Neuroradiologie und Neurochirurgie: Sinus-Stenting der idiopathischen intrakraniellen Hypertension
Neuroradiologie und Neurochirurgie

Neuroradiologie und Neurochirurgie: Sinus-Stenting der idiopathischen intrakraniellen Hypertension

Schlaglichter
Ausgabe
2018/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03143
Schweiz Med Forum 2018;18(0102):26-28

Affiliations
Inselspital, Universitätsspital Bern
a Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie; b Universitätsklinik für Neurologie; c Universitätsklinik für Augenheilkunde;
d Universitätsklinik für Neurochirurgie

Publiziert am 03.01.2018

Die endovaskuläre Stenteinlage bei funktionellen Stenosen der duralen Sinus ist eine innovative, vielversprechende Therapieoption, die vermehrt bei Patienten mit therapierefraktärer idiopathischer intrakranieller Hypertension eingesetzt wird. Ein neuer Trick für ein altes Problem!

Hintergrund

Die idiopathische intrakranielle Hypertension (IIH) ist eine bisher aus pathophysiologischer Sicht nicht völlig erklärte Erkrankung. Die Inzidenz weltweit wird auf 0,5–2 pro 100 000 Personen in der Allgemeinbevölkerung, jedoch in der Risikogruppe der übergewichtigen Frauen im gebärfähigen Alter auf bis zu 12–20 pro 10 000 geschätzt [1]. Die IIH-Diagnose wird durch die modifizierten Dandy-Kriterien [1] gestellt, welche die folgenden Punkte umfassen:
– Symptome und Zeichen einer intrakraniellen Hypertension (z.B. Stauungspapillen bei bis zu 95%, Kopfschmerzen bei 75–94%, pulsierender Tinnitus bei 52–60% und Gesichtsfeldausfälle bei 32% der Patienten);
– dokumentierte intrakranielle Hypertension (>25 cm H2O Liquoreröffnungsdruck in der Lumbalpunktion);
– unauffällige ­laborchemische Liquoruntersuchung;
– Ausschluss eines Hydrozephalus, einer intrakraniellen Raumforderung und Sinusthrombose;
– keine fokal-neurologischen Ausfälle (bis auf eine Hirnnervenparese des Nervus abducens).
Ein ungenügend kontrollierter Hirndruck kann zu ­einer irreversiblen Schädigung des ­Sehnerven bis zur vollständigen Erblindung führen. Eine Therapie hat entsprechend eine Verhinderung ­einer irreversiblen Optikusneuropathie und eine gute Kontrolle der Kopfschmerzen zum Ziel. Die aktuellen Therapiemöglichkeiten dafür beinhalten konservative Therapiemassnahmen wie Gewichtsabnahme, eine medikamentöse Behandlung mit Acetazolamid und Antiepileptika ­(Topiramat) sowie eine invasive Behandlung mittels Nervenscheidenfenestration des Nervus opticus und Anlage eines ventrikuloperitonealen (VP) Shunts zur Liquorableitung in therapierefraktären Fällen oder bei akut aufgetretenem und exazerbiertem Papillödem [1, 2]. Bei insgesamt mässigem Ansprechen auf die ­klinische Symptomatik, hohen Revisionsraten, hoher Morbidität und hohen Kosten der invasiven Behandlungen sowie neuen Erkenntnissen über die mögliche Pathophysiologie der IIH hat sich in den letzten Jahren zunehmend eine innovative minimalinvasive Therapie­möglichkeit mittels endovaskulärem Stenting des Sinus transversus entwickelt.

Minimalinvasives Verfahren durch Stenteinlage in den Sinus transversus

Klinische Beobachtungen haben gezeigt, dass uni- oder bilaterale Stenosen des Sinus transversus bei Pa­tienten mit IIH gehäuft vorkommen verglichen mit der Normalbevölkerung. Endovaskuläre transvenöse Druckmessungen mittels Katheterangiographie haben oft einen Druckgradienten über diesen Stenosen gezeigt, woraufhin postuliert wurde, dass die daraus resultierende ­intrakranielle venöse Drucksteigerung eine mögliche Ursache für die Entstehung respektive das Fortschreiten der IIH ist. Um diese venöse Abflussbehinderung mechanisch zu beheben, bietet sich ein minimalinvasives Verfahren durch eine endovaskuläre Stenteinlage in den einengten Sinus transversus an. Der erste Fall einer Stenteinlage im Sinus transversus bei IIH wurde bereits 1994 beschrieben [3]. Danach erfolgten mehrere Fall­berichte und Fallserien, die eine vielversprechend hohe Erfolgsrate dieses Therapieansatzes zeigten.
Die Prozedur erfolgt in der Regel in zwei Schritten, die an einem Tag oder an separaten Tagen erfolgen können. Nach klinischer Bestätigung der Diagnose IIH und bei fehlendem Therapieeffekt oder ausgeprägten Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie ist eine ­Abklärung des Vorliegens einer Sinus-transversus-Stenose mittels Bildgebung (MR- oder CT-Venographie) zu empfehlen. Falls sich diese bestätigt, kann die funktionelle Signifikanz einer solchen ­Stenose durch eine ­endovaskuläre transvenöse Druckmessung direkt im Sinus nachgewiesen werden. Die Druckmessung erfolgt bei den meisten ­Patienten im Wachzustand und in ­Lokalänästhesie. Bei Feststellung eines Druckgradienten kann nach Rücksprache mit dem Patienten und ­interdisziplinärer Besprechung eine Stenteinlage in die Sinusstenose durchgeführt werden. Der Eingriff erfolgt in Vollnarkose, da das Aufdehnen des stenosierten ­Sinus mittels Stent schmerzhaft ist. Eine erneute Druckmessung nach Entfaltung des Stents bestätigt dann die Rückbildung des Druckgradienten und eine Norma­lisierung der intrakraniellen venösen Drücke. Postinterventionell erhalten die Patienten eine weiterführende doppelte Thrombozytenaggregationshemmung mittels Acetylsalicylsäure und Clopidogrel. Abbildung 1 zeigt das Fallbeispiel einer 34-jährigen Patientin.
Abbildung 1: Eine 34-jährige Patientin mit langjähriger idiopathischer intrakranieller Hypertension (IIH) stellt sich mit chronischen Kopfschmerzen und Gesichtsfeldausfällen vor. Die Liquorpunktion zeigt aktuell einen Liquoreröffnungsdruck von 33 cm H 2 O, eine medikamentöse Therapie mit Acetazolamid und Topiratmat wurde bei Unverträglichkeit bereits gestoppt. Die MR-Venographie (A) zeigt eine fokale intrinsische Stenose des Sinus transversus rechts (Pfeil) und einen hypoplastischen Sinus transversus links. Die endovaskuläre Druckmessung (B) bestätigt ­einen Druckgradienten von 15 mm Hg über der Stenose. Nach Einbringen eines selbstexpandierbaren Stents über der Stenose (C) zeigt die erneute Druckmessung (D) bereits eine Regredienz des Druckgradienten (0 mm Hg). In der klinischen und radiologischen Kontrolle nach 6 Monaten gibt die Pa­tientin keine Kopfschmerzen mehr an. Die Gesichtsfeldausfälle sind deutlich regredient. Die invasive transvenöse Kontrolldruckmessung zeigt weiterhin normale venösen Drücke bei durchgängigem Stent und der Liquoreröffnungsdruck hat sich ebenfalls normalisiert (15 cm H 2 O).
Eine vor kurzem verfasste Metaanalyse [2] über die verschiedenen invasiven Therpieoptionen bei Patienten mit IIH hat gezeigt, dass mit Sinus-transversus-Stenting in 97% der Fälle eine Verbesserung der Stauungspa­pillen erreicht werden konnte, verglichen mit 70% nach VP-Shunt-Einlage und 80% nach Nervenscheidenfenestration des Nervus opticus. Auch die Kopfschmerzen scheinen besser auf Stenting anzusprechen: 83% der ­Patienten haben nach Stenting keine Kopfschmerzen mehr, im Vergleich zu 80% nach VP-Shunteinlage und 44% bei Nervenscheidenfenes­tration des Nervus op­ticus . Das Stenten des Sinus transversus wurde von den Patienten gut toleriert mit einer niedrigen Gesamtkomplikationsrate von 7,4%, wobei lediglich in 2,9% schwerwiegende Komplikationen (z.B. Subduralhämatom) aufgetreten sind. Die Therapie mittels Stenting war insgesamt in 90% der Fälle erfolgreich und nur 10% der Patienten haben im Verlauf ­einen zusätzlichen Eingriff benötigten (z.B. erneutes Stenting oder VP-Shunt-Einlage). Die Komplika­tionsraten der VP-Shunt-Einlage waren im Vergleich mit 43% (hauptsächlich Shuntre­visionen) und diejenigen der Nervenscheidenfenestration des Nervus opticus mit 18% (davon 1,5% schwere Komplikationen) höher.

Diskussion

Sowohl Diagnose als auch die Therapie von IIH können sich als schwierig erweisen. Da eine ungenügende Therapie zu einer irreversiblem Schädigung des Sehnerven führen kann, sind eine effiziente Diagnostik und Therapie wichtig. In den letzten Jahren haben mehrere Berichte die Assoziation zwischen duralen Sinusste­nosen in der Bildgebung und dem Vorliegen einer IIH bei entsprechender Symptomatik festgestellt. Hier sollte jedoch beachtet werden, dass eine grosse Variabilität der Sinusanatomie besteht. Eine Studie [4] in einer Normalkohorte bezüglich Assoziation von Sinusanatomie und IIH-Symptomatik hat gezeigt, dass die Prävalenz von unilateralen Sinus-transversus-Stenosen oder ­-Hypoplasie bis zu 33% in der Allgemeinbevölkerung ­erreicht. Eine bilaterale Sinus-transversus-Stenose oder unilaterale Sinus-transversus-Stenose mit kon­tralateraler Hypoplasie kommt in 5% respektive 1% der Bevölkerung vor. Daher ist die invasive transvenöse Druckmessung zum Nachweis einer signifikanten funktionellen Stenose von grosser Relevanz.
Verschiedene Studien haben Risikofaktoren für ein Versagen des Sinus-transversus-Stenting trotz nach­gewiesener funktioneller Stenose untersucht. Hierbei zeigte sich, dass Übergewicht einer der relevantesten Risikofaktoren für die Notwendigkeit einer Re-Behandlung darstellt [5]. Daher ist die Gewichtsabnahme weiterhin ein wichtiger Faktor der konservativen Therapiemassnahmen, um ebenfalls die Erfolgsraten von allfälligen endovaskulären und chirurgischen Massnahmen zu verbessern.
Zusammenfassend hat sich das endovaskuläre Sinus-transversus-Stenting in den letzten Jahren als viel­versprechende effektive und sichere minimalinvasive Therapiealternative zur traditionellen VP-Shunt-Einlage bei Patienten mit medikamentöser Unverträg­lichkeit oder therapierefraktärer IIH herausgestellt. Es bleiben jedoch noch einige offene Fragen bezüglich der optimalen Patientenselektion (z.B. Grenzwert des Body-Mass-Index, Höhe des erforderlichen Druckgradienten, optimaler Zeitpunkt zur invasiven Abklärung und Behandlung), Technik (z.B. Stent-Typ) sowie die Langzeiterfolgsraten für eine Therapieoptimierung in der Zukunft zu klären.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
PD Dr. med.
Pasquale Mordasini
Institut für Diagnostische und Interventionelle ­Neuroradiologie
Inselspital
Freiburgstrasse 10
CH-3010 Bern
pasquale.mordasini[at]
insel.ch
1 Markey KA, Mollan SP, Jensen RH, et al. «Understanding idiopathic intracranial hypertension: mechanisms, management, and future directions» Lancet Neurology. 2016;15:78–91.
2 Satti SR, Leishangthem L, Chaudry MI. «Meta-Analysis of CSF ­diversion procedures and dural venous sinus stenting in the setting of medically refractory idiopathic intracranial hypertension». AJNR Am J Neuroradiol. 2015;36:1899–904.
3 Marks MP, Dake MD, Steinberg GK, et al «Stent placement for arterial and venous cerebrovascular disease: preliminary experience» Radiology. 1994;191(2):441–6.
4 Durst CR, Ornan DA, Reardon MA, et al. «Prevalence of dural venous sinus stenosis and hypoplasia in a generalized population» J NeuroIntervent Surg. 2016;8(11):1173–77.
5 El Mekabaty A, Obuchowski NA, Luciano MG, et al. «Predictors for venous sinus stent retreatment in patients with idiopathic intracranial hypertension» J Neurointerv Surg. 2016; [Epub ahead of print].