Hydroxychloroquin und COVID-19
Wenn gute Daten fehlen

Hydroxychloroquin und COVID-19

Übersichtsartikel
Ausgabe
2020/3134
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08564
Swiss Med Forum. 2020;20(3134):441-445

Affiliations
Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern, Universität Bern
* Beide Autoren haben zu gleichen Teilen zum Artikel beigetragen.

Publiziert am 29.07.2020

Obwohl Hydroxychloroquin während früherer Coronavirus-Epidemien als Behandlung diskutiert wurde und aktuell für die Therapie von COVID-19 «off-label» verwendet wird, sind bisher weder Wirksamkeit noch Sicherheit bei COVID-19 belegt.

Einleitung

Das Chloroquin-Derivat Hydroxychloroquin (HCQ) ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der 4-Aminochinoline, der in der Schweiz als HCQ-Sulfat unter dem Handelsnamen Plaquenil® oder als Generikum zur Malariapro­phylaxe/-therapie und zur Behandlung von chronischer Polyarthritis, Lupus erythematodes und Photodermatosen zugelassen ist [1]. Das Therapieschema ist abhängig von der Indikation: Bei Polyarthritis, Lupus und Photodermatosen wird bei Erwachsenen in der Regel initial zwei- bis dreimal täglich eine 200-mg-Tablette (400−600 mg pro Tag) mit den Mahlzeiten und ausreichend Flüssigkeit eingenommen. Bei Malariatherapie wird mit einer Ladedosis von 800 mg gestartet, gefolgt von 400 mg nach 6–8, 24 und 48 Stunden, um möglichst rasch wirksame Konzentrationen zu erreichen [1].
Obwohl die Substanz bereits seit Jahrzehnten im Rahmen der oben genannten Indikationen eingesetzt wird, kam HCQ in den letzten Monaten aufgrund des Off-Label-Einsatzes (wobei die Anwendung ausserhalb der zugelassenen Indikationen erfolgt und die Verantwortung bei der/dem behandelnden Ärztin/Arzt liegt) bei Patienten mit COVID-19 wieder vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit. In vergangenen Corona­virus-Epidemien («severe acute respiratory syndrome corona virus» [SARS-CoV]) 2002−2004 und «Middle East respiratory syndrome corona virus» (MERS-CoV)) sowie kürzlich beim noch anhaltenden Ebola-Outbreak wurde HCQ bereits geprüft, wenn auch mit geringem Erfolg [2]. Die Argumentation für diese experimentelle Verwendung basiert hauptsächlich auf In-vitro- [3, 4] und limitierten klinischen Daten (z.B. [5]). Es ist jedoch noch unbekannt, ob HCQ einen günstigen Effekt bei der Behandlung von COVID-19 haben könnte; ebenfalls unklar ist die optimale Dosierung in dieser Indikation. Faktoren, die rationale Aussagen diesbezüglich erschweren, sind unter anderem die fehlende Evidenz aus methodisch soliden klinischen Studien und die zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse der vorhandenen Studien, die unterschiedliche Dosierungsschemata verwenden, zahlreiche Limita­tionen aufweisen und aufgrund der aktuellen Aus­nahmesituation zum Teil ohne eine vorherige Überprüfung durch einen Peer-Review-Prozess online publiziert werden.
Im vorliegenden Artikel werden die wichtigsten pharmakologischen Eigenschaften von HCQ im Zusammenhang mit Dosierungsprinzipien präsentiert, um die Auswahl der Dosis in den ersten Studien, die HCQ für die Therapie von COVID-19 untersuchten, zu beurteilen. Weiterhin wird diskutiert, wie die toxischen Effekte zu gewichten sind und ob die therapieprägenden Studien immer aus zuverlässigen Quellen stammen.

Pharmakologische Eigenschaften von Hydroxychloroquin und Implikationen für eine rationale Dosierung

HCQ wird nach oraler Einnahme schnell resorbiert, die Bioverfügbarkeit beträgt durchschnittlich zirka 70%. Im Plasma sind 4-Aminochinoline etwa zur Hälfte an Plasmaproteine gebunden; ausserdem binden sie stark an grosse Moleküle wie zum Beispiel Melanin und akkumulieren in vielen Geweben und Organen. Diese ausgeprägte Gewebeverteilung ist der Grund für das sehr hohe scheinbare Verteilungsvolumen der Sub­stanz (153–1650 l [6, 7]). Die Bildung von desethylierten Metaboliten erfolgt in der Leber [6]. Distribution/Elimination folgen einem Zweikompartiment-Modell mit einer terminalen Halbwertszeit von bis zu >20 Tagen [1, 7].
Aus pharmakologischer Sicht ist bei Überlegungen zur Dosisauswahl zwischen der initialen respektive Ladedosis und der Erhaltungsdosis zu unterscheiden. Im Gegensatz zur Erhaltungsdosis, die von der Clearance der Substanz abhängig ist (Erhaltungsdosis = Ziel­konzentration im Steady State × Clearance), ist für die Ladedosis das Verteilungsvolumen bedeutsam (Ladedosis = Zielkonzentration × Verteilungsvolumen). Da Steady-State-Konzentrationen bei mehrfacher Applikation erst nach fünf Halbwertszeiten erreicht werden, wenn es zu einem Gleichgewicht zwischen Akkumulation und Elimination kommt, verwendet man bei Medikamenten mit langer Halbwertszeit wie zum Beispiel Digoxin oder Amiodaron eine Ladedosis, wenn ein schneller Effekt erwünscht oder nötig ist. Im Fall von HCQ mit seiner langen Halbwertszeit braucht es im akuten Setting ebenfalls eine Ladedosis, wenn rasch hohe Konzentrationen erreicht werden sollen, wie dies bei der Malariatherapie mit HCQ im Vergleich zu weniger dringlichen Indikationen gemacht wird. Neben den Konzentrationen im Plasma sind auch die Gewebekonzentrationen (beispielsweise in der Lunge) von Bedeutung. Wie die mehrkompartimentelle Pharmako­kinetik von HCQ zeigt, gibt es eine Verteilung in tiefe Kompartimente, was physiologisch der Verteilung und Akkumulation in peripheren Geweben aufgrund der guten Gewebegängigkeit von HCQ entspricht. Der Stoff flutet hier langsam an und ab, sodass in den Geweben über längere Zeit höhere Mengen vorliegen, auch wenn im Plasma nur noch geringe Konzentrationen nachweisbar sind (Abb. 1). Höhere Mengen bedeuten auch höhere Konzentrationen. Um diese zu berechnen, müsste man das Verteilungsvolumen von HCQ im Lungengewebe kennen. Da dieses aufgrund des experimentellen Aufwands bisher nicht bestimmt wurde, bleibt letztlich unklar, welche Konzentrationen in der Lunge vorherrschen. Dieser wichtige Punkt ist bei der Interpretation von In-vitro-Resultaten zu beachten. Auch wenn die im Labor bestimmten wirksamen Konzentrationen in vivo toxischen Plasmakonzentra­tionen entsprächen, könnten die Gewebskonzentra­tionen aufgrund geringerer Verteilungsvolumina ausreichend sein. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der mögliche Einsatz von Ivermectin im Management von COVID-19-Patienten [8].
Abbildung 1: Pharmakokinetik eines hypothetischen Medikaments mit Umverteilung aus dem Blutkreislauf (rote Kurve) in ein peripheres («tiefes») Gewebekompartiment (grüne Kurve). Obwohl die im Blut messbare Stoffmenge schnell abfällt, hält sie sich im Gewebe (beispielsweise der Lunge) länger.
Ähnlich wie bei der Malariatherapie ist auch im Fall ­einer Verwendung zur Therapie von COVID-19 ein schneller Effekt erwünscht (schnelle Wirksamkeit bei hohem Mortalitätsrisiko) und damit eine Ladedosis sinnvoll (Abb. 2). Dieses Vorgehen wird auch von physiologisch basierten pharmakokinetischen (PBPK) Modellen gestützt.
Abbildung 2: Simulierte Plasmakonzentrationskurven der empfohlenen Dosierungen von Hydroxychloroquin (z.B. Plaquenil®) [1] bei chronischer Polyarthritis (200 mg 8-stündlich; blaue Kurve) und Akuttherapie der Malaria (800 mg Ladedosis und nach 8 Stunden Beginn mit 400 mg täglich; rote Kurve). Die Simulationen wurden mit dem Modell von Lim et al. [6] durchgeführt.
Basierend auf den pharmakologischen Eigenschaften, klinischen Studien für andere Indikationen und In-vitro-­Daten bezüglich der antiviralen Aktivität gegen SARS-CoV-2 können diese eingesetzt werden, um schwer messbare Konzentrationen wie zum Beispiel in der Lunge abzuschätzen. Aufgrund solcher Annahmen empfiehlt ein PBPK-Modell von Yao et al. [3] eine Aufsättigungsdosis von 2 × 400 mg am ersten Tag, gefolgt von einer Erhaltungsdosis von 2 × 200 mg pro Tag für vier Tage, um früh hohe Konzentrationen in relevanten Zielorganen zu erreichen. Eine vor Kurzem pub­lizierte Studie [9], die verschiedene HCQ-Dosierungen für COVID-19 anhand von In-vitro- und In-vivo-Daten einer der neuen klinischen COVID-19-Studien [5] mit ­einem populations-pharmakokinetischen Modell untersuchte, ergab, dass bei einer Dosierung von 800 mg pro Tag (entweder als einmalige Aufsättigungsdosis oder verteilt auf zwei Gaben von 400 mg) wirksame Konzentrationen zu erwarten wären. Gemäss diesem Modell wären höhere Dosierungen assoziiert mit besserer Wirksamkeit, aber auch mit einer signifikanten Wahrscheinlichkeit einer Verlängerung der QTc-Zeit (bekannte dosisabhängige und potentiell lebensgefährliche unerwünschte Wirkung von HCQ [1]). Im Gegensatz dazu wäre bei Dosierungen von 200 mg zwei- oder dreimal pro Tag nur moderate Wirksamkeit zu erwarten [9]. Limitationen der Studie sind unter anderem die theoretischen Annahmen bei manchen Berechnungen wie zum Beispiel der mittleren effektiven Konzentration (EC50)von In-vitro-Experimenten und Daten zur viralen Replikation, die vom «severe acute respiratory syndrome coronavirus 1» (SARS-CoV-1) übernommen wurden. Weiter stammen die populations-pharmakokinetischen Parameter für das HCQ-Modell nicht von COVID-19-Patienten, sondern von gesunden Probanden und Malariapatienten. Nichtsdestotrotz stützen diese Daten die pharmakokinetischen Über­legungen zur Dosisauswahl, die für die Gabe einer ausreichend hohen Ladedosis zu Therapiebeginn sprechen. Zudem mag ein asymptomatischer Patient mit positivem COVID-19-Nachweis aus der allgemeinen ­Bevölkerung eher einem gesunden Individuum als ­einem Malariapatienten entsprechen. Obwohl im Rahmen von Studien zu anderen Indikationen Dosierungen bis zu 1200 mg pro Tag ausser gastrointestinalen unerwünschten Wirkungen gut vertragen wurden [10], ist vor allem bei vorliegenden Risikofaktoren wie zum Beispiel der Kombination mit anderen Medikamenten, die die QTc-Zeit verlängern (additive Wirkung), auf eine Verlängerung der QTc-Zeit zu achten. Eine elektro­kardiographische Kontrolle vor Beginn und nach der Aufsättigungsphase nach zirka zwei Tagen ist des­wegen empfohlen. Für Frauen sind 480 ms als oberer Grenzwert akzeptabel, für Männer 470 ms [11]. Ab einer QTc ≥500 ms oder einer Zunahme der QTc-Zeit um 60 ms gegenüber dem Ausgangswert sollte die Therapie re­evaluiert beziehungsweise sollten nicht essentielle QTc-verlängernde Medikamente wie etwa das anti­emetische Domperidon abgesetzt und der Patient / die Patientin mittels Elektrokardiographie oder Teleme­trie überwacht werden [11, 12]. Auch Makrolidantibiotika wie Azithromycin (ACM, in der COVID-19-Therapie als Komedikation zu HCQ diskutiert) sind QTc-verlängernd und bei einer Erkrankung, bei der kardiovaskulär Vorbelastete als Risikopatienten gelten, nur mit vitaler Indikationsstellung einzusetzen. Auf die dosisab­hängige QTc-Zeit-Verlängerung mit Risiko für Herzrhythmusstörungen unter HCQ wird auch in einer kürzlichen Kommunikation der Swissmedic in Zusammenarbeit mit den Herstellern verstärkt hingewiesen [13].

Daten von klinischen COVID-19-Studien (Auswahl)

Eine der ersten Studien, die Hoffnung auf einen mög­lichen klinischen Benefit bei COVID-19-Patienten durch HCQ weckte, war eine offene, nicht randomisierte Studie mit 36 Patienten [5]. Sie zeigte eine Abnahme der Viruslast am sechsten Tag unter dreimal täglicher Anwendung von 200 mg HCQ über zehn Tage verglichen zu supportiver Therapie, mit ausgeprägteren Effekten bei Kombination von HCQ mit ACM [5]. Die Studie hatte nebst der aus pharmakologischen Überlegungen ungeeigneten Dosierung grosse methodische Schwächen und wurde im Verlauf zu Recht stark kritisiert (z.B. [14–17]). So wurden sechs der im Behandlungsarm eingeschlossenen Patienten von der Analyse ausgenommen, unter anderem da sie intensivmedizinische Betreuung benötigten (n = 3), die Behandlung abbrachen (n = 2) oder verstarben (n = 1). Die Zuteilung zu den Behandlungen erfolgte nicht durch Randomisierung. Die Kontrollgruppe bestand aus Patienten, die nicht den Einschlusskriterien entsprachen beziehungsweise keinen Informed Consent gegeben hatten – ein aus ethischer Sicht inakzeptables Verfahren, das ausser­dem die Generalisierbarkeit der Studienergebnisse infrage stellt. Hinzu kommen weitere Diskrepanzen wie Unterschiede bei Baseline und arbiträrer Einsatz quantitativer respektive qualitativer Testverfahren. Der Peer-­Review-Prozess war ausgesprochen kurz: Einen Tag nach Eingabe war der Artikel, zu dessen Koautoren auch der Editor-in-Chief des publizierenden Journals gehört, bereits akzeptiert. Diese Unregelmässigkeiten haben dazu geführt, dass der Verlag nun prüft, ob der wissenschaftliche Inhalt den Ansprüchen des Hauses und der «International Society of Antimicrobial Chemotherapy» (ISAC) genügt [18]. Es ist erwähnenswert, dass das Manuskript zunächst als Preprint auf der öffentlichen Plattform MedRxiv.org erschien. Diese Seite versucht, dem eher trägen Peer-Review-Prozess durch eine informelle Möglichkeit zur Publikation vorläufiger Ergebnisse in der Biomedizin zu begegnen. Dies ist eine begrüssenswerte Ergänzung zum wissenschaftlichen Diskurs, kann, darf und soll aber den Peer-Review-Prozess nicht ersetzen. Obwohl jeweils deutlich gekennzeichnet wird, dass es sich um Artikel ohne Peer-Review handelte, wurde HCQ +/- ACM schnell vom breiten Publikum als valide Therapie bei COVID-19 gesehen. Dies führte neben einer Knappheit an HCQ und Unterversorgung von Patienten mit chronischen rheumatologischen Leiden auch zu einem hohen Druck auf behandelnde Kollegen, dieses Therapieschema einzusetzen [19, 20]. Obwohl dasselbe Studienteam im Verlauf eine grössere Studie bei vorwiegend oligosymptomatischen Patienten ebenfalls mit positiven Resultaten publizierte [21], litt auch das zweite Projekt unter methodischen Limitationen, wie zum Beispiel dem Fehlen einer Kontrollgruppe [15]. Erstaunlicherweise berichteten die Autoren von einer 98%igen Heilungsrate (negatives Kulturresultat nach fünf Tagen), was ohne Kon­trollgruppe kaum sinnvoll interpretiert werden kann. Weiter wurden Daten zu unerwünschten kardialen Wirkungen nicht gezeigt, was gewisse Zweifel aufkommen lässt. Darüber hinaus fand eine andere kleine Beobachtungsstudie von Frankreich keinen Nutzen unter HCQ (ebenfalls 600 mg pro Tag) + ACM bei Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion [22] und in einer randomisierten Pilotstudie aus China mit 30 COVID-19-Patienten zeigte sich kein Unterschied bezüglich viraler Clearance unter HCQ 400 mg täglich für fünf Tage und ohne Behandlung [23], obwohl die Gabe anderer Antiviralia in beiden Gruppen als möglicher Störfaktor erwähnt werden sollte. In einer zweiten randomisierten Studie aus China (n = 62) [24] kam es gemäss einer Vorveröffentlichung zu einer etwas schnelleren klinischen Erholung (Normalisierung Körpertemperatur und Husten, bei Studienbeginn aber nur bei der Hälfte bis zwei Drittel der Patienten vorliegend) unter HCQ 400 mg täglich für fünf Tage verglichen zu Plazebo.
Obwohl die sehr schnellen Entwicklungen in diesem Bereich mit zum Teil täglich neu publizierten Studien eine vollständige und jeweils aktuelle Übersicht erschweren, wurde bereits ein Versuch einer Metaanalyse zu diesem Thema unternommen [25]. Die Metaanalyse von HCQ versus Kontrollgruppe oder konventionelle Therapie beinhaltete drei von den bereits erwähnten Studien [5, 23, 24] und kann deren bereits diskutierte ­Limitationen nicht kompensieren. Sie fand signifikant weniger Fälle von radiologischer Progression unter HCQ, aber keine signifikanten Unterschiede bezüglich klinischer Verschlechterung/Tod (kombinierter Endpunkt) oder Viruselimination. Die Datenlage wurde insgesamt aber als ungenügend für definitive Schlussfolgerungen beurteilt.
Neuere Beobachtungsstudien mit grösseren Populationen, die zwar nicht das Evidenzniveau randomisierter kontrollierter Studien erreichen, aber dennoch helfen würden, mögliche Effekte rascher abzuschätzen, konnten bis jetzt keinen (wesentlichen) Effekt für HCQ belegen. So konnte in einer Beobachtungsstudie kein Unterschied bezüglich Verlegung auf die Intensivstation und Überlebensrate zwischen der HCQ-Gruppe (n = 84, 600 mg täglich) und der Kontrollgruppe (n = 89) gezeigt werden [26]. Eine weitere Beobachtungsstudie mit Daten von mehr als 1300 COVID-19-Patienten fand keine Hinweise auf Unterschiede zwischen HCQ (n= 811, empfohlenes Dosierungsschema 2 × 600 mg am ersten Tag mit 400 mg täglich für vier Tage danach) und Kontrollgruppe bezüglich Tod oder Intubation nach Berücksichtigung von weiteren Einflussfaktoren wie zum Beispiel Alter und Schweregrad der Krankheit [27]. Daten von Beobachtungsstudien mit Lupus-erythematodes-Patienten unter HCQ als Basistherapie sprechen auch nicht für eine protektive Wirkung gegen COVID-19 in dieser Population [28].
Die Herausforderung einer adäquaten Nutzen-Risiko-Abwägung wird neben den Limitationen der verschiedenen Studien auch dadurch erschwert, dass sich manche initial als «wegweisend» angesehene Studien im Verlauf als stark fehlerhaft erwiesen. So hat zum Beispiel eine Publikation mit Daten von angeblich über 90 000 hospitalisierten COVID-19-Patienten eine erhöhte Mortalität unter HCQ gezeigt [29], was unter anderem zum Pausieren der HCQ-Studienarme in randomisierten kontrollierten Studien, wie beispielsweise der «Solidarity»-Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), und zu Änderung der Empfehlungen bezüglich Off-Label-Gabe von HCQ in einigen Spitälern geführt hat. Nach starker Kritik hinsichtlich Methodik und Datenintegrität (z.B. [30]) wurde die Publikation vom Journal zurückgezogen und die Gabe von HCQ im Rahmen von Studien wieder freigegeben. Am 5. Juni 2020 teilten die Principal Investigators der «Randomised Evaluation of COVid-19 thERapY (RECOVERY)»-Trials (n = 11 000) mit, den HCQ-Arm ihrer Studie vorzeitig zu beenden [31]. Es habe sich kein günstiger Einfluss auf die Mortalität nachweisen lassen. Am 17. Juni wurde auch der HCQ-Arm der «Solidarity»-­Studie der WHO offiziell gestoppt [32].
Solche besorgniserregenden Vorfälle unterstreichen nicht nur die Wichtigkeit einer korrekten Datenerhebung und Analyse, sondern auch ihrer wissenschaft­lichen Beurteilung und Überprüfung. Dies insbesondere in turbulenten Zeiten mit erheblichem Druck, eine wirksame Therapie gegen COVID-19 zu finden, wo vorschnelle, nicht evidenzbasierte Entscheidungen weitreichende Konsequenzen haben können.

Ausblick

Diese Daten heben vor allem die Wichtigkeit von methodisch soliden, gut geplanten, prospektiven, randomisierten, plazebokontrollierten klinischen Studien hervor, da nur so Nutzen und Risiken von neuen re­spektive experimentellen Therapien erhoben und bewertet werden können. Ausserdem unterstreicht es die Bedeutung des Peer-Review-Prozesses. Inwiefern die Abläufe im Kontext einer globalen Pandemie angepasst werden dürfen und müssen, wird uns noch längere Zeit beschäftigen. Der Austausch über Plattformen wie Twitter oder MedRxiv.org wird an Bedeutung gewinnen, muss aber mit der gewohnten wissenschaftlichen Disziplin bewertet werden, gerade wenn wir täglich neue, teils widersprüchliche Erkenntnisse zu Therapien einer höchst dynamischen Pandemie erhalten. Der US-libanesische Autor Nassim Nicholas Taleb hat dies in Bezug auf die ebenfalls schnelllebigen Börsennachrichten dereinst wie folgt zusammengefasst: «To be completely cured of newspapers, spend a year reading the previous week’s newspapers.» [33].
Neue Studien, wie zum Beispiel die im März 2020 begonnene internationale «Solidarity»-Studie der WHO, die verschiedene Medikamente (u.a. bis Mitte Juni auch HCQ in einer Dosierung mit zweimaliger Lade­dosis von 800 mg, gefolgt von 400 mg zweimal täglich für zehn Tage) zur Bekämpfung von COVID-19 kontrolliert untersucht, werden hoffentlich bald zuverlässigere Daten liefern können. Eine weitere wichtige Frage, die jedoch noch offenbleibt, ist die Auswahl der richtigen Dosierung der getesteten Substanzen sowie gegebenenfalls die Therapieüberwachung mittels Konzen­trationsmessungen (therapeutisches Drug Monitoring), um den bestmöglichen Therapieerfolg zu erzielen. Obwohl es bis jetzt in den meisten Studien anders erfolgt ist, wäre für HCQ, basierend auf den pharmakokinetischen Überlegungen und auch Daten von Simulationen, eine Aufsättigungsdosis von zum Beispiel 800 mg bei Therapiebeginn zu empfehlen mit gegebenenfalls Verabreichung einer Erhaltungsdosis in den folgenden Tagen, ähnlich zu dem Schema der WHO-«Solidarity»-Studie. Ähnliche Empfehlungen werden auch von der amerikanischen «Food and Drug Administration» (FDA) [34] gegeben, wobei auch da klar darauf hingewiesen wird, dass Nutzen, optimale HCQ-Dosierung wie auch Dauer der Behandlung bei COVID-19 unbekannt sind. Diese Überlegungen sind wichtig, da neben der Gefahr von unerwünschten Wirkungen und Toxizität, die vor allem bei fehlendem Wirksamkeitsnachweis im Verlauf und nach dem Grundsatz «primum non nocere» schwierig zu vergeben wären [17], auch die Gefahr besteht, eine wirksame Therapie wegen inadäquater Dosierung zu verpassen, was ebenfalls schwerwiegende Konsequenzen im Fall einer Pandemie haben könnte.

Das Wichtigste für die Praxis

• Um die Wirkung eines Medikamentes zu beurteilen respektive Resultate von klinischen Studien korrekt einordnen zu können, sind Kenntnisse über die pharmakologischen Eigenschaften sowie die Pathophysiologie der Krankheit unerlässlich.
• Wirksamkeit und Sicherheit von Hydroxycholoquin (HCQ) bei der Behandlung von Patienten mit COVID-19 sind bis jetzt nicht belegt. Belastbare Daten dazu sollten in randomisierten kontrollierten Studien erhoben werden und Patienten bis dahin nur im Rahmen von Studien mit HCQ behandelt werden.
• Die pharmakokinetischen Eigenschaften von HCQ sprechen für eine Ladedosis, um möglichst rasch wirksame Konzentrationen zu erreichen.
• «Off-label use» erfordert eine gewissenhafte Nutzen-Risiko-Abwägung (im Fall von HCQ der Mortalitätssenkung v.a. kardial vorgeschädigter Patienten gegenüber kardiotoxischen unerwünschten Wirkungen wie QTc-Verlängerung und Arrhythmien). Gleiches gilt für «compassionate use».
• Der Peer-Review-Prozess ist den Bedürfnissen einer zeitnahen Kommunikation während einer Pandemie nicht gewachsen und muss in solchen Ausnahmesituationen beschleunigt werden; Online-Plattformen, die sehr schnell Studienresultate zugänglich machen, werden in solchen Situationen an Bedeutung gewinnen, erfordern aber eine nüchterne Beurteilung der präsentierten wissenschaftlichen Ergebnisse.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
PD Dr. med. Evangelia Liakoni
Klinische Pharmakologie & Toxikologie
Universitätsklinik für ­Allgemeine Innere Medizin
Universitätsspital/Inselspital Bern
CH-3010 Bern
evangelia.liakoni[at]insel.ch
1 Arzneimittelinformation Schweiz, www.swissmedicinfo.ch.
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34 US Food & Drug Administration (FDA). Fact sheet for health care providers emergency use authorization (EUA) of hydroxychloroquine sulfate supplied from the strategic national stockpile for treatment of COVID-19 in certain hospitalized patients. US Food & Drug Administration (FDA). Silver Spring, MD. 2020.