Was einmal verloren ging …

Was einmal verloren ging …

Kurz und bündig
Ausgabe
2018/09
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03233
Schweiz Med Forum 2018;18(09):187-188

Publiziert am 28.02.2018

Fokus auf … Nagelpilz

Definition: Infektionen der Nägel meist durch Dermatophyten (davon am häufigsten Trichophytum rubrum).
Risikofaktoren: Alter, Schwimmen, Fusspilz, Psoriasis, Diabetes, Immundefizite, genetisch, enger Kontakt zu Patienten mit Nagelpilz.
Häufigste klinische Form: distale subunguale Onychomykose.
Diagnose: Kulturen aus abgeschnittenem Nagel (aus der proximalsten Stelle), aber: 1/3 davon bleiben negativ. Alternativ/komplementär: KOH-Präparate (spezifisch, aber wenig sensitiv), PAS-Färbung.
Therapie: Terbinafin (Lamisil® p.o., 1× 250 mg/d, für mindestens 6 Wochen) besser als die Azol-Mykostatika (z.B. Itraconazol), Griseofulvin nicht mehr aktuell.
Prognose: Selbst mit Terbinafin lediglich ca. 50% mikrobiologische oder klinische Heilungen.
JAMA. 2018;319:397–8.
doi: 10.1001/jama.2017.20160.
Verfasst am 31.01.2018.

Praxisrelevant

Was einmal verloren ging …

Die altersassoziierte Fragilität – wie auch immer definiert – ist ein wesentlicher Risikofaktor für Morbidität und Mortalität, chirurgische Komplikationen und eingeschränkte Mobilität/Selbständigkeit älterer Menschen. Damit verbunden ist eine erhöhte Sturzneigung und, als deren Folge, Frakturhäufigkeit. Kann man die Fragi­lität mit ­einem strukturierten Trainingsprogramm bessern und damit ihre erwähnten Sekundärfolgen lindern? Ein zweijähriges Trainingsprogramm bei mehr als 1600 etwa 80-jährigen Pa­tientInnen verbesserte (etwas) die Fragilität gemessen am sogenannten «SOF frailty index» (siehe Erklärung in Box 1); de facto konnten die ProbandInnen besser von einem Stuhl aufstehen. Allerdings blieb das Training ohne Einfluss auf relevante Morbiditäten. Ist auch hier die (wie viel?) früher einsetzende physische Prävention entscheidend?

Box 1: Wie ist der Fragilitätsindex nach SOF («study of osteoporotic fractures») definiert?

1. Gewichtsverlust von >5% unabhängig davon, ob gewollt oder nicht.
2. Unfähigkeit, aus einem Stuhl ohne Gebrauch der Arme 5-mal aufzustehen.
3. Reduzierte Energie (oder «leere Batterien») definiert bei «Nein»-Antwort auf die Frage (im Geriatrischen Depressionsscore): «Fühlen Sie sich voll Energie?»
Arch Intern Med. 2008;168(4):382–9.
Ann Intern Med. 2018.
Verfasst am 30.01.2018.

Elektive Abdominalchirurgie: präoperative Physiotherapie ist sinnvoll und wirksam!

Pulmonale Komplikationen wie eine Pneumonie oder Atelektasen treten bei 10 bis 50% (!) der elektiven chirurgischen Eingriffe im Bereiche des oberen Abdomens auf, welche ihrerseits die am häufigsten durchgeführten Operationen überhaupt sind. Gründe dafür sind unter anderem: postoperative Einschränkung des Lungenvolumens, eingeschränkte mukoziliäre Clearance, schmerzinduzierte Hemmung der Atemmuskulatur. Postoperative Lungenkomplikationen sind starke Risikofaktoren für erhöhte postoperative Mortalität und Gesundheitskosten. In Neuseeland führte eine 30-minütige, prä­operative physiotherapeutische Therapieeinheit (verblindet!) vorwiegend zur Schulung der (postoperativen) Atemtechnik zu einer Halbierung der postoperativen pulmonalen Komplikationen (siehe den verwendeten «Melbourne Group Score» in Box 2), spezifischer namentlich der nosokomialen Pneumonien. Follow-up: erste 14 postoperative Tage. Die «number needed to treat» betrug oder beträgt nur 7.

Box 2: «Melbourne Group Score» postopera­tiver pulmonaler Komplikationen

1. Abnormer Auskultationsbefund inkl. klinische Diagnose eines oberen oder unteren Atemwegsinfekts durch den Kliniker.
2. Neuauftreten eines mukopurulenten Sputums.
3. Perkutan gemessene Sauerstoffsättigung <90%.
4. Oral gemessene Körpertemperatur >38 °C an zwei und mehr postoperativen Tagen.
5. Neue Abnormitäten im Thoraxröntgenbild (Konsolidierungen, Atelektasen).
6. Anderweitig ungeklärte Leukozytose (>11 × 109/l).
7. Nachweis eines Infektes gemäss Sputumanalytik.
Chest. 2005 Jan;127(1):213–9.
DOI: 10.1378/chest.127.1.213.
BMJ 2018;360:j5916.
https://doi.org/10.1136/bmj.j5916.
Verfasst am 30.01.2018.

Für ÄrztInnen am Spital

Hypernatriämie – häufiger als vermutet und gefährlich!

Eine Hypernatriämie entsteht fast immer durch Verlust von Wasser oder hypotoner Flüssigkeiten, selten durch eine Zufuhr hypertoner Salzlösungen. Das Durstgefühl ist eine starke und die wichtigste Abwehr gegen Hyper­natriämie. Deshalb treten Hypernatri­ämien vorwiegend bei alten PatientInnen mit körperlicher Behinderung, kognitiven Defiziten und Bewusstseinsstörungen auf. In ­diesem Zusammenhang berüchtigt ist die massiv erhöhte Mortalität in Europa im Hitzesommer 2003, die vor allem isoliert lebende ältere Menschen, vorwiegend Frauen, betraf. In einer unselektierten, hospitalisierten Population stieg die Mortalität bei Serumnatriumkonzentration >142 mmol/l exponentiell an, ebenfalls benötigte diese Komplikation ­signifikant mehr Spitalressourcen. 21% der Eintritte wiesen eine Hypernatriämie (<142 mmol/l) auf, die sich bei 12% während der Hospitalisation noch verschlechterte. Bei knapp 26% der PatientInnen trat die Hyper­natriämie während der Hospitalisation auf! Während die meisten Spitäler Behandlungsstandards für die Hypona­triämie aufgestellt haben, sind solche für die zwar seltenere Hypernatri­ämie offensichtlich dringend nötig.
Am J Med. 2018;131(1):72–82.e1.
Verfasst am 30.1.2018.

Neues aus der Biologie und Das hat uns gefreut

Kurz und bündig freuten wir uns über einen supportiven Folgeartikel zu den «Segnungen des intermittierenden Fastens» (siehe Swiss Medical Forum 05/2018, [1]).
Intermittierendes Fasten führte bei Mäusen zu einer Lebensverlängerung, einer schnelleren Zellregeneration in multiplen Organ­systemen und einer gesteigerten kognitiven Leistungs­fähigkeit. Im menschlichen Arm der Studie führte intermittierendes Fasten (mindestens 5 Tage pro ­Monat zwischen 34 und 54% der normalen Kalo­rienmenge, Diät auch an den «Fasten»-Tagen ausgeglichen) zu einer signifikanten Verbesserung von Risikofaktoren/Biomarkersubstanzen des Alterns, von Diabetes, kardiovaskulärer Erkrankungen und onkologischer Krankheiten.
1 Schweiz Med Forum. 2018;18(05):
97–8.
https://doi.emh.ch/10.4414/smf.2018.03193.
2 Cell Metab. 2015;22(1):86–99.
doi: 10.1016/j.cmet.2015.05.012.
Verfasst am 31.01.2018.

Das hat uns weniger gefreut

2015 betrugen die gesamten Aufwendungen für Gesundheit/Behandlung von Krankheiten in der Schweiz knapp 78 Milliarden (plus 4,1% gegenüber Vorjahr). Das Bruttosozialprodukt lag im gleichen Jahr bei knapp 654 Milliarden. Alle glauben, dass ­dieses Verhältnis ungesund sei. Aber es gibt keine überzeugende Analyse, die zeigt, ob die Leistungen für diesen Preis zu bescheiden oder ob und wie die bestehenden Leistungen zu einem tieferen Preis erhalten werden können. Auf jeden Fall ist Bundesrat Berset zuzustimmen, wenn er sich darüber aufhält, wenn gewisse Lobby-Gruppen an Denkverbote erinnerende «a priori» Ablehnungen publik machen (Gesundheitskonferenz am 29. Januar 2018).

Immer noch lesenswert

Wegweisende Anamnese durch ­einen Medizinstudenten

Eine 20-jährige, holländische Patientin war wegen ausgeprägter hypertensiver Entgleisungen behandelt und ergebnislos abgeklärt worden. Unter anderem wurden die Nieren­arterien bilateral offen-chirurgisch wegen angiographisch vermuteter Nierenarterienstenosen exploriert. Allerdings fand man völlig normale Nierenarterien! Erst der besagte ­Medizinstudent nahm sich Zeit für die Patientin und fand heraus, dass diese täglich in Form von Lutschtabletten 100 mg Glycyrrhetinsäure (= Lakritze) einnahm. Diese Sub­stanz, Produkt der Wurzel des mediterranen Süssholzes (­Glycyrrhiza glabra), war einer der ersten Süssstoffe. In Form von sinnigerweise «gummi arabicum» wird sie auch heute in der Schweiz noch in nicht-rezeptpflichtigen Kaugummis / Lutschtabletten verkauft. Die Sub­stanz kommt auch im Ouzo, Pastis und anderem mehr vor (cave bei Geschmack wie «Bären­dreck»). Eine sorgfältige metabolische Studie (siehe Abb. 1) demonstrierte dann die Glycyrrhetinsäure-induzierte reversible Natrium­retention, Gewichtszunahme und schwere hypertensive Entgleisung und stellte somit die korrekte Diagnose. Mechanismus? Ihre Antwort darauf formulieren Sie doch bitte unter «Wussten Sie»? Zudem sollten wir ­(wieder einmal) lernen: Angiographische Stenosegrade sehen oft (viel) «schlimmer» aus als in vivo!
Abbildung 1: Blutdrucke, Natrium- und Kaliumbilanz sowie Körpergewicht als Folge der Einnahme von Glycyrrhetinsäure («liquorice» = Lakritze). 
From: Koster M, David GK. Reversible severe hypertension due to licorice ingestion. N Engl J Med. 1968;278(25):1381–3; © 1968 Massachusetts Medical Society. Reprinted with permission from 
Massachusetts Medical Society.
N Engl J Med. 1968;278:1381–3.
Verfasst am 31.01.2018.

Wussten Sie?

Via welchen Mechanismus führt die Einnahme von Glycyrrhetinsäure (Lakritze) zur bedrohlichen Hypertonie (nur 1 Antwort ist richtig)?
1. Glycyrrhetinsäure ist strukturell ein Glukokortikoid-ähnliches Molekül und wirkt in den Nieren deshalb wie Aldosteron.
2. Die Glycyrrhetinsäure ist eine der potentesten arteriell-vasokonstriktorisch wirksamen Substanzen (stärker als Endothelin).
3. Glycyrrhetinsäure hemmt den Abbau von Tyramin (vorkommend in schweren Rotweinen und gewissen Käsesorten) und induziert dadurch ein Phäochromozytom-ähnliches Krankheitsbild.
4. Glycyrrhetinsäure hemmt die periphere Inaktivierung von Kortisol zu Kortison.
5. Glycyrrhetinsäure wirkt mit zentralem (ZNS) Angriffspunkt auf die Ausschüttung von Katecholaminenen.
Wer Lust hat, schreibt die Antwort an rkrapf[at]bluewin.ch, Auflösung in der nächsten Nummer.