Genanalytik bei der Lebersteatose
Wissenschaftlich interessant, in der klinischen Praxis aber selten erforderlich

Genanalytik bei der Lebersteatose

Editorial
Ausgabe
2018/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03243
Schweiz Med Forum 2018;18(12):269-270

Affiliations
Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern, Bern

Publiziert am 21.03.2018

Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung («nonal­coholic fatty liver disease» [NAFLD]) ist die häufigste Lebererkrankung. In den westlichen Ländern sind davon 17–46% der erwachsenen Bevölkerung betroffen [1]. Die Prävalenz der NAFLD nimmt parallel zur Prävalenz des metabolischen Syndroms und dessen Einzelkomponenten zu. Gelegentlich kann sie auch bei Normalgewich­tigen beobachtet werden. Bei der NAFLD wird zwischen der nichtalkoholischen Fettleber und der nichtalko­holischen Fettleberentzündung (NASH) unterschieden, wobei letztere mit einem breiten Spek­trum von Komplikationen (u.a. Leberzirrhose und hepatozelluläres Karzinom) assoziiert ist.
Die Progression der NAFLD wird durch eine Kombi­nation von genetischen und Umwelteinflüssen mitbestimmt. Bis heute wurde eine grosse Zahl an Genen ­beschrieben, die mit der NAFLD in Bezug gebracht werden [2].
Diese können in drei unterschiedliche mechanistische Gruppen unterteilt werden: (1.) Gene, welche die Handhabung von Fettsäuren und die Akkumulation von Triglyzeriden in der Leber beeinflussen, (2.) Gene, die mit der Progression zur NASH assoziiert sind und (3.) Gene, die einen Einfluss auf die hepatische Fibrose haben.
Trotz der zahlreichen Kandidatengene wurden bisher nur einige wenige unabhängig validiert, so dass ein ­Zusammenhang mit der NAFLD als gesichert gilt [3]. Die zwei wichtigsten Gene sind PNPLA3 («patatin-like phospholipase domain containing 3») und TM6SF2 («transmembrane 6 superfamily 2»). Träger der Varianten PNPLA3 I148M und TM6SF2 E167K haben einen höheren Fettgehalt in der Leber und ein erhöhtes Risiko für eine NASH [2]. Wichtig ist, dass eine NAFLD als Folge dieser zwei Genvarianten nicht systematisch mit einer Insulinresistenz vergesellschaftet ist. Die Bestimmung dieser beiden Genvarianten kann im Rahmen von klinischen Studien sowie in Einzelfällen sinnvoll sein. In der klinischen Routine ist sie heute jedoch (noch) nicht empfohlen. Gründe hierfür sind einerseits die hohen Kosten bei einem systematischen Screening und andererseits die unklare klinische Relevanz im Fall eines Nachweises dieser Genvarianten.
Der Artikel «Zur Genetik der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung» von H. Müller und R. Meier [4] in der aktuellen Ausgabe des Swiss Medical Forum gibt eine interessante Übersicht zu genetischen Erkrankungen, die mit einer Fettleber assoziiert sind. Im Gegensatz zur hoch prävalenten NAFLD sind die meisten monogenen Erkrankungen, die mit einer Fettleber einher­gehen können, sehr selten und viele werden schon im Kindesalter diagnostiziert. Beispiele hierfür sind die Zystische Fibrose, die Glykogenspeicherkrankheiten und weitere Stoffwechselkrankheiten.
Bei den monogenen Erbkrankheiten, die sich vorwiegend im Erwachsenenalter manifestieren und die mit einer Fettleber assoziiert sind, wird die Diagnose nur ausnahmsweise aufgrund der Lebersteatose gestellt. Meist führen andere charakteristische Merkmale, wie beispielsweise beim Morbus Wilson ein vermindertes Coeruloplasmin, der Nachweis eines Kayser-Fleischer Rings und das Vorliegen von neurologischen Symp­tomen zur Diagnose. Die Genanalytik hat dann vorwiegend einen konfirmatorischen Charakter und kann, je nach Krankheit, mit einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden sein (beim Morbus Wilson sind ca. 500 Mutationen bekannt) [5].
Dass das Vorliegen einer charakteristischen Mutation nicht zwingend zur phänotypischen Erkrankung führen muss oder aber der Phänotyp ein breites Spektrum haben kann, lässt sich an einem anderen Beispiel aus der Hepatologie gut demonstrieren. Bei Patienten mit einem hohen Ferritin steht differenzialdiagnostisch eine Hämochromatose zur Diskussion, weshalb (zu) häufig als nächster Schritt eine genetische Analyse des HFE-Gens durchgeführt wird. Wichtiger ist es, die beiden weitaus häufigeren Ursachen einer Ferritinerhöhung, nämlich die NAFLD sowie den chronisch erhöhten ­Alkoholkonsum, ursächlich in Betracht zu ziehen. Unter Einbezug der Transferrinsättigung, des nichtinvasiv gemessenen Fibrosegrades, der geographischen Herkunft und der Ethnizität des Patienten kann eine Hämochromatose in vielen Fällen ohne zusätzliche weitere Untersuchung mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden. Andererseits ist auch bei nachgewiesener homozygoter oder compound heterozygoter HFE-Mutation in vielen Fällen histologisch keine Hämochromatose nachweisbar, da die Penetranz der Erkrankung gering ist und längst nicht alle Patienten mit einer genetischen Disposition tatsächlich eine relevante Eisenüberladung aufweisen [6].
Über die letzten Jahre haben Defekte im Enzym lysosomale saure Lipase (LAL) vermehrte Aufmerksamkeit erhalten. Ist die Enzymfunktion teilweise erhalten, so wird die Diagnose eventuell erst im Erwachsenenalter gestellt. Charakteristische Merkmale der LAL-Defizienz sind insbesondere die Erhöhung der Alanin-Aminotransferase (ALT) und des LDL-Cholesterins, ein tiefes HDL-Cholesterin sowie eine Lebersteatose bei einem Body-Mass-Index unter 30 kg/m2 [7]. Eine genetische Analytik sollte nur beim Vorliegen der charakteristischen Befundkonstellation und im Rahmen einer spezialärztlichen Beurteilung durchgeführt werden.
Unbestritten ist, dass die genetische Analytik bei vielen monogenen Erbkrankheiten wertvolle Dienste bei der Bestätigung der Diagnose leistet. Damit können im Idealfall präventive und therapeutische Massnahmen, sofern diese zur Verfügung stehen, frühzeitig eingeleitet und der Krankheitsverlauf günstig beeinflusst werden. Der Stellenwert der genetischen Diagnostik ­bezüglich der polygenen Veranlagung der Fettlebererkrankung ist zurzeit noch unklar, insbesondere da sich aus dem Nachweis von charakteristischen Genvarianten heute noch kaum therapeutische Konsequenzen ableiten ­lassen. Mit der Epigenetik und dem besseren Verständnis der Rolle des Mikrobioms dürfen in naher Zukunft weitere Erkenntnisse bezüglich der Pathophysiologie und auch möglicher therapeutischer Ansätze erwartet werden.
Unter Berücksichtigung der hohen Prävalenz der Fettlebererkrankung und der Seltenheit von monogenen Erbkrankheiten, die mit einer Lebersteatose einher­gehen, dürfen genetische Analyse nicht alleine aufgrund der Diagnose einer Fettleber getriggert werden. Wird anhand einer charakteristischen Präsentation eine monogene Erbkrankheit vermutet, so sollte primär eine spezialärztliche Beurteilung erfolgen. Falls sich der klinische Verdacht erhärtet, kann in einem weiteren Schritt eine genetische Analyse durchgeführt werden. Damit können nicht nur Kosten eingespart, sondern auch Fehlinterpretationen und Verunsicherungen von Patienten vermieden werden.
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Guido Stirnimann
Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin
Inselspital
Universitäts­spital Bern
Freiburgstrasse
CH-3010 Bern
guido.stirnimann[at]
insel.ch
1 Vernon G, Baranova A, Younossi ZM. Systematic review: the epidemiology and natural history of non-alcoholic fatty liver disease and non-alcoholic steatohepatitis in adults. ­Aliment ­Pharmacol Ther. 2011;34:274–85.
2 EASL-EASD-EASO Clinical Practice Guidelines for the management of non-alcoholic fatty liver disease. J Hepatol. 2016;64(6):1388–402.
3 Anstee QM, Targher G, Day CP. Progression of NAFLD to diabetes mellitus, cardiovascular disease or cirrhosis. Nat Rev Gastroenterol Hepatol. 2013;10:330–44.
4 Müller H, Meier R. Zur Genetik der nichtalkoholischen Fettleber­erkrankungen. Schweiz Med Forum. 2018;18(12):271–276.
5 European Association for Study of Liver. EASL Clinical Practice Guidelines: Wilson’s disease. J Hepatol. 2012;56(3):671–85.
6 Allen KJ, Gurrin LC, Constantine CC, Osborne NJ, Delatycki MB, Nicoll AJ, et al. Iron-overload-related disease in HFE hereditary hemochromatosis. N Engl J Med. 2008;358(3):221–30.
7 Reiner Ž, Guardamagna O, Nair D, Soran H, Hovingh K, Bertolini S, et al. Lysosomal acid lipase deficiency – an under-recognized cause of dyslipidaemia and liver dysfunction. Atherosclerosis. 2014;235(1):21–30.