«I’m so lonely, I could cry!»

«I’m so lonely, I could cry!»

Kurz und bündig
Ausgabe
2018/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03186
Schweiz Med Forum 2018;18(04):73-74

Publiziert am 24.01.2018

Fokus auf … Masern

– Infektion via den Respirationstrakt durch ein RNA-Paromyxovirus der Familie Morbilliviren.
– Inkubationszeit um 12,5 Tage, maximal 23 Tage.
– Eine infizierte Person infiziert im Schnitt 9–18 weitere Personen.
– Die Persistenz viraler RNA während 3 Monaten nach Infekt ist wahrscheinlich Grund der lebenslangen Immunität.
– Global haben Maserntodesfälle zwischen 2000 und 2015 um 80% abgenommen (aber es gibt sie leider immer noch ...).
– Masernausbrüche (z.B. Schweiz) kommen in gut durchgeimpften Populationen vor, wenn es «Immunitätslücken» wie nicht geimpfte Gruppen gibt (siehe Abb. 1).
– Die Inzidenz der subakuten, sklerosierenden Panenzephalitis ist höher als bislang vermutet, vor allem bei Kleinkindern <1 Jahr.
– Global hat die Impfrate seit 10 Jahren bei 85% stagniert.
Lancet. 2017;390(10111):2490–502. 
doi: 10.1016/S0140-6736(17)31463-0. 
Verfasst am 08.12.2017.
Abbildung 1: Masern: Meldepflichtige Infektionskrankheiten Schweiz und Fürstentum Liechtenstein; wöchentliche Fallmeldungen Vorjahr und aktuelles Jahr bis Woche 1/2018 (Stand 09.01.2018). Das Eingangsdatum der Fallmeldung ist ­ausschlaggebend für die Zuordnung auf der Zeitachse. 
Quelle: Bundesamt für Gesundheit, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Praxisrelevant

«I’m so lonely, I could cry!» (Hank ­Williams)

Psychopathologisch wird Einsamkeit definiert als die Stress generierende Diskrepanz zwischen gewünschten und effektiv zugänglichen Sozialkontakten. Folgen sind Depression, Angststörungen, Suizide. Ein gefährliches Stigma der Einsamkeit ist auch die Perzeption (selber und durch die Umgebung) einer sozialen In­attraktivität. Eine riesige Datenbasis existiert, die zeigt, dass Einsamkeit mit einer erhöhten Gesamtmortalität assoziiert ist.
Wichtig ist – auch hier – dass man zuhört (cave die 20-Minuten-Klausel im Tarmed seit 01.01.2018). Wie kommt es zu diesem Gefühl? Welche Gedanken, welche Verhaltensmuster könnten zu diesem Gefühl beitragen? Ist Einsamkeit auch einmal normal? Was war anders, als ich mich nicht einsam fühlte? Durch so gewonnene Informationen kann man einen Hilfeplan mit inte­ressanten Effekten auch auf somatische Störungen entwerfen (sogenannte LISTEN-Studie).
Int J Nurs Sci. 2016;3(3):242–51. 
doi.org/10.1016/j.ijnss.2016.08.004.Verfasst am 08.12.2017.

Neues aus der Biologie

Überraschendes Resultat: ­Remyelinisierung bei Multipler Sklerose!

Bei der Multiplen Sklerose löst eine Antwort des angeborenen («innate») Immunsystems eine Entzündungsantwort gegen ein unbekanntes Antigen aus. Folgen sind eine Demyelinisierung und Schädigung der Oligodendrozyten (Myelin ist eine Extension der Oligodendro­zytenmembran). Zwar gibt es im Bereich der Läsion undifferenzierte Oligodendrozyten, die zur Regeneration und damit Reparatur der Myelinläsion fähig wären, aber wie klinisch evident ist, scheint dieses Potential leider ziemlich limitiert.
Clemastinfumarat ist ein auch in der Schweiz auf dem Markt zugelassenes Antihistami­nikum (Tavegyl®), es passiert die Blut-Gehirn-Schranke und kann (Tierversuche) die Remyelinisierung nicht durch eine Modulation des Immunsystems, sondern durch Stimulation der Myelinproduktion via Induktion der Differenzierung von unreifen Oligodendrozyten fördern.
Doppelblind randomisiert führte Clemastinfumarat (2× 5,6 mg/Tag per os für 150 Tage) zu einer eindrücklichen Verbesserung der Nervenleitung im Sehnerv (interpretiert als Zeichen der Remyelinisierung) bei PatientInnen mit Neuritis nervi optici und Multipler Sklerose. Nebenwirkung: Ausser Müdigkeit, keine.
Lancet. 2017;390(10111):2481–9. 
doi.org/10.1016/S0140-6736(17)32346–-2.
Verfasst am 08.12.2017.

Für ÄrztInnen am Spital

Palliation beim malignen Pleuraerguss

Bei der klassischen Talkpleurodese kann es doch einige Tage gehen, bis der maligne Erguss befriedigend evakuiert, der Schlauch entfernt und die Schmerzen der Patienten gut kontrolliert werden können. Diesen Eindruck bestätigt eine multizentrische randomisierte Studie, welche die kontinuierliche Drainage mittels Pleurakatheter mit der Talkpleurodese verglich. Die Hospitalisationszeit betrug bei der Talkpleurodese 12, beim Pleurakatheter 10 Tage. Allerdings gab es keinen Unterschied in Bezug auf Lebensqualität und Reduktion der Dyspnoe. In der Pleurakathetergruppe gab es mehr Nebenwirkungen (Schmerzen bei der Einlage, Zunahme der Atemnot, Pleuritis, Zellulitis). Zusammenfassend scheinen beide Techniken akzeptable Möglichkeiten zu bleiben (Abb. 2).
Abbildung 2: Linksseitiger Pleuraerguss (aus: Salvato S, Ritschard T. Schweiz Med Forum. 2011;11(22):394–5.).
JAMA. 2017;318(19):1903–12. 
doi: 10.1001/jama.2017.17426.
Verfasst am 08.12.2017.

Immer noch lesenswert

Medulläres Schilddrüsenkarzinom produziert (Thyro-)Calcitonin

Mittels elektronenmikroskopischer, histochemischer Methoden und Messung des Calcitonins im Medium einer primären Zellkultur gelang es, die parafollikulären, heute C-Zellen genannten, Zellen der Schilddrüse als die neoplastischen Zellen beim medullären Schilddrüsenkarzinom zu identifizieren. Calcitonin im Serum wurde in der Folge zu einem wichtigen Biomarker in der Dia­gnostik und der postoperativen Nachsorge (nicht früher als drei Monate postoperativ) des medullären Schilddürsenkarzinoms.
N Engl J Med. 1968;278(10):523–9. 
doi: 10.1056/NEJM196803072781002.
Verfasst am 08.12.2017.

Das hat uns gefreut

Eine wirksamere ­Migräneprävention

Im Gegensatz zur wirksamen An­fallstherapie mit Serotonin-Rezeptor (5-HT1B und HT1D)-Agonisten, den ­sogenannten Triptanen, blieb die seit vielen Dekaden versuchte präventive Therapie der episodische Migräne (<15 Kopfschmerzattacken jeder Ausprägung pro Monat) und der chronischen Migräne (≥15 Kopfschmerzattacken) weitgehend erfolglos. Das sogenannte «calcitonin gene related product» (CGRP) scheint in der Schmerzaus­lösung im trigeminovaskulären Gebiet wichtig. Monoklonale Antikörper entweder gegen das Peptid selber oder seinen Rezeptor wurden ent­wickelt und nun die Resultate zweier dieser Moleküle publiziert. Beide waren – einmal pro Monat über drei respektive sechs Monate subkutan appliziert – für die chronische oder die episodische Migräne wirksam mit nicht mehr oder stärkeren Neben­wirkungen als Plazebo. Die Kopfwehtage bei beiden Studien mit den monoklonalen Antikörpern nahmen um ca. 3–5 Tage ab. Somit verbleiben trotzdem noch viele Kopfschmerztage. Interessant ist auch der relevante Plazeboeffekt von etwa 50%! Hoffnungsvoll, aber noch offen, zumindest ein positiver «proof of principle».
N Engl J Med. 2017;377(22):2113–22. 
doi: 10.1056/NEJMoa1709038.
N Engl J Med 2017;377:2123–32. 
doi: 10.1056/NEJMoa17058438.
Verfasst am 07.12.2017.

Das hat uns weniger gefreut

Moderne Kontrazeptiva assoziiert mit höherem Mammakarzinomrisiko

In einer prospektiven Kohortenstudie aller in Dänemark wohnhaften Frauen (15–49 Jahre) ohne onkologische Vorerkrankung oder throm­boembolische Erkrankungen wurde ein dosis­abhängig erhöhtes Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, gefunden. Nach einer Einnahmezeit von zehn Jahren war das relative Risiko um 38% höher. In absoluten Zahlen: Die Zunahme betrug eine Erkrankung pro 7690 Frauen für eine Exposition zu irgendeiner hormonellen Antikonzeption (inkl. intrauteriner Gestagene) für ein Jahr.
N Engl J Med 2017;377:2228–39. 
doi: 10.1056/NEJMoa1700732.
Verfasst am 07.12.2017.

Aus Schweizer Feder

Hypothyreose: Subklinisch, latent und doch symptomatisch?

Die Gruppe um den emeritierten Basler Endokrinologen Prof. J. J. Staub hatte sich viele Jahre mit herausragenden Publikationen der wissenschaftlichen Erforschung der klinischen ­Zeichen und Symptome der sogenannten sub­klinischen Hypothyreose gewidmet (siehe z.B. als «pars pro toto» Referenz [1]). Nachdem bekannt ist, dass der subklinische Hyperthyreoidismus mit Vorhofflimmern assoziiert ist, fanden nun Forscher am Inselspital in Bern (unter Leitung unseres Chefredaktors, Prof. N. Rodondi, Datenanalyse aus 11 Kohorten­studien mit >30 000 PatientInnen), dass bei euthyreoten und subklinisch hypothyreoten PatientInnen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Vorhofflimmerns positiv mit dem freien T4-Spiegel korrelierte [2]. Potentiell ist diese Information wichtig für die Definition des (sicheren) Zielspiegels in der Substitutionstherapie der Hypothyreose.
1 J Clin Endocrinol Metab. 2001;86(10):4860–6.
doi.org/10.1210/jcem.86.10.7973.
2 Circulation. 2017;136(22):2100–16. 
doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.117.02875.
Verfasst am 08.12.2017.