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Folgen der UAW: Vorübergehend schwer beeinträchtigt
Kausalitätsbeurteilung: Wahrscheinlich
Der klinische Fall
Der 66-jährige nierentransplantierte Patient nahm aufgrund einer Harnwegsinfektion nach initialer Behandlung mit Ceftriaxon zweimal täglich 250 mg Ciprofloxacin (Ciproxin®) ein. Die langjährige immunsuppressive Therapie des Patienten beinhaltete Ciclosporin (Sandimmun Neoral®), Azathioprin (Imurek®) und Prednison. Drei Tage nach Beginn der Behandlung mit Ciprofloxacin traten Schmerzen im Bereich der Achillessehnen auf. Diese waren geschwollen und schmerzten besonders bei Streckung und Druck. Bei Verdacht auf eine Fluorochinolon-induzierte Achillodynie wurde Ciprofloxacin sofort abgesetzt. Als Therapie erhielt der Patient orale Kortikosteroide.
Daneben litt der Patient an einer schweren Niereninsuffizienz (eGFR 12 ml/min/1,73 m2). Weitere Komorbiditäten bestanden in einer Hypercholesterinämie und Hypertonie. Tabelle 1 gibt die aktuelle Medikation wieder. Das Ausmass der körperlichen Aktivität ist nicht berichtet.
Tabelle 1: Medikation des Patienten. | |||
Arzneimittel | Morgens | Mittags | Abends |
Ciproxin® (Ciprofloxacin) 250 mg | 1 | 0 | 1 |
Sandimmun Neoral®(Ciclosporin) 100 mg | 1 | 0 | 1 |
Imurek® (Azathioprin) 50 mg | 2 | 0 | 0 |
Prednison Galepharm (Prednison) 5 mg | 1 | 0 | 0 |
Sortis® (Atorvastatin) 20 mg | 1 | 0 | 0 |
Nebilet® (Nebivolol) 5 mg | 1 | 0 | 0 |
Klinisch-pharmakologische Beurteilung
Ciproxin® enthält den Gyrase-Hemmer Ciprofloxacin aus der Strukturgruppe der Fluorochinolone [1]. Die in der Schweiz erhältlichen Fluorochinolon-Antibiotika sind in Tabelle 2 aufgeführt. Durch Hemmung der bakteriellen Topoisomerasen II (DNS-Gyrase) und IV stört Ciprofloxacin die DNS-Synthese empfindlicher Bakterien und wirkt dosisabhängig bakterizid [2]. Als Breitspektrum-Antibiotikum kommt es bei diversen, unter anderem urologischen Infektionen zum Einsatz. Ciprofloxacin besitzt eine geringe Proteinbindung von 20–30% und liegt im Blut in ungeladener Form vor, weshalb sich die Substanz gut in den Flüssigkeitsraum ausserhalb der Blutgefässe verteilt. Metabolisiert wird Ciprofloxacin in der Leber, jedoch erfolgt die Elimination der Metabolite und der unveränderten Substanz zur Hälfte über die Nieren. Die durchschnittliche Eliminationshalbwertszeit bei normaler Nierenfunktion beträgt etwa vier Stunden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion sollte die Dosis entsprechend reduziert werden [1].
Tabelle 2: Tendinopathie als Klasseneffekt mit Übersicht der Fluorochinolon-Antibiotika in der Schweiz. | |
Fluorochinolon-Antibiotikum | Beispielpräparat |
Norfloxacin | Norsol® |
Ciprofloxacin | Ciproxin® |
Ofloxacin | Tarivid® |
Levofloxacin | Tavanic® |
Moxifloxacin | Avalox® |
Tendinopathien – Entzündungen und Rupturen der Sehnen sowie Sehnenscheidenentzündungen – sind recht seltene, aber gut dokumentierte unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) von Ciprofloxacin [1]. Sie werden als Klasseneffekt der Fluorochinolone angesehen und gemäss den Schweizer Arzneimittelinformationen sehr selten (<0,01%) bis selten (0,01–0,1%) unter sämtlichen in Tabelle 2 aufgeführten Fluorochinolon-Antibiotika beobachtet [3]. Inzidenzangaben variieren von Studie zu Studie mit einem potentiell höheren Risiko durch Levofloxacin und Ofloxacin. Tendinopathien können in jedem Alter bereits innerhalb der ersten 48 Stunden einer Behandlung mit Ciprofloxacin auftreten oder auch erst mehrere Monate nach Behandlungsende [1]. Die Hälfte der betroffenen Patienten entwickeln die Beschwerden während den ersten sechs Behandlungstage [4]. Beim vorgestellten Patienten trat die beidseitige Achillodynie mit einer Latenzzeit von drei Tagen auf. In den meisten Fällen sind die Achillessehnen betroffen, es können jedoch ebenfalls Beschwerden der Rotatorenmanschette, Hände, des Bizeps, der Daumen und anderer Sehnen auftreten [5]. Rupturen betreffen ebenfalls mehrheitlich die Achillessehnen, es können aber genauso andere Sehnen rupturieren [4]. Zu Rupturen kommt es zwar äusserst selten, diese können jedoch sehr behindernd und schwerwiegend sein. Bei jeglichen Anzeichen einer Sehnenerkrankung (z.B. schmerzhafte Schwellung, Entzündung) unter Ciprofloxacin muss die Behandlung abgebrochen, die betroffene Extremität entlastet, physikalische Belastung vermieden sowie gegebenenfalls auf ein Nicht-Fluorochinolon-Antibiotikum gewechselt werden [1]. Insgesamt ist die Prognose bei einem überwiegenden Teil der Patienten gut mit Besserung der Beschwerden nach etwa 15 bis 30 Tagen nach Absetzen des Medikaments. Bei Rupturen können aber auch chirurgische Interventionen notwendig werden. Der Nutzen von Kortikosteroiden – wie im vorliegenden Fall – ist jedoch fraglich, da es unter dieser Substanzklasse ebenfalls zu Tendinopathien kommen kann – also im Sinne eines zusätzlichen Risikofaktors.
Weitere wichtige Risikofaktoren für das Auftreten einer Chinolon-induzierten Tendinopathie sind in Tabelle 3 aufgeführt. Der vorgestellte Patient weist mehrere Faktoren auf, die das Risiko für eine Fluorochinolon-induzierte Tendinopathie erhöhen – unter anderem ein fortgeschrittenes Alter, eine schwere Niereninsuffizienz und die langjährige systemische Glukokortikoidbehandlung. Das Risiko ist möglicherweise dosisabhängig, weshalb bei Nierenfunktionsstörung eine entsprechende Dosisanpassung der Fluorochinolone zur Vermeidung von Akkumulation empfohlen ist. Weibliches Geschlecht ist ausserdem ein Risikofaktor für eine Sehnenruptur.
Tabelle 3: Risikofaktoren für Fluorochinolon-induzierte Tendinopathie [4, 6–9]. |
Alter >60 Jahre |
Ko-Medikation mit Glukokortikoiden |
Körperliche Aktivität |
Niereninsuffizienz / Hämodialyse |
Solide Organtransplantation |
Aufgrund des Risikos für schwer beeinträchtigende und invalidisierende unerwünschte Wirkungen rief die «U.S. Food and Drug Administration» im Jahr 2016 zu einem restriktiveren Einsatz der systemisch verabreichten Fluorochinolone auf – insbesondere bei akuter Sinusitis oder Bronchitis und unkomplizierten Harnwegsinfektionen mit alternativen Therapiemöglichkeiten –, wo das Risiko eindeutig den (nicht vorhandenen) Nutzen überwiegt [10]. Athleten respektive körperlich «hochaktive» Patienten sollten während und bis 2–4 Wochen nach Fluorochinolon-Einnahme ihre Trainingsintensität reduzieren.
Auch die gleichzeitig eingenommenen Medikamente Atorvastatin und Prednison können Tendinopathien beziehungsweise Sehnenrupturen verursachen. In der Schweizer Arzneimittelinformation von Sortis® sind Sehnenrupturen als sehr seltene und Sehnenscheidenentzündungen als seltene unerwünschte Wirkungen dokumentiert [11]. Für das Glukokortikoid Prednison werden Sehnenrupturen und die Hemmung der Kollagensynthese als beobachtete unerwünschte Wirkungen genannt [12]. Als Mechanismus wird neben direkt toxischen Effekten wie oxidativer Stress und mitochondriale Toxizität [13, 14] eine Aktivitätssteigerung von abbauenden Enzymen durch Medikamente angenommen. Fluorochinolone und Statine erhöhen die Aktivität der Matrix-Metalloprotease, während Glukokortikoide die Kollagenase aktivieren. Daraus resultieren ein vermehrter Abbau der extrazellulären Sehnenmatrix und eine verminderte Sehnenstabilität [4, 15].
Zusammenfassend wurde aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs, der guten Dokumentation in der Arzneimittelinformation und Fachliteratur sowie vorhandener Risikofaktoren wie fortgeschrittenem Alter, begleitender Glukokortikoid- und Statinbehandlung, Nierentransplantation mit schwerer Nierenfunktionsstörung, die Kausalität zwischen dem Auftreten der beidseitigen, invalidisierenden Achillodynie und der Einnahme von Ciprofloxacin gemäss den Kriterien der «World Health Organization» (WHO) und des «Council for International Organizations of Medical Sciences» (CIOMS) insgesamt als wahrscheinlich beurteilt.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
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PD Dr. med. Stefan Weiler,
PhD, MHBA
Klinik für Klinische Pharmakologie und Toxikologie
UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
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Stefan.Weiler[at]usz.ch
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