Duodenalulkusperforation ­unter Naproxen
Aktuelles aus den Regionalen Pharmacovigilance-Zentren und Tox Info Suisse

Duodenalulkusperforation ­unter Naproxen

Aktuell
Ausgabe
2017/36
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03053
Schweiz Med Forum 2017;17(36):756-759

Affiliations
Regionales Pharmacovigilance-Zentrum Zürich, Klinik für Klinische Pharmakologie & Toxikologie, UniversitätsSpital Zürich und Universität Zürich

Publiziert am 06.09.2017

Folgen der UAW: Hospitalisation
Verlauf: Besserung
Kausalitätsbeurteilung: Möglich

Der klinische Fall

Aufgrund anhaltender Rückenschmerzen wurde der 71-jährige Patient mit Naproxen (Apranax®) in einer Dosierung von viermal täglich 550 mg p.o. behandelt. Nach vierwöchiger Einnahme dieser Therapie kam es zum Auftreten von Meläna, woraufhin der Patient notfallmässig durch seinen Hausarzt hospitalisiert wurde. Die Eintrittsmedikation ist in Tabelle 1 aufgeführt.
Tabelle 1: Eintrittsmedikation des Patienten.
ArzneimittelMorgensMittagsAbendsNachts
Novalgin® (Metamizol-Na) 500 mg1000
Lisinopril 20 mg1000
Apranax® (Naproxen-Na) 550 mg1111
Exforge HCT®
(Amlodipin 10 mg, 
Val­sartan 160 mg, Hydro­chlorothiazid 125 mg)
1000
Laborchemisch zeigte sich ein Hämoglobinwert von 80 g/l (Norm: 134–170 g/l), das Laktat lag bei 7 mmol/l bei mittelgradig eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR 34 ml/min). Bei Oberbauch-betonten Schmerzen kam es auf der Notfallaufnahme zu einem Kollaps, weshalb akut ein Computertomogramm des Abdomens durchgeführt wurde. Hier zeigte sich intra­peritoneal freie Luft bei Verdacht auf eine Duodenalperforation. Es erfolgte notfallmässig eine mediane Laparotomie mit Omentumplombe und Pylorusplastik bei postpylorischer Duodenalperforation. Postoperativ wurde der Patient mit septischem Schock bei Hohlorganperforation auf die Intensiv­station verlegt. Der Patient entwickelte in weiterer Folge ein Multiorganversagen mit Nierenversagen, respiratorischer Insuffizienz und Kreislaufversagen. Der Patient war zehn Tage intensivpflichtig, konnte aber schliesslich nach fünf Wochen in die Rehabilitation entlassen werden.
Weitere Komorbiditäten waren neben dem lumbosakralen Schmerzsyndrom eine bekannte arterielle Hypertonie bei Adipositas Grad III mit einem BMI von 41 kg/m2.
Ausserdem war bekannt, dass bereits sieben Jahre zuvor ein peptisches Ulkus mit Pylorus-Ausgangsstenose dia­gnostiziert wurde und eine Helicobacter pylori-Eradikation erfolgt war.
Anamnestisch konsumierte der Patient ca. 1 Liter Bier pro Tag und war Ex-Raucher mit 60 Packyears und Sistierung vor 30 Jahren.

Klinisch-pharmakolgische Beurteilung

Naproxen ist ein nichtsteroidales Antirheumatikum (NSAR) aus der Gruppe der Arylpriopionsäure-Derivate. In Tabelle 2 sind Wirkmechanismus, Indikationen und Kontraindikationen von Naproxen aufgelistet. Die ausgeprägte entzündungshemmende Wirkung ist auf die Hemmung der Prostaglandinsynthese durch Inhibition des Isoenzyms COX-2 (Cylcooxygenase 2) ­zurückzuführen [1]. Prostaglandine wie PGE2 jedoch schützen die Schleimhäute gegen Salzsäure und Pepsin durch Stimulation von Glykoprotein-, Bicarbonat- und Phospholipidsekretion der epithelialen Zellen. Des Weiteren werden durch Prostaglandine der mukosale Blutfluss angerregt und der Sauerstofftransport zu den epithelialen Zellen durch lokale Vasodilatation erleichtert. Auch die Schleimhauterneuerung wird unterstützt. Besonders das Isoenzym COX-1, das in der Magen- und Duodenalmukosa konstitutiv exprimiert wird, spielt für diese Schutzfunktion eine Rolle [2, 3].
Tabelle 2: Naproxen mit zugelassenen Präparaten in der Schweiz, Wirkmechanismus, Indikationen und Kontraindikationen.
Schweizer PräparateApranax®, Aleve®, Naproxen-Mepha Lactab®, Proxen®, Vimovo®*
WirkmechanismusNaproxen wirkt analgetisch, antipyretisch und antiphlogistisch durch Hemmung der ­Prostaglandinsynthese in Folge der Inhibition des Isoenzyms Cyclooxygenase 2.
IndikationenEntzündliche und degenerative Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises
Extraartikulärer Rheumatismus
Juvenile rheumatoide Arthritis
Akute Gichtarthritis
Dysmenorrhoe, Menstruationsschmerzen
Postoperative und traumatische Schmerzen
(Zahn-, Kopf-, Gelenks-)Schmerzen
Fieber bei grippalen Erkrankungen
KontraindikationenAnamnestisch bekannte Magen- und/oder Duodenalulzera, gastrointestinale Blutungen 
oder Perforationen
Entzündliche Darmerkrankungen (z.B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa)
Schwere Leber-, Nieren- oder Herzinsuffizienz
Leberfunktionsstörungen
Überempfindlichkeit gegenüber Naproxen oder Hilfsstoffen
Anamnestisch bekannte allergische Reaktionen nach der Einnahme von Naproxen
Drittes Trimenon der Schwangerschaft
Kinder unter zwei Jahren
Behandlung postoperativer Schmerzen nach einer koronaren Bypass-Operation
* Vimovo® enthält neben dem Wirkstoff Naproxen auch den Protonenpumpenhemmer Esomeprazol. Daher unterscheidet sich dieses Präparat in ­Indikationen und Kontraindikationen von den übrigen vier Präparaten.
Die Elimination der inaktiven Metabolite von Naproxen erfolgt hauptsächlich renal, daher besteht bei Patienten mit Niereninsuffizienz grundsätzlich die Möglichkeit einer Kumulation – beim vorliegenden Patienten war die Nierenfunktion mittelgradig eingeschränkt. Auch können NSAR die Nierenfunktion verschlechtern.
In der Schweizer Fachinformation zu Apranax® sind als gelegentlich auftretende unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) gastrointestinale Blutungen und/oder Perforationen aufgeführt. Aktive oder früher durch­gemachte Magen- und/oder Duodenalulzera, gastrointestinale Blutungen oder Perforation stellen formal Kontraindikationen für eine Therapie mit Apranax® dar. Bei Patienten mit Magen-Darm-Krankheiten in der Anamnese – wie beim vorliegenden Patienten – sollte es, wenn überhaupt, nur unter engmaschiger Überwachung gegeben werden.
Gastrointestinale Blutungen, Ulzera oder Perforationen, die lebensbedrohlich sein können, sind bei der Therapie mit sämtlichen NSAR zu jedem Zeitpunkt der Behandlung gemeldet worden. Diese UAW traten mit oder ohne vorherige Warnsymptome oder Vorgeschichte schwerer gastrointestinaler Ereignisse auf. Bei betagten Patienten treten UAW unter NSAR häufiger auf; dabei handelt es sich vor allem um gastrointestinale Blutungen und Perforationen, die lebensbedrohlich sein können. Wie bei anderen NSAR, kann mit Naproxen die Häufigkeit und der Schweregrad gastrointestinaler Komplikationen mit zunehmender Dosis und Behandlungsdauer steigen. Eine Erhöhung des Risikos war bereits sieben Tage nach Therapiebeginn erkennbar [1]. Beim vorliegenden Patienten wurde die Therapie mit Naproxen für ca. vier Wochen durchgeführt in einer Tagesdosis von 2 200 mg. Für Erwachsene wird bei Gelenkerkrankungen eine tägliche Erhaltungsdosis von 550–1 100 mg empfohlen. Weitere Risikofaktoren für NSAR-bedingte gastroduodenale Toxizität sind positive Ulkusanamnese, duale Plättchenaggregationshemmung, Antikoagulation oder auch Glukokortikoidverabreichung neben Tabak- und Alkoholkonsum [4, 5]. In einer Metaanalyse von Richy et al. wurde das höchste Risiko für gastrointestinale Komplikationen unter NSAR für Indometacin, gefolgt von Naproxen (Relatives Risiko 1,83) gefunden [6].
In einer randomisierten Studie von Chan und Mitarbeitern konnte gezeigt werden, dass eine Helicobacter pylori-Eradikation vor Beginn einer NSAR-Therapie das Auftreten von NSAR-bedingten peptischen Ulzera reduziert [7]. Eine Testung auf Helicobacter pylori bzw. eine Eradikation vor Beginn einer NSAR-Therapie wird ebenfalls bei Patienten mit Ulkusanamnese empfohlen [8]. Protonenpumpenhemmer (PPI) inhibieren die K+/H+-ATPase der Belegzellen in der Magenschleimhaut und reduzieren so die Magensäuresekretion, wodurch wiederum der pH-Wert des Magens ansteigt. PPI ver­fügen über einen Nutzen bei der Therapie von Helicobacter pylori-assoziierten sowie NSAR-abhängigen Ulzera. In der Prävention von NSAR-induzierten Ulzera haben sich PPI als effektiver als H2-Rezeptorantagonisten erwiesen. Das Prostaglandin-E-Derivat Misoprostol kann Prostaglandine, die aufgrund einer NSAR-Therapie reduziert sind, ersetzen und die schützende Funktion auf die Magen- und Duodenalmukosa erhalten [8–11].
Zwischen der Anwendung von Naproxen und dem Auftreten einer UAW (Duodenalulkusperforation) besteht im vorliegenden Fall ein zeitlicher Zusammenhang. Bei Besserung im weiteren Verlauf kann das chirurgisch unterstütze Abklingen der Symptomatik nur bedingt als positive Dechallenge bewertet werden. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass bei dem Patienten 2009 eine Heliobacter pylori-Eradikation bei Pylorus-Ausgangsstenose bei peptischem Ulcus ventriculi bekannt war. Andere Präparate wie Paracetamol, COX-2-selektive Coxibe oder eine prophylaktische Therapie mit PPI, Prostaglandinderivaten wie Misoprostol oder H2-Rezeptorantagonisten, begleitend zur NSAR-Therapie, wären bei diesem Patienten gegebenenfalls weitere ­Alternativen gewesen.
Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs, der guten Dokumentation in der Fachinformation und Literatur, jedoch möglicher anderer, zusätzlicher nicht-medikamentöser Risikofaktoren, wurde die Kausalität zwischen dem Auftreten der Duodenalulkusperforation und der Einnahme von Naproxen gemäss WHO/CIOMS-Kriterien im vorliegenden Fall formal als möglich beurteilt.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
PD Dr. med. Stefan Weiler, PhD, MHBA
Klinik für Klinische Pharmakologie und Toxikologie
UniversitätsSpital Zürich
CH-8091 Zürich
stefan.weiler[at]usz.ch
 1 Arzneimittelinformation der Swissmedic Apranax®
(www.swissmedicinfo.ch; 21.04.2017)
 2 Feldman M. NSAIDs (including aspirin): Secondary prevention of gastroduodenal toxicity. In: UpToDate, S Grover (Ed), UpToDate, Waltham, MA. (Zugriff am 09.05.2017).
 3 Feldman M. NSAIDSs (including aspirin): Primary prevention of gastroduodenal toxicity. In: UpToDate, s Grover (Ed) (Zugriff am 10.05.2017).
 4 Vakil N. Peptic ulcer disease: Genetic, environmental, and psychological risk factors and pathogenesis. In: UpToDate, S Grover (Ed) (Zugriff am 09.05.2017).
 5 M Cahalane. Overview of gastrointestinal tract perforation. In UpToDate, W Chen (Ed), UpToDate (Zugriff am 09.05.2017).
 6 Richy F, et al. Time dependent risk of gastrointestinal complications induced by non-steroidal anti-inflammatory drug use: a consensus statement using a meta-analytic approach. Ann Rheum Dis. 2004;63(7):759.
 7 Chan FK, et al. Randomised trial of eradication og Helicobacter pylori before non-steroidal anti-inflammatory drug therapy to prevent peptic ulcers. Lancet. 1997;350(9083):975.
 8 D H Solomon. Overview of selective COX-2 inhibitors. In: ­UpToDate, P Romain (Ed), UpToDate (Zugriff am 09.05.2017).
 9 C Scarpignato et al. Effective and safe proton pump inhibitor therapy in acid-related diseases – A position paper addressing benefits and potential harms of acid suppression. BMC Medicine. 2016;14:179.
10 Nissen S, et al. Cardiovascular Safety of Celecoxib, Naproxen, or Ibuprofen for Arthritis. N Engl J Med. 2016;375;26:2519–29.
11 Labenz J, et al. Primary prevention of diclofenac associated ulcers and dyspepsia by omeprazole or triple therapy in Helicobacter pylori positive patients: a randomised, double blind, placebo controlled, clinical trial. Gut. 2002;51(3):329.