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Kolorektale Karzinome sind zu Beginn meist asymptomatisch und werden in 20% der Fälle erst im metastasierten Stadium entdeckt. Durch frühzeitige Erkennung und Therapie kann das Mortalitätsrisiko deutlich gesenkt werden, weshalb der Vorsorgeberatung durch den Hausarzt und dem Einsatz von Screening-Untersuchungen entscheidende Bedeutung zukommt.
Epidemiologie
Kolorektale Karzinome (KRK) sind in entwickelten westlichen Ländern bei Männern die zweithäufigsten, bei Frauen die dritthäufigsten Karzinome [1, 2] und jedes Jahr erkranken in der Schweiz mehr als 2300 Männer und 1800 Frauen an diesem Tumor (Lebenszeitrisiko 6% für Männer und 5% für Frauen) [3]. Trotz sich stetig verbessernder Therapiemöglichkeiten ist ein KRK häufig tödlich (Schweiz: kumulative Mortalität 3% bei Männern, 2% bei Frauen).
Weltweit variieren die Inzidenzraten für KRK dramatisch [4]: Hochinzidenzgebiete in Europa, Australien und Nordamerika haben ca. 10-fach höhere Darmkrebsraten als Länder in Afrika, Indien oder Zentralamerika. Dies zeigt, dass der Darmkrebs stark von Umweltfaktoren abhängig ist: Ein erhöhtes Körpergewicht, körperliche Inaktivität, Nahrungsmittel (rotes und prozessiertes Fleisch), Rauchen sowie mässiger bis starker Alkoholkonsum sind mit einem Darmkrebsrisiko assoziiert. Schützende Faktoren sind Sport, Konsum von Vollkornprodukten, Milch, Gemüse und Obst sowie nichtsteroidale antientzündliche Medikamente (NSAID) [5–8]. Dazu kommen nicht veränderbare Risikofaktoren wie ein familiäres Risiko und eine chronisch entzündliche Darmerkrankung. Etwa 5–10% aller KRK sind genetisch bedingt (Tab. 1). Der wichtigste unveränderbare Risikofaktor ist das Alter und altersabhängig wird ein exponentieller Anstieg des Karzinomrisikos beobachtet (Abb. 1).
Tabelle 1: Wichtige genetische Konstellationen mit erhöhtem kolorektalem Karzinom (KRK)-Risiko. | |
Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) | |
Molekularer Defekt | Mutation des FAP-Genes |
Klinische Zeichen | >100 kolorektale Adenome, praktisch 100%iges Karzinomrisiko. Evtl. zusätzliche Organbeteiligung mit Desmoidtumoren, Osteomen oder Epidermoidzysten (Gardner-Syndrom). |
Management (Auswahl) | Prophylaktische Proktokolektomie. Gastro-Duodenoskopie zum Nachweis von Duodenaladenomen. |
Hereditäres Non-Polyposis Syndrome (HNPCC/Lynch-Syndrom) | |
Molekularer Defekt | Defekt des DNA-Reparatursystems (Mismatch-Repair-Deficiency), mit folgender Mikrosatelliteninstabilität (MSI) am Tumor. |
Klinische Zeichen | Lebenszeitrisiko für ein kolorektales Karzinom 80%, erhöhtes Risiko für andere Karzinome (z.B. Endometrium-, Ovarial-, Magenkarzinome) <30%. |
Management (Auswahl) | KRK-Screening ab 20–25 Jahren, Kolektomie bei Karzinom. Jährliche gynäkologische Untersuchungen mit Hysterektomie/Salpingo-Oophorektomie nach 40. Lebensjahr, Gastroskopien nach dem 30.–35. Lebensjahr alle 3 Jahre. |
Peutz-Jeghers-Syndrom | |
Molekularer Defekt | Autosomal-dominante Erkrankung des STKL/LKB1 Gens |
Klinische Zeichen | Hamartomatöse Polypen in Dünndarm, Magen und Kolon sowie Pigmentflecken an der Lippe. Lebenszeitrisiko für KRK, Pankreaskarzinom, gynäkologische Tumoren und andere beträgt ca. 90%. |
Management (Auswahl) | Koloskopie und Gastroduodenoskopie alle 1–3 Jahre ab dem Jugendalter. |
In der Schweiz sind Männer häufiger als Frauen von einem KRK betroffen. Während in Entwicklungsländern am ehesten durch Übernahme einer westlichen Lebensweise das Darmkrebsrisiko steigt, nimmt es in wesentlichen Ländern um ca. 3% pro Jahr ab [9]. Auch in der Schweiz ist seit etwa 2002 ein signifikanter Rückgang der Darmkrebsfälle zu verzeichnen [3].
Klinische Beschwerden
Kolonkarzinome in frühen Stadien sind typischerweise asymptomatisch. Symptome fortgeschrittener KRK unterscheiden sich nach der Lokalisation: Linksseitige Tumoren können das Dickdarmlumen eher verlegen und fallen durch veränderte Stuhlgewohnheiten beziehungsweise neu aufgetretene Obstipation sowie eine Hämatochezie auf. Rechtsseitige Tumoren können klinisch signifikant bluten (bis zu 9 ml/Tag) [10] und führen typischerweise zu einer Eisenmangelanämie. Abdominalschmerzen durch ein KRK können durch einen (Sub)-Ileus, durch peritoneale Infiltration respektive Aussaat oder durch eine gedeckte Perforation (klinisch wie Divertikulitis) bedingt sein. In einer typischen Fallserie mit endoskopisch diagnostiziertem KRK hatten 37% der symptomatischen Patienten Blut ab ano, 34% Abdominalschmerzen, 23% eine Anämie und 1% eine Diarrhoe [11]. Seltene klinische Präsentationen sind maligne Fisteln, Fieber unklarer Ursache, Metastasen oder offene Perforationen.
Diagnostik
Diagnostischer Goldstandard ist die Koloskopie. Diese visualisiert das gesamte Lumen des Dickdarmes und kann ein Kolonkarzinom beziehungsweise dessen Vorstufen (Adenome) entdecken (Abb. 2). Ein Kolonkarzinom imponiert dabei als eine exophytisch wachsende polypoide exulzerierte Läsion, die einen Teil oder die gesamte Zirkumferenz des Kolons einnehmen kann.
Selbst eine Koloskopie ist keine perfekte diagnostische Methode und ca. 3% aller Kolonkarzinome sind Intervallkarzinome, das heisst sie wurden 6–36 Monate nach einer Koloskopie diagnostiziert [12]. Intervallkarzinome treten meist im rechten Kolon auf; dort sind koloskopisch schwer erkennbare flache Adenome häufiger als im übrigen Kolon (13–15). Zudem wird in einem Teil der Koloskopien (evtl. unbemerkt vom Untersucher) das Zökum nicht erreicht (bis zu 12% aller Untersuchungen [16]). Die Komplikationsraten für Koloskopien sind in den Händen geübter Untersucher niedrig (ca. 1–2 : 10 000 bzgl. Perforationen [17]). Während die Vorbereitung der Koloskopie mit komplettem Abführen von Patienten als belastend empfunden wird, ist die Untersuchung unter Propofol-Anästhesie nicht unangenehm.
Eisenmangel(-Anämie), Blut ab ano, Meläna (in Abwesenheit einer oberen Gastrointestinal(GI-)blutung), unerklärter Gewichtsverlust, Veränderungen der Stuhlgewohnheiten und eine durchgemachte Divertikulitis sind Alarmzeichen, die weitere Diagnostik nach sich ziehen sollten. Eine neue Diagnose eines Reizdarmsyndromes, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, anamnestisch Kolonadenome (i.e. Kolonpolypen) [18] sowie eine positive Familienanamnese für KRK sind weitere Gründe für eine Endoskopie. Grundsätzlich stellen wir ab dem mittleren Lebensalter (>40 Jahre) aufgrund der steigenden Inzidenz eines KRK (Abb. 1) die Indikation für die Koloskopie grosszügig. Bei sehr jungen Patienten (z.B. einer jungen Frau mit Hypermenorrhoe und Eisenmangel oder einem jungen Mann mit Hämorrhoidalblutung) kann die Indikationsstellung für die Koloskopie schwierig sein und muss im Einzelfall entschieden werden. Repetitive Endoskopien bei gleichen oder ähnlichen Beschwerden sollten vermieden werden.
Eine CT-Kolonographie (virtuelle Koloskopie) ist bezüglich Erkennung grosser Polypen oder Karzinome der Koloskopie ebenbürtig [19]. Die Vorbereitung mit komplettem Abführen ist jedoch identisch zur Koloskopie und suspekte Läsionen müssen aus therapeutischer oder diagnostischer Indikation (Histologie) dennoch endoskopisch abgeklärt werden. Somit bleibt bei kritischer Evaluation als wesentliche Indikation für die CT-Kolonographie die nicht durchführbare Koloskopie.
Kolonkarzinom-Screening
Ein KRK bietet ideale Voraussetzungen für Screening-Untersuchungen. Kolonkarzinome entwickeln sich über 5–15 Jahre von kleinen Adenomen (<5 mm) als unscheinbare Vorstufen zu grossen Adenomen (>1 cm) und letztendlich zum Karzinom [20, 21]. Die Dickdarmschleimhaut kann bei einer Koloskopie vollständig eingesehen werden und Adenome und sogar einige frühe Karzinome können endoskopisch entfernt werden. Ein Kolonkarzinom-Screening kann dabei auf dreierlei Weise dem Patienten nützen:
– Entfernen von prämalignen Adenomen als Karzinomprävention;
– Früherkennung von asymptomatischen Karzinomen mit verbesserten Heilungsraten;
– Erkennen von Risikopatienten mit Adenomen zur intensivierten Surveillance.
Die Darmkrebsmortalität kann durch zwei ScreeningMethoden gesenkt werden: erstens durch die untere Endoskopie und zweitens den Nachweis von okkultem Blut im Stuhl. Für fäkale okkulte Bluttests (FOBT) zeigten mehrere randomisierte Studien bei Anwendung eine Mortalitätssenkung von 15%. Der Anteil steigt auf 25% nach Korrektur für fehlende Screening-Teilnahme [22]. In einer grossen randomisierten Studie (ca. 170 000 Patienten) konnte eine einmalige Screening-Rektosigmoidoskopie die Inzidenz in den folgenden 10 Jahren um ca. 23%, die Karzinommortalität sogar um 31% senken [23] und weitere Studien konnten dies bestätigen [24–26]. Die Rektosigmoidoskopie kann dabei nur das aborale Kolon bis zur linken Flexur darstellen. Eine Koloskopie mit Darstellung des gesamten Kolons sollte mindestens so wirksam wie eine Rektosigmoidoskopie sein [27–30]; randomisierte Studien zum direkten Nachweis protektiver Effekte einer Koloskopie wurden gestartet [31], Ergebnisse sind jedoch erst in 5–10 Jahren zu erwarten. Aktuell können Effekte einer Screening-Koloskopie in Computersimulationen berechnet werden (Abb. 3).
Der Qualität einer Screening-Koloskopie wird steigende Aufmerksamkeit geschenkt. Bei einer Koloskopie sollte der Patient gut vorbereitet sein [32, 33] (Patientenmerkhilfe: Stuhlfarbe wie Tee), es sollte das Erreichen des Zökums dokumentiert werden und die Zeit des Rückzugs vom Zökum bis zum Rektum (= diagnostischer Zeitabschnitt). Rückzugszeiten <6 min waren in grossen Studien mit einer niedrigeren Adenomdetektionsrate assoziiert gewesen [34]. Nach Entfernung eines Adenoms sollte der Patient mit einer Surveillance-Koloskopie nachverfolgt werden. Empfohlene Surveillance-Intervalle und Empfehlungen für Koloskopien bei Patienten mit medikamentös eingeschränkter Hämostase stellt die Schweizerische Gesellschaft für Gastroenterologie (SGG) zur Verfügung (http://www.sggssg.ch/richtlinien-empfehlungen/).
In der Schweiz werden seit 2013 die Kosten für das Kolonkarzinom-Screening von den Krankenkassen übernommen und insgesamt zwei Screening-Koloskopien oder FOBT alle zwei Jahre im Alter von 50–69 Jahren vergütet. In den Jahren davor hatte es bereits ein «opportunistisches» Screening gegeben, bei dem die Indikationen für Koloskopien in der Screening-Population grosszügig gestellt wurden (z.B. Abdominalschmerzen oder Obstipation bei Patienten über 50 Jahre). Eine Kohortenstude in den Kantonen Uri und Glarus hatte gezeigt, dass eine Screening-Koloskopie Inzidenz und Mortalität bezüglich KRK nach sechsjährigem Follow-up im Vergleich zur nicht untersuchten Bevölkerung deutlich senken kann (OR 0,31 und 0,12) [29]. Die «Screening-Population» wird in der Schweiz mit 50–69 Jahren definiert und damit etwas enger gefasst als in den USA (Medicare: ab 50. Lebensjahr alle 10 Jahre ohne Alterseinschränkung ). Dies ist bei der grossen Zahl älterer Individuen mit einem hohen Karzinomrisiko von grosser Relevanz. Computersimulationen zeigen, dass auch gesunde Individuen im Alter über 80 Jahren von einer Screening-Untersuchung profitieren können [35].
Wichtig ist es, den Patienten in die Entscheidung über die Screening-Untersuchung einzubeziehen und die Vor- und Nachteile eines FOBT (schnellere Durchführung, aber jährliche Anwendung) und einer Koloskopie (grössere Sicherheit, aber aufwendige Vorbereitung und sehr geringes Komplikationsrisiko) aufzuzeigen. In einer populationsbasierten Schweizer Untersuchung hatten sich 75% der Teilnehmenden für eine Koloskopie entschieden [36].
Problematisch bleiben niedrige Teilnahmeraten bei allen Kolonkarzinom-Vorsorgeuntersuchungen. Im benachbarten Deutschland (mit einem KRK-Vorsorgeprogramm seit 2002) nehmen etwa 20–30% der Zielpopulation an einem Screening teil, dazu kommt etwa dieselbe Zahl an Koloskopien aus anderer Ursache und etwa 55% aller Personen in Deutschland >55 Jahre haben mittlerweile eine Koloskopie gehabt [37, 38]. In der Schweiz bleiben die Erfolge des neu begonnen Screening-Programmes abzuwarten. Wichtig bleiben die gute Beratung und Aufklärung durch den Hausarzt.
Staging des kolorektalen Karzinoms
Die Stadieneinteilung erfolgt gemäss der «Union for International Cancer Control» (UICC) (Tab. 2).
Tabelle 2: Stadieneinteilung des Kolonkarzinoms nach UICC (« Union for International Cancer Control»). | |||
Stadium | Primärtumor | Lymphknoten(LK-)status | Fernmetastasen |
0 | Tis | N0 | M0 |
I | T1, T2 | N0 | M0 |
IIA | T3 | N0 | M0 |
IIB | T4a | N0 | M0 |
IIC | T4b | N0 | M0 |
IIIA | T1–2 | N1 (1–3 betroffene LK) | M0 |
T1 | N2a (4–6 betroffene LK) | M0 | |
IIIB | T3–4 | N1 (1–3 betroffene LK) | M0 |
T2–3 | N2a (4–6 betroffene LK) | M0 | |
T1–2 | N2b (≥7 betroffene LK) | M0 | |
IIIC | T4a | N2a (4–6 betroffene LK) | M0 |
T3–T4a | N2b (≥7 betroffene LK) | M0 | |
T4b | N1–2 | M0 | |
IVA | jedes T | jedes N | M1a (in einem Organ) |
IVB | jedes T | jedes N | M1b (in mehr als einem Organ oder im Peritoneum) |
Quelle: Wittekind C, Meyer HJ. TNM Klassifikation maligner Tumoren, 7. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2010. Copyright Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung. |
Bei Diagnosestellung sollte eine vollständige Koloskopie zum Ausschluss von Zweitkarzinomen angestrebt werden. Falls dies aufgrund einer Stenose nicht möglich ist, wird die Koloskopie nach der Operation nachgeholt. Eine Computertomographie (CT) von Thorax und Abdomen ist zentral für das Tumorstaging [39–41] und kann die Ausdehnung des Primärtumors, mögliche Invasion von angrenzenden Organen, vergrösserte Lymphknoten oder Fernmetastasen beurteilen. Lebermetastasen können mit einem positiv prädiktiven Wert von 96% [42], Lungenmetastasen mit 99% [43] identifiziert werden. Bei Unsicherheiten können weitere bildgebende Modalitäten wie zum Beispiel eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Leber mit Leber-spezifischem Kontrastmittel oder ein PET-CT angeschlossen werden. Wichtigster Tumormarker ist das Carcinoembryonale Antigen (CEA), welches präoperativ bestimmt werden sollte. Dieses Glykoprotein ist in der normalen Kolonschleimhaut nicht vorhanden, jedoch in Kolonkarzinomen hoch exprimiert. Es ist als Screening-Parameter ungeeignet, ein Anstieg des CEA nach Resektion kann jedoch ein Rezidiv des Tumors anzeigen.
Beim Rektumkarzinom wird zusätzlich die Höhe des Tumorunterrandes mit einem starren Rektoskop bestimmt. Als weitere Bildgebung sollte eine MRT des Beckens und/oder ein endorektaler Ultraschall durch einen erfahrenen Untersucher erfolgen, um die Tiefe der Tumorinfiltration sowie die lokoregionären Lymphknoten zu beurteilen. Dies ist entscheidend für die weitere Therapieplanung, insbesondere für die Abwägung einer neoadjuvanten Radio-/Chemotherapie.
Der «maligne Polyp»
Die deutsche S3-Leitlinie «Kolorektales Karzinom» [44] und die US-Richtlinie der «American Society of Colon and Rectal Surgeons» [40] sind auch für die Behandlung des KRK in der Schweiz gültig. Bei sehr früh diagnostizierten Karzinomen (maligner Polyp) ist die endoskopische vollständige Abtragung ausreichend, falls keine onkologischen Risikofaktoren vorhanden sind. Das betrifft T1-Karzinome ohne Lymph- oder Angioinvasion (L0, V0), mit <1 mm Invasionstiefe, gutem Differenzierungsmuster (G1–2) und vollständiger Abtragung mit einem Sicherheitsabstand von ≥1 mm. Die Polypektomiestelle muss nach drei Monaten endoskopisch nachkontrolliert werden. Sind diese Voraussetzungen nicht vorhanden, wird eine onkologische Resektion empfohlen.
Chirurgische Therapie des Kolonkarzinoms
Die onkologisch-radikale chirurgische Resektion ist die einzige kurative Therapie des KRK. Die Prinzipien beinhalten die Resektion des tumortragenden Kolonsegmentes mit mindestens 5 cm Sicherheitsabstand inklusive des Lymphabflussgebietes mit Lymphknoten im Mesokolon und ein Absetzen der versorgenden Arterie an ihrem Ursprung [45]. Mindestens 12 Lymphknoten müssen dabei mitreseziert werden; eine grössere Zahl von Lymphknoten verbessert das pathologische Staging und das onkologische Ergebnis. Die Lage des Tumors bestimmt die Resektionsgrenzen: Tumoren im Colon ascendens benötigen eine rechtsseitige Hemikolektomie; Tumoren in der rechten Flexur, im Colon transversum oder in der linken Flexur erfordern eine erweiterte rechtsseitige oder linksseitige Hemikolektomie. Eine Hemikolektomie links oder Sigmaresektion sind bei Tumoren des Colon descendens respektive Sigmas notwendig. Bei genetischen Hochrisikosituationen (z.B. HNPCC oder FAP) wird eine totale Kolektomie beziehungsweise Proktokolektomie empfohlen (Tab. 1). Auch bei Karzinomen im Rahmen einer Colitis ulcerosa erfolgt eine Proktokolektomie.
Falls technisch möglich kann beim Kolonkarzinom eine laparoskopische Technik favorisiert werden, was heute auch in den meisten Zentren angeboten wird [46]. Gemäss diversen prospektiven randomisierten Studien (COST [47], CLASICC [48], COLOR [49]) ist eine laparoskopische Resektion der offenen Resektion onkologisch gleichwertig. Vorteile der Laparoskopie sind weniger Schmerzen, schnellere Erholung der Darmtätigkeit postoperativ, kürzere Hospitalisationszeit sowie kosmetische Aspekte. Bei Adipositas oder früheren abdominellen Operationen ist eine laparoskopische Resektion aufwendiger respektive unmöglich, was gegebenenfalls eine offene Resektion bedingt. Die Roboter-assistierte Resektion scheint äquivalent zu sein und findet immer mehr Anhänger. Diesbezüglich sind aber noch keine abschliessenden Daten vorhanden. Die onkologischen Prinzipien sind bei allen Verfahren gleich und sollten strikt beachtet werden.
Multimodale Therapie des Rektumkarzinoms
Die Therapie des Rektumkarzinoms ist komplexer. Die Tumoren werden entsprechend der Höhenangabe im präoperativen Staging dem proximalen, mittleren oder distalen Rektumdrittel zugeordnet. Karzinome im oberen Rektumdrittel werden wie ein Kolonkarzinom behandelt und können primär reseziert werden.
Bei Karzinomen im mittleren und unteren Drittel muss zuerst eine neoadjuvante Vorbehandlung evaluiert werden. Während kleine Tumoren (cT1–2, mesorektale Faszie nicht betroffen [MRF–], kein Lymphknotenbefall) primär reseziert werden können, ist bei lokal ausgedehnten Tumoren (cT3–4, Invasion der mesorektalen Faszie [MRF+], lokoregionärer Lymphknotenbefall) eine neoadjuvante Radiochemotherapie mit 45–50,4 Gy über 5–6 Wochen indiziert (Langschema). Bei intermediären Tumoren (cT3, MRF–, cN0), Vorliegen von Kontraindikationen (z.B. Komorbiditäten) oder älteren, nicht fitten Patienten kann alternativ auch eine kurze Radiotherapie mit 5 × 5 Gy über 5 Tage (Kurzschema) erfolgen. Vorteile der neoadjuvanten Radiochemotherapie sind die Reduktion der Lokalrezidive sowie eine höhere Rate von Sphinkter-erhaltenden Operationen. Die Kombination aus einer präoperativen Bestrahlung und einer systemischen Chemotherapie mit 5-Fluorouracil (5-FU) oder Capecitabine ist der alleinigen Strahlentherapie überlegen [50].
Die Operation beinhaltet eine Resektion des Rektums im Sinne einer tiefen anterioren Rektumresektion mit Entfernung aller Lymphknoten im Mesorektum. Bei ungenügendem Abstand des Tumors zum Sphinkter ist eine abdomino-perineale Rektumamputation mit Anlage eines endständigen Kolostomas nötig.
Bei sehr gutem Ansprechen auf die neoadjuvante Radiochemotherapie ohne Tumornachweis nach Therapieende in der MRT und in den endoskopisch gewonnenen Biopsien («clinical complete remission») kann gemäss neuer Daten [51] eventuell auf die Operation zunächst verzichtet werden. Die Diskussion ist jedoch noch nicht abgeschlossen, vorerst ist eine Resektion noch als Goldstandard zu betrachten.
Adjuvante Therapie des Kolonkarzinoms
Nach kurativ intendierter Operation kann eine nachfolgende adjuvante Chemotherapie Mikrometastasen eradizieren und die langfristigen Heilungschancen verbessern. Die Indikation sollte entsprechend dem Rezidivrisiko gestellt werden:
Bei Patientin mit einem frühen Stadium I eines Kolonkarzinoms ist die Heilungsrate durch eine alleinige Resektion hoch und eine adjuvante Chemotherapie wird nicht empfohlen. Bei Stadium II (pT3/4, jedoch ohne Lymphknotenbefall) ist die Prognose weiterhin sehr gut mit einem 5-Jahre krankheitsfreien Überleben von ca. 80%. In einer Metaanalyse von 25 qualitativ guten Studien konnte bei diesen Patienten mit oder ohne adjuvante Chemotherapie kein Unterschied im krankheitsfreien Überleben festgestellt werden [52]. Bei Patienten mit Risikofaktoren (pT4, geringe Differenzierung, Perforation, Obstruktion, Lymphangiosis, vaskuläre oder perineurale Invasion oder <10 Lymphknoten entfernt) besteht jedoch ein höheres Rezidivrisiko und eine adjuvante Chemotherapie sollte mit dem Patienten diskutiert werden. In der Regel wird eine adjuvante Monochemotherapie mit 5-FU/Folinsäure empfohlen, da die Kombinationschemotherapie mit 5-FU+Folinsäure+Oxaliplatin (FOLFOX) in einer grossen Studie keinen zusätzlichen Benefit gezeigt hatte [53, 54]. Alternativ zur kontinuierlichen intravenösen Chemotherapie mit 5-FU kann auch das orale Äquivalent Capecitabine eingesetzt werden.
Tumoren mit Mikrosatelliteninstabilität (MSI, 20% aller Tumoren), haben eine günstigere Prognose mit geringerem Rezidivrisiko (ca. 11% Rezidivrisko bei MSI vs. 26% bei mikrosatellitenstabilen Tumoren) [55]. Daher wird in Abwesenheit von Risikofaktoren keine adjuvante Chemotherapie empfohlen.
Bei Stadium III (mit Lymphknotenbefall) besteht ein Rezidivrisiko von ca. 50%. Eine adjuvante Chemotherapie ist immer indiziert, sofern keine relevanten Komorbiditäten oder Kontraindikationen vorliegen. In Studien konnte gezeigt werden, dass durch eine adjuvante Doublet-Chemotherapie mit FOLFOX gegenüber 5-FU/Folinsäure alleine das rezidivfreie als auch das Gesamtüberleben verbessert werden konnten [54]. Der aktuelle Standard in dieser Situation ist FOLFOX/CAPOX (Capecitabine+Oxaliplatin) für insgesamt sechs Monate. Patienten können unter Oxaliplatin eine störende potentiell irreversible periphere Polyneuropathie entwickeln, sodass bei Patienten mit geringerem Risiko (max. T3 und max. ≤3 befallenen Lymphknoten) die adjuvante Chemotherapie von sechs auf drei Monate verkürzt werden kann («IDEA Collaboration»-Studie). Bei Patienten ≥70 Jahre nimmt der Benefit von zusätzlichem Oxaliplatin deutlich ab, und eine Monotherapie mit 5-FU/Folinsäure oder Capecitabine ist eine adäquate Alternative.
Die kontinuierliche 5-FU-Dauerinfusion über 46 Stunden zeigt weniger Toxizität als die frühe eingesetzte Bolustherapie und ist heute Standard, erfordert jedoch einen permanenten Verweilkatheter. Die Kombination mit Folinsäure erhöht die Wirksamkeit von 5-FU. Folinsäure bindet an das Enzym Thymidilat-Synthase und führt dadurch zur Erniedrigung der intrazellulären Thymidilat-Konzentration und verstärkt dadurch die zytostatische Wirkung von 5-FU. Bei Auftreten von schweren Toxizitäten wie Diarrhoe, Knochenmarksuppression und Hand-Fuss-Syndrom ist an das Vorliegen eines Dihydropyrimidin-Dehydrogenase(DPD)-Mangels zu denken, welcher zu einer verzögerten Elimination von 5-FU führt. Die DPD-Mutation ist selten (ca. 1% der Patienten) und wird daher nicht routinemässig getestet.
Tumornachsorge
Die Rezidivrate ist in den ersten 1–3 Jahren nach Tumorresektion am höchsten und nimmt dann stetig ab. In dieser ungewissen Zeit ist eine strukturierte Nachsorge wichtig. Die Patienten bleiben lebenslang Hochrisikopatienten für ein Zweitkarzinom und die Koloskopie zur Surveillance kann entscheidend sein. In der Schweiz erfolgt die Nachsorge entsprechend den Richtlinien der SGG (Tab. 3) und kann auch durch den Hausarzt erfolgen.
Tabelle 3: Konsensus-Empfehlungen1 zur Nachsorge nach kurativ operiertem kolorektalemKarzinom (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie [SGG]). | |||||||
Kolonkarzinom | Monate post Operation | ||||||
T3/4 oder N+, M0 | 6 | 12 | 18 | 24 | 36 | 48 | 60 |
Klinische Untersuchung CEA-Titer2 | Vierteljährlich im 1. Jahr | Halbjährlich im 2. und 3. Jahr | + | + | |||
Koloskopie | + | +8 | |||||
CT Thorax-Abdomen | + | + | + | + | + | ||
Kolonkarzinom | Monate post Operation | ||||||
T1/ T2 N0 | 6 | 12 | 18 | 24 | 36 | 48 | 60 |
CEA-Titer2 | + | + | + | + | + | ||
Koloskopie | + | +8 | |||||
Rektumkarzinom | Monate post Operation | ||||||
T1–4, N+/–, M05 | 6 | 12 | 18 | 24 | 36 | 48 | 60 |
Klinische Untersuchung6 CEA-Titer4 | Vierteljährlich im 1. Jahr | Halbjährlich im 2. und 3. Jahr | + | + | |||
Koloskopie | + | +8 | |||||
Untere flexible Endoskopie | + | + | + | ||||
Endosonographie4,7 oder Becken MRI4,7 | + | + | + | ||||
CT Thorax-Abdomen-Becken3,4,7 | + | + | + | + | + | ||
Voraussetzungen: | |||||||
Für ein Nachsorge-Programm qualifizieren Patienten/-innen mit kolorektalem Karzinom ohne Fernmetastasen, bei denen aufgrund von Alter und Allgemeinzustand grundsätzlich eine Rezidiv- bzw. Metastasentherapie in Frage kommt. | |||||||
Die Nachsorge ist eine interdisziplinäre Aufgabe, die von einer Stelle aus unter Einbezug und laufender Orientierung der beteiligten Ärzte (operierender Chirurge, Hausarzt, Gastroenterologe, Radio-/Onkologe, Radiologe, etc.) koordiniert wird. | |||||||
Vorausgesetzt wird eine vollständige Koloskopie präoperativ oder baldmöglichst postoperativ (vorzugsweise innert 3 Monaten). | |||||||
Situationen mit erhöhtem Karzinomrisiko, wie hereditäre Syndrome (HNPCC, FAP, attenuierte FAP, MUTYH-assoziierte Polyposis, Peutz-Jeghers, juvenile Polyposis Syndrome, serratiertes Polyposis Syndrom, etc.) oder anderweitige Risikoerhöhung für kolorektales Karzinom (chronisch entzündliche Darmerkrankung, Akromegalie, etc.) werden im vorliegenden Schema nicht abgehandelt und erfordern besondere Nachsorgemassnahmen. | |||||||
1 Mitbeteiligte Fachgesellschaften, Vereinigungen und Institutionen: Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für klinische Krebsforschung (SAKK), Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Medizin (SGAM), Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine und Unfallchirurgie (SGAUC), Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGIM), Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO), Schweizerische Gesellschaft für Pathologie (SGPath), Schweizerische Gesellschaft für Radiologie (SGR), Schweizerische Gesellschaft für Viszeralchirurgie (SGVC) 2Präoperative Bestimmung des CEA-Titers als Routine dringend empfohlen. Im Falle eines Titeranstiegs im postoperativen Verlauf grosszügiger Einsatz bildgebender Untersuchungen. 3 Mindestens Dual-Kontrast-(orale-intravenöse Kontrastmittelgabe)-Multidetektor Computertomographie als Standard. Nach multimodal behandeltem kolorektalem Karzinom können Kontrollen auch nach 5 Jahren erfolgen. Eine längere Kontrolle sollte aber individuell festgelegt werden. 4 Nicht indiziert für T1N0 Karzinome nach radikaler Resektion (TME). 5 Ausnahme: pT1 Karzinom in Polyp Risikokategorie III vgl. Konsensus-Empfehlungen zur Nachsorge kolorektaler Polypen nach endoskopischer Abtragung: Nachsorge gemäss Schema. 6 Bei tiefsitzender Rektumanastomose regelmässige Rektalpalpation empfohlen. 7 Bei verdächtigem Befund FNP. 8 Anschliessend Koloskopie alle 5 Jahre |
Palliative Therapie
Etwa jeder fünfte Patient (20%) mit Neudiagnose eines KRK weist zu diesem Zeitpunkt bereits Metastasen auf (Stadium IV). Das mediane Gesamtüberleben liegt ohne Behandlung bei nur 3–6 Monaten, konnte jedoch in den letzten Jahren durch eine Verbesserung der Therapien auf ca. 30–35 Monate gesteigert werden (Tab. 4). Ist die Tumorerkrankung nicht mehr heilbar, ist eine möglichst lange Erhaltung der Lebensqualität und Symptomkontrolle Ziel der Behandlung.
Tabelle 4: Übersicht über wichtige systemische Therapien beim kolorektalen Karzinom. | ||
Chemotherapeutika, adjuvant, neoadjuvant oder palliativ | ||
5-Fluorouracil (5-FU) oder Capecitabine | ||
Einsatz im neoadjuvanten, adjuvanten und palliativen Setting | ||
Gabe als Dauerinfusion über 46h (weniger Toxizität als Bolusinfusion) | ||
Kombination mit Folinsäure (verstärkt zytostatische Wirkung von 5-FU) | ||
5-FU/Folinsäure ist gleich wirksam wie orales Capecitabine | ||
Cave: Bei Auftreten von schweren Toxizitäten wie Diarrhoe, Knochenmarksuppression und Hand-Fuss-Syndrom an das Vorliegen eines Dihydropyrimidin-Dehydrogenase(DPD)-Mangels denken | ||
Oxaliplatin und Irinotecan | ||
In der Regel als Doublet- oder Triplet-Chemotherapie mit 5-FU/Folinsäure | ||
FOLFOX: 5-FU/Folinsäure, Oxaliplatin | ||
FOLFIRI: 5-FU/Folinsäure, Irinotecan | ||
FOLFOXIRI: 5-FU/Folinsäure, Oxaliplatin und Irinotecan | ||
Trifluridin/Tipiracil (TAS102) | ||
Orales Chemotherapeutikum nach Versagen der Standard-Chemotherapielinien | ||
Neu seit August 2017 in der Schweiz zuglassen. | ||
Biologika, nur bei Stadium IV | ||
Inhibitoren zellulärer Wachstumsfaktoren (Antikörper gegen EGFR) | ||
Substanzen: Cetuximab oder Panitumumab | ||
Nur bei RAS-Wildtyp | ||
Angioneogeneseinhibitoren (Antikörper gegen VEGF) | ||
Substanzen: Bevacizumab, in der 2. Linie VEGF-Trap-Fusionsprotein Aflibercept, spätere Therapielinie: Multikinaseinhibitor Regorafenib | ||
Cave: Wundheilungsstörungen während des Einsatzes | ||
Andere zielgerichtete Therapien, nur bei Stadium IV | ||
BRAF mutiert: BRAF-/MEK-Inhibitoren (orales Dabrafenib, Vemurafenib, Trametinib) | ||
HER2-Überexpression: Antikörper gegen HER2 (Trastuzumab) oder Tyrosinkinaseinhibitor (Lapatinib) | ||
Einzelfallentscheidung mit Kostengutsprache | ||
Immuntherapien, nur bei Stadium IV | ||
Pemprolizumab bei Vorliegen einer Mismatch-Repair-Deficiency | ||
Einzelfallentscheidung mit Kostengutsprache | ||
EGFR = «epidermal growth factor receptor»; VEGF = «vascular endothelial growth factor»; RAS = Rat sarcoma Onkogen; BRAF = B-Raf Onkogen; HER2 = «human epidermal growth factor receptor 2». |
Grundlage der palliativen Chemotherapie des KRK ist eine 5-FU-basierte Chemotherapie in Kombination mit einem Biologikum (anti-VEGF oder anti-EGFR-gerichtet). Weitere Erstlinientherapeutika sind Oxaliplatin und Irinotecan, die jeweils in Kombination mit 5-FU/Folinsäure als Doublet-Chemotherapie (FOLFOX oder FOLFIRI) eingesetzt werden. In den letzten Jahren wurden auch Studien zur Wirksamkeit von Triplet-Chemotherapien mit 5-FU/Folinsäure, Oxaliplatin und Irinotecan (sogenanntes FOLFOXIRI-Schema) durchgeführt, die eine verbesserte Wirksamkeit mit Ansprechraten von bis zu 70% gezeigt haben und insbesondere bei potentiell resektablen (Borderline-)Patienten mit Lebermetastasen als Konversions- oder Induktionstherapie die Chance auf eine Resektion erhöhen können [56]. Hierdurch konnte auch die Prognose bei Patienten mit aggressiver Tumorbiologie wie zum Beispiel BRAF-Mutationen signifikant verbessert werden.
Entscheidend für das Therapieergebnis ist die Nutzung aller zur Verfügung stehenden Substanzen, wobei bisher keine spezielle Therapiesequenz einen Vorteil zeigen konnte [57]. Bei der Wahl der Therapie sollten Therapieziel (kurativ vs. palliativ), die Tumorbiologie (metachrone vs. synchrone Metastasierung, krankheits-/progressionsfreies Intervall, Ansprechen auf vorangegangene systemische Chemotherapien), prädiktive Marker (z.B. RAS-Mutationen), prognostische Marker (z.B. ungünstige BRAF-Mutationen), Lokalisation des Tumors, Begleiterkrankungen, die Symptome des Patienten im Sinne des «Therapiedrucks», aber auch das Alter, Vorliegen von Komorbiditäten und die Patientenpräferenz berücksichtig werden (Abb. 4).
Ein kleiner Teil der Patienten, insbesondere mit nur auf die Leber begrenzten Metastasen, profitiert von einer Metastasenresektion mit 5-Jahres-Überlebensraten von 20–40%. Diese Patienten sollten im Tumorboard gut selektioniert werden; die neoadjuvante, das heisst präoperative Chemotherapie wird möglichst intensiv mit dem Ziel der Zytoreduktion gewählt.
Bereits heute können molekulare Marker für die Therapieselektion helfen. Nur Patienten ohne Nachweis einer RAS-Mutation (RAS-Wildtyp) profitieren von einer Kombination aus einer 5-FU-basierten Chemotherapie mit Antikörpertherapie gegen EGF-Rezeptor (z.B. Cetuximab oder Panitumumab). Eine RAS Mutation führt zur Aktivierung des MAP-Kinase-Signaltransduktionsweges in der Tumorzelle und bewirkt eine Resistenz gegenüber EGFR-Inhibition. Patienten mit Nachweis einer RAS-Mutation können den gegen VEGF-gerichteten Antikörper Bevacizumab erhalten, der gegenüber der alleinigen Chemotherapie einen Vorteil im Gesamtüberleben zeigen konnte [58]. Die Therapie sollte in der Regel bis zur Progression oder bis zum Auftreten von relevanten Nebenwirkungen fortgeführt werden. Sollte sich ein Therapieansprechen nach FOLFOX-Bevacizumab zeigen und der Patient motiviert sein, kann eine Erhaltungstherapie mit 5-FU/Folinsäure und Bevacizumab diskutiert werden, die gegenüber einer Therapiepause mit einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens assoziiert ist [59].
Neuere Daten zeigen bei einer kleinen Anzahl von Patienten mit mikrosatelliteninstabilen Tumoren vielversprechende Ansprechraten durch den Einsatz von sogenannten Immuntherapien oder Checkpoint-Inhibitoren, sodass auch bei Diagnosestellung eines KRK immunhistochemisch auf das Vorliegen einer Mismatch-Repair-Deficiency getestet werden sollte [60]. Die Phase-III-Studien hierzu laufen (u.a. offen am UniversitätsSpital Zürich) und vergleichen die Wirksamkeit gegenüber der Standchemotherapie.
Spätere Therapieoptionen
Bei Fortschreiten der Tumorerkrankung nach einer Erstlinientherapie wird individuell über das weitere Vorgehen entschieden. Leider verlieren wir ca. 20–30% der Patienten mit jeder Therapielinie. Grundsätzlich sollte nach einer Oxaliplatin-haltigen Erstlinientherapie Irinotecan mit 5-FU/Folinsäure kombiniert (FOLFIRI) werden und umgekehrt. Bei RAS-Wildtyp-Patienten kann eine anti-EGFR-Therapie zusätzlich eingesetzt werden, sofern noch nicht in der 1. Linie erfolgt, oder der anti-VEGF-Inhibitor Bevacizumab gegeben werden. In der 2. Linie gibt es nach Oxaliplatin-haltiger Therapie auch die Möglichkeit mit dem VEGF-Trap-Fusionsprotein Aflibercept zu kombinieren, welcher auch nach dem Einsatz von Bevacizumab einen kleinen statistisch signifikanten Überlebensvorteil zeigte [61].
Bei einem lokalisierten Progress, insbesondere in der Leber, kann eine lokaltherapeutische Massnahme wie beispielsweise Radiofrequenzablation, Lasertherapie, stereotaktische Radiotherapie oder SIRT («selective internal radiation therapy») sinnvoll sein. Bei ausschliesslich peritonealer Tumormanifestation kann bei gutem Allgemeinzustand, niedrigem Tumorload, keinem Aszites eine zytoreduktive chirurgische Intervention und hyperthermische intraperitoneale Chemotherapie (HIPEC) erwogen werden.
Bei Versagen von etablierten Chemotherapien und monoklonalen Antikörpern führen der orale Multikinaseinhibitor Regorafenib oder das Kombinationspräparat Trifluridin/Tipiracil (TAS102) zu einer Verlängerung der medianen Gesamtüberlebenszeit um wenige Wochen [62, 63]. Bei gewissem Nebenwirkungsprofil sollte der Erhalt der Lebensqualität gegenüber dem geringen Überlebensvorteil abgewogen und nur bei Patienten in gutem Allgemeinzustand in Betracht gezogen werden. Gerade in den letzten Lebensmonaten stehen Selbstbestimmung und Würde des Patienten im Vordergrund. Aufgabe des Arztes ist dann das Lindern von Beschwerden und die menschliche Anteilnahme.
Die Zahl der verfügbaren Therapien hat beim KRK in den letzten Jahren eindrucksvoll zugenommen und die Prognose deutlich verbessert. Ob eines Tages ein metastasiertes KRK allein medikamentös kontrolliert werden kann (wie heute bei chronisch myeloischer Leukämie bereits möglich) ist noch nicht abzusehen.
Das Wichtigste für die Praxis
• Kolorektale Karzinome (KRK) sind häufige Tumoren mit einem Lebenszeitrisiko von ca. 5% für Schweizer Patienten.
• KRK bieten optimale biologische Voraussetzungen für Screening-Untersuchungen wie Koloskopie oder fäkalen okkulten Bluttest. Die Kosten dieser Untersuchungen werden zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr von der Krankenkasse übernommen.
• Alarmzeichen für diagnostische Untersuchungen sind Blut ab ano, Eisenmangel(anämie), Gewichtsverslust, plötzliche Änderungen der Stuhlgewohnheiten, eine stattgehabte Divertikulitis sowie eine positive Familienanamnese.
• Frühe Tumoren (Stadium I+II ohne Lymphknotenbefall) können mit exzellenten Langzeitergebnissen chirurgisch behandelt werden. In Stadium III ist eine adjuvante Chemotherapie empfohlen.
• Rektumkarzinome im tiefen und mittleren Rektumdrittel erfordern eine multimodale Therapie mit neoadjuvanter Radiochemotherapie im Stadium III.
• KRK im Stadium IV können bei ausgewählten Patienten (z.B. mit wenigen Lebermetastasen) kurativ operiert werden. Den meisten Patienten können palliative Therapien angeboten werden mit Chemotherapie, Biologika bzw. nach Therapieversagen Multikinaseinhibitoren und Immuntherapien («Checkpoint-Inhibitoren») bei Mikrosatelliteninstabilität.
• Um teure palliative Therapien zu vermeiden, ist Früherkennung bzw. Vorsorge beim KRK entscheidend, und die Beratung für Screening-Untersuchungen und rasche Zuweisung zur diagnostischen Koloskopie bei Alarmzeichen bleibt eine wichtige Aufgabe des Hausarztes.
Diese Arbeit wurde durch einen Grant der Krebsliga Schweiz (KFS-2977-08-2012) und der Horten-Stiftung an Benjamin Misselwitz unterstützt. Die Autoren haben keine weiteren finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Kopfbild: Courtesy of PD Dr. med. Sebastian Leibl, Institut für Pathologie und Molekularpathologie, UniversitätsSpital Zürich
PD Dr. med.
Benjamin Misselwitz
Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie
Rämistr. 100
CH-8091 Zürich
benjamin.misselwitz[at]
usz.ch
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