Schwachstellen der AGLA

Schwachstellen der AGLA

Leserbrief
Ausgabe
2020/1922
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08515
Swiss Med Forum. 2020;20(1922):342

Publiziert am 06.05.2020

Schwachstellen der AGLA

Die Schweizer Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA) der Schweizerischen Ge­sell­schaft für Kardiologie publizierte kürzlich in dieser Zeitschrift eine kommentierte Übersicht [1] über die neuen ESC/EAS-Dyslipidämie-Guidelines [2]. Dabei produzierte die AGLA eine ­problematische Kommunikation betreffend die Lipidbehandlung bei Patientinnen und Patienten über 75 Jahre.
Gemäss Guidelines der «European Society of Cardiology» (ESC) gilt: Eine Lipidsenkung bei ­Patientinnen und Patienten bis 75 Jahre ist ­indiziert. Bei solchen über 75 Jahre kann eine ­Statinbehandlung in Abhängigkeit vom Risiko erwogen werden. Die Wirksamkeit der Statine in der Primärprävention bei Patientinnen und Patienten ab 75 Jahren ist weniger gut abge­sichert als bei jüngeren Personen («less certainty»), und die Statindosierung sollte nied­riger gewählt werden bei Nierenschwäche oder möglichen Medikamenteninteraktionen. Diese Empfehlung wurde mit den Daten der CTT-Studie begründet [3].
Demgegenüber schreibt die AGLA [1]: «Eine Primärprävention mit Statinen wird bei Patienten nur bis zum Alter von 75 Jahren empfohlen. […] Bei asymptomatischen Patienten >75 Jahre (Primärprävention) beschränkt sich der Nutzen von Statinen auch im Hinblick auf Herzinfarktverhütung auf Patienten mit Diabetes. Senioren ohne ASCVD-Vorgeschichte und Dia­betes profitieren nicht von einer Statintherapie [4]».
Die AGLA verdreht damit eine ESC-Empfehlung für eine Statinbehandlung anhand der Ramos-Studie [4] in ihr Gegenteil und verschweigt dabei, dass es sich hier um einen Kommentar der AGLA handelt.
Die Ramos-Studie ist in den ESC-Guidelines mit gutem Grund nicht erwähnt. Sie hat keine verlässliche wissenschaftliche Grundlage erarbeitet, um die Empfehlung der AGLA zu unter­stützen, und es erstaunt sehr, dass die AGLA eine derart minderwertige Studie überhaupt erwähnt.
Gemäss eigener Metaanalyse aus heutiger Evidenz bewirken Statine eine 40%-Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse und eine 30%-Reduktion der Gesamtmortalität bei ­Personen ab 75 Jahren (eingereicht bei Swiss Medical Weekly).
Die AGLA sollte deshalb ihre kommentierte Übersicht zurückziehen oder den wissenschaftlichen Ergebnissen aus Studien mit guter epidemiologischer Praxis Folge leisten [5]. Falls die AGLA ihre Empfehlung weder zurückzieht noch ändert, sollte sie klarstellen, dass sie eine Abweichung zu den ESC-Guide­lines empfehlen will, und dies dann auch entsprechend kommunizieren und mit wissenschaftlichen Daten begründen
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen ­Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
1 Riesen WF, Kaiser W, Gallino A, von Eckardstein A, Theus GR, Beer JH. Neue ESC/EAS-Dyslipidämie-­Guidelines. Swiss Med Forum. 2020;20(0910):140–8.
2 Mach F, Baigent C, Catapano AL, Koskinas KC, Casula M, Badimon L, et al. 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J. 2020;41(1):111–8.
3 Armitage J, Baigent C, Barnes E, Betteridge DJ, Blackwell L, Blazing M, et al. Efficacy and safety of statin therapy in older people: a meta-analysis of individual participant data from 28 randomised controlled trials. Lancet. 2019;393(10170):407–15.
4 Ramos R, Comas-Cufí M, Martí-Lluch R, Balló E, ­Ponjoan A, Alves-Cabratosa L, et al. Statins for ­primary prevention of cardiovascular events and mortality in old and very old adults with and ­without type 2 diabetes: retrospective cohort study. BMJ. 2018;362:3359.
5 DAE. Leitlinien und Empfehlungen zur Sicherung von Guter Epidemiologischer Praxis (GEP). 2004. http://physicianprofiling.ch/­GEPVollstaendig2004.pdf