Aerogener Übertragungsmodus intestinaler Parasitosen?

Aerogener Übertragungsmodus intestinaler Parasitosen?

Leserbrief
Ausgabe
2017/34
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03048
Schweiz Med Forum 2017;11(34):724

Publiziert am 23.08.2017

Aerogener Übertragungsmodus 
intestinaler Parasitosen?

Leserbrief zu: Benoit TM, Majer S, Nickel B, Traichel B. Ungewöhnliche Ursache einer Eosinophilie. 
Swiss Med Forum. 2017;17(08):201–4.
Der Bericht über eine Eosinophilie und die Symptomatik einer Toxocariose bei einer Frau aus Thailand ist sehr interessant. Wie wird Toxocara übertragen?
Im Rahmen seroepidemiologischer Untersuchungen der Schulkinder von Grabs 1983–2007 [1) untersuchten wir 1986 auch die Sero­reaktivität auf Toxocara («Ascaris von Hund, Katze») [2, 3]. Uns interessierte, ob Schüler mit einem hohen IgE-Wert, speziell ohne Allergien, vermehrt Infektionen mit Parasiten durchgemacht hatten. 3 von 85 Schülern rea­gierten seropositiv auf Toxocara (5%). Überraschend korrelierte dies nicht mit der Haltung von Hunden und Katzen, sondern mit jener von Kaninchen.
Zwei Familien akzeptierten auch eine Untersuchung der Familienmitglieder und ihrer Kaninchen. Bei den Eltern reagierte nur eine Mutter grenzwertig seroreaktiv. Zwei Drittel der untersuchten Geschwister reagierten ebenso seroreaktiv.
Von den 29 untersuchten Kaninchen waren nur zwei in einer Familie seroreaktiv. In dieser Familie wurden neben den Kaninchen zu Hause auch Vögel gezüchtet, die vor Hunden und speziell Katzen geschützt werden mussten. Die beiden seroreaktiven Kaninchen waren alte Rammler (männliche Kaninchen), die überwintert hatten. Sie wurden mit Heu aus einem Stall gefüttert, wo sich viele Hunde und Katzen aufhielten. Somit war eine Übertragung über das Heu gegeben. Die beiden seroreaktiven Kaninchen wurden im Tierspital Bern untersucht. Es konnte histologisch keine invasive Toxocariose nachgewiesen werden. Deshalb ist auch eine Übertragung über Kaninchenfleisch unwahrscheinlich.
Die Menschen essen kein Heu. Bei der Fütterung von Tieren mit gelagertem Heu entstehen aber immense Mengen von Staub. Dieser wird eingeatmet. Auch grosse Partikel sedimentieren in den oberen Atemwegen und werden über den Schleim abtransportiert. Der grösste Teil wird dem Magen-Darm-Trakt zugeführt, das Ziel intestinaler Parasiten. Ihre Eier sind nur etwa dreimal so gross wie übliche Pollen. Ein aerogener Infektionsmodus intestinaler Parasitosen ist deshalb plausibel.
Infektionen mit dem menschenpathogenen Ascaris (A. lumbricoides) bei Schulkindern waren früher sehr häufig, eher in stadtnahen Regionen. 1926 waren in Bümpliz bei Bern 78,8%, in der Stadt 46,1% der Kinder befallen (P. Lauener, zitiert aus [4]). Dies prägte später den Begriff «Schrebergartenkrankheit», weil in den Nachkriegsjahren in Nachbarländern Gülle humaner Provenienz speziell hier angewendet wurde. Ein massiver Ascaris-Befall kann letal verlaufen. 1983/1984 fand Christian Bussmann bei Patienten des Kinderspitals Zürich keine Ascaris-Eier, bei Kindern im Kanton Appenzell-Innerrhoden aber bei 5%. Unterschiede in der Handhygiene, dem Trink- und Abwasser, der Verwendung der Hofgülle zur Düngung der Wiesen, nicht des Hofgärtchens, konnte diese Unterschiede nicht erklären [4].
Seine Zusammenstellung der Häufigkeiten aus der Literatur belegt, dass ein Ascaris-­Befall bei Tropenrückkehrern und Kanalarbeitern seltener nachweisbar ist. Diskutiert wurde eine Übertragung durch Fliegen, nicht die direkte aerogene Übertragung der Askaris-Eier über Heustaub. Diese wäre plausibler als die indirekte über die Fliegen.
Die Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz hat sich im letzten Jahrhundert massiv verändert, zum Beispiel Traktoren, Kunstdünger, Silage [5]. Heute haben Laubbläser die Rechen der Bergbauern und Besen der Stadtgärtner ersetzt. Offensichtlich sind neue aerogene Expositionen entstanden, deren Bedeutung wir nicht kennen. Das Immunsystem auch der heutigen Bevölkerung ist sehr erfolgreich. Deshalb sind zwar Infektionen möglicherweise zunehmend häufiger, Erkrankungen aber selten, vielleicht sogar wegen der üblichen Effizienz unserer eosinophilen Leukozyten mit ihrer IgE-Produktion. Dies gilt für Nematoden, eher nicht für Zestoden (z.B. Echinokokken).
Wenn ein Kind sein fallengelassenes Butterbrot vom Trottoir aufnimmt und isst, nehmen wir ein hohes expositionelles Risiko einer Infektion an. Der Begleitung oder Begegnung mit einem «Laubbläser» in Aktion wird kein Risiko zugeordnet, ob zu Recht, ist nicht bekannt.
Vielleicht ist es für Schwangere sinnvoll, den Laubbläsern nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen, nicht nur wegen aufgewirbelter Eier von Toxocara, auch wegen anderer Parasiten aus dem Kot von Hunden, Katzen, Füchsen und Vögeln. In Aktion sind diese Bläser immerhin gut hörbar.
1 Gassner M. Wüthrich B. Bauernkinder leiden selten an Heuschnupfen und Asthma. Dtsch Med Wschr. 2000;125: 923–31.
2 Stürchler D. Weiss N. Gassner M. Transmission of toxocariasis.J Infect Dis. 1990;162:571.
3 Gassner M. Gualzata M. Weiss N. Stürchler D. Toxocara and Rabbits – Aerogenic Transmission of intestinal Parasites. (Abstr.), 8th Congress of ISAM, Davos, 15.04.1991. J Aerosol Med 1991;4:Suppl.1, 37.
4 Bussmann Ch. Intestinalparasiten bei Schweizer Land- und Stadtkindern mit einer Literatur-Uebersicht zur epidemiologischen Situation in der Schweiz und ihren Nachbarländern. Diss. Zürich 1988.
5 Gassner M. Farmers and Their Environment: Protective Influences of the Farming Environment against the Development of Allergies. Bergmann K-C, Ring J. (eds): History of Allergy. Chem Immunol Allergy. Basel, Karger 2014;100:278–86.