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Hintergrund
Rheumatologische Erkrankungen bedeuten für die Gesellschaft immer noch eine gewaltige Bürde und verursachen beträchtliche Kosten. Bei den degenerativen Gelenkserkrankungen sind dies vor allem Hüft- und Kniearthrosen sowie degenerative Veränderungen der Wirbelsäule [1]. Zudem leiden die meisten Patienten unter wechselnden chronischen Schmerzen [2]. Die konservative medikamentöse Schmerztherapie dieser Patienten, die zudem älter werden, gestaltet sich zunehmend komplexer. Zur Behandlung der muskuloskelettalen Schmerzen wurden die sogenannten nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) in den 1980er und 1990er Jahren weiterentwickelt. Diese haben nicht nur eine analgetische, sondern auch eine entzündungshemmende Wirkung und werden deshalb häufig auch bei entzündlichen Gelenkserkrankungen eingesetzt. Der Wirkmechanismus der meist schwachen Säuren über die Cyclooxigenase-1 war entschlüsselt und weiterführende Forschungen ergaben, dass noch zusätzliche Enzyme und Zytokine am komplexen Schmerz- und Entzündungsmechanismus beteiligt waren.
Die Pharmaindustrie bemühte sich deshalb, die bekannten Substanzen zu modifizieren und risikoärmere Antirheumatika zu entwickeln. Mit der Entwicklung der Cox-2-Hemmer schien ein wichtiger Durchbruch zur Reduktion der gastrointestinalen Nebenwirkungen gelungen zu sein [3–5]. Leider zeigte sich schon bald, dass diese «magenschonenderen» Antirheumatika zu einer Veränderung des Nebenwirkungsprofils führten, so dass Rofecoxib wegen kardialer und Lumiracoxib wegen hepatischer Nebenwirkungen vom Markt genommen wurden [6, 7]. Die zur Marktzulassung nötigen Studien umfassten mehr als 20 000 Patienten und kosteten jeweils mehr als 1,5 Milliarden Franken.
Nun hat eine neue Analyse gezeigt, dass wahrscheinlich alle NSAR, inklusive Diclofenac, Naproxen und Ibuprofen das kardiovaskuläre Risiko erhöhen. Dies vor allem in höheren Dosen und zu Beginn der medikamentösen Therapie [8]. Seit der zum Teil unkritischen Diskussion über die schweren Nebenwirkungen der Antirheumatika konnte man in der Praxis und Klinik in den letzten 10 Jahren den zunehmenden Einsatz von Metamizol als «sicheres» Antirheumatikum beobachten [9]. Metamizol ist seit 1922 auf dem Markt. Der Wirkmechanismus ist nicht genau bekannt. Dieses Medikament wurde in den angelsächsischen Ländern gar nicht zugelassen und in einigen Ländern wie Schweden wegen der Gefahr einer Agranulozytose wieder vom Markt genommen. In Deutschland scheint es in den Pflegeheimen angeblich das Analgetikum der Wahl zu sein. In zwei Metaanalysen kommen die Autoren zum Schluss, dass Metamizol im Spitalbereich sicher sei, während im ambulanten Bereich gute kontrollierte Langzeitstudiendaten zu Sicherheit und unerwünschten Wirkungen weitgehend fehlen. Es sei dringend nötig, endlich kontrollierte Langzeitstudien unter Einschluss der älteren Bevölkerung im ambulanten Bereich durchzuführen [10, 11]. Es ist bekannt, dass sogenannte Pharmakovigilanz-Aufzeichnungen das Nebenwirkungsprofil aufgrund des Underreporting völlig unzureichend erfassen.
Datenlage
In der Metaanalyse von Kötter werden 79 randomisierte Studien aufgeführt. Die häufigsten Indikationen sind postoperative Analgesie, Migräne, Fieber und Urolithiasis. Die meisten Studien dauerten nur 1–2 Tage und die Applikation von Metamizol erfolgte meistens parenteral. Allerdings findet sich eine Schmerz-Studie von Knüsel aus dem Jahre 1982, die den Einsatz bei muskuloskelettalen Beschwerden infolge Coxarthrose untersuchte [12]. Dabei wurden 2 Gruppen verglichen. Die eine Gruppe von 38 Patienten erhielt 4 × 100 mg Zomepirac und die Vergleichsgruppe von 38 Patienten 4 × 500 mg Metamizol per os. Die Studie dauerte 14 Tage, wobei in der Metamizol-Gruppe 3 Fälle von allergischen Reaktionen (2× Haut, 1× Asthma) auftraten. Dies entspricht einer Inzidenz von 8%.
Da Metamizol auch die Plättchenaggregation und möglicherweise weitere Faktoren der Blutgerinnung beeinflusst, dürfte dies gerade im Kontext der postoperativen Analgesie von Bedeutung sein [13, 14].
Schlussfolgerung
Es stellt sich die Frage, wieso die Zulassungs- und Kontrollbehörde in der Schweiz, Swissmedic, eine ambulante Schmerztherapie mit Metamizol, die länger als 2 Wochen dauert, nicht als «off label use» deklariert. Dies gäbe den Ärzten auch mehr Sicherheit in der korrekten Patientenaufklärung und der Kontrollbehörde die Möglichkeit, von der Industrie endlich die fehlenden Langzeitdaten im ambulanten Bereich zu verlangen. Oder begnügt sich gerade diese Behörde mit der Gewissheit, dass ein preiswertes Antirheumatikum auf dem Markt ist, im Unwissen über die Risiken und unerwünschten Wirkungen für die Patienten?
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
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Prof. Dr. med. Robert Theiler
Klinik für Geriatrie
Rämistr. 100
CH-8091 Zürich
robert.theiler[at]usz.ch
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