc.) gefunden. Der mTOR-Weg erwies sich als speziell erfolgversprechend für eine Intervention, und Mutationen in ihm erklären mindestens 70% der Zervixkarzinomentstehung. Medikamente, die den mutierten Rezeptor des epidermalen Wachstumsfaktors (HER, bekannt vom Mammakarzinom) irreversibel hemmen, in Kombination mit Hemmsubstanzen der nach der Rezeptorwirkung folgenden, ebenfalls mutierten intrazellulären Signalübermittelungen erwiesen sich als hochwirksam in der Induktion und Erhaltung einer Zervikarzinom-Remission (tierexperimentell, Xenotransplantate, siehe Abbildung).
1970–1972 liessen sich acht «normale» Menschen (darunter auch der Einzelautor) in acht verschiedene psychiatrische Kliniken einweisen mit der Hauptbeschwerde auditiver Halluzinationen. Ausser einer gewissen nervösen Spannung zu Beginn, die darauf gründete, dass sie Angst hatten, entdeckt zu werden, fühlten sie sich in der Klinik wohl. Verwunderung machte sich bei ihnen breit, wie einfach die Selbsteinweisung umgesetzt wurde. Sofort nach Eintritt erklärten die acht Proband(inn)en, dass die Symptome verschwunden seien und verhielten sich angeblich wie zuhause (halfen bei Stationsverrichtungen und suchten Gespräche mit Mithospitalisierten und dem Personal). Es gelang den Fachkräften anscheinend in keinem Fall, die seelische Gesundheit dieser Leute zu erkennen. Die weit zitierte Arbeit wird immer noch als Evidenz dafür angesehen, dass die Differentialdiagnose normal oder «wahnsinnig» («sane or insane») schwierig war oder vielleicht immer noch ist [1]. Eine Journalistin deckte in aufwendiger Recherche Ungenauigkeiten und fehlende Informationen auf und hat diese in Buchform eben publiziert [2]. Ob dadurch die zentralen Konklusionen der Publikation ungültig werden, bleibt unklar. Der Autor kann sich nicht mehr wehren, da er vor ein paar Jahren verstorben ist. Allerdings dürfte seine Arbeit die Problematik zumindest überzeichnet haben. In den frühen 70er Jahren gab es nämlich eine wichtige «Anti-Psychiatrie»-Bewegung, was die Rezeption der Studie bei Reviewern und Lesern einseitig beeinflusst haben könnte. Aus literarischer Sicht ist ihr Titel ziemlich bemerkenswert («On being sane in insane places») …
2 Callahan S. «The Great Pretender». 1st ed. New York: The Grand Central Publishing; 2019.
Verfasst am 12.11.2019.
Auch noch aufgefallen
Orale HPV-Infektionen und Effekt der Impfung in der weiblichen Adoleszenz
Orale Infekte mit humanen Papillomaviren (HPV) können unter anderem durch oralen Sex übertragen werden. Etwa 10% der sexuell aktiven Männer und knapp 4% der sexuell aktiven Frauen weisen einen oralen HPV-Infekt auf, wobei die Häufigkeit mit dem Alter (innerhalb der sexuell aktiven Lebensspanne) zunimmt. Meist sistiert der Infekt nach 1–2 Jahren spontan. Warum er bei einer Subgruppe persistiert und dann für 70% (wohl meist in Kombination mit Nikotin- und Alkoholabusus) der Oropharynxkarzinome verantwortlich wird, ist nicht bekannt. Die HPV-Vakzinierung richtet sich auch gegen die tumorigenen HPV-Typen im Oropharynx, ob dadurch auch oropharyngeale Karzinome reduziert werden, ist zu erwarten, aber nicht bewiesen [1]. 92% von 1259 weiblichen, nach eigenen Angaben sexuell aktiven Adoleszenten aus New York (Bronx, etwa zur Hälfte Schwarze und Hispanikerinnen) berichteten, oralen Sex zu haben / gehabt zu haben. Gut 6% waren zu Beginn der Studie oral HPV-positiv. Diese Positivität ging über vier Jahre etwa auf die Hälfte zurück. HPV-Vakzinierte hatten ein fünffach kleineres Risiko eines Infektes mit den entsprechenden HPV-Vakzinetypen (HPV 6, 11, 16, 18; [2]).
Ein «neues» Antibiotikum für die ambulant erworbene Pneumonie
Pleuromutilin ist ein seit den 1950er Jahren bekanntes Antibiotikum aus dem Pilz Pleurotus mutilus (daher sein Name), das via Bindung an die ribosomale RNA die bakterielle Proteinsynthese hemmt. Semisynthetische Derivate von Pleuromutilin wurden bislang in der Tiermedizin und in topischer Applikation für die Impetigo (Retapamulin 1% [Altargo®]) angewendet. Ein anderes Derivat, Lefamulin (Zulassung durch die «Food and Drug Administration» im August 2019), wurde per os im Vergleich mit Moxifloxacin für die Behandlung ambulant erworbener Pneumonien evaluiert (LEAP2-Studie) und zeigte eine vergleichbare Wirkung (sog. «non-inferiority»). Allerdings traten Diarrhoe mit 12% etwa zehnmal und Nausea mit gut 5% fast dreimal häufiger auf als unter Moxifloxacin. In den USA wird das in der Schweiz noch nicht zugelassene Lefalumin (Xenleta™) intravenös oder oral zu Tagesbehandlungskosten von über 200 US-Dollars vermarktet. Somit dürfte diesem Antibiotikum vorerst Reservestatus vorbehalten sein.
In arbeitsreicher Vorweihnachtszeit: Noch kürzer als bündig!
Vestibularistraining online
Für die Erholung der Vestibularisfunktionen ist ein monatelanges Training wichtig. Mit einem Internet-basierten Training konnten in Holland dank einfacherem Zugang für die Patient(inn)en das Training verbessert und die offensichtlich zu wenig verschriebene Therapie auch appliziert werden.
Zweiter Anlauf für monoklonalen Antikörper bei Morbus Alzheimer
Der in der Schweiz entwickelte Antikörper (Aducanumab) gegen das humane Beta-Amyloid wird von der Firma Biogen nach einer als negativ beurteilten klinischen Studie (Aktienpreis fiel von 320 auf 220 US-Dollars) nun doch der «Food and Drug Administration» unterbreitet (Aktienpreis wieder plus 80 US-Dollars). Bei längerer und hochdosierter (daher wohl auch teurerer) Anwendung sollen gewisse Patient(inn)en (Daten nicht separat publiziert, nachträgliche Subgruppen-Analyse) einen langsameren Verlauf aufweisen.
Zytomegalie als Wegbereiter für Tuberkulose bei Kindern
Die Immunantwort auf einen Zytomegalie Primoinfekt kann zu einer erhöhten Anfälligkeiten von Kindern auf Tuberkulose führen. Die Aktivität sogenannter «natural killer cells» und die zelluläre Immunantwort (CD3-CD4-CD8) werden durch den Zytomegalie-Infekt unterdrückt und könnten einen Teil der Tuberkulose-Infekte erklären.
Ein 78-jähriger Mann mit multiplem Myelom (IgG-kappa) weist ein Kalzium von 2,23 mmol/l, ein normales Kreatinin und eine schwere Hyperphosphatämie von 12,9 mmol/l auf.
Die wahrscheinlichste Ursache der Hyperphosphatämie ist:
A) Sekundärer Hypoparathyreoidismus (im Rahmen eines sog. POEMS: Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie, M-Gradient, Hautveränderungen)
B) Hämolytische Anämie
C) Pseudohyperphosphatämie
Antwort
Die richtige Antwort ist C. Die monoklonalen Myelom-Proteine können (selten) Phosphat- (wie auch Kalzium-) bindende Eigenschaften aufweisen. In der Routinediagnostik wird das Gesamt-Phosphat bestimmt. Der Patient war von seiten der Hyperphosphatämie symptomlos. Nach Deproteinisierung war das Phosphat normalisiert.