Glomerulonephritis
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Glomerulonephritis

Übersichtsartikel AIM
Ausgabe
2017/13
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.02891
Schweiz Med Forum 2017;17(13):298-305

Affiliations
a Service de Néphrologie et d’Hypertension, CHUV, Lausanne
b Service de Pathologie clinique, CHUV, Lausanne

Publiziert am 28.03.2017

Glomerulonephritiden sind eine heterogene Gruppe seltener Nierenkrankheiten, bei denen insbesondere die Nierenglomeruli betroffen sind. Oftmals handelt es sich um eine Entzündung, die zu einer Zellproliferation und folglich zu einer Schädigung der glomerulären Membran oder des gesamten Glomerulus sowie zu einer unspezifischen Fibrose führt.

Abkürzungen


ANCA Anti-Neutrophile cytoplasmatische Antikörper (antizytoplasmatische Antikörper in neutrophilen Granulozyten)
FSGS Fokal segmentale Glomerulosklerose (fokale und segmentale Hyalinose)
EMG Extramembranöse Glomerulonephritis
GN Glomerulonephritis
ESRD «end stage renal disease» (terminales Nierenversagen)
eGFR «estimated glomerular filtration rate» (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate)
MCD Minimal-Change-Disease (Glomerulonephritis mit Minimalläsionen)
MPGN «Membranoproliferative Glomerulonephritis»
IOA Infektion der oberen Atemwege

Einleitung

Die Auswirkungen auf die Nieren sind unterschiedlich und reichen von einer asymptomatischen Hämaturie bis zu einer schweren, rasch fortschreitenden Störung der Nierenfunktion, die eine Dialyse erfordert. Bei Verdacht auf Glomerulonephritis (GN) ist der Patient unverzüglich an den Nephrologen zu überweisen, damit die Diagnose bestätigt und eine geeignete Behandlung eingeleitet werden kann.
In beinahe jedem Fall wird die Diagnose mittels Nierenbiopsie in Kombination mit einem Immunprofil des Blutes gestellt (allfällige Präsenz von Antikörpern und Aktivierung des Komplementsystems). Die GN werden dann aufgrund der Ergebnisse der Biopsie klassifiziert (siehe Tab. 1).
Tabelle 1: Klassifikation der Glomerulonephritiden nach histologischem Befund.
BezeichnungBiopsieAntikörper im SerumUrsachen
Minimal-Change-Disease (MCD)Keine Anomalie des mikroskopischen Bildes, aber Verlust der Podozytenfortsätze imelektronenmikroskopischenBefundKeine– Primäre: idiopathisch
– Sekundäre: NSAR, ­Lymphome
Fokale und segmentale ­Hyalinose oder fokal ­segmentale Glomerulosklerose (FSGS)– Läsionen durch Hyalinose in 
den Glomeruli
– Glomeruläre Synechie
Keine– Primäre: idiopathisch, ­genetisch
– Sekundäre: Medikamente, Adipositas, Tumor, chro­nische Nierenkrankheit
IgA-Nephropathie 
(Morbus Berger)– Proliferation der Mesangiumzellen
– Immunfixation: IgA-DepotsKeine– Primäre
– Sekundäre: 
Lebererkrankung
Extramembranöse Glomerulonephritis (EMG)– Verdickung der Basalmembran
– lmmunfixation: IgG- und C3-Depots
– Elektronenmikroskop: Depotsauf der Aussenseite der BasalmembranAnti-PLA2R– Primäre
– Sekundäre: Tumor
C3-Glomerulopathie ­(früher membranoproliferative Glomerulonephritis)– Endokapilläre Proliferation
– Immunfixation: C3- und IgM-Depots
– Elektronenmikroskop: 
dichte subendotheliale Depots
Keine– Primäre
– Sekundäre: Komplementdefekte, Kryoglobulinämie
Pauci-Immun-­Glomerulonephritis– Extrakapilläre Proliferation 
(Halbmondbildung)
– Immunfixation: keine Depots
– ANCA (80%)
– Anti-MPO
– Anti-PR3– Primäre
– Sekundäre: ANCA-­assoziierte Vaskulitis
Antibasalmembran-Antikörper-Glomerulonephritis– Extrakapilläre Proliferation 
(Halbmondbildung)
– Immunfixation: IgG-Depots
Anti-GBM (90–100%)Sekundäre: ­Goodpasture-Syndrom
Lupus-Nephritis– Endo-/extrakapilläre Proliferation
– Immunfixation: «Full-House»-Antikörper-Depots: IgG, IgM, IgA, C3, C4, C1q– ANA
– Anti-dsDNASekundäre: 
Systemischer Lupus ­erythematodes
Manche sekundäre Formen können auf eine Infektion (etwa Hepatitis B, C oder HIV), auf eine Krebserkrankung, auf medikamentöse Behandlungen oder systemische Krankheiten zurückgehen. Die meisten GN sind allerdings primär und idiopathisch. In diesen Fällen wird eine Störung des Immunsystems mit oder ohne Antikörperproduktion vermutet. Beim Verständnis ­einiger Formen von GN wurden in den letzten Jahren grosse Fortschritte erzielt, besonders im Hinblick auf ihre Pathophysiologie und Behandlung. Interessanterweise wurde die Gruppe der membranoproliferativen GN (Typ I bis III) aufgrund der Fortschritte, die beim Verständnis der pathophysiologischen Mechanismen erzielt wurden, neu klassifiziert. Die neue Einteilung basiert nicht mehr auf der Ablagerungsstelle der Immundepots im elektronenmikroskopischem Befund, sondern auf der Art der Depots, vor allem jener, die Komplementfaktor C3 enthalten. Infolge der Etablierung einer neuen GN-Klasse konnten diese Pathologien ­unter Berücksichtigung ihres pathophysiologischen Mechanismus besser eingeteilt werden (Tab. 1) [1].

Abkürzungen


ANCA Anti-Neutrophile cytoplasmatische Antikörper (antizytoplasmatische Antikörper in neutrophilen Granulozyten)
FSGS Fokal segmentale Glomerulosklerose (fokale und segmentale Hyalinose)
EMG Extramembranöse Glomerulonephritis
GN Glomerulonephritis
ESRD «end stage renal disease» (terminales Nierenversagen)
eGFR «estimated glomerular filtration rate» (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate)
MCD Minimal-Change-Disease (Glomerulonephritis mit Minimalläsionen)
MPGN «Membranoproliferative Glomerulonephritis»
IOA Infektion der oberen Atemwege

Epidemiologie

Die jährliche Inzidenz pro Million Einwohner ist je nach GN-Typ sehr unterschiedlich: Sie reicht von 0,5–1,0 Fällen für das Goodpasture-Syndrom bis zu 25 Fällen für die IgA-Nephropathie (die häufigste Form) [2].
Je nach Land variiert auch die Prävalenz der GN stark. Beispielsweise beträgt sie für die IgA-Nephropathie ­unter Kaukasiern 1,3%, in der asiatischen Population indes 3,7% [3]. Auch wenn es sich um verhältnismässig seltene Krankheiten handelt, geht man davon aus, dass sie die Ursache von 14 bis 21% der neu diagnostizierten Fälle terminalen Nierenversagens sind [4–6].
Mit Ausnahme der Lupus-Nephritis [7] stehen derzeit leider keine epidemiologischen Daten über die Inzidenz, Prävalenz und Behandlung der GN in der Schweiz zur Verfügung.
Weltweit ist seit mehreren Jahren ein Anstieg der Inzidenz von GN zu beobachten [2]. Die Gründe sind unklar, es sei jedoch darauf hingewiesen, dass bestimmte Faktoren zu ihrer Entwicklung beitragen können. Beim Goodpasture-Syndrom betrifft dies insbesondere chemische Lösungsmittel und Tabakrauch. Aufgrund der Alveolartoxizität dieser Substanzen kommt es zur Exposition gegenüber bestimmten Antigenen und zur Konformationsänderung der Bestandteile α3NC1 und α5NC1 des Typ-IV-Kollagens, die folglich vom Immunsystem prädisponierter Personen erkannt werden [8].

Anzeichen und Symptome

Das klinische Bild der GN schwankt stark. Traditionell werden zwei klinisch-labormedizinische Hauptsyndrome unterschieden: das nephrotische und das nephritische Syndrom [9].
In klinischer Hinsicht äussert sich das nephrotische Syndrom durch eine Anasarka mit Ödemen. Die Ödeme können indolent im Laufe mehrerer Monate auftreten, etwa im Falle einer EMG, oder fulminant im Laufe weniger Tage im Falle einer MCD. Auf labormedizinischer Ebene ist das nephrotische Syndrom durch eine Hypalbuminämie (<30 g/l), eine hauptsächlich auf Albumin beruhende Proteinurie (über 3 g/24 h) und eine Dyslipidämie gekennzeichnet. Der histologische Befund zeigt lediglich mässige Veränderungen, etwa eine Verdickung der glomerulären Basalmembran im Falle einer EMG, und kann im Fall einer MCD auch völlig normal erscheinen (Abb. 1).
Abbildung 1: Minimal-Change-Disease (MCD): Zu erkennen ist das Fehlen glomerulärer Läsionen im lichtmikroskopischen Bild, das den Erhalt der Nierenfunktion bei den ­betroffenen Patienten erklärt. Die Diagnose wird durch den elektronenmikroskopischen Befund gestellt, der die Podozytenschädigung durch Verschmelzung der Fussfortsätze zeigt (200×; FAOG).
Kennzeichen des nephritischen Syndroms sind eine neu auftretende oder schwer kontrollierbare Hypertonie, eine rasche Verschlechterung der Nierenfunktion (progressiver Anstieg der Kreatininämie) sowie in urindia­gnostischer Hinsicht das Vorliegen einer glomerulären Hämaturie (mikro- oder makroskopisch) in Kombination mit einer Albuminurie (allerdings in geringerem Ausmass als beim nephrotischen Syndrom).
Auf pathophysiologischer Ebene kommt dem Ausmass der glomerulären Infiltration durch Entzündungszellen beim nephritischen Syndrom besondere Bedeutung zu. Dies geht mit der Ablagerung von Immunkomplexen und der Aktivierung des Komplementsystems einher. Durch die Entzündungsreaktion können die Glomeruli und ihre Basalmembran zerstört werden, wodurch sich die Hämaturie und Halbmondbildungen im histologischen Befund erklären (Abb. 2). Da beim nephrotischen Syndrom die glomeruläre Entzündung sehr schwach ist, ist das Urinsediment (beinahe) normal, das Serumkreatinin nur wenig oder gar nicht erhöht und auch der histologische Befund nahezu normal.
Abbildung 2: Extrakapilläre Proliferation (Halbmond): Zu erkennen sind eine Zellproli­feration und ein Nekroseherd mit Entzündungszellen, wodurch der Glomerulus ­komprimiert wird und die Bowman-Kapsel reisst. Dies erklärt die stark beeinträchtigte Nierenfunktion bei den betroffenen Patienten (400×; FAOG).
Im Allgemeinen treten die primären GN (MCD, FSGS, EMG) in Form des nephrotischen Syndroms auf, während die sekundären (membranoproliferativ, Lupus, ANCA-assoziierte Vaskulitis) eher durch das nephritische Syndrom gekennzeichnet sind.
Die beiden Syndrome müssen jedoch als Kontinuum ohne feste Abgrenzung gesehen werden, und es kommt nicht selten vor, dass sich eine GN in beiden klinischen Formen äussert oder dass Überlappungen zu beobachten sind.

Diagnose

Aufgrund der Seltenheit und des verhältnismässig indolenten Erscheinungsbildes der Krankheit wird die Diagnose oftmals mehrere Wochen nach Auftreten der ersten Symptome gestellt.
Unserer Erfahrung nach werden bei Patienten mit Anasarka im Zusammenhang mit einem nephrotischen Syndrom in manchen Fällen vollständige Herzuntersuchungen durchgeführt, bevor daran gedacht wird, den Urin zu untersuchen, um die Gewichtszunahme und die assoziierte Dyspnoe zu erklären.
In anderen Fällen wird die Nierenerkrankung «zufällig» im Zuge von Untersuchungen aufgrund eines Gewichtsverlusts, rezidivierender Fieberzustände oder einer durch eine systemische oder Tumorerkrankung bedingte Asthenie entdeckt.
Im Allgemeinen sollte in Fällen neu diagnostizierter oder schwer behandelbarer Hypertonie, nicht erklärbarer Veränderung der Nierenfunktion, makroskopischer Hämaturie oder bei Auftreten von Ödemen ohne eindeutige Ursache eine Urinanalyse erfolgen – ebenso zwingend wie bei Patienten mit typischen Brustschmerzen ein Elektrokardiogramm durchgeführt wird (Abb. 3).
Abbildung 3: Algorithmus für die Betreuung von Patienten mit Verdacht auf Glomerulonephritis.
Bei Vorliegen einer Hämaturie und/oder Proteinurie sollte eine GN vermutet und ein nephrologisches Gutachten eingeholt werden. Es ist zu betonen, dass Patienten zwar keine Hämaturie und/oder Proteinurie aufweisen, aber dennoch an einer GN leiden können; dies ist vor allem bei rasch progressiver GN der Fall [10].
Wie oben erwähnt, beruht die endgültige Diagnose auf den klinischen Symptomen (nephrotisches oder nephritisches Syndrom), Laboruntersuchungen (Vorliegen zirkulierender Antikörper, Aktivierung des Komplementsystems, Dysglobulinämie) und schliesslich auf dem histologischen Befund (Zellproliferation, Entzündung, Immundepots).
Allerdings können auch bestimmte Hinweise in der Anamnese auf die am wahrscheinlichsten vorliegende GN hindeuten. Zunächst ist das Alter bei Auftreten wichtig: MCD, FSGS und postinfektiöse GN sind vor ­allem bei Patienten unter 40 Jahren zu beobachten, die primäre EMG besonders bei über 40-Jährigen. Der Kontext des Auftretens ist ebenfalls wichtig: Ein Patient, der gleichzeitig mit einer Infektion der oberen Atemwege (IOA) oder einige Tage danach von einer makro­skopischen Hämaturie betroffen ist, könnte an einer IgA-Nephropathie leiden, das Auftreten einer Hämaturie zehn Tage bis zwei Wochen nach einer IOA oder Angina weist eher auf eine postinfektiöse GN (Post-Streptokokken-GN) hin. Schliesslich legt das Vorliegen systemischer Symptome den Verdacht auf eine sekundäre GN nahe (etwa Arth­ralgien: Lupus-Nephritis; Verdauungsstörungen: IgA-Nephropathie, Purpura Schönlein-Henoch, mikroskopische Polyangiitis; Hämoptyse: Goodpasture-Syndrom, ANCA-assoziierte Vaskulitis). Unter allen Umständen sind die Art und die Dosis der täglich eingenommenen Arzneistoffe zu überprüfen, auch derjenigen, die ohne Verschreibung eingenommen werden.

Pathophysiologie

Auch wenn die Pathologie der GN noch nicht auf­geklärt ist, weisen zahlreiche Forschungsarbeiten auf einen direkten Zusammenhang mit einer Dysfunktion des Immunsystems hin.
Beispielsweise ist die gestörte Glykosylierung bestimmter IgA-Subtypen (besonders IgA1) wahrscheinlich ein Faktor für deren Fähigkeit, sich in den Nieren abzulagern und somit eine IgA-Nephropathie (Morbus Berger) auszulösen. Die Veränderung der Glykosylierung erhöht die Fähigkeit von IgA, sich zu polymerisieren (pIgA), und diese pIgA können Immunkomplexe mit IgG bilden, die sich dann in den Glomeruli ablagern. Die abge­lagerten Immunkomplexe sind in vitro in der Lage, die Expression eines mesangialen Rezeptors zu erhöhen. Die Aktivierung des Rezeptors löst die Produktion von Zytokinen aus, die ihrerseits die für die IgA-Nephro­pathie typische Proliferation der Mesangiumzellen nach sich zieht [11].
In den letzten Jahren wurden besonders beim Verständnis der Pathophysiologie einer bestimmten glomeru­lären Erkrankung grosse Fortschritte erzielt, nämlich der EMG (Abb. 4 A und B).
Abbildung 4: Glomeruläre Läsionen bei EMG.
A) Zu erkennen ist eine Verdickung der Basalmembran aufgrund der Bildung von Depots, die nach Silberfärbung in Form feiner Ausstülpungen («Spikes») an der Aussenseite der Basalmembranen sichtbar sind (400×; Grocott).
B) Immunfluoreszenz der Anti-PLA2R. Zu erkennen sind fluoreszierende granuläre Depots entlang der Basalmembran (400×).
Die Krankheit galt lange als idiopathisch, bis durch die Entdeckung von gegen die Phospholipase-A2-Rezeptoren (PLA2R, Transmembranrezeptoren aus der Mannose-Familie) gerichteten Antikörpern durch Beck et al. im Jahr 2009 der Mechanismus erklärt werden konnte, der 40 bis 80% der EMG zugrunde liegt [12–14].
Besonderes Merkmal dieser Antikörper ist, dass sie eine Spezifität von nahezu 100% zur Diagnose der EMG aufweisen. Bei einer Studie mit 160 asiatischen Teilnehmern, von denen 93 an primärer EMG und 41 an ­einer anderen Form von GN litten und 12 gesunde Kontrollteilnehmer waren, konnten Kim et al. Anti-PLA2R-Antikörper bei 44% der Patienten mit primärer EMG nachweisen, nicht aber bei den gesunden Teilnehmern und jenen mit anderen Formen von GN [15]. In dieser Studie wurde ebenfalls gezeigt, dass der Schweregrad der klinischen Symptome (Ausmass der Proteinurie, Beeinträchtigung der Nierenfunktion und Serumkonzentration von Albumin) mit der Konzentration zirkulierender Anti-PLA2R korreliert: je höher diese Werte, umso deutlicher die Proteinurie, umso geringer die eGFR und umso ausgeprägter die Hypalbuminämie.
Zudem ging eine erhöhte Antikörperkonzentration mit einer geringeren Remissionsrate einher [15]. Durch eine ähnliche Studie wurde derselbe Zusammenhang in einer europäischen Population gezeigt [16].In dieser europäischen Studie betrug der Anteil der Patienten, die positiv auf Anti-PLA2R getestet wurden, 78%; dies deutet darauf hin, dass die Prävalenz je nach Population variiert.
In einer weiteren Studie zeigten Radice et al., dass das Verschwinden der Antikörper Anti-PLA2R («immunologische Remission») im Zusammenhang mit einer hohen Wahrscheinlichkeit stand, dass die Proteinurie in der Folgezeit abnahm (partielle Remission) [17].
Beck et al. schliesslich haben 35 Patienten, von denen 25 positiv auf Anti-PLA2R getestet wurden, mit dem Anti-CD20-Antikörper Rituximab behandelt. Laut dieser Studie betrug der Anteil der Patienten mit immunologischer Remission, bei denen nach einem Jahr bzw. nach zwei Jahren auch eine klinische Remission festgestellt wurde, 59 bzw. 88% (im Vergleich zu 0 bzw. 33% bei Pa­tienten mit persistierenden Antikörpern) [18].
Persistierende Antikörper wirken sich darüber hinaus auf die Prognose im Falle einer Nierentransplantation aus: Die Antikörperkonzentration vor der Transplantation korreliert mit dem Risiko eines Krankheitsrezidivs nach der Nierentransplantation [19].
Infolge der Entdeckung der Anti-PLA2R wandelt sich also die Betreuung von EMG-Patienten grundlegend. Sowohl die Möglichkeiten zur Diagnose haben sich verbessert (bei Fällen, in denen das Risiko von Komplikationen besteht, kann die Nierenbiopsie verschoben werden) als auch jene zur Behandlung (Überwachung der Krankheit und Prognose) und zur Planung der Nierentransplantation.
Auch bei der MCD und der FSGS konnten einige Fortschritte beim Verständnis der Pathophysiologie erzielt werden. Johnson und Ishimoto haben gezeigt, dass der podozytäre Rezeptor CD80 (oder B7) bei der MCD vermehrt exprimiert wird und ein Teil des Signalweges ist, der zu einer Erhöhung der «podozytären Permeabilität» führt [20].
Erstaunlicherweise wurde der CD80-Inhibitor Abatacept mit Erfolg zur Behandlung einer kleinen Gruppe von FSGS-Patienten eingesetzt, die eine ausgeprägte CD80-Expression an der Oberfläche ihrer Podozyten aufwiesen [21]. Die Ergebnisse dieser Testreihe konnten bisher jedoch nicht reproduziert werden [22].

Behandlung

Die Behandlung der GN beruht im Allgemeinen auf zwei Elementen: einer unspezifischen und einer spezifischen Therapie. Die spezifische Therapie obliegt zwar den ­Nephrologen und Immunologen, im Rahmen der unspezifischen Therapie kann dem Allgemeinmediziner jedoch eine wichtige Rolle zukommen.

Unspezifische Therapie

Wie bei allen Nierenkrankheiten wird empfohlen, den Blutdruck optimal einzustellen; im Falle einer Albumin­urie von über 30 mg/Tag sollten dabei Inhibitoren des Renin-Angiotensin-Systems bevorzugt werden. Der Blutdruckzielwert liegt bei unter 130/80 mm Hg [23]. Wenn Ödeme vorliegen, sind eine mässige Verringerung der Natriumaufnahme (60 bis 80 mmol Natrium/Tag) und eine Diuretika-Behandlung (im Allgemeinen mit Schleifendiuretika) erforderlich. Der optimalen Kontrolle des Lipidprofils, das bei dieser Patientengruppe oftmals ­gestört ist, kommt ebenfalls grosse Bedeutung zu. Aus­serdem müssen alle Patienten mit Nierenkrankheiten gegen Pneumokokken (Prevenar 13®) und jährlich gegen Grippe geimpft werden. Lebendimpfstoffe (Masern, ­Röteln, Mumps, Varizellen und Gelbfieber) sind für immunsupprimierte Patienten kontraindiziert [24]. Die grosse Bedeutung der unspezifischen Therapie wird auch dadurch verdeutlicht, dass in manchen GN-Fällen allein durch diese Behandlungen eine Remission erreicht werden kann (zum Beispiel bei 30% der EMG und 30% der IgA-Nephropathien) [25, 26]. Weil die unspezi­fische Therapie in der Lage ist, die Proteinurie zu verringern, senkt sie zudem das kardiovaskuläre Risiko der Patienten, das in einem proportionalen Verhältnis zur Proteinurie steht [23].

Spezifische Therapie

Die spezifische Therapie zielt auf die immunologischen Prozesse ab, die bei einer GN ablaufen und je nach Form der Erkrankung variieren [23]. Zur Immunsuppression werden am häufigsten Kortikosteroide, Calcineurin-Inhibitoren (Ciclosporin und Tacrolimus) sowie Antimetaboliten (etwa Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil und Cyclophosphamid) eingesetzt (Tab. 2).
Tabelle 2: Zur Behandlung von Glomerulonephritiden am häufigsten eingesetzte Immunsuppressiva.
MedikamentIndikationNebenwirkungenWechselwirkungen
Kortikoide– MCD/FSGS
– EMG
– Membranoproliferative Glomerulonephritis
– Lupus-Nephritis
– ANCA-assoziierte Vaskulitis
– Goodpasture-Syndrom– Diabetes
– Bluthochdruck
– Osteoporose
– Neuropathie
– Infektionen
– Frakturen
– Hirsutismus 
Tacrolimus– Steroidabhängige, rezidivierende MCD/FSGS 
– EMG
– Lupus-Nephritis (Erhaltungstherapie)– Bluthochdruck
– Diabetes
– Akutes Nierenversagen (Überdosierung)
– Chronisches ­Nierenversagen
– Haarausfall
– Infektionen
– Dilzem®/Virostatika: 
Erhöhung der ­Konzentration
– Antimykotika vom ­Azol-Typ/Rifampicin: ­Verringerung der ­Konzentration
CiclosporinSiehe Tacrolimus– Siehe Tacrolimus, vermehrt jedoch Bluthochdruck und Hirsutismus
– Zahnfleischwucherung
Siehe Tacrolimus
Mycophenolat-­Mofetil– Steroidabhängige, rezidivierende FSGS
– Lupus-Nephritis (Induktions-/Erhaltungstherapie)
– Membranoproliferative Glomerulonephritis
– Leukopenie
– Anämie
– Hypogammaglobuli­nämie
– Verdauungsstörungen (Durchfall, Bauchschmerzen, Blähungen, Übelkeit, ­Erbrechen)
– Hepatitis
– Infektionen
– Hautkrebs
 
Azathioprin– Lupus-Nephritis (Erhaltungstherapie)
– ANCA-assoziierte Vaskulitis ­(Erhaltungstherapie)
– Leukopenie
– Pankreatitis
– Hepatitis
– Makrozytose
– HautkrebsAllopurinol: 
Risiko schwerwiegender Panzytopenie
In den letzten Jahren wurde erhöhtes Augenmerk auf einen Wirkstoff gelegt, mit dem besonders gute Ergebnisse erreicht wurden: Es handelt sich um Rituximab, einen chimären Antikörper, welcher sich gegen den CD-20-Rezptor richtet, der auf der Oberfläche der Prä-B-Zellen und der reifen B-Lymphozyten exprimiert wird. Nach der Bindung an den Rezeptor löst der Wirkstoff über komplement- oder antikörperabhängige Mechanismen die Apoptose aus [27].
Ursprünglich wurde Rituximab in der Hämatologie zur Behandlung von B-Zell-Lymphomen eingesetzt. Aufgrund der Fortschritte beim Verständnis der Pa­thophysiologie der GN (insbesondere der Schlüsselfunktion, die den Antikörpern bei der Entstehung der ­glomerulären Läsionen durch die Bildung von Anti­körper-Antigen-Immunkomplexen oder durch direkte Toxizität zukommt) sowie aufgrund der Notwendigkeit, Behandlungsalternativen mit einer geringeren Toxizität als Cyclophosphamid zu entwickeln, wurde Rituximab rasch zu einer Option für die Behandlung bestimmter GN-Formen.
Den Grundstein für die Anwendung von Rituximab in der Nephrologie hat die Studie RAVE gelegt [28]. An dieser Nichtunterlegenheitsstudie nahmen 200 Patienten mit ANCA-assoziierten Vaskulitiden teil. Rituximab wurde mit einer klassischen Cyclophosphamid-
Behandlung im Hinblick auf eine Remissionsinduktion verglichen. Nach sechs Monaten hatten in der Rituximab-Gruppe 64% und in der Cyclophosphamid-Gruppe 53% der Patienten den primären Endpunkt, das heisst eine Komplettremission, erreicht und konnten die Steroide vollständig absetzen. Aufgrund des statistisch signifikanten Ergebnisses wurde geschlossen, dass Rituximab der konventionellen Behandlung nicht unterlegen ist.
Aufgrund der geringeren Toxizität (vor allem im Hinblick auf die Keimzellen und die Förderung von Tumoren) ist derzeit die Entwicklung zu beobachten, dass ­Rituximab in Fällen ANCA-assoziierter Vaskulitiden mit begrenztem Schweregrad (Kreatinin <350 μmol/l, alveoläre Hämorrhagie ohne Intubationbedarf) Cyclophosphamid in der Phase der Induktionstherapie ersetzt und dass es bei Patienten mit erhöhtem Rezidivrisiko (po­sitiv auf Anti-PR3, extrarenaler Befall) im Rahmen der Erhaltungstherapie Azathioprin verdrängt. Allerdings ist zu erwähnen, dass bisher noch in keiner Studie nachgewiesen wurde, dass Rituximab als Induktions- oder Erhaltungstherapie der Standardbehandlung (das heisst Cyclophosphamid zur Induktion und Azathioprin als Erhaltungstherapie) langfristig überlegen ist.
Diese Daten haben der Anwendung von Rituximab bei weiteren GN-Formen (FSGS, MCD und EMG) den Weg bereitet, bei denen die Beteiligung von Antikörpern oder aktivierten B-Lymphozyten vermutet wird und vielversprechende Ergebnisse erzielt wurden [18, 29]. In der Studie Gemritux haben Dahan et al. Rituximab als Erstlinientherapie zur Behandlung der EMG untersucht [26]. Eine der Stärken der Studie ist, dass sie als erste randomisierte und kontrollierte Studie die Kombination aus Rituximab und konventioneller Behandlung mit der alleinigen konventionellen Behandlung vergleicht. Ein weiterer interessanter Punkt ist, dass die steroidfreie Behandlung der EMG untersucht wurde. Die Ergebnisse scheinen zunächst enttäuschend: Der primäre Endpunkt (signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen bei der Rate der Komplettremissionen nach sechs Monaten) wurde nicht erreicht. Dieses Resultat muss allerdings differenziert betrachtet werden, da der Anteil Anti-PLA2R-negativer Patienten nach sechs Monaten in der Rituximabgruppe höher war und dies auf eine höhere Rate künftiger Remissionen hindeutete. Dies bestätigte sich im Rahmen der verlängerten Nachbeobachtung, bei der nach zwölf Monaten in der Rituximabgruppe eine signifikant höhere Rate an Komplettremissionen festgestellt wurde. Diese Studie zeigt, dass ein Behandlungsschema mit Rituximab und ohne Steroide eine wirksame Therapie bei EMG sein kann und dass die Anti-PLA2R-Serumkonzentration in künftigen Studien als Kriterium zur Vorhersage frühzeitiger Remissionen dienen kann.
Auch bei GN im Rahmen einer Kryoglobulinämie ist Rituximab mittlerweile das Mittel der Wahl [30, 31]. Es spielt ausserdem eine Rolle bei der Behandlung der ­rezidivierenden Lupus-Nephritis, auch wenn die Ergebnisse widersprüchlich sind [32]. In der Lunar-Studie – der bisher grössten randomisierten, kontrollierten Studie bei Lupus-Nephritis – konnte die Wirksamkeit von Rituximab zur Behandlung von Lupus-Nephritis der Klasse III und IV nicht nachgewiesen werden. Allerdings verwiesen mehrere Kritiker auf die grosse Heterogenität der Patienten und das Fehlen positiver ANA-Tests bei einigen Patienten und vor allem darauf, dass Rituximab mit einer Behandlung aus Mycophenolat-Mofetil und Kortikoiden kombiniert wurde, die bei diesen Patienten bereits die Standardtherapie ist [23].
Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse einer Studie über die Anwendung von Rituximab bei IgA-Nephropathie sehr enttäuschend sind [33].
Die Behandlung der IgA-Nephropathie könnte sich im Übrigen in den kommenden Jahren verändern: Die Studie Stop IgA stellt den Nutzen einer immunsuppressiven Behandlung (Kortikoide oder Cyclophosphamid/Azathioprin je nach eGFR) bei Patienten infrage, die an einer IgA-Nephropathie leiden und bei denen die Proteinurie trotz einer Therapie mit Inhibitoren des Renin-Angiotensin-Systems weiter über 0,75 g/24 h (aber unter 3 g/24 h) liegt [25]. Nähere Einzelheiten sind in einem jüngst in dieser Zeitschrift erschienenen Übersichtsartikel nachzulesen [34].
Ofatumumab, ein humaner Anti-CD20-Antikörper, könnte die Nachfolge von Rituximab antreten. Es wurde bei einigen Patienten mit refraktärer Lupus-Nephritis und ANCA-assoziierten Vaskulitiden getestet [35, 36] und wies ein gutes Wirkprofil hinsichtlich der B-Zell-Depletion sowie geringere Nebenwirkungen auf.
Die hervorragenden Ergebnisse der Anti-CD20-Wirkstoffe steigern derzeit nicht nur das Interesse an den ­B-Lymphozyten, sondern auch an den daraus gebildeten Plasmazellen. Es ist nicht auszuschliessen, dass in den nächsten Jahren in der Nephrologie neue, auf diese Zellen abzielende Wirkstoffe mit ähnlichen oder besseren Resultaten als jene von Rituximab eingesetzt werden.

Prognose

Die Entwicklung der GN variiert sowohl von Patient zu Patient als auch je nach Form der GN stark. Bei einigen Patienten ist die Krankheit stabil, bei anderen entwickelt sie sich rasch zu einem terminalen Nierenversagen (ESRD). Insgesamt hat sie eine verhältnismässig aggressive Wirkung auf die Nieren, und es wird geschätzt, dass 25 bis 50% der Patienten mit chronischer glomerulärer Erkrankung eine ESRD entwickeln [2, 37, 38].
Derzeit kann unglücklicherweise sehr schwer oder gar nicht vorhergesagt werden, welche Patienten eine ESRD entwickeln. Bestimmte Faktoren sind von Bedeutung, etwa die Form der glomerulären Erkrankung, die Art der klinischen Symptome, das Ausmass der Nierenfunktion bei der Diagnose und das Vorliegen chronischer Läsionen in der Nierenbiopsie, dies reicht jedoch nicht aus, um die Vorhersage zu verbessern. Die nephrologische Gemeinschaft forscht nach neuen klinischen, biologischen und/oder genetischen Markern, mithilfe derer die Betreuung von GN-Patienten verbessert werden kann. Zu diesem Zweck haben wir am CHUV vor Kurzem die erste Kohorte von GN-Patienten in der Schweiz zusammengestellt (GLOR-Kohorte), um einen Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen auf Schweizer Ebene zu leisten.

Fazit

In den letzten Jahren wurden grosse Fortschritte beim Verständnis der GN erzielt, besonders im Hinblick auf die Pathophysiologie. Dies hat neue Überwachungs- und Behandlungsmöglichkeiten mit sich gebracht. ­Damit der therapeutische Fortschritt den Patienten zugutekommt, ist es wichtig, dass diese Krankheiten frühestmöglich festgestellt werden. Bei einem klinischen Verdacht ist eine Urinuntersuchung durchzuführen und wenn dabei auffällige Werte beobachtet werden, muss der Patient unverzüglich an einen Nephrologen überwiesen werden. Die enge Zusammenarbeit zwischen den Hausärzten und den Nephrologen sowie anderen Fachärzten, etwa Pathologen und Immunologen, ist von entscheidender Bedeutung, damit sich die Prognose der GN-Patienten in Zukunft verbessert.

Das Wichtigste für die Praxis

• Auch wenn es sich um verhältnismässig seltene Krankheiten handelt, sind Glomerulonephritiden die Ursache von 14 bis 21% der Fälle terminalen Nierenversagens.
• Zwei klinisch-labormedizinische Hauptsyndrome werden unterschieden: das nephrotische (Anasarka, Hypalbuminämie, Dyslipidämie und Proteinurie) und das nephritische Syndrom (Bluthochdruck, Nierenversagen und Hämaturie).
• Jeder Patient, bei dem eine verschlechterte Nierenfunktion mit Hämat­urie und/oder Proteinurie festgestellt wird, muss an einen Nephrologen überwiesen werden. In nahezu allen Fällen ist eine Nierenbiopsie nötig, um die Diagnose zu bestätigen.
• Die Anti-PLA2R-Antikörper sind ein wichtiger Faktor zur Vorhersage einer extramembranösen Glomerulonephritis, der Form mit der höchsten Prävalenz bei älteren Menschen. Sie ermöglichen ebenso eine Vorhersage des Therapieansprechens und des Rezidivrisikos.
• Rituximab ist ein monoklonaler Antikörper, der auf die B-Lymphozyten abzielt, und wurde mit Erfolg zur Behandlung verschiedener primärer (Minimal-Change-Disease, extramembranöse Glomerulonephritis, fokal segmentale Glomerulosklerose) und sekundärer Glomerulonephritiden (ANCA-assoziierte Vaskulitis) eingesetzt.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Matthieu Halfon
Service de Néphrologie et d’Hypertension
CHUV
rue du Bugnon 15
CH-1011 Lausanne
matthieu.halfon[at]chuv.ch