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Atemwegserkrankungen sind global von grosser sozialer, ökonomischer und gesundheitspolitischer Bedeutung. Mehr als genug Gründe also, in die Forschung zu investieren.
Es wird geschätzt, dass weltweit 235 Millionen Personen an Asthma leiden, 200 Millionen Personen haben eine COPD, mehr als 100 Millionen leiden an Schlaf-assoziierten Atmungsstörungen, 9 Millionen Menschen erkranken jährlich an Tuberkulose und mehr als 50 Millionen Personen sind von berufsbedingten Lungenerkrankungen betroffen [1–4]. Insgesamt schätzt die WHO, dass mehr als eine Milliarde Menschen an Atemwegs- bzw. Lungenerkrankungen leiden, Tendenz zunehmend, nicht zuletzt aufgrund von zunehmender Exposition mit Umweltverschmutzung und weiterhin verbreitetem Konsum von Tabak. Es gibt also mehr als genug Gründe, in die Forschung zum Zweck der verbesserten und frühen Diagnostik sowie der Behandlung von Atemwegserkrankungen zu investieren.
Es gibt einige vielversprechende Entwicklungen in der Forschung, die vor allem die Diagnostik und die individualisierte Therapie betreffen, und somit einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung bzw. Früherkennung und Therapie von Lungenerkrankungen leisten können.
Eine dieser Entwicklungen ist das Gebiet der Exhalomics, womit die molekulare Analyse der Ausatmungsluft gemeint ist. Die Ergebnisse von Forschungsuntersuchungen deuten darauf hin, dass mithilfe von hochauflösenden Echtzeit-Analysemethoden (vor allem die Massenspektrometrie) auch bald die chemische Analytik des Atems in das diagnostische Arsenal der Pneumologie bzw. der Medizin aufgenommen werden könnte. Der Atem bietet eine einmalige Gelegenheit, Informationen über körpereigene metabolische Prozesse nicht-invasiv zu untersuchen, da Teile der volatilsten Komponenten des Blutes die Gasphase erreichen und somit auch ausgeatmet werden. Da die Atemwege aber auch in direktem Kontakt mit der Luft stehen, wird die Zusammensetzung der Ausatemluft auch wesentlich durch die Atemwege selbst beeinflusst. Dieser Umstand wird schon seit einigen Jahren durch einfache Methoden der Atemluftanalyse zur Abschätzung der Atemwegsentzündung bei Patienten mit Asthma bronchiale genutzt (fraktionierte NO-Messung).
Forschungsergebnisse des Laboratoriums für Analytische Chemie der ETH Zürich und der Klinik für Pneumologie des UniversitätsSpitals Zürich haben gezeigt, dass sich die molekulare Zusammensetzung des Atems individuell unterscheidet. Anders ausgedrückt heisst dies, dass jeder Mensch einen charakteristischen, molekularen «Fingerabdruck des Atems» zu haben scheint [5]. Dieser individuelle molekulare Fingerabdruck des Atems durchläuft reproduzierbar im Verlauf des Tages Veränderungen und lässt so Rückschlüsse auf die inneren biologischen Prozesse in Abhängigkeit der Tageszeit zu [6]. Auch Atemwegserkrankungen scheinen sich anhand der molekularen Zusammensetzung der Ausatmungsluft erkennen und charakterisieren zu lassen. So konnte beispielsweise in einer kürzlich abgeschlossenen Studie aufgezeigt werden, dass die massenspektrometrisch analysierten Exhalate von Patienten mit COPD sich mit grosser diagnostischer Sicherheit von denjenigen von Kontrollpersonen ohne COPD unterscheiden lassen [7]. Des Weiteren konnte bei Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe eine krankheitsspezifische molekulare Zusammensetzung der Ausatmungsluft nachgewiesen werden, die sich unter der CPAP-Therapie verändert [8]. Diese exemplarischen Ergebnisse weisen darauf hin, dass in Zukunft Lungen- und Atemwegserkrankungen möglicherweise anhand von diagnostischen Biomarkern in der Ausatmungsluft festgestellt und die Krankheitsaktivität monitorisiert werden könnte [9]. Solche exhalierte Biomarker können auch die derzeitigen Bestrebungen nach personalisierten bzw. individualisierten Therapieansätzen in der Pneumologie unterstützen. Noch ist die Durchführung der Atemanalyse mittels Massenspektrometrie auf hochspezialisierte Forschungslaboratorien beschränkt und die Datenaufarbeitung der Messergebnisse benötigt pro Individuum mehrere Stunden. Es wird jedoch zurzeit intensiv daran gearbeitet, die Studienergebnisse und die Technik zu validieren, die Handhabung der Messtechnik zu vereinfachen und die Datenanalyse zu automatisieren. Dies mit dem Ziel, die Exhalat-Analyse auch bald einer breiteren Gruppe von Spezialisten zur Verfügung stellen zu können.
Diese Bestrebungen zeigen sich insbesondere auf dem Gebiet der Asthma-Therapie, wo bereits Antikörper-basierte Therapien (Omalizumab, Mepolizumab, Reslizumab) für die Therapie von Patienten mit schwierig zu behandelndem Asthma bzw. Patienten mit allergischem Asthma und häufigen Exazerbationen erhältlich sind. Mepolizumab und Reslizumab sind humanisierte monoklonale Antikörper, die sich spezifisch gegen das humane Interleukin-5 (IL-5) richten. IL-5 ist das für Wachstum und Differenzierung, Rekrutierung, Aktivierung und Überleben der Eosinophilen wichtige Zytokin. Zurzeit wird zudem die Wirksamkeit weiterer Antikörper-basierter Therapien in Phase-2- und -3-Studien geprüft (z.B. Dupilumab, ein Interleukin-4-alpha-Rezeptor-Antikörper); insbesondere Benralizumab, ebenfalls ein monoklonaler Antikörper gegen IL-5, scheint die Exazerbationshäufigkeit, das FEV1 und die Symptome von Asthma-Patienten mit erhöhten Eosinophilen signifikant zu reduzieren [10]. Es ist deshalb nur eine Frage der Zeit, bis das Arsenal der Asthma-Medikamente für spezifische Patientengruppen bald nochmals erweitert wird. Solche Bestrebungen nach «individualisierter» Therapie lassen sich aber nicht nur bei Asthma, sondern zunehmend auch bei anderen pneumologischen Erkrankungen erkennen, z.B. bei COPD und obstruktiver Schlafapnoe, bei welchen wieder zunehmend dem Phänotyp der Erkrankung Aufmerksamkeit geschenkt wird und die zu wählende Therapie beeinflusst [11, 12]. Solche individualisierten Therapiekonzepte bedeuten aber immer auch, dass in Zukunft Therapieentscheidungen bei Patienten mit Atemwegserkrankungen zunehmend komplexer werden dürften.
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
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Prof. Dr. med. Malcolm Kohler
Direktor Klinik für Pneumologie,
Bereichsleiter Medizinbereich Herz-Gefäss-Thorax, Direktor PhD-Programm Clinical Science UZH,
Co-Leiter Hochschulmedizin Zürich Flagship Projekt Zurich Exhalomics
UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
Malcolm.Kohler[at]usz.ch
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