Teil 2: Hepatitis B im Fokus
Update Virushepatitis B und C: Der Beitrag der Schweiz zur ­weltweiten Krankheitselimination

Teil 2: Hepatitis B im Fokus

Übersichtsartikel
Ausgabe
2020/4546
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08575
Swiss Med Forum. 2020;20(4546):642-646

Affiliations
a Medizinische Klinik, Luzerner Kantonsspital Sursee, Luzern; b Gastroenterologie, Luzerner Kantonsspital Sursee, Luzern

Publiziert am 03.11.2020

Jährlich sterben weltweit rund 840 000 Patienten an den Folgen einer Virushepatitis-B-Infektion, obwohl eine effiziente Impfung und wirksame antivirale Medikamente verfügbar sind.

Während dieser zweite Teil des Updates auf die HBV-­Infektion im Speziellen eingeht, finden sich viele all­gemeine Informationen in Teil 11 des Beitrags zusammengefasst.

Hepatitis-B-Impfung

Der grösste Erfolg gegen die Hepatitis-B-Virus-(HBV-)Infektion war die Entwicklung einer HBV-Impfung 1981. Diese Impfung ist die wichtigste Massnahme gegen die Infektion [1]. Neu steht für Babies ein hexavalenter Impfstoff (Infanrix® hexa) zur Verfügung, der im Alter von 2, 4 und 6 Monaten gegeben werden sollte. Die Adoleszenten-«Reserve»-Impfung mit 11–15 Jahren erfolgt weiterhin mit einem monovalenten Impfstoff (z.B. Engerix®). Die Erwachsenenimpfung wird für alle Risikopatienten mit negativer Anti-HBc-/Anti-HBs-Serologie empfohlen. Nach Nadelstichverletzungen mit HBV-Risiko muss eine aktive und passive Impfung erfolgen. Reisende in Regionen mit hoher HBV-Prävalenz sollten eine HAV-/HBV-Kombinationsimpfung (z.B Twinrix®) erhalten. Die Impfnebenwirkungen sind sehr gering [1–4].

Impfkontrollen

Nach einer HBV-Routineimpfung wird keine Impfkontrolle empfohlen. HBV-Infektionen sind nach korrekt durch geführter HBV-Impfung aufgrund des immunologischen Gedächtnis auch bei ungenügendem Anti-HBs-Titer sehr selten. Bei Immunsupprimierten, generell erhöhtem Risiko für eine HBV-Infektion, Medizinalpersonen, Neugeborenen von HBV-positiven Müttern und nach Nadelstichverletzungen kann dennoch eine Impfkontrolle sinnvoll sein. Nach HBV-Impfung mit Anti-HBs-Titer >100 IU/l besteht ein sicherer lebenslanger Impfschutz. Bei Non-Respondern (anti-HBs <10 IU/l) können nochmals drei, bei Low-Respondern (anti-HBs 10–99 IU/l) nochmals eine Zusatzimpfung erfolgen; das weitere Vorgehen soll individuell angepasst werden. Bei hohem HBV-Risiko kann entweder der Anti-HBs-Titer alle zehn Jahre gemessen oder die HBV-Impfung wiederholt werden. Bei ungenügendem Titer erfolgt eine erneute HBV-Impfung [1–4].

Sequentielle Diagnostik

Bei positivem Resultat nach HBV-Screening sollen HBe, anti-HBe, HBV-DNA und anti-Hepatitis-D-Virus (HDV; D = Delta), anti-Hepatitis-C-Virus sowie zusätzlich die HIV- und Lues-Serologie bestimmt werden. Eine quantitative HBs-Bestimmung und eine Genotypisierung (8 Genotypen, geographisch stark unterschiedlich) werden nur in speziellen Situa­tionen durchgeführt (z.B. vor und unter Interferontherapie). HBe- und Anti-HBe-Bestimmungen sind für die Unterscheidung in HBe+ und HBe– Infektion/Hepatitis entscheidend.
Die quantitative HBV-DNA-Bestimmung hat eine relevante prognostische Bedeutung und ist der wichtigste Verlaufsparameter unter antiviraler Therapie. Wichtige Grenzwerte sind >7 log, 6–7 log, 2000–6 log, 80–2000, <80 IU/ml und darunter nur qualitativ nachweisbar. HBV-DNA <2000 IU/ml benötigen keine antivirale Therapie (wichtigste Ausnahme: Leberzirrhose). Unter antiviraler Therapie sollte HBV-DNA quantitativ nicht mehr nachweisbar sein.
Anti-HBc-Antikörper beweisen einen Kontakt mit dem HBV. Anti-HBc persistieren lebenslang und bedeuten Immunität gegen das HBV. Ein HBV-Kontakt führt zu einer lebenslangen Persistenz des Virus im Leberzellkern als Mini-Chromosom (cccDNA). Eine Reaktivierung ist – speziell bei starker Immunsuppression – möglich.
Bei Anti-HBc-Nachweis ist häufig auch anti-HBs nachweisbar. Seltener gibt es die Anti-HBc-only-Konstellation (z.B. im Spätstadium der HBV-Infektion oder während der Serokonversion von HBs zu anti-HBs). Zudem gibt es selten die «okkulte» chronische HBV-Infektion mit Nachweis von anti-HBc und HBV-DNA bei fehlendem HBs aufgrund nicht nachweisbarer Menge HBs («low level carrier») oder struktureller Veränderung des HBs (Escape-Mutante). Bei akuter oder chronischer Hepatitis mit Anti-HBc-Nachweis und fehlenden HBs-Markern sollte deshalb HBV-DNA bestimmt werden [1–4] (Tab. 1).
Tabelle 1: Verschiedene HBV-Konstellationen.
 HBV-DNAHBs/HBeanti-HBs/-HBcLaborEmpfehlung
Kein HBV-KontaktNormalImpfung
Nach HBV-ImpfungNur anti-HBs+ 1Normal
Zustand nach HBV-Infektion2Beide + 2NormalKontrolle
Akute HBV-Infektion+++Beide +anti-HBc IgM +++Pathol.Kontrolle
Chronische HBV-Infektion     
HBe+NachweisbarBeide +Nur anti-HBc+NormalKontrolle3
HBe–NachweisbarNur HBs+Nur anti-HBc+NormalKontrolle3
Chronische HBV-Hepatitis     
HBe+>2000 IU/mlBeide +Nur anti-HBc+Pathol.Antivirale ­Therapie
HBe–>2000 IU/mlNur HBs+Nur anti-HBc+Pathol.Antivirale ­Therapie
1 Nach HBV-Impfung ist anti-HBc negativ und anti-HBs liegt >100 IU/ml = Impfschutz.
2 Anti-HBs kann im Verlauf negativ werden (dann Anti-HBc-only-Situation).
3 Antivirale Therapie bei Immunsuppression notwendig.
HBV: Hepatitis-B-Virus; DNA: Desoxyribonukleinsäure; HBs: HBV surface antigen; anti-HBs: Antikörper gegen HBV surface; HBc: HBV core antigen; anti-HBc: Antikörper gegen HBV core; HBe: HBVe-Antigen.

Krankheitsphasen (Abb. 1 und Tab. 1)

Abbildung 1: Verschiedene Phasen der chronischen HBV- Infektion in Abhängigkeit der Kinetik von HBV-DNA, HBs und ALT. In der Frühphase sind HBV-DNA und HBs im Serum hoch und HBe ist nachweisbar, in der Spätphase sind HBV-DNA und HBs im Serum tief und anti-HBe ist nachweisbar. Das Zirrhose Risiko ist hoch, falls HBV-DNA und Leberwerte (ALT) hoch sind. HBV: Hepatitis-B-Virus; DNA: Desoxyribonukleinsäure; HBs: HBV surface antigen; ALT: Alanin-Aminotransferase; HBe: HBVe-Antigen.
Bei normaler Immunabwehr tritt in der ersten Phase eine «immuntolerante» HBe+ Infektion auf. Anschlies­send wird in der immunreaktiven HBe+ Hepatitis-Phase das HBV zu >95% eliminiert. Am Ende der immunreaktiven Phase erfolgt die funktionelle Heilung mit Serokonversionen von HBe zu anti-HBe und HBs zu anti-HBs. Dabei kann die HBe-Serokonversion nicht nur während der akuten Hepatitis, sondern auch in einer späteren chronischen Phase – spontan oder unter antiviraler Therapie – erfolgen. Die chronische HBV­Infektion kann mit rund 1% jährlich sogar einen spontanen HBs-Verlust (funktionelle Heilung) zeigen.
Bei Neugeborenen oder fehlender Immunabwehr bleibt die erste immuntolerante HB+ Phase unlimitiert erhalten. Wird das Immunsystem durch HBV dauernd stimuliert ohne erfolgreiche HBe-Elimination kommt es zur HBe+ Hepatitis. Diese ist durch erhöhte Alanin-Aminotransferase (ALT), HBe-Positivität und HBV-DNA >2000 IU/ml charakterisiert. Kommt es zur HBe-Serokonversion, nicht aber zur HBs-Serokonversion, folgt die HBe– Infektion. Diese ist durch normale Leberwerte und HBV-DNA <2000 IU/ml charakterisiert. Diese Phase hat die beste Prognose der chronischen HBV-­Infektion. Sie kann allerdings bei veränderter Immun­abwehr («immune escape») in eine HBe– Hepatitis übergehen.
Rund 70% der HBs+ Patienten zeigen eine Infektion und rund 30% eine Hepatitis. Die Hepatitis kann HBe+ oder HBe– sein; beide zeigen einen ähnlichen ungünstigen Spontanverlauf, sodass eine antivirale Therapie indiziert ist [1–4].

Indikation zur antiviralen HBV-Therapie (Tab. 2)

Tabelle 2: Therapieindikationen bei der HBV-Infektion.
Leberzirrhose oder fortgeschrittene Leberfibrose (F2–F4)Alle Patienten mit Leberzirrhose und nachweisbarer HBV-DNA
Leberfibrose plus HBV-DNA >2000 IU/ml plus nicht normale ALT
HBV-Hepatitis(ALT >2-fachen Normwert) oder histologischer Aktivitätsgrad A2–4 plus HBV-DNA >2000 IU/ml)
Weitere IndikationenBei antiviraler HCV-Therapie (während und 4 Monate über Therapieende)
Bei Immunsuppression oder Chemotherapie ­(während und 6 Monate über Therapieende)
Extrahepatische Manifestationen
Für fakultative Indikationen siehe Text
HBV: Hepatitis-B-Virus; DNA: Desoxyribonukleinsäure; ALT: Alanin-Aminotransferase; HCV: Hepatitis-C-Virus.
Die häufigsten Therapieindikationen sind Leberzirrhose, fortgeschrittene Leberfibrose (F2–F4) und HBV-Hepatitis. Die wichtigsten diagnostischen Parameter sind der HBV-DNA-Serumspiegel, der ALT-Wert und der Nachweis einer Leberfibrose oder Leberzirrhose. Bei der Leberzirrhose muss jede nachweisbare HBV-DNA im Serum antiviral therapiert werden. Ebenso muss eine HBV-Hepatitis therapiert werden bei HBV-DNA-Serumspiegel >2000 IU/ml und bei einer ALT >2-fachem Normwert. Bei leicht erhöhter ALT (1–2-fach über dem Normwert) werden Verlaufslaborwerte (z.B. alle 3 Monate) oder eine Leberbiopsie empfohlen. Jede relevante histologische Entzündung (A2–A4) und Fibrose (F2–F4) muss antiviral mit Entecavir oder Tenofovir therapiert werden. Weitere Therapieindikationen sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Relative Therapieindikationen (allerdings mit tiefer Evidenzlage) sind eine HBV-DNA >20 000 IU/ml (bei HBe+ Infektion) im Alter >30 Jahre und ein HBV-DNA >20 000 IU/ml plus positive erstgradige Familienanamnese für Leberzirrhose/HCC [1–4].

Antivirale Substanzen

Zwei antivirale Medikamente mit geringem Resistenzrisiko haben sich durchgesetzt, nämlich das Entecavir (Baraclude® oder Entecavir 0,5 mg täglich) und das Teno­fovir. Die älteren Medikamente Lamivudin, Telbivudin und Adefovir sollten wegen Resistenzentwicklungen und geringerer Wirksamkeit nicht mehr eingesetzt werden. Tenofovir kann als disoproxil (Viread® oder Tenofovir, 245 mg täglich) oder alafenamid (Vemlidy®, 25 mg täglich) gegeben werden. Die tiefere Dosierung ist durch höhere Effizienz der Trägersubstanz erklärt. Zudem zeigt nur Tenofovir disoproxil und nicht Tenofovir alafenamid relevante Nebenwirkungen. Bei einer Ersttherapie sollte Entecavir oder Tenofovir ­alafenamid eingesetzt werden. Zudem werden viele ­Patienten unter Tenofovir disoproxil auf Tenofovir ­alafenamid umgestellt. Tenofovir disoproxil sollte bei Patienten >60 Jahre und bei Risikosituationen für Nieren oder Knochen nicht mehr gegeben werden.
Die Jahreskosten der antiviralen Substanzen belaufen sich auf folgende: Tenofovir disoproxil rund 3000 CHF, Entecavir rund 5000 CHF und Tenofovir alafenamid rund 6000 CHF.
Die antiviralen Medikamente müssen häufig Jahre und bei der HBe– Hepatitis meistens unlimitiert gegeben werden. Die antivirale Therapie reduziert das Risiko für eine Leberzirrhose deutlich (20-Jahresrisiko für ­Leberzirrhose <10%). Die antivirale Therapie soll nur durch in der Behandlung der chronischen Hepatitis B erfahreneÄrzte eingeleitet werden [1–4].

Therapie mit PEG-Interferon-alpha

Sowohl HBe+ und HBe– Patienten können mit pegyliertem Interferon alpha (Pegasys® oder PEGIntron®) behandelt werden. Kontraindikationen sind dekompensierte Leberzirrhose, Schwangerschaft und eine stark aktive Hepatitis. Der Hauptvorteil von Interferon ist die relative kurze Therapiedauer von 48 Wochen. Nachteile sind die mässigen Erfolgsraten und die relevanten Nebenwirkungen. Die berichteten Erfolgsraten für die wichtigsten Ziel sind: 23% für eine dauerhafte starke HBV-DNA-Senkung <80 IU/ml, 30% für eine Serokonversion bei der HBe+ Hepatitis, 5% für eine Serokonversion bei der HBe– Hepatitis und 40% für eine Normalisierung der Leberwerte. Bei 50–70% der Pa­tienten muss nach der Interferontherapie eine zusätzliche antivirale Therapie verabreicht werden.
Die Interferontherapie kann motivierten Patienten mit folgender günstiger Ausgangssituation ange­boten werden: junge Patienten, Genotyp A (Genotyp D ungünstig), erhöhte Leberwerte (ALT >2-fach oberer Normwert), HBe-Positivität, HBV-DNA <7 log IU/ml sowie tiefer quantitativer HBs-Titer. Nach 12–24 Wochen soll die Interferontherapie bei ungenügendem Ansprechen von HBV-DNA und HBs abgebrochen werden [1–4].

Ziele und Absetzkriterien der antiviralen Therapie

Das wichtigste Ziel ist die Reduktion der HBV-DNA unter die Nachweisgrenze sowie eine Normalisierung der Leberwerte. Werden diese Ziele wider Erwarten nicht erreicht, muss die Medikamenteneinnahme überprüft werden. Anschliessend müssen laborchemisch Resistenzen gesucht (Häufigkeit rund 1%) und das Medikament gegebenenfalls gewechselt werden.
Rund 60–70% der HBe+ Patienten und rund 90% der HBe– Patienten benötigen eine unlimitierte antivirale Therapie. Bei der HBe+ Hepatitis tritt unter antiviraler Therapie in rund 30–50% eine HBe-Serokonversion (HBe-Verlust, neu anti-HBe) auf; dies entspricht einer partiellen Immunkontrolle. Die antivirale Therapie kann dann nach 6–12-monatiger Konsolidierungsphase probatorisch abgesetzt werden. In rund 30% tritt ein Rezidiv auf, sodass eine erneute antivirale Therapie erforderlich wird.
Bei der HBe– Hepatitis tritt eine HBs-Serokonversion (HBs-Verlust, neu anti-HBs) in 10% auf; dies entspricht einer funktionellen Heilung. Die antivirale Therapie kann dann probatorisch abgesetzt werden. Nach langjähriger kompletter HBV-DNA-Suppression kann ebenfalls ein Absetzversuch durchgeführt werden.
Nach Therapiestop erfolgen zuerst monatlich (dann 3-, dann 6-monatlich, dann jährlich) die üblichen Nachkontrollen zur Erkennung eines Rezidivs. Bei HBV-DNA Anstieg >2000 IU/ml ist eine erneute antivirale Therapie notwendig, wobei meist das gleiche Medikament gegeben wird [1–4].

Therapiekontrollen

HBV-DNA und Leberwerte sollten bei HBV-Infizierten mindestens einmal jährlich kontrolliert werden. Bei Erstdiagnose erfolgen die Kontrollen nach 1 Monat, dann nach 3 und 6 Monaten und dann jährlich. Unter antiviraler Therapie sollen HBV-DNA und Leberwerte initial monatlich, dann 3- und dann 6-monatlich gemessen werden. HBe- und HBs-Serokon­versionen sollten unter antiviraler Therapie initial 3-, dann 6- und schliesslich 12-monatlich gesucht werden [1–4].

HDV- und HBV-Koinfektion

HDV ist ein defektes RNA-Virus, das nur bei einer HBV-Infektion auftreten kann. Die HBV-HDV-Doppelinfektion kann simultan oder als Superinfektion bei vorbestehender HBV-Infektion (dann häufig Hepatitis-­
Exazerbation) auftreten. Die HDV-Koinfektion ist mit rund 5% relativ selten. Eine höhere Prävalenz findet sich in südlichen Ländern. Bei positiven Anti-HDV-Antikörpern (Screening) muss zusätzlich HDV-RNA bestimmt werden. Ein chronischer HDV-RNA-Nachweis (über 6 Monate) verschlechtert die Prognose erheblich. Eine Interferon-alpha-Therapie für 48 Wochen ist die einzige Therapieoption, zeigt aber eher bescheidene Erfolgsraten von 25–45%. Bessere Ergebnisse wurden neulich erst in Studien mit dem Entry-Inhibitor Myrcludex B gezeigt (Zulassung erwartet). Entecavir und Tenofovir zeigen hingegen keinen krankheitsmodulierenden Effekt bei dieser Doppelinfektion [1–4].

HBV-HCV- oder HBV-HIV-Doppelinfektion

Rund 10–15% zeigen eine HBV-HCV-Doppelinfektion. Die HCV-Infektion sollte dringend antiviral therapiert werden. Parallel muss eine antivirale HBV-Therapie ­erfolgen (parallel und 4 Monate länger als die HCV-­Therapie). Bei der HIV- und HBV-Doppelinfektion sollte Tenofovir gegeben werden, das gegen HIV und HBV wirksam ist [1–4].

Schwangerschaft und Neugeborene

Alle Schwangeren sollten im 1. Trimester auf HBs getestet werden. HBV-Patientinnen, die unter antiviraler Therapie schwanger werden, sollten ihre Therapie aufgrund des Hepatitis-Exazerbationsrisiko unverändert fortsetzen. Ein Therapiebeginn im ersten Trimenon der Schwangerschaft ist selten indiziert. Für Schwangere mit HBV-Infektion ohne antivirale Therapie, die in der 24. Schwangerschaftswoche (SSW) eine HBV-DNA >200 000 IU/ml aufweisen, wird zur Reduktion der vertikalen HBV-Infektion von der Mutter auf das Neugeborenen Tenofovir disoproxil empfohlen (Beginn in 24.–28. SSW bis direkt nach der Geburt). Eine Sectio ist bei diesem Vorgehen nicht notwendig und die Kinder können normal gestillt werden. Neugeborene von HBs+ Müttern erhalten innerhalb von 12 Stunden spezifische Immunglobuline (z.B. Hepatect® CP) und eine Sofortimpfung (z.B. Engerix®-B10). Danach muss die Impfserie vervollständigt werden. Dieses Therapieprinzip ist sehr erfolgreich und verhindert in >98% der Fälle die HBV-Mutter-Kind-Übertragung [1–4].

HBV und Lebertransplantation

Eine antivirale Therapie wird vor und nach der Lebertransplantation durchgeführt. In der anhepatischen Phasen erhalten die Patienten hochdosierte HBV-Immunglobuline. Dadurch wird das Risiko einer persistierenden HBV-Infektion stark reduziert [1–4].

HBV-Reaktivierung unter ­Immun­suppression

Unter Immunsuppression besteht eine Reaktivierungsgefahr, wobei das Risiko von der HBV-Serologie und der Intensität der Immunsuppression abhängt. HBV-Reaktivierungen sind häufig asymptomatisch, können aber in seltenen Fällen fulminant und lebensbedrohlich verlaufen. HBs+ Personen tragen das Hauptrisiko, Patienten mit Zustand nach HBV-Infektion (HBs–, anti-HBc-positiv) haben ein deutlich geringeres Risiko. Das Reaktivierungsrisiko wird in sehr hoch (>50%), hoch (>10%), mittel (1–10%) und tief (<1%) eingeteilt. Ein sehr hohes Risiko besteht bei B-Zell-­Depletion (z.B. Rituximab) und Stammzelltherapie; anti-HBc-positive Patienten benötigen deshalb eine antivirale Therapie. Antracyclin-Therapie und hoch­dosierte Kortikosteroid-Langzeittherapie zeigen ein hohes Risiko. Ein mittleres Risiko besteht bei TNF-alpha-Blockern, Zytokin- und Integrin-Inhibitoren und Tyrosinkinaseinhibitoren sowie mitteldosierter Kortikosteroid-Langzeittherapie. HBs+ Patienten benötigen eine prophylaktische antivirale Therapie. Bei tiefem Risiko genügt eine monatliche laborchemische Überwachung mit quantitativer HBV-DNA-Messung. Bei HBV-DNA-Anstieg (speziell >2000 IU/ml) erfolgt dann die antivirale «on demand» Therapie [1–4].

Ausblick

Eine Verbesserung der HBV-Prävalenz ist aufgrund der Immigration erschwert. Eine Abnahme der HBV-Todes- und Transplantationsfälle kann durch Impfung, Screening der Risikopopulationen und intensivierte anti­virale Therapie bis 2030 erwartet werden. Ob sich die HBV-Ziele der Weltgesundheitsorganisation weltweit erreichen lassen, erscheint aufgrund der limitierten Ressourcen fraglich.
Der Hauptnachteil der aktuellen antiviralen Therapie ist die Notwendigkeit einer Langzeittherapie. Ein Durchbruch mit kurativen antiviralen Medikamenten kann nur mit neuen antiviralen Medikamenten mit neuen Wirkungsprinzipien (ggf. kombiniert mit Immunmodulatoren) erzielt werden und ist derzeit nicht Sicht.

Abkürzungen

HBV: Hepatitis-B-Virus; HBV-DNA: HBV-Desoxyribonukleinsäure; HBs: HBV surface antigen; anti-HBs: Antikörper gegen HBV surface; anti-HBc: Antikörper gegen HBV core; HBe: HBVe-Antigen; anti-HBe: Antikörper gegen HBe; HCV: Hepatitis-C-Virus; anti-HCV: Antikörper gegen HCV; HCV-RNA: HCV-Ribonukleinsäure; HDV: Hepatitis-D-Virus; anti-HDV: Antikörper gegen HDV; HDV-RNA: HDV-Ribonukleinsäure; HIV: Humanes Immundefizienz­; ALT: Alanin-Aminotransferase, HCC: hepatozelluläres Karzinom; CHF: Schweizer Franken.

Das Wichtigste für die Praxis

• Alle Kleinkinder (bzw. Adoleszenten als zweite Chance) sowie alle ­Erwachsenen mit Risikoprofil sollten eine Hepatitis-B-Virus-(HBV-)Impfung erhalten.
• Alle Risikopersonen für eine HBV-Infektion sollten einem Screening (anti-HBc und bedarfsweise HBs-Antigen) zugeführt werden.
• Die HBV-Infektion (rund 70% der Patienten) ohne Hepatitis oder Fibrose und ohne Risikofaktoren für ein hepatozelluläres Karzinom (HCC) benötigen keine antivirale Therapie. Regelmässige Nachkontrollen sind allerdings notwendig.
• Patienten mit HBV-Hepatitis/-Infektion benötigen in folgenden Situationen eine antivirale Therapie mit Entecavir oder Tenofovir: Leberzirrhose, relevante Leberfibrose (F2–F4), aktive Hepatitis (ALT >2-fache Norm), ­extrahepatische Manifestationen, Schwangerschaft mit hoher Viruslast, HCV-Therapie oder Immunsuppression/Chemotherapie und Risikofaktoren für ein HCC.
• Die Ziele einer Eindämmung des HBV sind in der Schweiz und weltweit nur möglich, wenn weiterhin eine hohe Sensibilisierung der Bevölkerung und Grundversorger erreicht wird.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med.
Adrian Schmassmann
Gastroenterologie
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse 16a
CH-6210 Sursee
adrian.schmassmann[at]luks.ch
1 Seto WK, Lo YR, Pawlotsky JM, Yuen MF. Chronic hepatitis B infection. Lancet. 2018;392:2313–232.
2 Fretz R, Negro F, Bruggmann P, Lavanchy D, De Gottardi A, et al. Hepatitis B and C in Switzerland – healthcare provider initiated testing for chronic hepatitis B and C infection. Swiss Medical Wkly. 2013;143:w13793.
3 WHO. Global health sector strategy on viral hepatitis 2016–2021. Geneva: World Health Organization, 2016.
4 Thomas DL. Global Elimination of Chronic Hepatitis. N Engl J Med. 2019:380:2041–50.