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Der Pes planovalgus ist eine häufig auftretende Fussdeformität, welche in ihrem Verlauf in der Regel progredient ist. Die Patienten stellen sich initial meist bei ihrem Hausarzt vor. Ein Verständnis der Pathogenese ist essentiell, um geeignete Therapiemassnahmen ergreifen und eine weitere Progredienz möglichst verhindern zu können. Die vorliegende Übersichtsarbeit soll einen Überblick über die Ätiologie und Pathogenese, die Diagnostik und die Therapie dieser Fussdeformität geben.
Einleitung
Der erworbene Pes planovalgus (Knick-Senkfuss, Plattfuss, «adult-acquired flatfoot deformity») ist eine häufig vorkommende Fussdeformität, bei welcher es zu einer kombinierten Valgusfehlstellung des Rückfusses, einer Abflachung des medialen Längsgewölbes und/oder einer Abduktionsfehlstellung des Vorfusses kommen kann. Patienten beschreiben eine veränderte Fussform, zum Beispiel eine Veränderung des nassen Fussabruckes auf dem Handtuch, eine breitere Fussform, ein Absinken des Fussgewölbes. Die Schmerzen projizieren sich im Initialstadium häufig auf den Innenknöchel und das Fussgewölbe. Sie werden im Mittelfussbereich auf Höhe des Ansatzes der Tibialis-posterior-Sehne am Os naviculare, retromalleolar medial und im Verlauf der Tibialis-posterior-Sehne beschrieben. In Fällen der fortgeschrittenen Abkippung des Rückfusses (Rückfussvalgus) sind Schmerzen lateral subfibulär nicht selten. Der Pes planovalgus tritt gehäuft bei Frauen im Alter über 40 Jahre auf mit einem Altersgipfel bei 55 Jahren [1].
Ätiologie und Pathogenese
Die Ätiologie des erworbenen Pes planovalgus ist multifaktoriel. Mögliche Ursachen, welche die Entstehung begünstigen, sind in Tabelle 1 dargestellt. Die Schlüsselrolle der Tibialis-posterior-Sehne (Abb. 1) als primärer dynamischer Stabilisator des medialen Längsgewölbes [3] wird bei der Entstehung des erworbenen Pes planovalgus deutlich. So kann die alleinige Insuffizienz der Tibialis-posterior-Sehne zum Absinken des medialen Fussgewölbes führen. Die dadurch ausgelöste Fehlstellung des Rückfusses führt in der Folge zur Persistenz und Progredienz des Pes planovalgus.
Tabelle 1: Mögliche Ursachen eines erworbenen Pes planovalgus. |
Mangelnde Unterstützung des medialen Längsgewölbes |
Tibialis-posterior-Insuffizienz |
Ruptur des Spring-Ligaments |
Ruptur der Tibialis-anterior-Sehne |
Instabilität des Tarso-Metatarsale(TMT)-I-Gelenkes |
Rheumatologische Ursache |
Fussdeformität bei Rheumatoider Arthritis etc. |
Iatrogene Ursache |
Überkorrigierter Klumpfuss |
Posttraumatisch |
Neurologische Ursache |
Charcot-Neuroosteoarthropathie (bei Diabetes, Lepra, peripherer Polyneuropathie anderer Ursache) |
Zerebrale oder periphere Paresen (Poliomyelitis, Myelomeningozele etc.) |
Weitere prädestinierende Faktoren |
Längenverhältnis Talus/Calcaneus [2] |
Tarsale Coalitio |
Allgemeine Bandlaxität |
Familiäre Disposition |
Eine chronische Überlastung (z.B. vorbestehender, bis anhin asymptomatischer Pes planovalgus) oder wiederholte Mikrotraumata führen zu einer degenerativen Tendinose der Tibialis-posterior-Sehne [5]. Unter gleichbleibender Belastung werden im degenerierten Sehnengewebe (Partial-)rupturen beobachtet, welche in der Folge zu einer Elongation der Sehne und Dysfunktion der Tibialis-posterior-Sehne führen können. Die mechanische Aufgabe als Stabilisator des medialen Fusslängsgewölbes kann so nicht mehr suffizient ausgeführt werden. Die übrigen medial stützenden Strukturen erfahren eine mechanische Mehrbelastung, welche in der Folge durch Überbelastung zu einer Schwächung derselben führt, sodass das mediale Fusslängsgewölbe weiter kollabiert. Hier ist vor allem das Spring-Ligament (Ligamentum calcaneonaviculare plantare) als wichtigster passiver Stabilisator des Talonavikulargelenks zu nennen [13]. Bei Ruptur/Insuffizienz des Spring-Ligaments kommt es zu einer Subluxation im Talonavikulargelenk. Der Taluskopf migriert relativ zum Calcaneus nach medial und plantar, im Sinne einer Rotationsfehlstellung. Dadurch wird das typische Bild eines Pes planovalgus verstärkt.
Analog kommt es als Folge einer Insuffizienz des Ligamentum interosseum zu einer Subluxation des Subtalargelenkes [13].
Durch die sich entwickelnde Valgusfehlstellung des Rückfusses wird zudem die Zugrichtung der Achillessehne nach lateral verlagert. Es kommt zu einem Bowstring-Phänomen, das heisst die Kontraktion der Gastrocnemius-Muskulatur bewirkt eine Verstärkung der Valgusfehlstellung, da die resultierende Kraft nicht mehr zentral wirkt. Somit verstärkt die veränderte Zugrichtung der Achillessehne die vorbestehende Valgusdeformität im Rückfuss (Abb. 2).
Eine zusätzliche Instabilität des Tarso-Metatarsale(TMT)-I-Gelenkes verstärkt die Entwicklung eines Pes planovalgus, da diese zu einer Insuffizienz des sogenannten Windlass-Mechanismus [14] führt. Physiologischerweise wird durch die Dorsalextension der Zehen beim Gehen die Plantaraponeurose gespannt. Sie verriegelt während des Abstossens vom Boden das Längsgewölbe, sodass ein kräftiges Abstossen durch den Musculus triceps surae möglich ist. Durch eine Hypermobilität im TMT-I-Gelenk wird das mediale Längsgewölbe durch die Plantaraponeurose nicht mehr kompetent verriegelt.
Klinik
Schmerzen im Bereich des medialen Fussgewölbes sowie im Bereich des Innenknöchels stellen ein frühes Symptom bei Pes planovalgus dar. Fussschmerzen im Bereich des Aussenknöchels treten erst spät im Verlauf auf.
In der Anamnese geben die Patienten in einem Frühstadium in der Regel mediale Schmerzen am Ansatz und im Verlauf der Tibialis-posterior-Sehne an, häufig kombiniert mit einer lokalen Schwellung. Tiefe, plantare Schmerzen können Ausdruck einer Läsion des Spring-Ligaments sein [15]. Häufig zeigen sich die medialen Schmerzen im Verlauf regredient, die Schwellung persistiert in der Regel. Im weiteren Verlauf berichten die Patienten von einer zunehmenden Fussdeformität [16]. Sie beschreiben ein Absinken des Fusses, der Fuss sei breiter, flacher, das Gewölbe abgesunken. In diesem Stadium klagen die Patienten häufig über Funktionseinschränkungen wie Schwäche des betreffenden Fusses oder Instabilitätsgefühl beim Gehen auf unebenem oder abfallendem Untergrund. Ausdruck einer relevanten Abkippung im Rückfuss sind Schmerzen am Aussenknöchel sowie äusseren Fussrand, welche ein fortgeschrittenes Stadium des Pes planovalgus charakterisieren. Die Schmerzen projizieren sich auf das Kalkaneokuboidalgelenk, den Sinus tarsi und/oder den lateralen Malleolus. Diese können durch eine Hyperpression im Kalkaneokuboidalgelenk verursacht oder Ausdruck eines lateralen Impingements im Subtalargelenk oder subfibulär sein [17]. Ausgeprägte Valgusfehlstellungen des Rückfusses können zu einer Ermüdungsfraktur der distalen Fibula führen.
Diagnostik
Die Anamnese und klinische Untersuchung führen zur Diagnose.
Die Tibialis-posterior-Sehneninsuffizienz beziehungsweise der Pes planovalgus ist hauptsächlich eine klinische Diagnose [18]. Die klinische Untersuchung zeigt im Anfangsstadium eine Schwellung und Druckdolenz im Verlauf der Tibialis-posterior-Sehne. Dies ist Ausdruck einer Tendovaginitis. Die Inversion gegen Widerstand ist häufig schmerzhaft abgeschwächt [18].
Die Rückfussachse wird bei stehenden Patienten von dorsal beurteilt. Eine vermehrte Valgusfehlstellung der Längsachse des Calcaneus zur Längsachse der Achillessehne ist typisch. Von einem vermehrten Rückfussvalgus spricht man ab einer Valgusfehlstellung des Rückfusses über 8°. Liegt zusätzlich eine vermehrte Vorfussabduktion vor, ist das «too many toes sign» positiv. Bei der Inspektion von dorsal sind mehr als die üblichen 1,5 Kleinzehen sichtbar [18] (Abb. 3). In der seitlichen Betrachtung des stehenden Patienten ist ein abgeflachtes bis aufgehobenes Längsgewölbe erkennbar (Abb. 3).
Ein wichtiges klinisches Zeichen ist der «single heel rise»-Test. Dabei wird der Patient aufgefordert, wiederholt im Einbeinstand auf die Zehenspitzen zu gehen. Für eine bessere Balance soll sich der Patient dabei an der Wand leicht abstützen. Beim gesunden Fuss kommt es beim Zehenspitzenstand durch den Sehnenzug der Tibialis-posterior-Sehne zu einer Varisation der Rückfussachse (Abb. 4). Ist die Sehne tendinopathisch verändert, elongiert oder teilrupturiert, ist die Funktion eingeschränkt und die phyiologische Varisierung bleibt im Einbeinstand aus. Der Test gilt als positiv, wenn der Zehenspitzenstand im Einbeinstand nicht durchführbar ist oder die physiologische Varisation ausbleibt [1].
Für die weitere Therapie essentiell ist die Beurteilung, ob die Fehlstellung flexibel oder rigide ist. Liegt eine flexible Fehlstellung vor, kommt es bei der Ausführung des Hubscher-Manövers zu einer Aufrichtung des Längsgewölbes. Hierbei wird bei stehendem Patienten eine passive Dorsalextension der Grosszehe durchgeführt. Durch die Wirkung des Windlass-Mechanismus sollte es bei flexibler Deformität zu einer Aufrichtung des Fusslängsgewölbes kommen.
Weiter ist die klinische Beurteilung der Wadenmuskulatur sinnvoll. Eine Verkürzung der Wadenmuskulatur ist im fortgeschrittenen Stadium typisch und erhält die Deformität durch den lateralisierte Zug der Achillessehne (Abb. 2).
Eine Hypermobilität des 1. Strahls unterstützt die Entstehung des Pes planovalgus. Zur Planung einer operativen Therapie ist es daher wichtig, klinisch zu beurteilen, ob eine vermehrte Beweglichkeit im TMT-I-Gelenk vorliegt. Klinisch muss hierfür die vertikale Translationsamplitude im TMT-I-Gelenk beurteilt werden. Eine Hyperkeratose plantar des Metatarsale-II-Köpfchens kann auf eine bestehende Hypermobilität des 1. Strahls hinweisen.
Konventionelle, belastete Röntgenbilder sind bei der Abklärung des Pes planovalgus wegweisend (Abb. 5). In der seitlichen Aufnahme ist typischerweise ein aufgehobenes Längsgewölbe ersichtlich. Anhand von Winkelmessungen lässt sich die Fehlstellung quantifizieren (Abb. 5). In der seitlichen Aufnahme sind weiter die unterbrochene tarsometatarsale Achse und die reduzierte calcaneare Achse erkennbar. Die dorsoplantare Aufnahme dient der Bestimmung der talonavikulären Überdachung, welche Hinweise auf eine Vorfussabduktion gibt. Eine signifikante Vorfussabduktion besteht bei einer Überdachung von weniger als 40%. Zur radiologischen Bestimmung der Rückfussachse dienen spezielle Aufnahmen wie Saltzman-Aufnahme, «hindfoot alignement view».
Zunehmende Bedeutung erfährt die Magnetresonanztomographie (MRT). Auch in frühen Stadien des Pes planovalgus ist die MRT hilfreich. Die Indikationstellung gilt der Beurteilung der Tibialis-posterior-Sehnenqualität, der Bandstrukturen sowie des Gelenkknorpels subtalar sowie talonavikulär.
Die Tibialis-posterior-Sehne ist aufgrund der anatomische Lage sehr gut sonographisch beurteilbar. Bei der alleinigen Fragestellung nach einer Pathologie der Sehne stellt die Sonographie einer sehr gute Alternative zur MRT-Abklärung dar.
Eine Computertomographie wird nur in Ausnahmefällen zur Beurteilung einer möglichen Coalitio oder zur genaueren Quantifizierung einer Arthrose herangezogen.
Klassifikation
Die weltweit gängigste Klassifikation des Pes planovalgus respektive der Tibialis-posterior-Insuffizienz wurde von Johnson und Strom erstmals beschrieben [16]. Später fügte Myerson noch ein Stadium IV hinzu, das eine zusätzliche Deformität des Sprunggelenkes zusätzlich zu der des Fusses beinhaltet [4] (Tab. 2). Die Klassifikation ist daher relevant, da sich stadiumabhängig die operative Therapie unterscheidet: Im Stadium I und II (flexibler Pes planovalgus) werden in der Regel gelenkerhaltende rekonstruktive Eingriffe durchgeführt, im Stadium III und IV (kontrakter Pes planovalgus) korrigierende Arthrodesen. Auch für die Wahl der geeigneten orthopädisch-schuhtechnischen Versorgung ist die Einteilung relevant.
Tabelle 2: Klassifikation der Tibialis-posterior-Insuffizienz nach Johnson & Strom [16] und Myerson [4]. | |||
Tibialis-posterior-Sehne | Knöcherne Deformität | Klinik | |
Stadium I (Johnson und Strom) | Tenosynovitis oder beginnende Degeneration, keine Elongation, Sehnenkontinuität erhalten | Keine | Einbeinzehenstand möglich, Inversion des Fusses kräftig gegen Widerstand |
Stadium II (Johnson und Strom) | Elongation und Degeneration, oft chronische Partialruptur bis Totalruptur | Flexibel | Abgeflachtes Längsgewölbe, Inversionsschwäche, Einbeinzehenstand nicht möglich |
Stadium III (Johnson und Strom) | Elongation und Degeneration, oft chronische Partialruptur bis Totalruptur | Fixiert | Nicht mehr reponierbare «Pes planovalgus et abductus»-Fehlstellung |
Stadium IV (Myerson) | Zusätzliche Instabilität des Lig. deltoideum | Fixiert, zusätzlich oberes Sprunggelenk mitbeteiligt | Nicht mehr reponierbare «Pes planovalgus et abductus»-Fehlstellung |
IVa: | Flexibel | ||
IVb: | Rigide |
Therapie
Ein schmerzloser Pes planovalgus des Erwachsenen bedarf grundsätzlich keiner Therapie, abgesehen von grotesken Fehlstellungen mit Gefahr von Hautulzerationen, Gangunsicherheit etc. Zu unterscheiden sind die konservative und operative Therapie. Die konservative Therapie hat nach wie vor einen grossen Stellenwert, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Orthopädietechnik in der Bereitstellung der Hilfsmittel grosse Fortschritte gemacht hat. Die konservative Therapie sollte in der Behandlung des Pes planovalgus die erste Therapiemassnahme darstellen. Trotz optimaler orthopädietechnischer Versorgung ist nicht selten eine Progredienz der Fehlstellung zu beobachten. Der Entscheid zugunsten einer operativen Korrektur liegt letztendlich beim Patienten. Die Indikation zur operativen Korrektur ist anhand des Leidensdrucks des Patienten zu stellen. Schmerzen und Progredienz der Fehlstellung trotz adäquater orthopädietechnischer Vorsorgung, Hautulzerationen, Insuffizienzfrakturen etc. lassen die orthopädisch-chirurgische Korrektur wahrscheinlich werden.
Konservative Therapie
Ein konservativer Therapieversuch ist in allen Stadien möglich [19] und als erster Schritt sinnvoll. Behandlungsoptionen sind dabei die stadiengerechte orthopädie-schuhtechnische Versorgung und Physiotherapie. Bei Vorliegen einer akuten Tendosynovitis entlang der Tibialis-posterior-Sehne sollte diese immer zuerst angegangen werden, bevor der chronische Aspekt der Erkrankung therapiert wird. Dazu können kurzzeitige analgetisch-antiphlogistische Behandlungen (nichtsteroidale Antirheumatika [NSAR], Ultraschall etc.) sowie eine kurzzeitige Ruhigstellung in einem Gips/Walker eingesetzt werden. Auf lokale Steroidinfiltrationen sollte auf jeden Fall verzichtet werden [4].
Bei flexiblem Pes planovalgus (Stadium I und II) ist primär der Versuch einer Versorgung mit Einlagen nach Mass im Sinne von Korrektureinlagen zu erwägen. Die Form der Einlagen richtet sich dabei individuell nach den Komponenten der jeweiligen Belastungsinsuffizienz [20]. Bei überwiegender Knickfuss-Komponente wird der Calcaneus durch eine gute Fersenfassung und einen supinierenden Keil aufgerichtet. Bei Senkfuss-Komponente wird zusätzlich das mediale Längsgewölbe unterstützt. Bei schweren Formen kann eine Schalenorthese/Innenschuhorthese notwendig sein [21], die im Falle einer Abduktion des Vorfusses weit nach dorsal des 5. Mittelfussköpfchens ziehen muss.
Bei fixierter Fussdeformität ist in der Regel eine korrigierende Einlagenversorgung schwer möglich. In diesen Fällen wird auf nichtkorrigierende Bettungseinlagen zurückgegriffen. Ziel dabei ist es, den deformierten Fuss auf einer möglichst grossen Fläche zu betten, um Druckstellen möglichst zu minimieren. In fortgeschrittenen Fällen können orthopädische Serienschuhe, orthopädische Massschuhe oder sogar Orthesen indiziert sein [20].
Physiotherapie kann in Phasen von akuten Schmerzexazerbationen mit der Anwendung von lokal-antiphlogistischen Massnahmen (z.B. Ultraschall, Stosswellentherapie etc.) weiterhelfen. Hauptsächlich wird die Physiotherapie aber zur Verbesserung der Propriozeption und zum gezielten Training der Muskulatur eingesetzt. So kann durch gezieltes Training des M. flexor hallucis longus und des M. flexor digitorum longus eine teilweise Kompensation des insuffizienten M. tibialis posterior erreicht werden [15, 21]. Auch Dehnungsübungen für den M. triceps surae können eingesetzt werden, wenn durch eine entsprechende Kontraktur die Achillessehne zu einer sekundär deformierenden Kraft wird.
Stadienabhänige operative Therapie
Wie bereits erwähnt, richtet sich die operative Therapie nach der Klassifikation der Tibialis-posterior-Insuffizienz nach Johnson und Strom: Ein flexibler Pes planovalgus (Stadium I und II) kann dabei grundsätzlich gelenkerhaltend operiert werden, im Stadium III und IV treten fxierte Deformitäten auf, die korrigierende Arthrodesen nötig machen. Tabelle 3 gibt einen Überblick über die verschiedenen operativen Therapieoptionen.
Tabelle 3: Übersicht über das operative Behandlungsspektrum. Die verschiedenen Eingriffe werden bei Bedarf je nach Stadium der Deformität und Pathobiomechanik kombiniert. | ||
Weichteilrekonstruktion | ||
Tibialis-posterior-Sehne | ||
Tibialis-posterior-Sehnenrekonstruktion | ||
Flexor-digitorum-longus-Transfer | Transfer der Flexor-digitorum-longus-Sehne auf die Tibialis-posterior-Sehne | |
Cobb-Transfer | Tibialis-anterior-Sehnensplitting | |
Os-tibiale-externum-Refixation | ||
Rekonstruktion des medialen Bandapparates | ||
Raffung und Verstärkung des Spring-Ligamentes | ||
Ventrale Verlagerung und Raffung des oberflächlichen Anteiles des Lig. deltoideum | ||
Additive Osteotomieverfahren | ||
Laterale Verlängerungsosteotomie des Calcaneus | Bewirkt eine indirekte Reposition des Talonavikulargelenkes unter gleichzeitiger Supination/Inversion des Rückfusses und Adduktion des Vorfusses | |
nach Evans [23]: | Osteotomie 1 cm proximal des Calcaneocuboidalgelenkes | |
nach Hintermann [24]: | Osteotomie am tiefsten Punkt des Sinus-tarsi-Bodens | |
Mediale Sliding-Osteotomie des Calcaneus [25] | Bei ausgeprägtem Rückfussvalgus oder lateralem Impingement | |
Supramalleoläre Korrekturosteotomie | Zusätzlich zur Korrekturosteotomien des Rückfusses im Stadium IVa | |
Plantarisierende Metatarsale-I-Osteotomie | Zur Korrektur einer vermehrten Supination des Vorfusses nach Calcaneus-Korrekturoteotomie | |
Cotton-Osteotomie | Plantarisierende dorsale Open-wedge-Osteotomie im Os cuneiforme mediale zur Korrektur einer vermehrten Supination des Vorfusses nach Calcaneus-Korrekturosteotomie | |
Korrekturarthrodesen | ||
Isolierte subtalare Arthrodese | ||
Double-Arthrodese | Arthrodese des Subtalargelenkes und des Talonavikulargelenkes | |
Triple-Arthrodese | Arthrodese des Subtalargelenkes, des Talonavikulargelenkes und des Calcaneocuboidalgelenkes | |
Pantalare Arthrodese | Zusätzliche Arthrodese des oberen Sprunggelenkes |
Alleinige Weichteileingriffe sind nur im Stadium I indiziert. Das Spektrum reicht dabei von der Synovektomie der Tibialis-posterior-Sehne bis zu Sehnenaugmentationen und -transfers. Am gebräuchlichsten ist hierbei der Flexor-digitorum-longus-Transfer. In den späteren Stadien werden die Weichteileingriffe stets mit ossären Korrektureingriffen kombiniert.
Im Stadium II sollte eine Kombination aus korrigierenden Osteotomien sowie Weichteileingriffen angewendet werden [16]. Welche Osteotomien durchgeführt werden müssen, ist abhängig von der genauen Analyse der Fehlstellung.
Bei rigiden Deformitäten oder signifikanten Gelenkarthrosen muss die Deformität über korrigierende Arthrodesen behandelt werden. Im Stadium III wird das Subtalargelenk in korrigierter Stellung arthrodesiert. Je nach Pathologie können zusätzlich zur Subtalar-Arthrodese die Arthrodese des Talonavikulargelenkes (= Double-Arthrodese) und wiederum des Calcaneocuboidalgelenkes (= Triple-Arthrodese) nötig sein.
Im Stadium IV muss zusätzlich die Subluxationsstellung im oberen Sprunggelenk therapiert werden. Bei flexibler Deformität im oberen Sprunggelenk kann dies durch eine supramalleoläre Korrekturosteotomie geschehen. Bei rigider Deformität wird auch eine Arthrodese des oberen Sprunggelenkes (OSG) durchgeführt im Sinne einer pantalaren Arthrodese.
Bei praktisch allen aufgeführten chirurgischen Eingriffen ist postoperativ eine längere Ruhigstellung in einem Gips für mindestens sechs Wochen indiziert. Dies insbesondere bei knöchernen Korrekturen. Je nach Verlauf der ossären Konsolidation in der 6-Wochen-Kontrolle beginnt die Aufbelastung. Viele Patienten äussern eine Verbesserung der Funktion bereits nach 3–6 Monaten. Eine vollständige Rekonvaleszenz ist aber häufig erst ein Jahr postoperativ erreicht [26]. Eine entsprechende Aufklärung des Patienten ist Bedingung, um eine gute Compliance über diesen Zeitraum aufrecht zu erhalten.
Schliesslich kann mit den bisherigen Therapieverfahren jedoch eine zuverlässige Schmerzreduktion erreicht werden. Der Erhalt der Funktionalität in den fortgeschrittenen Stadien ist bisher aber eine grosse Herausforderung.
Das Wichtigste für die Praxis
Der Pes planovalgus tritt am häufigsten bei Frauen über 40 Jahre auf.
Die Tibialis-posterior-Insuffizienz entwickelt sich chronisch und im Verlauf ist von einer progredienten Deformität auszugehen.
Eine Behandlung des Pes planovalgus beim Erwachsenen ist indiziert, wenn belastungsabhängige Schmerzen auftreten.
Für die Auswahl der geeigneten Therapieform entscheidend ist, ob die Deformität flexibel oder rigide ist – sowohl bei der konservativen als auch bei der operativen Therapie.
Ein konservativer Therapieversuch ist in allen Stadien möglich.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Stephan Wirth
Universitätsklinik Balgrist
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