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Hintergrund
Die akute Mesenterialvenenthrombose (MVT) führt zu einer intestinalen Hypoperfusion mit möglicher konsekutiver Darmischämie [1]. In den Jahren 2000–2006 wurde in einer schwedischen Kohortenstudie die Inzidenz mit 2,7 pro 100 000 Patientenjahre angegeben [2]. Auch wenn die akute MVT nur für 3–15% aller akuten mesenterialen Ischämien verantwortlich zeichnet [3], so ist die Mortalität mit 13–50% beträchtlich [4].
Aufgrund der verschiedenen klinischen Verlaufsformen (akut, subakut, chronisch) und den damit einhergehenden unspezifischen Symptomen und Befunden ist die Diagnosestellung häufig eine Herausforderung. Wegen der drohenden, wenn nicht bereits manifesten Darmischämie ist es unerlässlich, die weiteren diagnostischen und therapeutischen Schritte unverzüglich einzuleiten.
Klar zu unterscheiden davon ist die deutlich häufiger vorkommende okklusive arterielle Ischämie, die sich typischerweise durch einschiessende Abdominalschmerzen, gefolgt von einem schmerzfreien Intervall (6–12 Stunden nach Symptombeginn), auszeichnet.
Fallbericht
Anamnese
Selbstvorstellung einer 68-jährigen Patientin auf der Notfallstation mit plötzlich aufgetretenem Erbrechen begleitet von Diarrhoe mit Blutbeimengung. Zudem berichtet die Patientin über zunehmende epigastrische Beschwerden mit Schmerzbeginn vor acht Stunden. Abgesehen von einer arteriellen Hypertonie sowie einer Armvenenthrombose unklarer Genese im Rahmen einer Hysterektomie vor 20 Jahren (ohne Auffälligkeiten in einer darauffolgenden Gerinnungsabklärung) war die Patientin stets gesund.
Status
Bei Eintritt präsentiert sich eine afebrile, tachykarde, kreislaufstabile Patientin (Blutdruck: 140/80 mm Hg; Puls: 110/min). Das Abdomen palpiert sich weich mit einer diffusen Druckdolenz bei auskultatorisch fehlenden Darmgeräuschen. In der digito-rektalen Untersuchung bestätigt sich dünner Stuhl mit wenig Blut am Fingerling.
Befund
Laborchemisch resultieren leicht erhöhte Entzündungsparameter mit einer Leukozytenzahl von 11,4 G/l (Norm: 3,0–10,5 G/I) und einem CRP von 9,9 mg/l (Norm: <5 mg/l). Zudem zeigt sich das Laktat mit 3,0 mmol/l (0,63–2,44 mmol/l) erhöht.
Zur weiterführenden Diagnostik erfolgt die Durchführung einer Kontrastmittel-Computertomographie des Abdomens mit arterieller und portalvenöser Phase (CT-Angiographie). Hier zeigt sich das Bild einer Thrombose der Vena mesenterica superior (VMS) mit Sitz des Thrombus im Konfluens der VMS mit der Vena lienalis (Abb. 1).
Zudem stellen sich sämtliche Dünndarmschlingen wandverdickt dar, begleitet von Aszites (Abb. 2).
Als wichtiger Nebenbefund lässt sich ein chronischer Verschluss der Vena portae mit ausgeprägter Kollateralisierung nachweisen.
Bildmorphologisch findet sich als möglicher Risikofaktor für die MVT zudem der Hinweis auf ein Nierenzellkarzinom rechts (paraneoplastische Thrombogenese).
In Zusammenschau der Befunde besteht der hochgradige Verdacht einer MVT mit konsekutiver Darmischämie. Die Indikation zur chirurgischen Exploration wird nach Rücksprache mit der Gefässchirurgie im Hause gestellt.
Diagnose und Therapie
Noch auf der Notfallstation werden 5000 IE Heparin, als Bolus gegeben. Wegen der drohenden Translokation bei ischämischem Darm erfolgt die Verabreichung von Piperacillin + Tazobactam. Intraoperativ (4 Stunden nach Vorstellung auf der Notfallstation) zeigt sich blutig-seröser Aszites. Nach der systematischen Revision des Abdomens stellen sich die ersten 60 cm Dünndarm ab Treitz gräulich verfärbt dar. Anschliessend resultiert bis 60 cm vor ileocoecal ein hämorrhagisch infarzierter Dünndarm. Die letzten 60 cm Ileum sowie das Kolon stellen sich makroskopisch normal dar (Abb. 3).
In dieser Situation wäre aufgrund des ausgeprägten Befundes eine langstreckige Resektion des Dünndarms erforderlich, was ein Kurzdarmsyndrom zur Folge hätte. Bei gesunder Patientin, bis anhin ohne Katecholaminbedarf, entscheiden wir uns zum Versuch einer venösen Thrombektomie unter Beizug der Gefässchirurgie im Hause. Hierfür erfolgt eine Venotomie im Bereich der proximalen VMS. Aus der VMS und ihren Seitenästen kann mittels Fogarty-Katheter (Grösse 3) viel frisches Thrombusmaterial entfernt werden. Auch gegen zentral kann Thrombusmaterial mittels Fogarty-Katheter (Grösse 5) geborgen werden, sodass ein kräftiger Inflow und Backflow resultieren (Abb. 4). Zusätzlich werden die Äste mit Herparinlösung gespült. Nach filzverstärkter Venennaht ist ein Venensignal über der VMS ableitbar (Abb. 5).
Der in warme Tücher eingepackte Dünndarm zeigt im weiteren Verlauf der Operation eine Erholungstendenz. Die ersten 60 cm erholen sich vollständig und der mittlere Teil zeigt sich kontraktil. Wir entscheiden uns deshalb gegen eine Resektion und einen frühzeitigen «second look» in 24–36 Stunden. Direkt postoperativ wird mit einer Heparingabe von 10 000 IE pro 24 Stunden begonnen, welche nach vier Stunden auf eine therapeutische Dosierung ausgebaut wird.
Verlauf
Postoperativ erfolgt die weiterführende Überwachung auf der Intensivstation. Aufgrund der Entwicklung eines septischen Zustandsbildes 12 Stunden postoperativ mit Multiorgandysfunktion (MODS) – Leberwert- und Laktatanstieg, zunehmender Vasoaktivabedarf – wird die Indikation zum frühzeitigen «second look» gestellt. Die antibiotische Therapie wird mit Meropenem parallel ausgebaut.
Intraoperativ stellen sich die ersten 80 cm (Voreingriff 60 cm) ab Treitz vollständig vital dar. Zudem erholte sich die hämorrhagische Infarzierung im mittleren Teil deutlich. Die Darmwand palpiert sich allseits weich und ist stets kontraktil. Auch die 90 cm Dünndarm direkt vor ileocoecal (Voreingriff 60 cm) stellen sich vollständig normal dar (Abb. 6).
Über der VMS lässt sich nach wie vor ein deutliches venöses Dopplersignal ableiten. Nach gründlichem Spülen des Abdomens erfolgt der definitive Bauchdeckenverschluss. Das 12 Stunden postoperativ aufgetretene septische Zustandsbild wurde, bei fehlender Ursache während des «second look», im Rahmen der bakteriellen Translokation bei Darmischämie interpretiert.
Der weitere Verlauf gestaltete sich problemlos mit rascher Erholung der Patientin. Die antibiotische Therapie wurde nach fünf Tagen sistiert. Zudem erfolgte postoperativ die Etablierung einer oralen Antikoagulation mit Phenprocoumon. Die Patientin konnte am 11. postoperativen Tag (nach Erstoperation) in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden. Die weiteren Abklärungen erfolgten ambulant. Hier zeigte sich als prädisponierender Faktor für die MVT eine myeloproliferative Erkrankung (JAK2 V617-Mutation). Zudem bestätigte sich das Nierenzellkarzinom rechts. Die Patientin wurde rechtsseitig nephrektomiert und im Anschluss mit Rivaroxaban 20 mg täglich anstelle von Phenprocoumon behandelt.
Diskussion
Die akute MVT ist ein seltener vaskulärer Notfall und zeigt sich für 5–15% aller akuten mesenterialen Ischämien verantwortlich [3].
Entstehung der Mesenterialvenenthrombose
Gemäss der Virchow’schen Trias sind pathophysiologisch eine Blutstagnation, eine Endothelverletzung, eine Hyperkoagulabilität oder deren Kombinationen für eine Thrombosebildung verantwortlich.
Oftmals unterteilt die Literatur die Ätiologie der Erkrankung in lokale intraabdominale Faktoren, in eine erworbene respektive erbliche Hyperkoagulabilität sowie in eine idiopathische Ursache [4].
Zu den lokalen intraabdominalen Ursachen gehören beispielsweise die Leberzirrhose, intraabdominale Infekte (Pankreatitis, chronisch entzündliche Darmerkrankungen etc.) oder auch ein Trauma, das analog zur Virchow’schen Trias über eine Endothelverletzung die Thrombosebildung triggert.
Zu den erworbenen Faktoren, die eine Thrombosebildung begünstigen, gehören unter anderem das Antiphospholipidsyndrom, das nephrotische Syndrom oder Medikamente wie zum Beispiel orale Kontrazeptiva. Bei 4–16% der akuten MVT kann zudem eine maligne Erkrankung nachgewiesen werden [3].
Die erblichen Faktoren, die zu einer Hyperkoagulabilität des Blutes führen, sind ebenfalls umfassend (Faktor-V-Leiden-Mutation, Prothrombinmutation, Antithrombin-III-Mangel, Protein-C- respektive -S-Mangel, JAK2 V617-Mutation, um nur die häufigsten zu nennen). So konnten auch im beschriebenen Fallbericht eine JAK2 V617-Mutation und als zusätzlicher Risikofaktor für die MVT ein Nierenkarzinom (paraneoplastische Genese) diagnostiziert werden.
Klinik und Verlaufsformen
Typischerweise führen venöse Thrombosen erst bei einer zentralen Lokalisation mit Einbezug mehrerer Abstromgebiete (Pfortader, V. cava inferior) zu einer irreversiblen Schädigung der Darmwand. Auch eine isolierte Thrombose der VMS kann meist über eine Kollateralisation noch kompensiert werden.
Liegt hingegen zusätzlich ein Pfortaderverschluss vor (wie im beschriebenen Fall), führt dies zur venösen Infarzierung mit dem klinischen Bild der akuten MVT.
Demzufolge richtet sich die Klinik nach der Lokalisation/Ausdehnung und auch der Zeit, in welcher die Thrombusformation stattfindet. Patienten präsentieren sich meist mit unspezifischen Symptomen, wobei der diffuse Abdominalschmerz (typischerweise diskrepant zu den erhobenen klinischen Befunden) als Leitsymptom gilt. Differentialdiagnostisch ist in diesen Fällen, oft in Kombination mit Übelkeit/Erbrechen oder blutiger Diarrhoe, an eine MVT zu denken.
Unterschieden werden die akute, die subakute und die chronische Verlaufsform. Die Definitionen hinsichtlich der zeitlichen Angaben werden in der Literatur nicht einheitlich gehandhabt. Einige Autoren empfehlen sogar bis vier Wochen nach Symptombeginn noch, von einer akuten MVT zu sprechen. Auf der anderen Seite sind Patienten mit einer chronischen MVT oftmals asymptomatisch oder werden erst durch die Folgen der portalvenösen Hypertonie (Varizenblutung, Aszites) erstmals klinisch auffällig.
Die subakute MVT mit unspezifischen Abdominalschmerzen von Tagen bis Wochen bis zur Diagnosestellung ist zwischen der akuten und chronischen Verlaufsform anzusiedeln.
Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen (Abb. 7)
Gerade weil spezifische Symptome bei der akuten MVT häufig fehlen und klinisch sowie laborchemisch oft keine eindeutigen Zeichen nachgewiesen werden können, ist es unabdingbar, beim Verdacht auf eine mesenteriale Ischämie die weiteren diagnostischen Schritte konsequent und rasch einzuleiten. Hierfür ist ein Kontrastmittel-CT mit arterieller und portalvenöser Phase (CT-Angiographie) das Diagnostikum der Wahl (Goldstandard).
Die Bestimmung des Laktates ist ein unzuverlässiger Parameter und kann die Diagnose weder sichern noch ausschliessen.
Aufgrund der beschriebenen Pathophysiologie mit der möglichen Kollateralisierung des venösen Abflusses kommt es in der Minderzahl der Fälle und nur bei Verschluss mehrerer Abstromgebiete zur venösen Infarzierung. In diesen Fällen liegt bereits klinisch eine Peritonitis vor oder es finden sich radiologische Hinweise für eine Darminfarzierung (Aszites, Darmwandverdickung, Pneumatosis intestinalis), worauf die Indikation zur chirurgischen Exploration gestellt werden muss. Nekrotischer Darm wird anlässlich der Operation wenn immer möglich reseziert. Bei unklarem intraoperativen Befund mit möglicher Erholungstendenz des ischämischen Darmes wird eine zurückhaltende Resektion mit frühzeitigem «second look» empfohlen. Die venöse Thrombektomie ist bei Hauptvenenverschluss vorzunehmen. Eine orale Antikoagulation schliesst sich der chirurgischen Behandlung an.
Fehlen in der durchgeführten CT-Angiographie Anzeichen für eine manifeste Darminfarzierung, ist das Vorgehen der Wahl die orale Antikoagulation respektive die endovaskuläre Rekanalisation in Absprache mit dem intervenitonellen Radiologen/Angiologen.
Der Behandlungsalgorithmus der akuten MVT ist der Grafik zu entnehmen (Abb. 7).
Sollte auch die Pfortader mitbetroffen sein, ist die endovaskuläre Rekanalisierung in jedem Fall empfohlen. Zum einen wird so der drohenden Darmischämie vorgebeugt und zum anderen werden lebensverkürzende Sekundärkomplikationen der portalvenösen Hypertonie (Ösophagus-, Fundus-, Korpusvarizen mit konsekutiver oberer gastrointestinaler Blutung) verhindert.
Deshalb sollte eine Pfortaderrekanalisierung auch bei verzögerter Vorstellung (nach 1–3 Wochen) und bei kompensierter Darmperfusion angestrebt werden [5].
Das Wichtigste für die Praxis
• Die akute Mesenterialvenenthrombose (MVT) ist ein seltener vaskulärer Notfall (3–15% aller akuten mesenterialen Ischämien).
• Klar zu unterscheiden davon ist die deutlich häufiger vorkommende okklusive arterielle Ischämie mit den typischerweise einschiessenden Abdominalschmerzen, gefolgt von einem schmerzfreien Intervall.
• Aufgrund der unspezifischen Klinik (diffuse Bauchschmerzen als Leitsymptom, Diarrhoe, Erbrechen etc.) und den drohenden irreversiblen Schäden der akuten MVT gilt es bei dem Verdacht auf eine mesenteriale Ischämie, zeitnah und konsequent die weiteren diagnostischen Schritte einzuleiten.
• Das Diagnostikum der Wahl (Goldstandard) ist die Kontrastmittel-CT mit arterieller und portalvenöser Phase (CT-Angiographie).
• Wird die Diagnose einer akuten MVT bildmorphologisch gestellt, bedarf es einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit der interventionellen Radiologie/Angiologie respektive der Gefässchirurgie, um die weiteren therapeutischen Schritte festzulegen.
• Die Therapie orientiert sich anhand der Klinik/Symptomatik und richtet sich nach den CT-Angiographie-Befunden. Die Therapieoptionen umfassen das konservative Vorgehen mittels oraler Antikoagulation sowie die operative/interventionelle Behandlung.
Die CT-Bilder wurden freundlicherweise durch das Institut für Radiologie am Kantonsspital Aarau zur Verfügung gestellt.
Ein besonderer Dank gilt Prof. Roeren (Chefarzt am Institut für Radiologie, Kantonsspital Aarau) für das kritische Durchlesen des Manuskriptes.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
Dr. med. Dominik Jakob
Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin
Inselspital
Freiburgstrasse 4
CH-3010 Bern
dominik.jakob[at]insel.ch
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