Replik

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Ausgabe
2017/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03003
Schweiz Med Forum 2017;17(23):507

Publiziert am 07.06.2017

Replik

Wir danken Herrn Dr. Dr. Pierre Corbaz für seinen Leserbrief zu unserem Artikel «Ist die fürsorgerische Unterbringung von Urteilsfähigen zulässig?».
Herr Corbaz greift mit dem Beispiel der Suizidalität eine wichtige Frage heraus, bei der die Beurteilung der Urteilsfähigkeit zentral ist. Suizidalität kann verschiedene Ursachen haben: Sie kann Symptom einer psychischen Störung sein; sie kommt aber auch bei Menschen ohne psychische Erkrankung vor. Sodann kann Suizidalität bei Menschen mit psychischen Störungen auch unabhängig von dieser Störung auftreten [1]. In all diesen Fällen ist die Urteilsfähigkeit das zentrale Kriterium, um zwischen zulässiger und unzulässiger Suizidverhinderung zu unterscheiden [2].
Die Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung ist nur dann zulässig, wenn die betroffene Person mit Bezug auf ihren gewünschten Aufenthaltsort urteilsunfähig ist. Wenn eine Person hinsichtlich eines geplanten Suizids urteilsunfähig ist, ist sie immer auch mit Bezug auf die Frage, ob sie zum Beispiel in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden soll – das heisst mit Bezug auf ihren Aufenthaltsort – urteilsunfähig. Dementsprechend ist die Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung bei Menschen, die hinsichtlich eines geplanten Suizids urteilsunfähig sind, zulässig. Die Beurteilung der Urteilsfähigkeit bei akuter Suizidalität ist für den Notfallpsychiater jedoch oft sehr schwierig. Geäusserte akute Suizidalität ist ein Indiz für Urteilsunfähigkeit und führt damit zur Notwendigkeit ­einer genaueren Evaluation. Dafür werden ­jedoch manchmal ein erheblicher zeitlicher Aufwand und mehrere Gespräche benötigt, was in der Notfallsituation oft nicht geleistet werden kann. Somit sollte bei grosser Unsicherheit und gleichzeitiger Unmöglichkeit einer Evaluierung in der Notfallsituation der Schutz des Patienten aus ethischer Sicht im Vordergrund stehen. Eine fürsorgerische Unterbringung kann in diesem Fall angeordnet werden.
Die fürsorgerische Unterbringung ist aber bei suizidalen Menschen dann nicht zulässig, wenn sie hinsichtlich des geplanten Suizids urteilsfähig sind. Es ist mit anderen Worten nicht zulässig, bei allen suizidalen Menschen wegen ihrer Suizidalität eine fürsorgerische Unterbringung anzuordnen. Die fürsorgerische Unterbringung wegen Suizidalität ist nur dann zulässig, wenn die betroffene Person hinsichtlich ihres Suizidwunsches urteilsunfähig ist. Das von Herrn Corbaz ins Feld geführte Beispiel bestätigt somit den Grundsatz, wonach die fürsorgerische Unterbringung nur bei fehlender Urteilsfähigkeit zulässig ist.
Ass.-Prof. Dr. iur. Daniel Hürlimann
Universität St. Gallen
Tellstrasse 2
CH-9000 St.Gallen
daniel.huerlimann[at]unisg.ch
 1 Rippe KP, Schwarzenegger C, Bosshard G, Kiese­wetter M. Urteilsfähigkeit von Menschen mit ­psychischen Störungen und Suizidbeihilfe. SJZ. 2005;53–62 und 81–91.
 2 Soland, Tanja, Suizidverhinderung als Straftat?
Diss. Basel 2011.