Wieviel Vitamin D3 für den Knochen?

Wieviel Vitamin D3 für den Knochen?

Kurz und bündig
Ausgabe
2017/43
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03082
Schweiz Med Forum 2017;17(43):915-916

Publiziert am 25.10.2017

Fokus auf … 
Amyotropher Lateralskelerose (ALS)


– Progressive Degeneration des oberen und unteren Motorneurons.
– Die Erkrankung nimmt mit höherem Alter zu, das Erkrankungsrisiko beträgt in Europa 1:400.
– Klinisch sind die Steigerung der Muskeleigenreflexe kombiniert mit Muskelschwäche, später Muskelatrophie und Faszikulationen wegweisend.
– 80 % der Fälle präsentieren sich initial mit einseitiger Extremitätenschwäche (meist ein Arm), 20% mit bulbären Symptomen (Dysarthrie und Dysphagie).
– Augen- und Sphinktermuskeln sind in der Regel erst in Spätstadien betroffen.
– Eine frontotemporale Demenz (früher M. Pick genannt) tritt in 15 bis 50% im Verlauf der Erkrankung auf.
– Als «ALS-plus»-Syndrome werden Formen bezeichnet, bei denen zusätzlich autonome Dysfunktionen, extrapyramidale Symptome oder sensorische Ausfälle dazukommen.
– Es gibt familiäre und sporadische Formen, viele verschiedene sogenannt ALS-Gene sind bekannt.
– Es gibt immer noch keine wirklich wirksame Therapie.
– Vom Riluzol (Rilutec®, bremsender Effekt auf exzessive motoneuronale Aktivität) und vom Edavarone (Radicava®, Antioxidans, keine Zulassung in der Schweiz) wurde ein bescheidener Effekt auf die Lebenserwartung gezeigt.
N Engl J Med. 2017;377:162–72. (verfasst am 26.7.2017)

Praxisrelevant

Wie viel Vitamin D3 für den Knochen?

Der Trend zu immer grosszügigeren Tages­dosen von Vitamin D3 zur Prävention des ­altersbedingten Knochenabbaus und zur Therapie der Osteoporose ist in der Schweiz ­unübersehbar. Das meist nüchtern analy­sierende und auch so urteilende «Institute of Medicine» (heute: «National Academy of ­Medicine» [NAM]) der USA hat aber die maximale Vitamin-D3-Dosis für unter 70-Jährige auf 600, für über 70-Jährige auf 800 IE pro Tag festgelegt. Hauptgrund ist die Limitierung der Gefahr, unter Zufuhr von Kalzium und Vitamin D3 Nierensteine zu erleiden [1]. Wären aber höhere Dosen von Vitamin D3 nicht besser für den Knochen?
257 übergewichtige (BMI ca. 30 kg/m2) ProbandInnen im Durchschnittsalter von 71 Jahren wurden in Bezug auf Knochenmineraldichte und Knochenumbauparameter ein Jahr lang prospektiv untersucht [2]. Alle Studienteilnehmer erhielten 1000 mg elementaren Kalziums und entweder 600 IE oder 3750 IE von Vitamin D3 p.o. pro Tag. Die höhere Dosis führte zu einem stärkeren Anstieg von 25(OH)D und auch des bioaktiven 1,25(OH)2D. Allerdings bestand kein Unterschied zwischen «normaler» und hoher Dosis in ­Bezug auf den etwa 20%igen Abfall des Parathormons (PTH), des Osteocalcins und des C-terminalen Te­lopeptides («crosslaps») und im si­gnifikanten, prozentualen Anstieg der Knochendichte in der Lendenwirkbelsäule und Hüfte (Femurhals-Knochendichte ohne signifikante Änderung in beiden Studienarmen). Auch die Summe der Nebenwirkungen war in beiden Gruppen ähnlich.
Obwohl natürlich der definitive Test in der Untersuchung der Auswirkungen von normalen oder hohen Dosen auf die Frakturhäufigkeit bestände, scheint es gemäss dieser Studie (auch) aus osteologischer Sicht nicht mehr angebracht, höhere als die oben erwähnten, empfohlenen Vitamin-D-Dosen zu verordnen.
2 J Bone Miner Res. 2017;32:1486–95. (verfasst am 27.7.2017)

Neues aus der Biologie

Dank Grüner Mamba Nierenzysten besser behandeln?

PatientInnen mit autosomal-dominanter poly­zystischer Nierenerkrankung weisen multiple Zysten in beiden Nieren mit unterschiedlich schnellem Zystenwachstum und einer Progression zum terminalen Nierenversagen auf. Erwachsene PatientInnen mit einem Nierenvolumen von >750 ml und einer geschätzten GFR von >30 ml/min/1,73 m2 sowie einer schnellen Progression (Volumenzunahme, Abfall der eGFR) können heute mit Vaptanen (in der Schweiz Tolvaptan) behandelt werden. Die Hepatotoxiziät dieser Medikamente ist aber ein ernst zu nehmender Nachteil.
Die Senkung des «second messengers» cAMP durch Hemmung des epithelialen (renalen) Vasopressinrezeptors (V2R) ist ein wichtiges Prinzip zur Verlangsamung des Zystenwachstums. Im Gift der Grünen Mamba wurde ein Peptid gefunden, das diesen V2R in lediglich nanomolaren Konzen­trationen hochspezifisch hemmt. In einem Mausmodell wurde das Zystenwachstum bei einer Therapiedauer von ca. 3 Monaten signifikant gehemmt, ohne dass eine Tachyphylaxie oder relevante Nebenwirkungen aufgetreten wären.
Proc Nat Acad Sci USA. 2017;114:7154–9. (verfasst am 28.7.2017)

Das hat uns gefreut

Mehr Präzision in der Onkologie

MSK(Memorial Sloan Kettering Cancer Center) – IMPACT ist eine Sequenzierungsplattform, mit der aktuell 410 (!) tumorassoziierte Gene in Bezug auf Protein-codierende Muta­tionen, Veränderungen der DNA-Kopienzahl, Mutationen in den Gen-Promotoren und strukturellen Rearrangements analysiert werden können. Parallel zu Tumorgewebe wird eine genomische Analyse von Blut(zellen) zum Beweis der Spezifität der Tumormutationen durchgeführt. Prospektiv wurde Tumorgewebe von mehr als 10 000 PatientInnen so analysiert und mit klinischen und pathologisch-anatomischen Daten korreliert. So konnten klinisch (u.a. therapeutisch) relevante Muta­tionen in grosser Zahl gefunden werden. Die Daten sind nun öffentlich zugänglich (= noch etwas sehr Erfreuliches). Website für Interessierte: http://oncokb.org/#/. Ein grosser Schritt zu noch mehr Präzision in der Onkologie ist auch die Tatsache, dass 11% der untersuchten Patientinnen und Patienten in eine klinische Studie eingeschlossen werden konnte, die aufgrund der genomischen Analyse stratifziert hatte.
Nat Med. 2017;23:703–13.
(verfasst am 23.7.2017)

Das hat uns weniger gefreut

Rückschlag für AIDS-Heilung

Grosse Hoffnungen wurden und werden darin gesetzt, mittels antiretroviraler Therapie (ART) das Reservoir von HI-Viren in den T-Lymphozyten total zu eliminieren und damit den HIV-Infekt definitiv zu heilen. Jedenfalls waren die Kongressberichte der letzten zwei Jahre voll Optimismus, dass dieses Ziel bald erreicht werden könnte. Nun wurde gezeigt, dass nicht nur T-Lymphozyten ein HIV-Reservoir bilden, sondern dass die HI-Viren in den Makrophagen persistieren und sich dort auch vermehren können. Die ART kann die Replikation der HI-Viren auch in den Gewebemakrophagen sehr effektiv blockieren, doch beobachtet man nach Absetzen der ART etwa bei einem Drittel der Behandelten (in diesem Falle humanisierte, T-Zell freie Mäuse!) ein schnelles Wiederauftreten zirkulierender und infektiöser HI-Viren. Dieses Phänomen ist kompatibel mit einem persistierenden Virusreservoir in Gewebemakrophagen. Der Weg zu einer nachhaltigen Heilung von AIDS muss also eine Zusatzschlaufe über die Erforschung der Möglichkeiten nehmen, wie diese Makrophagenreservoirs therapeutisch angegangen werden können.
Nat Med. 2017;23:638–43.
­(verfasst am 23.7.2017)

Immer noch lesenswert

Zu viel Kupfer, zu wenig Coeruloplasmin

Der Morbus Wilson ist eine genetische Kupferspeicherkrankheit, die durch Mutation des ­ATPB7B-Gens entsteht. Das Wilson-Protein (Produkt dieses ATPB7B-Gens) ist eine Kupfer-translozierende ATPase, welche Kupfer aus der Zelle pumpt und diese dadurch vor Kupfertoxizität schützt. Es gibt genetische Tests für M. Wilson-induzierende Mutanten dieses Enzyms.
Bei verminderter Aktivität dieser ATPase kann das kupferbindende Protein, Coeruloplasmin, nicht genügend mit Kupfer beladen werden. Kupferfreies Coeruloplasmin (auch Apo-Coeruloplasmin genannt) wird dann schnell abgebaut, was die Grund­lage des Screening auf M. Wilson (tiefe Coeruloplasminspiegel) ist. Die biliäre Exkretion des Kupfers wird dann gehemmt, was zur hepa­tischen Kupferakkumulation führt. 1967 berichteten Holtzmann et al., dass bei zwei Patienten mit M. Wilson das Coeruloplasmin normal syn­thetisiert werde. Sie legten dabei den Grundstein für das Verständnis, dass das pathophysiologische Problem beim M. Wilson nicht bei quantitativen oder funktionellen Veränderungen des Coeruloplasmins, sondern – wie wir heute eben wissen – in der Kupferbeladung des normalen Coe­ruloplasmins liegt.
J Clin Invest. 1967;46:993–1002.
(verfasst am 4.8.2017)

Auch aus Schweizer Feder

Riesenzellarteritis: Schneller oder bald ganz weg vom Prednison?

Interleukin 6 ist ein wichtiges Entzündungsprotein und determiniert in der Leber die Syntheserate des C-reaktiven Proteins (CRP). Die Gruppe Rheumatologie/Immunologie am Inselspital in Bern, hat an vorderster Forschungsfront (unter anderem publiziert in unserer Schwesterzeitschrift, dem Swiss Medical Weekly!) zeigen können, dass das Tocilizumab (Actemra®), eine Hemmsubstanz des Interleukin-6-Rezeptors, hochwirksam zur Induktion und Erhaltung einer Remission der Riesen­zellarteritis (A. temporalis) ist [1, 2]. Diese ­Resultate wurden nun bestätigt durch eine von der Herstellerfirma finanzierte Studie [3], wonach das Tocilizumab (162 mg s.c. jede ­Woche oder jede 2. Woche, plazebokontrolliert) signifikant höhere Glukokortikoid-freie Remissionen nach einem Jahr ergab und die Gesamtdosis des Prednison signifikant reduzierte (1,86 g versus 3,3 g). Ein Patient in der Tocilizumabgruppe mit 2-wöchentlicher Dosierung erlitt eine ischämische Optikusneuropathie. Die Kosten dieser Therapie (wenn wir von einer wöchentlichen Dosierung ausgehen) liegen bei CHF 2000.– pro Monat, die Langzeitresultate (mehr als 1 Jahr) sind noch unbekannt.
1 Swiss Med Weekly. 2011;141:w13156.
2 Lancet. 2016;387:1921–7.
3 N Engl J Med. 2017;377:317–28.
(verfasst am 4.8.2017)

Für ÄrztInnen am Spital

ATHOS: Hier kein griechisches Kloster

Der vasodilatatorische (oder auch distributive) Schock tritt meist im Rahmen einer Sepsis, ­einer nicht infektiösen systemischen Entzündungsreaktion (z.B. Pankreatitis) und ziemlich seltener bei neurogener (ZNS-Trauma) oder endokriner (Myxoedem) Ursache auf. Hämodynamisch ist diese Schockform charakte­risiert durch einen verminderten peripher-arteriellen Widerstand, ein meist erhöhtes Herzminutenvolumen («high-output») und eine gemischt-venöse Sauerstoffsättigung von <65%. Die intravenöse Volumensubstitution ergänzt bei Bedarf durch Katecholamine (mit Noradrenalin als Mittel der ersten Wahl) sind die zentralen therapeutischen Pfeiler zur Blutdruckkontrolle. Bei allfälliger Resistenz auf diese Massnahmen kann man Glukokortikoide und Arginin-Vasopressin versuchen.
Die Forscher der ATHOS-3-Studie («angiotensin II for the treatment of high-output shock») setzten sich zum primären Ziel, bei trotz i.v.- Volumengabe und Katecholaminen schockierten PatientInnen durch Angiotensin II die Blutdrucke ohne Adaptation der Katecholamindosis innert drei Stunden signifikant über Plazebo zu steigern. Angiotenisin II ist nach dem Thromboxan wohl einer der stärksten Vasokonstriktoren via Angriff auf die glatten Gefässmuskelzellen, es stimuliert aber auch die renale Natriumrückresorption (im proximalen Tubulus direkt, im Sammelrohr vor allem via die Aktivierung von Aldosteron). Angiotensin II hob den Mitteldruck im Vergleich zu Plazebo signifikant und schnell, aber ohne Zunahme der Nebenwirkungen an (ca. +13 versus +3 mm Hg). Es führte auch dazu, dass die Katecholamine schneller in ihrer ­Dosis reduziert werden konnten, wobei die 28-Tage-Mortaliät, welche durch viele andere Faktoren beeinflusst wird, nicht signifikant gesenkt wurde. Insgesamt sicher aber ein positiver Schritt beim Katecholamin-resistenten vasodilatatorischen Schock.
Kloster Simonos Petras auf der Halbinsel Athos, Griechenland (© Anyaivanova | Dreamstime.com).
N Engl J Med 2017;377:419–30.
(verfasst am 4.8.2017)