Kontinuierliche Blutzuckerkontrolle: Vorteil?

Kontinuierliche Blutzuckerkontrolle: Vorteil?

Und anderswo ...?
Ausgabe
2017/2627
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.02948
Schweiz Med Forum 2017;17(2627):567

Publiziert am 27.06.2017

Kontinuierliche Blutzuckerkontrolle: Vorteil?

Fragestellung

Etwa ⅓ der Typ-1-Diabetiker erreichen den für Patienten <18 Jahren empfohlenen HbA1c-Wert von 7,5 bzw. den für Erwachsene empfohlenen HbA1C von 7,0%. Eine kontinuierliche (ca. alle 5 Minuten) könnte dies im Vergleich zur intermittierenden Blutzuckerkontrolle durch 4-mal tägliches Stechen wahrscheinlich verbessern. Überdies kann die zur kontinuierlichen Blutzuckerkontrolle eingesetzte Technologie die Patienten bei gefährlichen Hypo- oder Hyperglykämien warnen. Heute ist eine kontinuierliche Blutzuckerkontrolle durch die Messung des Blutzuckerspiegels in der interstitiellen Flüssigkeit möglich. Kann letztere Typ-1-Diabetikern im Vergleich zur üblichen Blutzuckermessung besser dabei helfen, die empfohlenen HbA1c-Werte zu erreichen?

Methode

Die Patienten der DIAMOND-Studie waren >25 Jahre alt und erhielten seit mindestens ­einem Jahr mehrfach täglich Insulininjektionen. Ihr HbA1c betrug 7,5–10%. Sie wurden im Verhältnis von 2:1 randomisiert und erhielten entweder ein Gerät zur kontinuierlichen Blutzuckermessung (Dexcom G4 Platinum), welches Werte von 2,22 mmol/l bis 22,22 mmol/l erfassen kann oder bestimmten den Blutzucker weiterhin 4 Mal täglich durch Stechen in den Finger. Bezüglich ihrer Insulinbehandlung erhielten sie genaue Anweisungen. Die Kontrolluntersuchungen fanden in Woche 4, 12 und 24 statt. Primärer Endpunkt war die Veränderung des HbA1c in Woche 12. Präspezifizierte sekundäre Endpunkte waren u.a. der Anteil der Patienten mit einem HbA1c von <7% sowie die Zeitspanne im hypo- (<3,88 bis <2,77 mmol/l) oder hyperglykämischen Bereich (>10 bis >16,66 mmol/l).

Resultate

105 Patienten erhielten das Messsystem und 53 kontrollierten ihre Werte wie gewohnt. In Woche 12 betrug die HbA1c-Senkung in der Gruppe mit kontinuierlicher Blutzuckermessung 1,1 vs. 0,5%, p <0,01. Die mediane Zeitspanne im hypoglykämischen Bereich (<3,88 mmol/l) betrug 43 gegenüber 80 Minuten/Tag in der Kontrollgruppe mit Standardmessung. 14 vs. 4% der Patienten erreichten einen HbA1c von <7%.

Probleme

Das Messsystem ist kostenintensiv. Die Pa­tienten waren stark motiviert und gut aufgeklärt. Die kontinuierliche Blutzuckermessung ist wahrscheinlich nicht für alle Patienten geeignet. Die Methode ist invasiv.

Kommentar

Die Anwendung eines Geräts zur kontinuier­lichen Blutzuckerkontrolle zeigt in dieser Population eine Verbesserung der HbA1c-Werte im Vergleich zur Standardmessung. Die Zeitspanne im hypo- bzw. hyperglykämischen Bereich ist deutlich geringer. Die Studie dauerte 24 Wochen und die möglichen Langzeitvorteile bezüglich des Auftretens vaskulärer Komplikationen sind unbekannt. Zudem muss eingeräumt werden, dass der Verzicht auf 4-maliges oder häufigeres Stechen pro Tag einen nicht unerheblichen Vorteil darstellt. Möglicherweise wird die Akzeptanz der Methode durch technische Verbesserungen noch erhöht und der Preis für das Gerät hoffentlich geringer. Ob die Krankenversicherungen die Kosten wohl übernehmen?
Beck RW, et al. JAMA. 2017;317(4):371–8.

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Bei Patienten nach radikaler Prostatektomie bedeutet ein erneuter PSA-Anstieg ein Rezidiv. In diesem Fall ist eine Rettungs-Strahlen­therapie angezeigt, wobei jedoch unklar ist, ob diese durch eine Antiandrogentherapie ergänzt werden sollte. In einem Kollektiv von 760 Patienten hat die zusätzliche Gabe von ­Bicalutamid (einem Antiandrogen) die 12-Jahres-Überlebensrate im Vergleich zu Plazebo um 76,3% vs. 71,3% erhöht, HR 0,77, p = 0,04. Die Todeshäufigkeit betrug 5,8 vs. 13,4%. Einziger Wermutstropfen: 70% der Patienten unter Bicalutamid litten an durch das Antiandrogen bedingter Gynäkomastie …
Shipley WU, et al. N Engl J Med. 2017;376:417–28.

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Chronische Anorexia nervosa kann zum Tode führen und die üblichen Behandlungen sind mitunter unwirksam. 16 therapierefraktäre Patientinnen mit seit 18 Jahren bestehender Anorexia nervosa wurden mittels tiefer Hirnstimulation des subgenualen cingulären Gyrus behandelt. 8 Patientinnen setzten die Behandlung 3 Monate lang fort und erreichten einen BMI von 17 mit einer Reduktion des Depres­sions- und Angst-Scores. Hoffnung?
Lipsman N, et al. Lancet Psychiatry. 2017;4(4):
285–94. doi: http://dx.doi.org/10.1016/S2215-0366­(17)­30076-7.

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Physician’s First Watch. 22 February 2017.

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