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Ausgabe
2020/4546
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2020.08629
Swiss Med Forum. 2020;20(4546):629-632

Publiziert am 03.11.2020

Damit Sie nichts Wichtiges verpassen: unsere Auswahl der aktuellsten Publikationen.

Fokus auf ... Verkalkungen im Thoraxröntgenbild: Was kommt in Frage?

Häufig sieht man im Thoraxröntgenbild, auch als Zufallsbefund, Verkalkungen. Diese können sogenannt metastatisch (Hyperkalzämie und/oder Hyperphosphatämie) oder auch dystrophisch (Verkalkung im Rahmen einer vorbestehenden Thoraxpathologie) bedingt sein. Die wichtigsten Ursachen sind:
Metastatisch:
– Gutartig: chronische Niereninsuffizienz unter Hämodialyse; primärer Hyperparathyreoidismus
– Maligne: neoplastische Hyperkalzämie (Multiples Myelom, Lymphome, Mammakarzinom)
Dystrophisch:
– Granulomatöse Entzündungen; Tuberkulose; Sarkoidose; Histoplasmose/Coccidoidomykose
– Virale Infekte: Varizellen
– Berufsbedingt: Silikose; Kohleminenarbeiter
– Vaskulär: pulmonal-arterielle Hypertonie; chronische Stauung (Mitralstenose)
– Extrapulmonal: Klappen- oder Koronararterienverkalkungen; perikardiale Verkalkungen; Knorpelverkalkungen (Bandscheiben, kostosternal)
Chest 2020, doi.org/10.1016/j.chest.2020.02.068, verfasst am 04.10.2020.

Praxisrelevant

Vorhofflimmern: Rhythmus- versus ­Frequenzkontrolle

Die Rhythmuskontrolle des Vorhofflimmerns, inkl. ablative Techniken, konnte bis anhin keine wesentlichen Vorteile gegenüber der reinen Frequenzkontrolle vorweisen. Ist ein früher Zeitpunkt der Rhythmus­kontrolle nach Erstdiagnose des Vorhofflimmerns vorteilhafter? Knapp 2800 Patienten (im Mittel 70 Jahre, übergewichtig, BMI um 29) mit erst innerhalb von etwa einem Monat diagnostiziertem Vorhofflimmern wurden offen in eine Gruppe mit Rhythmuskontrolle (ablativ und/oder medikamentös) oder konventioneller Therapie ein­geteilt. Nach einer medianen Nach­beobachtung von 5 Jahren ist eine wichtige Botschaft, dass Mortalität und kardiovaskuläre Komplikationen zusammen mit weniger als 5% pro Jahr in beiden Gruppen tief waren. Grund dafür ist wohl die Therapie mit Antikoagulantien, blutdrucksenkenden Medikamenten u.a.m. Die Mortalität war in beiden Studiengruppen gleich, der statistische Vorteil für die Gruppe mit Rhythmuskontrolle ergab sich vor allem wegen seltener auftretenden Schlaganfällen (nicht klassifiziert nach Schweregrad) und koronaren Syndromen («number needed to treat» 90 pro Jahr). Die ernsthaften Nebenwirkungen waren mit einer «number needed to harm» von etwa 29 in der Gruppe mit Rhythmuskontrolle deutlich höher. Die Studie zeigt unabhängig davon, ob das Vorhofflimmern erstmalig, paroxysmal oder persistierend auftrat, einen signifikanten Vorteil für eine frühzeitige Rhythmuskontrolle zum Preis vermehrter Nebenwirkungen und wohl auch Kosten (nicht angegeben in der Studie). Die (unmögliche) Verblindung ist ebenfalls ein Faktor, der die Begeisterung über die Resultate dämpft. Die Autoren dieser sogenannten «investigator initiated study» weisen eine eindrückliche Liste an Industrieunterstützung, inkl. Patenten für Rhythmuskontroll-Methoden, auf.
N Engl J Med. 2020, doi.org/10.1056/NEJMoa2019422, 
verfasst am 03.10.2020.

Welche Therapie bei «frozen shoulder»?

Die durch Muskeln und Sehnen aufgebaute Schulter­gelenkskapsel entzündet sich, ätiologisch ungeklärt, bei Frozen shoulder («adhesive capsulitis»), was zu tiefsitzenden Schmerzen, eingeschränkter Beweglichkeit und sekundär zu Fibrosierung und Kontrakturen führt. Die Erkrankung kommt vorwiegend um das 60. Altersjahr vor und wird klinisch durch eine eingeschränkte, schmerzhafte, aber nicht krepitierende Limitierung der Aussenrotation diagnostiziert. Mehr als 900 Patienten mit Frozen shoulder wurden entweder mit Physiotherapie und Steroidinfiltration, einer Mobilisierung der Schulter in Narkose mit Steroidinfiltration oder einer arthroskopischen Operation (auch in Allgemeinanästhesie, aber Steroidinfiltrationen nach Indikation des Arztes) behandelt. Nach 12 Monaten waren Funktion und Schmerzen bei allen drei Therapie­optionen etwa gleich. Interessant, dass eine Kosten­analyse in der gleichen Arbeit einen leichten Vorteil für die Mobilisation in Narkose findet. Der Analyse liegen britische und nicht schweizerische Operationssaal-Kosten zugrunde. Die Autoren empfehlen, die – allerdings mit weniger Nachbehandlungen befrachtete – Arthro­skopie als Zweitlinientherapie einzusetzen, wenn die anderen Optionen nicht befriedigend wirksam sind.
Lancet 2020, doi.org/10.1016/S0140-6736(20)31965-6, 
verfasst am 03.10.2020.

COVID-19

Korrelation der SARS-CoV-2-RNA-Positivität mit positiven Viruskulturen

Im Alltag vergisst man hin und wieder, dass die SARS-CoV-2-Diagnostik RNA und keine Viren («viral load») misst. Seit Beginn der Pandemie besteht Unklarheit darüber, inwiefern die amplifizierte RNA-Menge mit der Ansteckungs-Wahrscheinlichkeit korreliert. Da die RT-PCR-Methode enorm sensitiv ist, kann sie bei einer genügend hohen Zahl an Amplifikationszyklen (angegeben mit dem sog. Ct-Wert) selbst ein einzelnes RNA-Molekül nachweisen. Doch ein Nachweis der RNA erst nach vielen (z.B. 30, 35 oder noch mehr) Zyklen bedeutet, dass intakte, kultivierbare Viren nicht oder in nur sehr geringer Menge vorhanden sind. Solche Konstellationen kommen ganz früh (zu Beginn der Inkubation) oder in der Rekonvaleszenz vor; die Unterscheidung muss klinisch-anamnestisch und/oder durch repeti­tives Testen gemacht werden. Im ersten Fall ist oder wird das Individuum infektiös, im zweiten sehr wahrscheinlich nicht. Eine französisch-vietnamesische ­Arbeitsgruppe hat prospektiv die Zahl der Amplifikationszyklen mit der Positivität der Viruskultur korre­liert. Bei einem Ct-Wert von 25 waren die Viruskulturen in 70% positiv, nach 30 Zyklen in 20% und nach 35 Zyklen noch in lediglich 3%. Diese Arbeit ist sehr wichtig für die weitere Verbesserung der individuellen Beurteilung der Infektiosität und als Grundlage für Entscheide zu Indikation und Dauer einer Quarantäne.
Clin Infect Dis. 2020, doi.org/10.1093/cid/ciaa1491, 
verfasst am 05.10.2020.

Allgemeiner oder lokaler Lockdown?

Die wieder aufflackernde COVID-19-Aktivität schürt die Angst vor einem erneuten Lockdown. In Europa versuchen die Behörden, diese Massnahme möglichst nur lokal zu verordnen. Laut der vorliegenden Studie ist diese geographische Begrenzung sinnvoll: Lokale Lockdowns (basierend auf Fallzahlen) senken die Anzahl betroffener Personen und die Länge der restriktiven Massnahmen.
Lockdown in Zürich. © Michael Müller, Dreamstime.com
PNAS 2020, doi.org/10.1073/pnas.2014385117, ­
verfasst am 04.10.2020.

Rekonvaleszenten-Serum: Wann und warum geben?

Diese Arbeit wiederholt und bestätigt diverse Beobachtungen über die Antikörperantwort bei einem Infekt mit SARS-CoV-2: Je schwerer die Erkrankung, desto höher die IgG-Antikörpertiter (und desto länger der SARS-CoV-2-Nachweis). Antikörper sind bei fast allen Patienten zwei Wochen nach Infektionsbeginn (8–10 Tage nach Symptombeginn) nachweisbar. Bei leichten Verläufen ist es unwahrscheinlich, den Akutphasen-IgM-Antikörper in messbaren Konzentrationen nachweisen zu können. Weiter gibt es eine Kreuzreaktion zwischen SARS-CoV-1- und -2-Antikörpern, aber nur die SARS-CoV-2-Antikörper haben einen neutralisierenden Effekt auf SARS-CoV-2. Die passive Immunisierung mit Rekonvaleszenten-Serum könnte also vor allem in den ersten 10 Tagen (Patienten haben noch keine relevante humorale Immunantwort) mit Serum von Patienten, die eine schwere COVID-19-Erkrankung überlebt haben (und hohe IgG-Titer aufweisen), Sinn machen. Die passive Antikörpertherapie ist nach wie vor experimentell. Da die schweren COVID-19-Komplikationen wie Pneumonie/ARDS oft erst in der 2. und 3. Erkrankungswoche auftreten, sollten prädiktive Parameter ­(Lymphopenie, Höhe der LDH u.a.m.) Patienten identifizieren, die diese Kom­plikationen mit grosser Wahr­scheinlichkeit entwickeln werden und hoffentlich davon geschützt werden können. Eine Therapie könnte aber auch später neutralisierend wirken (schwere ­Verläufe haben höhere und länger persistierende Viruslasten) und in dieser Situation immunmoduliernd wirken, also die immunvermittelte Pathologie abschwächen.
Zeitlicher Verlauf der globalen Antikörperantwort nach einem SARS-CoV-2-Infekt und Möglichkeiten und vermutete Wirkung der Applikation von Rekonvaleszenten-Serum je nach Applikationszeit. ADCC = Antikörper-abhängige Zelltoxizität (antibody-dependent cellular toxicity). Aus: Casadevall A, et al. SARS-CoV-2 viral load and antibody responses: the case for convalescent plasma therapy. J Clin Invest. 2020;130(10):5112–4, Nachdruck mit Genehmigung.
J Clin Invest 2020, doi.org/10.1172/JCI138759, 
verfasst am 07.10.2020.

Für Ärztinnen und Ärzte im Spital

Laparoskopische Resektion bei Ileitis terminalis Crohn: 1. Wahl?

Eine frühere Studie (LRI!C) hat gezeigt, dass bei Ileitis terminalis (<40 cm, keine Strikturen) die laparoskopische, ileozökale Resektion bei Patienten, bei denen eine konventionelle Immunosuppression nicht befriedigend erfolgreich war, einer Anti-TNF-Behandlung (Infliximab) überlegen war (Lebensqualität nach 12 Monaten [1]). Eine weiterführende Nachbeobachung von mehr als median 5 Jahren bestätigt nun einen anhaltenden Vorteil für die chirurgische Option. Eine lange Nachbeobachtung ist bei einer schubweise auftretenden Krankheit wie dem M. Crohn sehr wichtig. Fast die Hälfte der operierten Patienten konnte anhaltend ohne TNF-Blockade in der Remission erhalten werden [2]. Ein operatives Vorgehen scheint also in dieser Subgruppe von Patienten mit M. Crohn eine valable Option.
1: Lancet Gastroenterol Hepatol. 2017, doi.org/10.1016/S2468-1253(17)30248-0, 2: Lancet Gastroenterol Hepatol. 2020, doi.org/10.1016/S2468-1253(20)30117-5, verfasst am 03.10.2020.

Neues aus der Biologie

Negativer Einfluss eines Myokardinfarktes auf den Verlauf des Mammakarzinoms

Patientinnen mit Mammakarzinom haben ein erhöhtes Risiko, in der Folge eine kardiovaskuläre Komplikation zu erleiden, wobei Behandlungsfolgen und krebs­assoziierte Lebensstiländerungen als Ursachen in Betracht gezogen werden. Bei Patientinnen mit Mammakarzinom führt ein Myokardinfarkt – quasi vice versa – zu einer erhöhten Rezidivrate und Krebs-assoziierter Mortalität. Der verantwortliche Mechanismus könnte darin liegen, dass der Myokardinfarkt als Stressor die körpereigene, immunvermittelte Tumor­abwehr beeinträchtigt. Nach Myokardinfarkt werden im Knochenmark Monozyten epigenetisch neu programmiert. Diese Monozyten haben dann einen immunsupprimierenden, indirekt also tumorfördernden Phänotyp.
Nature Med. 2020, doi.org/10.1038/s41591-020-0964-7, 
verfasst am 05.10.2020.

Auch noch aufgefallen

Acetaminophen in der Schwangerschaft

Acetaminophen gilt – im Gegensatz zu nicht-steroidalen Antirheumatika – in der Schwangerschaft als sicher und wird entsprechend häufig als Schmerzmittel verordnet. Eine neue Studie gibt Hinweise (ist aber weit von einem Beweis entfernt), dass Acetaminophen eine (Mit-)Ursache von neurologischen Entwicklungs­störungen wie dem Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) sein könnte. Studien, die eine solche Assoziation auch mit dem frühkindlichen Autismus zeigen, sind seit vielen Jahren bekannt. Die vorliegende prospektive kanadische Kohortenstudie mit 345 Kindern hat bei knapp 10% ein Auftreten von ADHS ­gezeigt (Analyse im Alter von 6–7 Jahren). Falls im Mekonium nach der Geburt Acetaminophen nachweisbar gewesen war (Indiz für mütterliche Acetaminophen-Einnahme), war die Wahrscheinlichkeit eines ADHS 2,5-mal höher als wenn der Nachweis nicht gelungen war. Wie immer gilt: Solche Studien generieren eine Hypothese. Eine andere Möglichkeit ist z.B., dass die mütterlichen Schmerzen per se eine intrauterine Umwelt schaffen, die zu einem ADHS prädisponieren. Nichts desto trotz: Eine Analyse, ob die Assoziation auch einer Kausalität entspricht, wäre wichtig.
© Syda Productions, Dreamstime.com
JAMA Pediat. 2020,  doi.org/10.1001/jamapediatrics.2020.3080, 
verfasst am 04.10.2020.

Baclofen-induzierte Enzephalopathie

Baclofen ist ein häufig verschriebenes Muskelrelaxans, das vorwiegend renal eliminiert wird. Seine Halbwertszeit steigt mit progredientem Abfall der GFR kontinuierlich an (von normal 6–7 auf bis zu 15–18 Stunden). In einer Kohorte von fast 3600 Dialysepatienten wurden 360 identifiziert, die Baclofen (median 20 mg/Tag) einnahmen. In mehr als 7% erfolgte eine Hospitalisation wegen einer Baclofen-Enzephalopathie durchschnittlich schon drei Tage nach Beginn der Einnahme. Also: Kein Baclofen bei terminaler Niereninsuffizienz, wohl auch bei akuter Niereninsuffizienz, und Zurückhaltung und Dosisreduktion bei höheren Stadien der chronischen Nierenerkrankung.
Kidney Int. 2020, doi.org/10.1016/j.kint.2020.04.047, 
verfasst am 05.10.2020.
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