Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Die Schweizerische Neurologische Gesellschaft (SNG)

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Aktuell
Ausgabe
2020/3940
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08590
Swiss Med Forum. 2020;20(3940):543-544

Affiliations
a Präsident der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft (SNG); Klinik für Neurologie, Universitätsspital Zürich; b Past-Präsidentin SNG; Klinik Bethesda, Tschugg BE; c Vize-Präsident SNG; RehaClinic Gruppe, Bad Zurzach

Publiziert am 22.09.2020

Vorstellung der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft (SNG).

Gründung der SNG

Die Schweizerische Neurologische Gesellschaft (SNG) blickt auf eine über 110-jährige Geschichte zurück. Am 15.11.1908 traf sich ein Initiativkomitee von zehn an der Neurologie interessierten Personen im Bahnhofbuffet Olten zu einer vorberatenden Sitzung, unter anderen Robert Bing, Paul Dubois, Paul-Louis Ladame und Constantin von Monakow. Die erste offizielle Versammlung der SNG fand am 13. und 14. März 1909 in Bern statt und die junge Gesellschaft wies damals bereits 108 eingeschriebene Mitglieder aus. Anlässlich dieser Versammlung wurden die Statuten und die Geschäftsordnung genehmigt und als erster Präsident Constantin von Monakow gewählt. In diesen ersten Statuten wurden die Hauptzwecke der Gesellschaft definiert, namentlich (1.) die Förderung der Neurologie als Wissenschaft und Pflege enger Beziehungen zwischen dieser und den Grenzgebieten (Anatomie, Physiologie, ­Innere Medizin, Chirurgie des Nervensystems, Psychologie, Psychiatrie, (2.) die Pflege der persönlichen Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft und (3.) die Förderung und Vertretung der praktischen Interessen der Neurologie (Pflege und Fürsorge von Patientinnen und Patienten, Ausbau des neurologischen Unterrichtes). Auch wenn die Komplexität der Medizin im Allgemeinen und diejenige der Neurologie im Speziellen in den letzten Jahrzehnten exponentiell angewachsen ist, bleibt der Geist dieser Ziele auch in der heutigen, modernen Zeit weiterhin gültig.

Bedeutungswandel der Neurologie

In der Tat hat das Fach Neurologie in den letzten Dekaden eine enorme Entwicklung auf klinischer, wissenschaftlicher und struktureller Ebene erfahren. Bis weit in die 1980er Jahre hinein wurde die Neurologie mit ­einer intellektuellen, rein ­diagnostizierenden und praktisch ausschliesslich konsiliarisch tätigen medizinischen Disziplin gleichgesetzt. Seither fanden aber enorme klinische und wissenschaftliche Entwicklungen statt, exemplarisch seien hier die enormen Fortschritte in der Schlaganfallmedizin, bei der Behandlung von entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems wie der Multiplen Sklerose oder auch die modernen zum Teil operativen Therapien der ex­trapyramidalen Erkrankungen wie dem Morbus Parkinson genannt. Heute kann man festhalten, dass die Neurologie eine dynamische, aktive, intensiv behandelnde und betreuende medizinische Disziplin geworden ist. Dieser ­Bedeutungswandel und Wissenszuwachs schlägt sich auch nieder in einer stark gewachsenen Anzahl von neurologischen Kliniken mit Ausbildungsfunktion und den vielen wichtigen neurologischen Themen im Rahmen der hochspezialisierten Medizin.
Auf der anderen Seite ist aber auch die Bedeutung der neurologischen Rehabilitation sowie der Praxis-Neurologie stark angewachsen. Patientinnen und Patienten nach einer akuten neurologischen Erkrankung wie zum Beispiel einem Schlaganfall oder einer sonstigen akuten oder chronischen Schädigung des peripheren oder zentralen Nervensystems benötigen eine spezialisierte neurologische Rehabilitation. Solche mit chronischen neurologischen Krankheiten bedürfen einer engmaschigen medizinischen Betreuung, die aufgrund der Komplexität der immunologischen, pharmakologischen und elek­trophysiologischen Massnahmen nur durch eine Fachärztin / einen Facharzt für Neurologie geleistet werden kann. Als Beispiele seien hier Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose, Morbus Parkinson (mit oder ohne tiefe Hirnstimulation), Epilepsie oder komplexen Kopfschmerzen genannt. Somit nimmt die Neurologie auch in der Neurorehabilitation sowie einem spezifischen Bereich der ambulanten «Grundversorgung» eine wichtige Stellung ein.

Rolle der SNG als Fachgesellschaft

In diesem komplexen und dynamischen medizinischen Umfeld kommt der SNG als Fachgesellschaft eine wichtige Rolle zu in der Weiter- und Fortbildung, der Vertretung der Interessen gegenüber anderen medizinischen Disziplinen und den zuständigen Behörden und der Förderung der Neurowissenschaften. So muss die Facharztausbildung periodisch den sich wandelnden Bedürfnissen und Umständen angepasst ­werden, ebenso die Zertifizierung der Weiterbildungsstätten. Die Frage der ambulanten und stationären ­Tarife ist wie für jede andere Fachgesellschaft eine immer wiederkehrende Herausforderung. Aufgrund des Zuwachses der Komplexität im Fach Neurologie haben auch verschiedene neurologische Gesellschaften, die wichtige Teilgebiete der Neurologie abdecken, eine wachsende Bedeutung und die SNG schafft und fördert hier Synergien. Auch im internationalen Kontext bringt sich die SNG ein. So ist der aktuelle Präsident der «European Academy of Neurology» (EAN), Prof. Claudio Bassetti, ein ehemaliger SNG-Präsident und Genf wurde als Austragungsort für einen der nächsten jährlichen EAN-Kongresse gewählt.
Aber nicht nur die äusseren Umstände, auch die innere Organisationsstruktur der SNG waren und sind einer stetigen Entwicklung unterworfen. Die ersten 41 SNG-Präsidenten waren allesamt Männer, bis im Jahre 2016 Dr. Daniela Wiest als erste Präsidentin gewählt wurde. Die Wichtigkeit der Förderung der spezifischen Geschlechteranliegen in einer gleichwertig von Frauen mitbestimmten Medizin, mit aber immer noch zu wenig Repräsentation, reflektiert sich auch in der Gründung der «Women in Neurology» (WIN). Die WIN wurde am 12. Februar 2020, auch eingedenk der Tradition der SNG, in Olten gegründet. Sie vertritt als Kommission der SNG die Interessen aller Ärztinnen in ­Weiterbildung zur Fachärztin für Neurologie und aller ausgebildeten Neurologinnen mit dem Ziel, die Karrieremöglichkeiten für Frauen in der Neurologie zu ­unterstützen und zu stärken.
Auch nahm sich der Vorstand der SNG zum Ziel, den neurologischen Nachwuchs zu stärken und an der ­Entwicklung und Erreichung der Ziele der Fachgesellschaft zu beteiligen. Die «Swiss Association of Young Neurologists» (SAYN) wurde am 31. Oktober 2014 in ­Interlaken gegründet und vertritt die Interessen aller in Weiterbildung zum Facharzt für Neurologie stehenden Nachwuchsärztinnen und -ärzte, insbesondere in Bezug auf die klinische Weiterbildung, wissenschaftliche Entwicklung sowie die spätere berufliche Tätigkeit. Ein Mitglied des SAYN-Vorstandes hat stimmberechtigten Einsitz im Vorstand der SNG und die SAYN wird auch bei allen relevanten Kommissionsarbeiten mit einbezogen, sodass die weitere Entwicklung der Fachgesellschaft und des Fachs Neurologie massgebend von denjenigen mitgestaltet werden kann, für die diese ­Zukunft auch gestaltet wird. Aktuell weist die SNG 769 Mitglieder aus, davon 194 junge Neurologinnen und Neurologen der SAYN, was zusätzlich die Bedeutung des neurologischen Nachwuchses untermauert.

Herausforderungen und Ziele

Auf medizinischer Ebene erwarten wir in den nächsten Jahren einen weiteren und massgebenden Wissens- und Nutzenzuwachs im Fach Neurologie im Allgemeinen und für unsere Patientinnen und Patienten im Speziellen. Die Schlaganfallbehandlung hat, gerade mit den interventionellen Therapien, schon einen enormen Nutzenzuwachs für die neurologischen Pa­tientinnen und Patienten gebracht und für deren ­flächendeckenden Einsatz sind gut ausgerüstete und neurologisch geführte Stroke-Zentren essentiell. Es zeichnet sich zudem schon heute ab, dass auch für die bislang nicht behandelbaren degenerativen und auch genetisch determinierten Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems sowie der Muskulatur bald deutlich mehr und noch effektivere Therapien zur Verfügung stehen könnten. Dies wird trotz des grossen Nutzens auf medizinisch-neurologischer Ebene im Bereich der Gesundheitskosten zu einer gros­sen Herausforderung werden. Die SNG strebt an, alle in der Schweiz tätigen neurologischen Kräfte zu bündeln und somit das Fach Neurologie optimal für eine faszinierende aber auch herausfordernde Zukunft zu rüsten – zugunsten der uns anvertrauten Patientinnen und Patienten.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med. Hans H. Jung
Klinik für Neurologie
Universitätsspital Zürich
Frauenklinikstrasse 26
CH-8091 Zürich
hans.jung[at]usz.ch