Kurz und bündig
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Ausgabe
2020/1314
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08500
Swiss Med Forum. 2020;20(1314):210-213

Publiziert am 24.03.2020

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Gesund essen: Parallele zu erfolgreicher ­Aktieninvestition

– Zentral und überlebenswichtig ist bei beidem: Diversifikation!
– Der sogenannten Weisheit der Märkte* entspricht: Die Gesundheitsfolgen der Diät sind unter anderem unsere Langlebigkeit (also machen wir nicht alles falsch).
– Wir verstehen aber die Folgen individueller Komponenten nicht oder schlecht (und signifikante Korrelationen werden auffällig häufig wieder relativiert).
– Ein weiteres Beispiel: Milchkonsum und Gesundheit!
• kein Effekt auf Frakturraten beim Erwachsenen;
• keine eindeutigen Folgen auf Gewichtskontrolle, Diabeteshäufigkeit und kardiovaskuläre Morbidität;
• angeblich erhöhtes Risiko für Prostata- und Endometriumkarzinome, aber tieferes Risiko für kolorektale Karzinome.
* Im Aktienkurs sind die Folgen aller kursrelevanten Informationen bereits enthalten. Stimmt meist, aber eben nicht immer ...
N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMra1903547.
Verfasst am 22.02.2020.

Praxisrelevant

Flash-Glukose-Monitoring: vielversprechende Verlaufsdaten

Mittels eines meist am Oberarm applizierten, intra­kutanen Sensors und eines handyartigen Lesegeräts kann Glukose («Gewebezucker») regelmässig gelesen werden. Der Sensor sollte alle zwei Wochen gewechselt werden, hat eine Latenz von mindestens zehn Minuten gegenüber schnellen Blutzuckerschwankungen und kann angeblich nicht kalibriert werden. In dieser ­Studie, in der ein paralleler Arm mit traditionellen Glukosemessmethoden (kapillärer Blutzucker) leider fehlte, führte der Wechsel zu diesem System bei 1365 Personen innerhalb von sechs und zwölf Monaten (55% Männer; 77% Patient[inn]en mit Typ-1-, 16% mit Typ-2-Dia­betes, Rest mit anderen Diabetesformen) zu einem ­signifikanten Abfall es HbA1C (Vergleich zu Baseline), weniger Hypoglykämien, weniger Hospitalisationen und weniger Abwesenheiten am Arbeitsplatz.
Eine interessante Studie aus dem Alltagsleben. Schalten die grosse Zahl der Patient(inn)en und die verschiedenen positiv beeinflussten Verlaufsparameter die metho­dologischen Vorbehalte aus?
BMJ Open Diabetes Res Care 2020, doi.org/10.1136/bmjdrc-2019-000809.
Verfasst am 22.02.2020, auf Hinweis von Frau Dr. A. Cettuzzi, Muttenz.

5 Jahre nach Aortenklappenersatz: ­katheterbasierter vs. operativer Ersatz

Bei gut 2000 Patient(inn)en (Altersdurchschnitt 81 Jahre) mit mittlerem chirurgischem Risiko*, die in 57 verschiedenen Spitälern in Kanada und den USA wegen ­einer schweren, symptomatischen valvulären Aorten­stenose einem Klappenersatz unterzogen wurden, ist nun der 5-Jahres-Verlauf dokumentiert. Die ursprüngliche Zuteilung zum chirurgischen Klappenersatz oder TAVR («transcatheter aortic-valve replacement») war randomisiert erfolgt. Die Daten für TAVR sind ermutigend: Innerhalb dieser fünf Jahre waren der Gesundheitszustand in beiden Gruppen wie auch die härteren Verlaufsmerkmale (Mortalität und Behinderungen nach Schlaganfall) gleich, letztere traten aber doch in fast der Hälfte der Fälle ein. Die TAVR-Gruppe wies ­häufiger ein leichtes paravalvuläres Leck (33 vs. 6%) auf. Ebenfalls waren Rehospitalisationen mit 33 gegenüber 25% und Reinterventionen mit 3,2 gegenüber 0,8% häufiger. Die Reinterventionen in der TAVR-Gruppe waren nach zwei Jahren wegen progressiver Stenose oder Regurgitation nötig. Es bleiben also einige Fragen offen für den noch längerfristigen Verlauf. Die ver­wendeten, katheterbasierten Implantate sind nicht mehr im Gebrauch, bleibt zu hoffen, dass die aktuellen ­Modelle noch bessere Langzeitresultate bringen.
* Zum Abschätzen des chirurgischen Risikos von Patient(inn)en mit valvulären Aortenstenosen bestehen Risikokalkulatoren, zum Beispiel unter www.sts.org/resources/risk-calculator.
N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa1910555.
Verfasst am 27.02.2020.

Gicht und Aortenstenose

Gicht, aber auch chronisch erhöhte Harnsäurespiegel sind mit zahlreichen kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert, namentlich koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und peripherer arterieller Verschlusskrankheit. Vermutete Mechanismen sind eine systemische Entzündungsaktivität, Akkumulierung reak­tiver Sauerstoffradikale, aber auch direkt Effekte der Harnsäure (z.B. wie vaskuläre Uratkristallablagerungen) per se. Eine Gichterkrankung kann auch ein ­prädiktiver Faktor für eine verkalkende, valvuläre ­Aortenstenose sein. Ein solche liegt bei fast doppelt so vielen Patient(inn)en mit wie ohne Gicht vor. Eine schwere Form lag bei Patient(inn)en mit Gicht in 74% versus 54% ohne Gicht vor (p <0,001) und dies selbst bei Patient(inn)en, die zu Beginn echokardiographisch keine Aortenstenose aufgewiesen hatten. Im Schnitt knapp sechs Jahre nach der Diagnose Gicht musste auch die Diagnose Aortenstenose gestellt werden. Die Assoziation blieb bestehen auch nach Korrektur für eine Reihe von Kovariablen.
Ein interessanter Aspekt: Können eine erfolgreiche Behandlung oder besser Prävention von Gichtattacken Auf­treten und Progression der Aortenstenose vermindern respektive verlangsamen? Müssen wir unter Kontrolle dieses Verlaufes allenfalls die Harnsäurespiegel per se (auch ohne Gichtattacken) senken? Fragen für wichtige Interventionsstudien!
Harnsäurekristalle unter dem Polarisationsmikroskop, 40-fache Vergrösserung (aus: Forster A, Krebs A. Kristallkrankheiten Teil 1: Gicht. Schweiz Med Forum. 2017;17(17):387–90. doi.org/10.4414/smf.2017.02966 ).
Verfasst am 24.02.2020.

Nebenwirkungen niedrig dosierten Methotrexates

Niedrig dosiertes Methotrexat (<20 mg/Woche) ist bei der Rheumatoiden Arthritis ein seit 30 Jahren eingesetzter und erfolgreicher Entzündungshemmer. Umso erstaunlicher ist, dass es nur wenige systematische Quantifizierungen der Nebenwirkungen (randomisiert, plazebokontrolliert) gibt. Diese Lücke schliesst ein ­randomisierter, doppelblinder Vergleich der Nebenwirkungen von niedrig dosiertem Methotrexat mit Plazebo (je knapp 2400 Patient[inn]en) im Rahmen der negativ ausgefallenen CRIT-Studie («cardiovascular inflammation reduction trial»), also bei Patient(inn)en ohne Rheumatoide Arthritis. Bei einem Follow-up von 23 Monaten und einer medianen Methotrexat­dosis von 15 mg pro Woche traten in 87% (Plazebo: 81%) Nebenwirkungen auf. Milde Anämie (in 30%), Leukopenie oder Thrombopenie (in je knapp 9%) waren die häufigsten hämatologischen Nebenwirkungen. Onkologisch traten vermehrt kutane Neoplasien, nicht aber andere Krebsarten, auf. Eine weite Palette von hepa­tischen und bronchopulmonalen sowie infektiologischen Nebenwirkungen, alle meist milder Art, kamen ebenfalls gehäuft vor (siehe Tabellen 3–5 der referenzierten Arbeit für die konkreten Zahlen). Die Nebenwirkungen auch bei niedrig dosiertem Methotrexat sind häufiger als bei Plazebo und erfordern die in den Richtlinien empfohlenen regelmässigen Kontrollen. Die untersuchte Studienpopulation lässt natur­gemäss offen, ob in der Kernindikation des Metho­trexates (Rheumatoide Arthritis) die Häufigkeit und Schwere der Nebenwirkungen vergleichbar sind.
Annals of Internal Medizin 2020, doi.org/10.7326/M19-3369.
Verfasst am 24.02.2020.

Für Ärztinnen und Ärzte im Spital

MRSA: zuerst beweisen, dass es auch einer ist!

Bei Pneumonien wird eine schnell begonnene empirische antibiotische Therapie als Fundament einer erfolgreichen Behandlung angesehen. Die empirische Wahl steht aber auf eher wackeligen Füssen, denn nur in der Minderheit der Fälle wird (u.a. deswegen) eine ursächliche Keimdiagnose gestellt. Der zeitliche Behandlungsdruck führt dazu, dass wegen der Bedrohung durch resistente Organismen, namentlich Me­thicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) und Pseudomonas aeruginosa, oft eine breitspektrige, aber ebenfalls blinde antibiotische Therapie gewählt wird. In den USA traf dies bei einem Drittel aller Hospita­lisierten mit ambulant erworbener Pneumonie zu, obwohl sich bei nur 5% dann auch resistente Bakterien nachweisen liessen. Eine erfolgreiche Strategie? Wahrscheinlich nicht, denn bei mehr als 88 000 hospitalisierten Patient(inn)en (median 70-jährig) wurden in 38% der Fälle eine Anti-MRSA-Antibiose und Standardtherapie empirisch eingeleitet, unter anderem wenn Risikofaktoren anamnestisch eruierbar waren. Verglichen wurde mit Standardtherapie allein. Die 30-Tage-Mortalität der Patient(inn)en mit Anti-MRSA-Antibio­se war aber höher als jene der Patient(inn)en, die nur mit einer Standardtherapie (auch empirisch) behandelt wurden! Weiter ergab sich eine Risikoerhöhung für folgende Folgekomplikationen: Niereninsuffizienzen («kidney injury»), sekundäre Clostridium-difficile- und Vancomycin-resistente Enterokokken-Infekte sowie sekundäre gramnegative Septikämien. Die Arbeit ist ein Hinweis, dass die gegenwärtig verwendeten ­Risikobeurteilungen für das Vorliegen eines MRSA-­Infektes nicht zuverlässig sind respektive die negativen Folgen der empirischen Anti-MRSA-Antibiose eine solche nicht unkritisch rechtfertigen.
Die wichtigsten Lokalisationen eines MRSA-Infektes (A), rechts ein Hautinfekt, typischerweise an einen Spinnenbiss erinnernd (B). Aus: DeLeo FR, Chambers HF. Reemergence of antibiotic-resistant Staphylococcus aureus in the genomics era. J Clin ­Invest. 2009;119(9):2464–74. doi:10.1172/JCI38226 . Copyright © 2009 American Society for ­Clinical Investigation; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der American Society for Clinical Investigation. Foto: Kelly M. Cordoro, M.D., Department of Dermatology, University of California San Francisco.
JAMA Intern Med. 2020, doi.org/10.1001/jamainternmed.2019.7495.
Verfasst am 22.02.2020, auf Hinweis von Prof. K. Neftel, Ligerz.

Auch noch aufgefallen

Wahrscheinlich keine Krebshäufung nach Anti-TNF-α-Therapie


Seit bald 30 Jahren werden Anti-Tumornekrosefaktor-(TNF-)α-Therapien erfolgreich bei einer Reihe von immunvermittelten Erkrankungen eingesetzt, namentlich bei den entzündlichen Darmerkrankungen, der Rheumatoiden Arthritis und der Psoriasis. Ein Beweis der Befürchtung, dass eine Anti-TNF-α-Therapie bei diesen Erkrankungen onkogen ist, steht trotz vieler Studien aus. Noch weniger sicher ist, ob bei vorbestehenden Tumorerkrankungen die Anti-TNF-α-Therapie einen Krebsrückfall und/oder vermehrt Neutumoren nach sich zieht. Patientenverläufe aus einer dänischen Kohorte wurden nach einer Beobachtungszeit von ­median 5,6 Jahren analysiert. Unter einer Anti-TNF-α-Therapie wegen der erwähnten Grundkrankheiten entwickelte etwa jede/-r Achte eine neue Krebserkrankung (563 von 4328); wenn in der Anamnese eine Krebserkrankung vorbekannt war, betraf ein Rückfall oder eine Neuerkrankung etwas mehr als jede/-n Sechste/-n der untersuchten Patient(inn)en (72 auf 434) – ein nicht signifikanter Unterschied. Diese Daten sprechen dafür, dass mit entsprechender Überwachung eine Anti-TNF-α-Therapie Patient(inn)en mit früheren Tumorleiden nicht a priori vorenthalten werden sollte.
Lancet Gastroenterol Hepatol. 2020, doi.org/10.1016/S2468-1253(19)30362-0.
Verfasst am 18.02.2020.

Hightech-Uhr zur Diagnose des Vorhof­flimmerns: nicht so gut wie angenommen

In der sogenannten «Apple Heart Study» (588 Patient­[inn]en) wurde ein optischer Sensor verwendet, der ­irregulären Puls erfassen kann und mit einem posi­tiven Voraussagewert von 84% Vorhofflimmern erkannte. Mit einer neuen Uhr, die eine Einzelelektrode zur Rhythmusanalyse verwendet, war eine interne Studie der Herstellerfirma zum Schluss gelangt, dass ein Vorhofflimmern mit gut 98% Sensitivität und Spezifität diagnostiziert werden konnte. Eine unabhängige (die Uhren wurden gekauft) Pilotstudie findet nun aber eine Sensitivität von 41%, das heisst eine Vielzahl von Episoden von Vorhofflimmern wurde nicht entdeckt. Noch kein Ersatz also für klassische Methoden des Langzeit-Monitoring.
Verfasst am 25.02.2020.

Nicht ganz ernst gemeint

Zweierbeziehungen – untersucht mittels MRI

Bei einem sogenannten funktionellen MRI («functional magnetic resonance imaging» [fMRI]) wird – meist durch Messung lokaler Veränderungen der Blutoxy­genierung – die neur(on)ale Aktivität als Antwort auf externe Reize abgeschätzt und der neuroanatomischen Struktur zugeteilt. Durch Verwendung zweier spezieller Kopfspuhlen stehen nun sogenannte 2-Personen-fMRI an der «Princeton University» in den USA und der «Aalto University» in Finnland zur Verfügung. Nicht erstaunlich, löst der Blick in die Augen des MRI-Partners eine andere fMRI-Antwort als der Blick auf sein Porträtbild aus. Der Methode wird Potential für das realistischere Studium zwischenmenschlicher ­Beziehungen zugeschrieben. Vielleicht kann auch der geeignete Partner identifiziert werden? Eine «parship.com»-Population oder vielleicht gar «ElitePartners» könnten Kontrollgruppen bezüglich Zustandekommen und Überleben einer Partnerschaft sein.
Selbstverständlich kann man sich noch andere An­wendungen ausmalen. Haben Sie eine Idee für unsere Leser­ecke? Wir freuen uns auf Ihre Zuschrift!
Verfasst am 22.02.2020.

Das hat uns nicht gefreut

Zu wenig Transparenz bei klinischen Studien

Die Anmeldung und Registrierung einer klinischen Studie auf einer der Studienplattformen (z.B. clinical­trials.gov) soll verschiedenen Zwecken dienen: Ver­hinderung von Protokoll- und Endpunktverletzungen, von Duplizierungen, von nicht publizierten negativen Studienresultaten und anderem mehr. Eine Analyse von mehr als 4700 klinischen Studien, die im Zeitraum vom 18.01.2018 bis 25.09.2019 eigentlich hätten auf­geführt werden sollen, fand in mehr als der Hälfte der Fälle, dass die Studie nicht (etwa 30% vom Total) oder zu spät (etwa 25%) angemeldet worden war. Akade­mische (Non-Profit-)Institutionen schnitten deutlich schlechter ab als industriefinanzierte Studien.
Verfasst am 22.02.2020.

Medizinische Depeschenagentur

Mehr Evidenz für pulmonale Toxizität von Vitamin-E-Azetat

In der COVID-19*-Epidemie geht die EVALI-(«electronic cigarette, or vaping, product use-associated lung injury»-)Epidemie (mit aktuell 64 Todesfällen) etwas ­unter. In einem murinen Tiermodell konnte die pulmonale Toxizität von inhaliertem Vitamin-E-Azetat dokumentiert werden [1]. Zusammen mit den Patientendaten (Nachweis von Vitamin-E-Azetat in der bronchoalveolären Spülflüssigkeit) wird die Beweislage für die pulmonale Toxizität von Vitamin-E-Azetat somit immer besser.
* Vielleicht haben Sie sich über das kurz und bündige Schweigen zur «Coronavirus Disease 2019»-(COVID-19-)Epidemie gewundert. Angesichts der vielen, laufend aktualisierten Quellen wären wir aber mit Kommentaren dazu immer etwas veraltet. Wir überlassen dieses Feld bis auf Weiteres den offiziellen Stellen, z.B. www.bag.admin.ch respektive den Kantonsarzt-Mitteilungen. Zudem verweisen wir auf den in der Ausgabe 11–12 des Swiss Medical Forum publizierten Artikel «Ein neues Coronavirus breitet sich aus: machen wir es richtig?» [2].
Im Tiermodell konnte die pulmonale Toxizität von inhaliertem Vitamin-E-Azetat dokumentiert werden (© Mimagephotography | Dreamstime.com).
1 N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMc2000231.
2 Swiss Med Forum. 2020, doi.org/10.4414/smf.2020.08499.
Verfasst am 22.02.2020.
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