Meldepflichtige Infektionskrankheiten
Was ist neu?

Meldepflichtige Infektionskrankheiten

Übersichtsartikel AIM
Ausgabe
2017/36
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03054
Schweiz Med Forum 2017;17(36):767-774

Affiliations
a Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene, Universitätsspital Basel
b Bundesamt für Gesundheit (BAG)

Publiziert am 06.09.2017

In Zeiten der Globalisierung und vermehrten Migrationsbewegungen können sich lokale Ausbrüche übertragbarer Infektionskrankheiten rasch zu einer internationalen Bedrohung ausweiten. Nationale und internationale Beispiele der letzten 40 Jahre zeigen, dass zur effizienten Bekämpfung die Entwicklung und Implementierung eines gut funktionierenden Meldewesens von grosser Bedeutung ist.

Einleitung

Zeitgleich mit dem revidierten Epidemiengesetz sind am 1. Januar 2016 auch die Verordnung über die Bekäm­pfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemienverordnung, EpV) sowie die Verordnung des Eidgenössischen Departements des Inneren (EDI) über die Meldung von Beobachtungen übertragbarer Krankheiten des Menschen in Kraft getreten (auch Melde-VO genannt).
Der vorliegende Artikel beleuchtet die Wichtigkeit der Meldepflicht anhand von historischen nationalen und internationalen Beispielen wie AIDS, Listerien, EHEC/HUS, SARS, Ebola- und Zika-Fieber und erläutert die Anpassungen der Verordnung sowie die Neuerungen ab 2016 im Detail (Abb. 1).
Abbildung 1: BAG-Poster «Meldepflichtige übertragbare Krankheiten und Erreger» in alphabetischer Reihenfolge 
(Zika fehlt noch) [27]. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Abrufbar unter: 
 https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/themen/mensch-gesundheit/uebertragbare-krankheiten/meldesysteme-infektionskrankheiten/meldepflichtige-ik.html .

Meldepflichtige Krankheiten gestern und heute – historische Schlaglichter

AIDS/HIV 1981 bis dato: von der Entdeckung ­
bis zur aktuellen Präventionskampagne

Zu Beginn der 1980er-Jahre machen Ärzte in den USA die Beobachtung, dass bis anhin gesunde, junge Männer an schweren opportunistischen Infektionen erkranken. Am 5. Juni 1981 erscheint im «Morbidity and Mortality Weekly Report» (MMWR) erstmals ein Artikel über eine Fallserie von fünf Patienten mit bioptisch gesicherter Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie. Bei den Betroffenen handelt es sich allesamt um junge homosexuelle Männer, welche im Zeitraum von Oktober 1980 bis Mai 1981 an verschiedenen Spitälern in Los Angeles behandelt wurden. Recherchen anhand weiterer Fallberichte zeigen eine mit dem Phänomen korrelierende erworbene T-Zelldefizienz [1]. 1982 wird der Erkrankung der Name «Acquired Immune Deficiency Syndrome» (AIDS) gegeben [2], 1983 kann das «Human Immunodeficiency Virus» (HIV) isoliert und mit AIDS in Verbindung gebracht werden [3].
Die Krankheit breitet sich rasch aus, auch in der Schweiz werden Fälle dokumentiert. Eine gross angelegte Präventionskampagne wird vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) lanciert und bis heute fortgeführt. Als erstes Land finanziert die Schweiz ab 1988 eine na­tionale prospektive Kohorte [4], welche bis heute massgeblich zur Optimierung der Diagnose- und Therapiestrategien beigetragen hat. Nichtsdestotrotz bleibt die Zahl der Neudiagnosen in den letzten Jahren stabil bei 500–600 pro Jahr [5].

Listerien-Ausbruch 1983–1987: Schweizer Käse führt zu internationalem Aufruhr

Jährlich werden in der Schweiz durchschnittlich 40 bis 50 Fälle von Listeriose gemeldet [6]. Im Winter 1983/84 fällt im Kanton Waadt und den Nachbarskantonen eine aussergewöhnliche Häufung auf: In Lausanne wird ein Cluster von 25 Erkrankungen gemeldet, weitere 15 Fälle in Genf und Neuchâtel. Neben der zeitlich-saisonalen Häufung betreffen die aktuellen Fälle hauptsächlich vorgängig gesunde Patienten; zudem wird ein ungewöhnlich hoher Anteil an Meningoenzephalitis und Letalität verzeichnet [7]. Epidemiologische Studien werden eingeleitet und in einer Fall-Kontroll-Studie zeigt sich, dass 84% aller Erkrankten vorgängig «Vacherin Mont d’Or» konsumiert haben. Weitere Lebensmittelanalysen bestätigen den Verdacht, sodass am 20. November 1987 die Herstellung und der Verkauf des berühmten Waadtländer Weichkäses verboten und die vorrätigen rund 2000 Tonnen vernichtet werden. Lebensmittelkontrolleure beschlagnahmen die ausgelieferten Bestände, die World Health Organisation (WHO) wird informiert und der kontaminierte Käse auch im Ausland eingezogen [8].

EHEC/HUS-Epidemie 2011: wenn Gemüse vermeintlich krank macht

Anfang Mai 2011 erkranken in Hamburg und Umgebung mehrere Personen an blutigen Durchfällen, ausgelöst durch eine Infektion mit «entero-hämorrhagischen Escherichia coli» (EHEC). Innert kurzer Zeit werden dem Gesundheitsamt Hamburg als Komplikation mehrere Fälle von «hämolytisch-urämischem Syndrom» (HUS) gemeldet. Aufgrund dieser Häufung werden durch das Robert Koch-Institut (RKI) bereits am Folgetag weitere Untersuchungen eingeleitet. Als Auslöser wird ein – wahrscheinlich durch Lebensmittel übertragener – neuer und äusserst pathogener EHEC-Stamm vom Serotyp O104:H4 identifiziert [9]. Eine erste Fall-Kontroll-Studie weist daraufhin, dass die Übertragung durch den Verzehr von rohem Gemüse erfolgt, sodass am 25. Mai 2011 in Norddeutschland von offizieller Seite vom Konsum von rohen Tomaten, Gurken und Blattsalaten abgeraten wird [10]. Die Epidemie befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt mit 161 neuen EHEC-Infektionen sowie 63 neuen HUS-Erkrankungen an einem Tag; die Bevölkerung reagiert entsprechend verunsichert.
Weitere epidemiologische Studien stellen schliesslich eine Verbindung zu einem niedersächsischen Sprossenlieferanten her [11]; das RKI und nachfolgend auch die WHO, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und das «European Centre for Disease Prevention and Control» (ECDC) raten nun vom Verzehr von rohen Sprossen ab. Es wird vermutet, dass kontaminierte, aus Ägypten importierte Bockshornkleesamen, die zur Sprossenproduktion verwendet wurden, die Ursache für die EHEC-Epidemie darstellen. Auch wenn kein direkter Erregernachweis auf den Lebensmitteln gelingt, werden mehrere Chargen von Bockshornkleesamen aus Ägypten zurückgenommen und die Einfuhr vorübergehend verboten.
Am 26. Juli 2011 wird die Epidemie vom RKI offiziell als beendet erklärt. Insgesamt ist es während dem Ausbruch zu 3816 Erkrankungen mit 54 Todesfällen gekommen [12].

SARS-Pandemie 2002–2003: die erste Seuche des 21. Jahrhunderts

Der Ursprung der Pandemie ist auf eine südchinesische Provinz zurückzuführen, wo im November 2002 ein Bauer an einer atypischen Pneumonie erkrankt. Eine weitere Person wird im Spital behandelt und steckt nachweislich mehrere medizinische Angestellte an [13].
Ende Januar 2003 werden die chinesischen Behörden über das Auftreten einer bislang unbekannten, sich rasch ausbreitenden Lungenerkrankung mit mehreren Todesfällen informiert, ohne dass weitere Massnahmen ergriffen werden. Am 11. Februar 2003 wird zwar Meldung an die WHO erstattet [14], wenige Tage später aber berichtet die chinesische Regierung, der Ausbruch sei unter Kontrolle.
Am 21. Februar 2003 reist ein – zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankter – Pneumologe an eine Hochzeit nach Hongkong. Innert kurzer Zeit steckt er dort ein Dutzend Hotelgäste an, welche das Virus mittels Interkontinentalflügen in die Welt tragen. Die WHO errechnet später, dass ca. 4000 SARS-Erkrankungen weltweit auf diesen sogenannten «superspreader» zurückzuführen sind [13, 14]. Es kommt zu Ausbrüchen in Vietnam, Singapur und Kanada.
Am 12. März 2003 löst die WHO einen weltweiten Alarm aus [15]; intensive Abklärungen werden in die Wege geleitet und Reisewarnungen herausgegeben. Die Erkrankung erhält den Namen «Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom» (SARS), als Auslöser kann ein neues Coronavirus identifiziert werden [16]. Währenddessen steht in Hongkong das öffentliche Leben still und der Bundesrat der Schweiz fasst den Beschluss, an der Schmuck- und Uhrenmesse in Basel und Zürich kein Verkaufspersonal aus den Risikoländern Hongkong, China, Singapur und Vietnam zuzulassen. Daraus resultiert eine erhebliche Einbusse auf die ungefähr 18 Milliarden Umsatz während der Messe, die Messe in Zürich wird sistiert.
Am 28. April 2003 wird in Vietnam der Ausbruch für beendet erklärt, in den folgenden Wochen auch in Singapur und Hongkong. Im Juli 2003 gibt die WHO Entwarnung in Bezug auf SARS [13].
Als Folge dieser Pandemie bleibt die Erkenntnis, in welcher Dimension und mit welcher Dynamik ein lokaler Ausbruch sich in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts zu einer internationalen Bedrohung ausweiten kann und dass derartige Epidemien sowohl wirtschaftliche als auch sozialpolitische Folgen haben können. Die WHO beschliesst umgehend, das aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts stammende Internationale Sanitätsreglement zu revidieren. Im Mai 2005 verabschiedet die Weltgesundheitsversammlung die Internationalen Gesundheitsvorschriften 2005; diese treten in der Schweiz 2007 in Kraft und beeinflussen die Revision des Epidemiengesetzes massgeblich. Die SARS-Pandemie war somit also der konkrete Auslöser für die Revision des Epidemiengesetzes, das am 1.1.2016 in Kraft getreten ist.

Ebola-Epidemie in Westafrika 2014–2015: eine neue Bedrohung

Ende Dezember 2013 erkrankt in Guinea der erste Pa­tient an Ebola-Fieber, einer Infektionskrankheit aus der Gruppe der viralen hämorrhagischen Fieber. In den folgenden Wochen kommt es im Südosten des Landes zu weiteren 49 Erkrankungsfällen. Am 23. März 2014, drei Monate nach dem ersten Erkrankungsfall, wird die WHO offiziell über einen Ebola-Ausbruch in Guinea informiert [17].
Bald werden in den Nachbarländern Sierra Leone und Liberia Ebola-Erkrankungen gemeldet. Als auch in Nigeria Fälle auftreten, erklärt die WHO im August 2014 die aktuelle Ebola-Epidemie in Westafrika als «gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite». Zu diesem Zeitpunkt sind bereits 1711 Fälle von Ebola-Erkrankungen mit 932 Todesfällen bekannt [18]; es handelt sich um den grössten Ebola-Ausbruch der Geschichte.
In der Folge wird in den betroffenen Ländern der Notstand ausgerufen und die Grenzen teilweise geschlossen. Weltweit werden Vorsichtsmassnahmen ergriffen; in der Schweiz wird unter anderem Anfang August 2014 vom BAG eine Task Force ins Leben gerufen, mehrere Schweizer Spitäler richten vorsorglich eine Ebola-Station ein. Ein Arzt, welcher sich während eines Einsatzes in Sierra Leone infiziert hat, wird im November/Dezember 2014 16 Tage lang stationär in Genf behandelt.
Im Oktober 2014 kommt es zu ersten Ebola-Erkrankungen ausserhalb von Afrika, namentlich in den USA und Spanien, auch mit Übertragungen auf das medizinische Personal. Neben der Suche nach einer Therapie wird in die Entwicklung eines Impfstoffes investiert; dieser wird im Verlauf der Epidemie teilweise erfolgreich eingesetzt [19].
Im Jahr 2015 sinkt die Zahl der Neuansteckungen, ab August 2015 kommt es nur noch zu sporadischen Erkrankungen. Am 29. März 2016 verkündet die WHO das Ende der «gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite». Ende des Ebola-Ausbruchs in Sierra Leone ist offiziell am 17. März 2016, in Guinea am 1. Juni 2016 und in Liberia am 9. Juni 2016. Gemäss Angaben der WHO wurden in diesen drei Ländern insgesamt 28 616 Fälle von Ebola-Fieber gemeldet, darunter 11 310 Todesfälle [20].
Die humanitären und wirtschaftlichen Folgen dieser Epidemie machen sich bis heute bemerkbar. Insbesondere die hohen Ansteckungsraten des Spitalpersonals hinterlassen ihre Spuren in der Gesundheitsversorgung. Rascheres Melden und Eingreifen der Gesundheitsbehörden beziehungsweise eine bessere Infrastruktur hätten das Ausmass dieser Epidemie wesentlich verringern könnten.

Zika-Virus-Infektionen 2015–dato: von ­«harmless to harmful»

Das Zika-Virus, in erster Linie durch den Stich von infizierten Aedes-Mücken übertragen, wird erstmals 1947 im «Zika Forest» in Uganda isoliert. Zu Beginn treten Erkrankungen sporadisch in Asien und Afrika auf, ein erster Ausbruch wird 2007 auf einer Insel in Mikronesien dokumentiert. 2013–2014 folgen weitere Ausbrüche in Französisch-Polynesien, welche zu diesem Zeitpunkt weltweit wenig Beachtung finden [21].
Am 29. März 2015 informiert Brasilien die WHO erstmals über das gehäufte Auftreten einer milden, fieberhaften Erkrankung im Nordosten des Landes, die selbstlimitierend ist und mit einem Exanthem einhergeht. Im Mai 2015 bestätigt das nationale Referenzlabor von Brasilien, dass Zika-Virus im Umlauf ist, woraufhin die WHO Empfehlungen zur Surveillance und Testung veröffentlicht [22]. Ab November 2015 werden Fälle von autochthonen Zika-Virus-Transmissionen in mehreren lateinamerikanischen Ländern und der Karibik gemeldet.
Gleichzeitig deklariert Brasilien im November 2015 einen nationalen «Public Health Notfall» wegen eines aus­sergewöhnlichen Anstieges von Neugeborenen mit Mikrozephalie sowie gehäuften Auftretens von neurologischen Symptomen in Zusammenhang mit Infektionen [23]. Im Verlauf verdichten sich die Hinweise einer ursächlichen Beziehung zwischen der Zika-Virus-Infektion in der Schwangerschaft und einer Mikrozephalie des Neugeborenen: Zika-Virus kann in Amnionflüssigkeit sowie in Blut- und Gewebeproben von Neugeborenen mit Mikrozephalie nachgewiesen werden [24]. Aufgrunddessen erklärt die WHO am 1. Februar 2016 die Epidemie zur «gesundheitlichen Notlage von interna­tionaler Tragweite» [25]. Es folgen Reiseempfehlungen, die schwangeren Frauen von Reisen in Gebiete, in denen Zika-Virus endemisch vorkommt, abraten. Zynischerweise werden aber den Frauen in den betroffenen Ländern nur dürftige Empfehlungen abgegeben. Nach Diskussionen wird entschieden, dass die olympischen Sommerspiele 2016 dennoch wie geplant in Rio de Janeiro stattfinden sollen.
Die WHO lanciert einen «Strategie-Plan» mit Fokus auf Prävention und Management von Komplikationen. Vermehrt wird in die Vektorkontrolle und die Entwicklung von Impfungen investiert.
Am 18. November 2016 hat sich die Lage soweit stabilisiert, dass die WHO den globalen Notstand für beendet erklärt [23]. Die Bemühungen hinsichtlich Prävention sowie die Reisewarnungen für Schwangere werden fortgesetzt, ebenso bleibt die Verunsicherung.

… und morgen?

Im Februar 2017 warnt Bill Gates an der Sicherheitskonferenz in München vor einer globalen Pandemie und stuft eine solche als eine der drei grössten weltweiten Bedrohungen der Zukunft ein – neben dem Klimawandel und dem Risiko eines nuklearen Krieges. Gleichzeitig wirbt er für die im September 2016 gegründete öffentlich-private «Coalition for Epidemic Preparedness Innovations» (CEPI) zur Bekämpfung von Seuchenausbrüchen.
Derweilen werden in der Schweiz im Dezember 2016 die ersten zwei Fälle von Andes-Hantavirus in Bern gemeldet: Ein Ehepaar erkrankt nach einer dreimonatigen Südamerika-Reise an einem Hantavirus-induzierten kardiopulmonalen Syndrom (HPS) und wird auf der Intensivstation im Inselspital Bern behandelt. Das Andesvirus ist das bisher einzige bekannte Hantavirus, das auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann; dank rascher Reaktion und Einhalten von Isolationsmassnahmen konnten nosokomiale Übertragungen in diesem Fall glücklicherweise verhindert werden [26].
Wachsamkeit ist somit auch hierzulande angebracht, insbesondere da die Schweizer Bevölkerung aufgrund des Wohlstands mehr reist als der Durchschnitt in Europa. Nichtsdestotrotz ist aber festzuhalten, dass «Häufungen von seltenen und gefährlichen Infektionskrankheiten» in der Schweiz wohl eher die Ausnahme sind.

Meldepflicht: wozu melden?

Obige Beispiele machen es deutlich: Die Überwachung von übertragbaren Krankheiten mit Risiko für die öffentliche Gesundheit ermöglicht, Ausbrüche zeitnah zu erkennen. Nur was frühzeitig erkannt wird, kann wirkungsvoll beeinflusst werden. Dies gilt für «alte Bekannte» wie zum Beispiel die Masern und Tuberkulose, aber auch für neuartige und/oder ungewöhnliche Gesundheitsbedrohungen wie beispielsweise Antibiotikaresistenzen oder seltene Hantaviren.
Besonders in Zeiten der Globalisierung und vermehrter Migrationsbewegungen sind rasches Erkennen und Handeln gefragt, denn lokale Ausbrüche können sich schnell zu einer internationalen Bedrohung ausweiten. Auch zukünftig ist es entscheidend, den Fokus auf die Entwicklung und Implementierung von Präven­tionsmassnahmen wie zum Beispiel Reiseempfehlungen oder Sensibilisierungskampagnen zu setzen.
Als Grundlage der Erfassung dient ein obligatorisches Meldesystem, das in der Schweiz vom BAG in Zusammenarbeit mit den Kantonsärztlichen Diensten (KAD), den Laboratorien und der Ärzteschaft betrieben wird. Seit dem 1.1.2016 ist die Früherkennung von seltenen, gefährlichen und unbekannten Erregern im Rahmen des neuen Epidemiengesetzes explizit gesetzlich vorgeschrieben. Für diese Themen sowie für Häufungen existieren eigene Meldeformulare.

Was wird gemeldet:


– Aussergewöhnlicher klinischer oder laboranalytischer Befund:
Konkret klinischer Befund oder Todesfall, der auf eine ungewöhnliche oder unerwartete übertragbare Krankheit schlies­sen lässt (Erreger, Schweregrad)
und
Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erfordern könnte.
Häufung von klinischen oder laboranalytischen Befunden:
Konkret Krankheits- oder Todesfälle, die das zu erwartende Ausmass übersteigen (Ort, Zeitraum)
und
mutmasslich auf eine übertragbare Krankheit zurückzuführen sind
und
Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erfordern könnten
(z.B. Häufungen von gastrointestinalen [Noroviren, Salmonellen], lebensmittelübertragenen [enterohämorrhagische E.coli, Listerien], respiratorischen [Bordetella pertussis, Legionellen] oder anderen Erregern).
Weitere definierte Erkrankungen und Erreger (Abb. 1)

Neuerungen

Grundsätzlich hat sich beim obligatorischen Meldesystem nichts geändert. Meldepflichtig sind weiterhin Ärztinnen, Ärzte, Spitäler und Laboratorien im Rahmen ihrer Tätigkeit der Diagnose und Behandlung von übertragbaren Krankheiten.
Der Meldeweg bleibt derselbe: Ärztinnen und Ärzte melden weiterhin an KAD und Laboratorien zusätzlich ans BAG. Ärztinnen und Ärzte melden seit 2016 in der Regel nur noch einmal. Zeitnah nach der Diagnosestellung, das heisst innert der vorgegebenen Meldefrist von 2 bzw. 24 Stunden bzw. 1 Woche (Abb. 2), ist eine Meldung zum klinischen Befund (Abb. 3) zu übermitteln. Diese ersetzt die bisherige Kombination von Arzt-Erstmeldung und Ergänzungsmeldung. Lediglich bei Tuberkulose, Masern, kongenitalen Röteln und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit sind die im Krankheits- respektive Behandlungsverlauf anfallenden Informationen auf einem zweiten Formular, der Ergänzungsmeldung zum klinischen Befund, zu übermitteln. Bei einigen Beobachtungen wurden die Meldefristen angepasst. Auch sind seit 2016 alle nachgewiesenen Carbapenemase-bildenden Enterobacteriaceae respektive Zika-Virus-Infektionen meldepflichtig.
Abbildung 2: Übersicht über meldepflichtige übertragbare Krankheiten mit der gesetzlichen Meldefrist [27] 
(Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Bundesamtes für Gesundheit). Abrufbar unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/themen/mensch-gesundheit/uebertragbare-krankheiten/meldesysteme-infektionskrankheiten/meldepflichtige-ik.html .
Abbildung 3: Meldeformular «Meldung zum klinischen Befund» am Beispiel der Tuberkulose [28] (Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Bundesamtes für Gesundheit). Abrufbar unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/themen/mensch-gesundheit/uebertragbare-krankheiten/meldesysteme-infektionskrankheiten/meldepflichtige-ik/meldeformulare.html .
Laboratorien übermitteln mit der Meldung zum labordiagnostischen Befund wie bisher vor allem die Zeichen einer frischen oder diejenigen einer neu entdeckten Infektion. Die Einzelmeldung negativer Befunde ist bei Erregern mit raschem Interventionsbedarf wichtig, damit auf allen Stufen das Signal zur Entwarnung gegeben und allfällig durch den KAD angeordnete Massnahmen aufgehoben werden können. Diese Meldepflicht von negativen Laborbefunden wurde neu für vier Beobachtungen, die der 24-Stunden-Meldefrist unterliegen, eingeführt: beim negativen Test auf das Toxin-Gen bei Corynebacterium diphteriae und anderen toxinbildenden Corynebakterien sowie beim negativen Befund von Gelbfieber, Masern und Tollwut. Entsprechend nicht zu melden sind die labordiagnostischen Befunde von Abklärungen zum Immunstatus (d.h. ohne Hinweise auf eine akute Infektion; bei Masern z.B. sollen nur PCR-basierte negative Befunde gemeldet werden).
Um der Dynamik von Entwicklung und Einsatz dia­gnostischer Methoden gerecht zu werden, verzichtet die revidierte Meldeverordnung bei den meisten Beobachtungen auf die Vorgabe von Methoden. Diese sind auf dem Labormeldeformular aufgeführt.
Gemäss Art. 4 und 12 der Epidemienverordnung haben die Spitäler neu die Pflicht, die Meldetätigkeit zu unterstützen, indem sie gegenüber dem BAG und den KAD eine Anlaufstelle für Auskünfte zu meldepflichtigen Beobachtungen bezeichnen. Weiterhin gilt jedoch, dass keine Vorgaben gemacht werden, die darauf abzielen, Daten respektive Proben primär zuhanden der Gesundheitsbehörden bereitzustellen.

Schlussfolgerung

Für die Früherkennung und Überwachung meldepflichtiger Infektionskrankheiten ist eine zeitnahe Meldung an die Gesundheitsbehörden essentiell. Der «Leitfaden zur Meldepflicht» sowie ein Übersichtsflyer erläutern die Gründe für die Meldepflicht sowie die Empfehlungen und Massnahmen, die aufgrund der Erkenntnisse aus der Überwachung abgeleitet werden (alle Unterlagen sind zu finden unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/themen/mensch-gesundheit/uebertragbare-krankheiten/meldesysteme-infektionskrankheiten/meldepflichtige-ik.html). Basierend auf den Erkenntnissen aus der Überwachung können rasch Massnahmen zur Prävention und Bekämpfung entwickelt oder eingeleitet werden. Diese umfassen auf Ebene Bund zum Beispiel Lageberichte zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Verwaltung (z.B. zu Zika-Virus-Infektionen oder zum Ebola-Fieber), Information der Kantonsärzteschaft und der Laboratorien (z.B. bei Auftreten eines seltenen/neuartigen Erregers), Impfempfehlungen zuhanden der Ärzteschaft, Ausbruchsuntersuchungen (z.B. bei Häufungen von lebensmittelbedingten Erkrankungen) oder Informa­tionskampagnen in bestimmten Zielgruppen (z.B. zu HIV und anderen sexuell übertagbaren Krankheiten). Auf kantonaler Ebene können Umgebungsuntersuchungen (z.B. bei Verdacht auf Tuberkulose), Schulausschlüsse (z.B. wenn ungeimpfte Schüler Kontakt mit einem Masernfall hatten), postexpositionelle Prophylaxen (z.B. bei Kontaktpersonen eines Falls von invasiven Meningokokken) sowie Setting-spezifische Massnahmen (z.B. bei Auftreten von bestimmten Antibiotikaresistenzen in Spitälern) durchgeführt werden.

Das Wichtigste für die Praxis

• Für die Überwachung und Früherkennung von aussergewöhnlichen Erregern sowie die erneute Ausbreitung von «altbekannten Infektionskrankheiten» ist die zeitnahe Meldung an die Gesundheitsbehörden zentral.
• Grundlage für die Überwachung und Früherkennung von übertragbaren Krankheiten ist das obligatorische Meldesystem, welches in der Schweiz vom BAG in Zusammenarbeit mit den Kantonsärztlichen Diensten, den Laboratorien und der Ärzteschaft betrieben wird.
• Seit dem 1.1.2016 ist die Meldung von seltenen, gefährlichen und unbekannten Erregern im Rahmen des neuen Epidemiengesetzes explizit vorgeschrieben. Aussergewöhnliche klinische oder laboranalytische Befunde, Häufungen von klinischen oder laboranalytischen Befunden sowie definierte Erreger bzw. Erkrankungen sind innerhalb der gesetzlichen Frist zu melden.
• Basierend auf den Erkenntnissen aus der Überwachung können rasch Massnahmen zur Prävention und Bekämpfung und entwickelt oder eingeleitet werden.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
PD Dr. med. Nina Khanna
Infection Biology Laboratory and Division of Infectious Diseases and Hospital ­Epidemiology, University Hospital of Basel
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
nina.khanna[at]usb.ch
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28 Bundesamt für Gesundheit (BAG). Abrufbar unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/themen/mensch-gesundheit/uebertragbare-krankheiten/meldesysteme-infektionskrankheiten/meldepflichtige-ik/meldeformulare.html