«Ihr habt seit langem schlimmen Husten und immer wieder Fieber … das sehe ich an euren Händen»1
Hypertrophe Osteoarthropathie

«Ihr habt seit langem schlimmen Husten und immer wieder Fieber … das sehe ich an euren Händen»1

Fallberichte
Ausgabe
2017/49
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03144
Schweiz Med Forum 2017;17(49):1107-1109

Affiliations
a Medizinische Onkologie/Hämatologie, Kantonsspital Graubünden
b Hausarztpraxis, Untervaz

Publiziert am 06.12.2017

Hintergrund

Ein Patient stellt sich mit Gelenksbeschwerden beim Hausarzt vor. Wie sagt man so schön: Was häufig ist, ist häufig. Entsprechend wird der Patient ambulant ab­geklärt und behandelt. Bei ausbleibender Besserung erfolgt die Überweisung zum Spezialisten. Ein Ablauf, den die niedergelassenen Kollegen häufig erleben. Manchmal finden sich dabei medizinische Rosinen – eine davon sei hier beschrieben.

Fallbericht

Anamnese

Wegen seit Monaten bestehender schmerzhafter Schwellungen beider Knie- und Sprunggelenke sowie Myalgien in der Beinmuskulatur stellt sich der 49-jährige Patient beim Hausarzt vor. Die symptomatische Behandlung mit Ibuprofen bringt nur eine leichte ­Linderung der Beschwerden, worauf bei zusätzlich ­vorhandener Appetitlosigkeit, ungewolltem Gewichtsverlust und Nachtschweiss die Überweisung an einen niedergelassenen Rheumatologen erfolgt.

Status

Im rheumatologischen Status besteht ein beidseitiger Druckschmerz im Bereich des Epicondylus humeri ­lateralis und medialis. In beiden Kniegelenken liegt eine Ergussbildung vor, wobei die Bewegung endgradig schmerzhaft eingeschränkt ist. Des Weiteren sind beide Sprunggelenke geschwollen. An den Händen fallen Trommelschlegelfinger mit Uhrglasnägeln auf (Abb. 1 und 2).
Abbildung 1: Trommelschlegelfinger und Uhrglasnägel unseres Patienten.
Abbildung 2: Kniegelenk-Situs unseres Patienten.

Befunde

Laboranalytisch imponiert eine leichte Erhöhung des CRP-Wertes (36 mg/l). Das Screening für antinukleäre und anti-neutrophile zytoplasmatische Antikörper (ANA und ANCA) ist normal. Durch den Rheumatologen wird bei sonographisch gut nachweisbarem Gelenkerguss eine diagnostische Punktion des rechten Kniegelenkes durchgeführt. Die entnommene Synovialfüssigkeit ist zytologisch unauffällig. Röntgenologisch zeigt sich die ossäre Struktur der Hände und Füsse normal.
Aufgrund des Hustens und der starken Raucheranamnese erfolgt ein Röntgenbild des Thorax, wobei sich ein Infiltrat im rechten Oberlappen findet. Zusätzlich ­fallen hilusnahe, knotig imponierende Verdichtungen auf. Bei derer Persistenz in der Verlaufsbildgebung nach abgeschlossener antibiotischer Therapie besteht die Indikation zur ergänzenden Computertomographie (Abb. 3).
Abbildung 3: Computertomographie des Thorax mit ­Konsolidation im rechten Oberlappen.

Diagnose

In der bronchoskopisch aus dem Primärtumor entnommenen Biopsie kann schlussendlich die Diagnose eines im Exon 2 KRAS-mutierten Adenokarzinoms der Lunge gestellt werden. Die weitere Staging-Untersuchung mittels Teilkörper-Positronen-Emissions-Tomographie-Computertomographie (-PET/CT) ergibt nebst einer ausgedehnten lymphogenen Metastasierung bereits eine Fernmetastasierung mit multifokalen Skelettmetastasen.
Insgesamt wird somit beim Patienten die Diagnose einer sekundären Form einer (paraneoplastischen) hypertrophen Osteoarthropathie bei metastasiertem Adenokarzinom der Lunge gestellt.

Therapie und kurzfristiger Verlauf

Nach Beginn einer palliativen Chemotherapie mit den Medikamenten Carboplatin und Pemetrexed sowie einer antiresorptiven Therapie mit Denosumab berichtet der Patient über eine deutliche Besserung der Schmerzsymptomatik bei rückläufigen Gelenkschwellungen. Die medikamentöse Schmerzbehandlung kann deutlich reduziert werden. Auch bildgebend zeigt sich nach vier Behandlungszyklen eine Partialremission. Bei ­guter Verträglichkeit der Therapie wird diese in einer Erhaltungsform mit dem Zytostatikum Pemetrexed fortgeführt. Nach insgesamt vier weiteren Zyklen muss jedoch eine Krankheitsprogression mit wieder zunehmender Schmerzsymptomatik dokumentiert werden, sodass eine Therapieumstellung auf einen anti-PD1-Antikörper erfolgt.

Diskussion

Einleitung

Die paraneoplastische Osteoarthropathie wird auch als hypertrophe Osteoarthropathie (HOA) oder Pierre-Marie-Bamberger-Krankheit bezeichnet. Charakterisiert wird sie durch eine abnormale Proliferation der Haut und des Knochengewebes vor allem am distalen Ende der Extremitäten. Klinisch imponiert dies als Periostitis der langen Röhrenknochen, synoviale Effusionen der grossen Gelenke mit teils schmerzhafter Arthropathie sowie Trommelschlegelfingern und Uhrglasnägeln.
Liegen nur eine Periostitis sowie Schmerzen der Gliedmassen ohne Trommelschlegelfinger vor, spricht man von einer inkompletten Form der HOA.
Bereits Hippokrates von Kos, der berühmteste Arzt der Antike, beschrieb mehr als 400 Jahre vor Christus das Bild der Trommelschlegelfinger, weshalb diese auch als «hippokratische Finger» bezeichnet werden [1].
Fast immer liegen gleichzeitig Nagelveränderungen vor, die sogenannten Uhrglasnägel. Dabei liegt eine Steigerung des Lovibondwinkels vor, welcher den Winkel zwischen gewölbter Nagelplatte und proximalem Nagelwall beschreibt. Normalerweise beträgt dieser ca. 160°, bei Uhrglasnägeln werden 180° meist überschritten. Die Assoziation von Trommelschlegelfingern und Arthritis wurde 1889 in Wien von Bamberger und 1890 in Paris von Pierre Marie beschrieben [2].

Primäre und sekundäre Form der HOA

1935 beschrieben Touraine et al. eine primäre Form der HOA [3]. Dabei handelt es sich um eine autosomal-dominant vererbte genetische Krankheit, welche eine Prädominanz beim männlichen Geschlecht aufweist. Diese Krankheit wird auch Pachydermoperiostose oder Touraine-Solente-Gole-Syndrom genannt. Als Ursache der primären Form der HOA konnte eine Genmutation auf dem Chromosom 4q33-q34 zugeordnet werden. Diese ­codiert für 15-Hydroxy-Prostaglandin-Dehydrogenase, dem Hauptenzym des Prostaglandinabbaus.
In 95% der Fälle mit HOA liegt aber eine sekundäre Form vor, die diverse medizinische Ursachen haben kann. Bei über 80% sind dies Malignome [4]. Nicht-kleinzellige Bronchuskarzinome sind am häufigsten, wobei histologisch meist Adenokarzinome vorliegen. Pulmonale Infekte, zystische Fibrose und kardiale ­Ursachen wie ein Rechts-Links-Shunt können andere Gründe dafür sein.
Klinisch unterscheiden sich die primäre und sekundäre Form nicht.

Epidemiologie und Pathogenese

Die Prävalenz der sekundären HOA hängt von der ihr zugrunde liegenden Krankheit ab. Ist ein Bronchuskarzinom ursächlich, so schwankt die Häufigkeit zwischen 0,2–17%. In neueren Studien scheint sie eher tiefer zu liegen [5]. Die meisten Quellen gehen darin einig, dass die Prävalenz bei Männern deutlich höher ist und Rauchen ein wichtiger Risikofaktor zu sein scheint.
Der genaue Pathomechanismus der HOA ist nicht geklärt. Bei einer pathologischen pulmonalen Zirkulation gelangen Megakaryozyten und Thrombozytenaggregate, die im pulmonalen Kapillarbett normalerweise herausgefiltert werden, in die Peripherie und bewirken durch Freisetzung von Wachstumsfaktoren eine Proliferation von Fibroblasten [6]. Des Weiteren werden den Wachstumsfaktoren «vascular endothelial growth factor» und «platelet derived growth factor» sowie den Prostaglandinen E1 und E2, welche zu einer vaskulären Proliferation, Ödemen und Knochenneubildung führen, eine zentrale Rolle in der Pathogenese zugeschrieben.

Diagnostik

Die Diagnose einer kompletten Form der HOA wird klinisch gestellt. Bei der Assoziation mit einer malignen Erkrankung sind dabei vor allem die unteren Extremitäten involviert. Sonographisch zeigt sich auf Grund der synovialen Effusionen ein vermehrter Gelenkerguss. Im Gegensatz zu entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, wie zum Beispiel der rheumatoiden ­Arthritis (RA), ist die Gelenksflüssigkeit bei einer HOA praktisch nichtentzündlich. Werden Synovialbiopsien entnommen, findet sich insbesondere eine Hyper­vaskularisierung. Laboranalytisch sind die klassischen rheumatologischen Parameter (ANA oder ANCA) normwertig.
In der konventionellen Röntgenaufnahme kann die ­Periostitis mit einer Verdickung der periostalen Membran sowie Knochenneubildungen im Bereich des Periosts dargestellt werden. Mit moderneren bildgebenden Verfahren wie der Skelettszintigraphie sowie der Ma­gnetresonanztomographie werden bereits frühere Stadien der Periostitis erkannt.

Therapie

Durch die Behandlung der Grunderkrankung wird häufig eine Linderung der Beschwerden erreicht [7]. Nichtsteroidale Antirheumatika und andere Analgetika können symptomatisch zur Schmerzlinderung eingesetzt werden. Des Weiteren ist in Fallberichten beschrieben, dass auch Bisphosphonate bei refraktären Fällen effizient sein können [8].
Die Abgrenzung der HOA von anderen rheumatolo­gischen Erkrankungen ist entscheidend, weil sich die Therapien grundsätzlich unterscheiden. Bei der RA werden häufig Immunsuppressiva eingesetzt, welche mit Chemotherapeutika interagieren können. Andererseits stellt die RA eine relative Kontraindikation zur Durchführung einer Immuntherapie dar, welche, insbesondere bei Bronchuskarzinomen, in der heutigen Zeit immer mehr zum Einsatz kommt.

Das Wichtigste für die Praxis

Die hypertrophe Osteoarthropathie (HOA) ist eine seltene rheumatologische Diagnose, wobei meist eine sekundäre Form vorliegt. Weil Bronchuskarzinome dabei weitaus die häufigste Ursache sind, sollte insbesondere bei Rauchern ein Augenmerk auf dieses klinische Erscheinungsbild gelegt werden. Um eine Verzögerung bei der Diagnostik und Einleitung der notwendigen therapeu­tischen Schritte zu vermeiden, wäre bei klinischem Verdacht frühzeitig die Durchführung einer Computertomographie des Thorax zu veranlassen.
Wir danken Herrn Dr. med. Hans Ulrich Wilhelm, Rheumatologe im medizinischen Zentrum Bad Ragaz, für die Bereitstellung der ­rheumatologischen Untersuchungsergebnisse sowie den Kollegen 
der Radiologie des Diagnosezentrums Belmont in Chur für die Bereitstellung des CT-Bildes.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med.
Katharina Huss-Mischler
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170
CH-7000 Chur
Katharina.Mischler[at]ksgr.ch
1 Martinez-Lavin M, Mansilla J, Pineda C, Pijoan C. Evidence of hypertrophic pulmonary osteoarthropathy in human skeletal remains from prehispanic Mesoamerica. Ann Int Med. 1994;12:238–41.
2 Segal AM, Mackenzie AH. Hypertrophic osteoarthropathy: a 10-year retrospective analysis. Semin Arthritis Rheum. 1982;12(2):220–32.
3 Coury C. Hippocratic fingers and hypertrophic osteoarthropathy. A study of 350 cases. Br J Dis Chest. 1960;54:202–9.
4 Qingping Yao, Roy D. Altman, Ernest Brahn. Periostitis and hypertrophic pulmonary Osteoarthropathy: report of 2 cases and review of the literature. Semin Arthritis Rheum. 2009;38(6):458–66.
5 Armstrong DJ, McCausland EMA, Wright GD. Hypertrophic pulmonary osteoarthropathy (HPOA) (Pierre Marie-Bamberger syndrome): two cases presenting as acute inflammatory arthritis. Description and review of the literature. Rheumatol Int. 2007;27:399–402.
6 Dickinson CJ, Martin JF. Megakaryocytes and platelets clumps as the cause of finger clubbing. Lancet. 1987;2:1434–5.
7 Mito K, Maruyama R, Uenishi Y, et al. Hypertrophic pulmonary osteoarthropathy associated with non-small cell lung cancer demonstrated growth hormone-releasing hormone by immunohistochemical analysis. Intern Med. 2001;40(6):532–5.
8 Yao Q, Altman RD, Brahn E. Periostitis and hypertrophic pulmonary osteoarthropathy: report of 2 cases and review of the literature. Semin Arthritis Rheum. 2009;38:458.