(K)ein ganz alltäglicher STEMI?
Der besondere Fall

(K)ein ganz alltäglicher STEMI?

Fallberichte
Ausgabe
2017/2627
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.02994
Schweiz Med Forum 2017;17(2627):583-585

Affiliations
Klinik für Innere Medizin, Kantonales Spital, Grabs; Klinik für Kardiologie, Kantonsspital St. Gallen

Publiziert am 27.06.2017

Fallbericht

Anamnese

Ein 64-jähriger Patient wurde wegen seit drei Tagen zunehmender Belastungs- beziehungsweise Ruhedyspnoe (NYHA III–V) und Orthopnoe vom Hausarzt notfall­mässig zugewiesen.

Status und Befunde

Bei Eintritt zeigte sich klinisch ein biventrikulär dekompensierter Patient. Im EKG fanden sich ST-Hebungen in den Ableitungen V2–4 mit R-Reduktion in V2–3 sowie ­biphasischen/negativen T-Wellen in V4–6, entsprechend einem anteroseptalen ST-Hebungs-Infarkt («ST segment elevation myocardial infarction» [STEMI]) (Abb. 1).
Abbildung 1: Initiales EKG.
Das Troponin I (5,58 ng/ml, Norm <0,05 ng/ml) und die Laktatdehydrogenase (LDH; 372 U/l, Norm <265 U/l) waren erhöht, die Kreatin­kinase normwertig (166 U/l, Norm <170 U/l). Ein erhöhtes CRP von 113 mg/l (Norm <5 mg/l) sowie eine Leukozytose von 12,4 G/l (Norm 4,0–10,0 G/l) wurden zunächst am ehesten im Rahmen des Myokardinfarkts interpretiert. Zudem fiel eine hypochrome, mikrozytäre Anämie mit einem Hämoglobin von 120 g/l (Norm 140–180 g/l) auf.
In der transthorakalen Echokardiographie fanden sich eine mittelgradig eingeschränkte linksventrikuläre Auswurffraktion («left ventricular ejection fraction» [LVEF] von 40%; Norm >55%) bei Hypo- bis Akinesie der apikalen Segmente von anteroseptal bis anterolateral sowie eine leichtgradige Aortenklappeninsuffizienz.
Aufgrund der seit drei Tagen progredienten Beschwerden, des EKGs und der Kon­stellation der kardialen Marker und der LDH wurde ein subakutes Infarktstadium vermutet. Nach Einleitung einer Therapie mit Acetylsalicylsäure, Ticagrelor, Liquemin, Ni­traten und einem Statin sowie vorübergehender nichtinvasiver Beatmung und im Verlauf auch Etablierung einer Herz­insuffizienzthe­rapie wurde die Verlegung zur Koronarangiographie organisiert.
Nach Rekompensation konnte am Folgetag die Koronarangiographie durchgeführt werden. Dabei zeigte sich ein atherosklerotisch veränderter Ramus interventricularis anterior (RIVA) mit distalem Verschluss. Andere höhergradige Stenosen lagen nicht vor, wenn auch das gesamte Koronarsystem atherosklerotisch verändert war (Abb. 2).
Abbildung 2: Koronarangiographie. A) Linkslaterale Projektion mit Darstellung eines Verschlusses (Pfeil) des distalen Ramus interventricularis anterior (RIVA). D1 = 1. Dia­gonalast. B) Rechtsschräg-kraniale Projektion mit Darstellung des Verschlusses (Pfeil) des RIVA.
Aufgrund der subakuten Kon­stellation wurde auf einen Rekanalisationsversuch verzichtet und eine kar­diale Magnetresonanztomographie (MRT) zur Beurteilung der Viabilität im RIVA-Versorgungsgebiet durchgeführt. Dabei fiel neben einer praktisch transmuralen Narbe im Bereich des Versorgungsgebiets des distal verschlossenen RIVA eine nun relevante Aortenklappeninsuffi­zienz auf, welche sich echokardiographisch dann auch als schwer erwies. In der transösophagealen Echokar­diographie fand sich eine ca. 18 × 6 mm grosse, flottierende Struktur an der rechtskoronaren Tasche (Abb. 3). Zudem war die linksventrikuläre Pumpfunktion nun schwer eingeschränkt (LVEF 28%).
Abbildung 3: Oben: Transösophageale Echokardiographie (TEE) mit Darstellung einer enddiastolisch in den linksventrikulären Ausflusstrakt («left ventricular outflow tract» [LVOT]) prolabierenden Zusatzstruktur (Pfeil) im Bereich der rechtskoronaren Tasche der Aortenklappe (AK) bei geschlossener Aortenklappe. Unten: TEE bei Normalbefund (gleiche Phase des Herzzyklus, praktisch gleiche Schnittebene).
LA = linker Vorhof, MK = Mitralklappe.
Auf der Suche nach einer zerebralen Embolisation zeigte sich in der nativen Computertomographie des Neurokraniums ein kleines subakutes Infarktareal temporoparietal rechts ohne klinisches Korrelat.
Aktenanamnestisch bestand seit etwa fünf Jahren eine undifferenzierte, seronegative schubartige Oligoarthritis der kleinen, mittelgrossen und grossen Gelenke. Zwei Monate vor der aktuellen Hospitalisation hatte eine fachärztliche rheumatologische Abklärung keine sichere Diagnose erbracht, eine Therapie mit Metho­trexat wurde aber ins Auge gefasst. Wegen einer febrilen Bronchitis war vor Eintritt eine Therapie mit einem Tetracyclin verordnet worden, worunter die arthritischen Beschwerden leicht gebessert hätten.

Therapie und Verlauf

Der klinische Verlauf mit febrilem Infekt zwei Wochen vor Eintritt, der möglichen zerebralen Embolie sowie der echokardiographisch nachgewiesenen Struktur an der Aortenklappe war sehr suggestiv für eine En­dokarditis. Deshalb wurde bei nativer Klappe nach Abnahme von Blutkulturen eine empirische Antibiose mit Amoxicillin/Clavulansäure und Gentamycin ­begonnen und aufgrund der offensichtlich rasch progredienten Aortenklappeninsuffizienz die Indikation zum beschleunigten Aortenklappenersatz gestellt. Dieser konnte über eine mediane Sternotomie mittels Bioprothese durchgeführt werden. Die entnommene trikuspide Aortenklappe wies floride Vegetationen auf. Mittels eubakterieller «polymerase chain reaction» (PCR) wurde im Klappenmaterial Tropheryma whipplei nachgewiesen, weshalb die antibiotische Therapie auf Ceftriaxon umgestellt wurde. Darunter zeigte sich ein erfreulicher und unkomplizierter postoperativer Verlauf und der Patient wurde in eine ­Rehabilitationsklinik entlassen. Zur Behandlung der Whipple-Endokarditis wurde Sulfamethoxazol/Trimethoprim für insgesamt 12 Monate verabreicht. Sämtliche abgenommenen Blut­kulturen blieben ohne Wachstum.
Zwei Jahre nach dem akuten Ereignis hat sich die linksventrikuläre systolische Funktion global erholt (LVEF 60% mit lediglich diskreter residueller Hypokinesie septoapikal). In der Fahrrad-Ergometrie konnte der Patient 120% des Solls leisten. Zudem sind die arthritischen Symptome komplett verschwunden und der Patient kann wieder beschwerdefrei Bergtouren unternehmen.

Diskussion

Der Morbus Whipple [1] ist eine seltene, meist chronische multisystemische Infektion. Verursacht wird sie durch Tropheryma whipplei, ein stäbchenförmiges, grampositives, ubiquitär vorkommendes Bakterium. Die genaue Pa­thogenese ist unklar. Bemerkenswert ist, dass nach Aufnahme des Keims eine inflammatorische lokale Reaktion meist ausbleibt. Auch eine zytotoxische Reaktion ist am Ort der Infektion nicht auszumachen, weshalb es dort zu einer massiven, klinisch inapparenten Akkumulation des Erregers kommen kann. Diese fehlende immunologische Antwort wäre eine mögliche Erklärung dafür, dass symptomatische Infektionen gehäuft bei immunsupprimierten Patienten vorkommen. Typische Zeichen einer Infektion sind Diarrhoe, Abdominal­schmerzen, Gewichtsverlust und Arthropathien. Aufgrund einer Malabsorption findet sich bei ca. 80% der Patienten eine Anämie. Dies ist möglicherweise durch einen malresorptiven Vitamin-B12-Mangel bedingt. Eine Leuko- oder Thrombozytose tritt bei ca. 50%, eine CRP-Erhöhung bei ca. 60% der Patienten auf [2]. Zusätzliche Symptome wie Fieber, Lymphadenopathie, Hyperpigmentation, Pleuraergüsse und Husten können manchmal vorkommen.
Bei den kardialen Manifestationen sind neben der Whipple-Endokarditis auch Fälle von Peri- und Myokarditis beschrieben. Schon 1907 hatte Whipple [1] bei betroffenen Patienten Läsionen an Herzklappen beschrieben, diese damals aber nicht in Zusammenhang mit seiner Entdeckung gebracht. Erst 1952 wurde eine Verbindung des Morbus Whipple mit kardiologischen Veränderungen vermutet. Dies erstaunt nicht, da Tropheryma whipplei erst 1991 identifiziert wurde und eine reproduzierbare Kultur des Keims erst 2000 gelang. ­Interessanterweise konnte damals die Kultur aus Gewebe von einer befallenen Aortenklappe gewonnen werden [3]. Bis heute ist aber im klinischen Alltag eine Kultur auf Routinemedien nicht möglich, weshalb der Nachweis immer noch mittels «periodic acid Schiff»­(PAS)-Reaktion und eventuell zusätzlicher Immunhistochemie oder alternativ durch eine PCR erbracht werden muss. Die Diagnose einer Whipple-Endokarditis kann somit fast immer nur vermutet werden und erst die Analyse der entfernten Herzklappe wird die ­Diagnose sichern. Eine 2012 publizierte Studie zeigte, dass Tropheryma whipplei bei 6% der infektiösen Endokarditiden nachgewiesen wurde. Somit war der Keim die vierthäufigste Ursache unter den Fällen, wo eine Ätiologie gefunden wurde. Bei den Kultur-negativen infektiösen Endokarditiden war Tropheryma whipplei neben Coxiella burnetii und Bartonella spp. sogar das häufigste nachgewiesene Pathogen [4].
Die Präsentation einer Endokarditis durch einen Myokardinfarkt infolge Embolisation in eine Koronararterie ist ein bekanntes, aber relativ seltenes Phänomen. Angesichts der generalisierten Koronaratherosklerose können wir zwar nicht ausschliessen, dass der Patient zwei unabhängige Erkrankungen hatte, nämlich eine Endokarditis und einen Myokardinfarkt infolge «gewöhn­licher» Plaqueruptur; die Koinzidenz ist aber unwahrscheinlich. Initial waren die Befunde durchaus gut erklärt durch das subakute Infarktgeschehen allein und die Vermutung einer rheumatologischen Erkrankung war plausibel. Die Dia­gnose einer Endokarditis ist schwierig und erfolgt oft mit Verzögerung. Im vorliegenden Fall war die Dokumentation einer progredienten Aortenklappeninsuffizienz der hinweisende Befund, dass es sich nicht um einen «normalen» Infarkt handelte.
Aufgrund der geringen Zahl von publizierten Fällen fehlen Daten zum Verlauf und eine spezifische Therapie der Whipple-Endokarditis ist entsprechend nicht etabliert. Somit lehnt man sich bei den Empfehlungen an die allgemeine Therapie des Morbus Whipple an. Nach einer initialen i.v.-Therapie mit Cephalosporinen, Penicillin oder Meropenem wird eine orale Therapie mit Sulfamethoxazol/Trimethoprim für ein Jahr vorgeschlagen [5]. Bei immunsupprimierten Patienten sollte für insgesamt zwei Jahre oral behandelt werden. Eine Therapiekon­trolle kann allenfalls mittels histologischer Beurteilung oder PCR aus einer Duodenum­biopsie erfolgen. Allerdings ist auch hier die Datenlage unsicher.

Das Wichtigste für die Praxis

Bei Patienten mit arthritischen Beschwerden, Anämie und kardialen Sym­ptomen sollte generell immer an eine Endokarditis gedacht werden. Eine Infektion mit Tropheryma whipplei kann per se mit Diarrhoe, Abdominalschmerzen, Gewichtsverlust und Arthropathien einhergehen. Falls dieser Symptomkomplex im Kontext einer Endokarditis auftritt, sollte auch an Tropheryma whipplei als Endokarditis-Erreger gedacht werden, wobei man sich vor Augen führen muss, dass der Erregernachweis sehr schwierig ist und die definitive Diagnose meist erst durch Analyse des gewonnen Klappenmaterials gelingt.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Stephan Köppel, dipl. Arzt
Klinik für Innere Medizin
Kantonales Spital Grabs
Spitalstrasse 44
CH-9472 Grabs
Stephan.koeppel[at]srrws.ch
1 Whipple GH. A hitherto undescribed disease characterized anatomically by deposits off at and fatty acids in the intestinal
and mesenteric lymphatic tissues. Bull John Hopkins Hosp. 1907;41:382–91.
2 Günther U, Moos V, Offenmüller G, Oelkers G, Heise W, Moter A,
et al. Gastrointestinal diagnosis of classical Whipple disease: clinical, endoscopic, and histopathologic features in 191 patients. Medicine (Baltimore). 2015;94:e714.
3 Raoult D, Birg ML, La Scola B, Fournier PE, Enea M, Lepidi H, et al. Cultivation of the bacillus of Whipple’s disease. N Engl J Med. 2000;342:620.
4 Geissdörfer W, Moos V, Moter A, Loddenkemper C, Jansen A, Tandler R, et al. High frequency of Tropheryma whipplei in culture-negative endocarditis. J Clin Microbiol. 2012;50:216–22.
5 Feurle GE, Junga NS, Marth T. Efficacy of ceftriaxone or meropenem as initial therapies in Whipple’s disease. Gastroenterology 2010;138:478–86.