Dyspnoe
Diagnostik und Therapie in potentiell lebensbedrohlichen Situationen

Dyspnoe

Übersichtsartikel AIM
Ausgabe
2018/1920
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03278
Schweiz Med Forum 2018;18(1920):418-424

Affiliations
Klinik für Innere Medizin, Universitätsspital Basel, Universität Basel, Basel
Klinik für Medizinische Intensivmedizin, Universitätsspital Basel, Basel

Publiziert am 09.05.2018

Dyspnoe ist ein Notfall, bei dem die Zeit für eine genaue Diagnostik fehlen kann. Entscheidend sind eine rasche Einschätzung der Gefahr und ein früher Therapiebeginn.

Pathophysiologie und Ursachen

Atemnot ist ein Gefühl, das durch verschiedene Reize entstehen kann, wobei die empfundene Atemnot individuell unterschiedlich ist. Die wichtigsten Trigger sind Hyperkapnie, Hypoxie und Azidose. Atemnot entsteht aber auch bei eingeschränkter Energiegewinnung auf zellulärer Ebene. Ausserdem kann ein er­höhter Atemwiderstand (inadäquate Ventilation im Vergleich zur Anstrengung [1]) Atemnot hervorrufen, trotz normaler Blutgase. Gibt ein Patient Atemnot an, dann ist dies ernst zu nehmen, auch bei normalen Messparametern. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die möglichen Ursachen einer Dyspnoe.
Tabelle 1: Ursachen einer Dyspnoe.
Obstruktion der ­oberen ­AtemwegeAngioödem, Fremdkörperaspiration, Struma, ­verlegtes Tracheostoma, ­Tracheomalazie, …
Pulmonale ­ErkrankungenPneumonie, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Pleura­erguss, Asthmaanfall, Bronchuskarzinom, Pneumothorax, Lungenfibrose, Hämoptysen, Rauchgasinhalation, …
Herz-Kreislauf-­ErkrankungenLungenödem, Herzrhythmusstörungen, Myokardinfarkt, Lungenembolie, Anämie (hämorrhagischer Schock), Perikardtamponade, Rechtsherz­versagen, …
Metabolische ­StörungenSepsis, Ketoazidose, Fieber, Hyper­thyreose, Intoxikation (Kohlenmonoxid, Cyanid, Acetylsalicylsäure), …
Neurologisch ­Störungen der ­AtemmuskulaturZwerchfellparese, Guillain-Barré, ­Myelitis transversa, traumatische ­Rückenmarksverletzung, …
Psychische ­StörungenHyperventilation, Angst, …

Dyspnoeevaluation ohne Hilfsmittel

Szene 1


Sie sitzen abends im Zug auf dem Nachhauseweg, als sie die Durchsage hören: «Wir brauchen dringend eine Ärztin oder einen Arzt in Wagen 8. Hier droht jemand zu ersticken». Sie haben keinerlei Hilfsmittel dabei. Unterwegs zu Wagen 8 überlegen sie, ob sie da überhaupt eine Hilfe sein könnten.
Tatsächlich sind vor allem die therapeutischen Möglichkeiten stark eingeschränkt. Sie können aber mitent­scheiden, ob der Zug notfallmässig zwischenhalten muss. Ausserdem kann ihre Differentialdia­gnose der Rettungssanität weiterhelfen. In der Notfallsituation ist es wichtiger, das Gefahrenpotential richtig einzuschätzen, als möglichst schnell die Diagnose zu stellen.

Mögliche Dyspnoeursachen

Noch vor einer Anamnese können sie anhand Alter, Konstitution, Erscheinungsbild und Atemmuster die Differentialdiagnose gewichten:
Bei Patienten über 65 Jahren, die sich wegen Dyspnoe auf einer Notfallstation vorstellen, sind die mit Abstand häufigsten Diagnosen: Lungenödem, Pneumonie, Exazerbation einer vorbestehenden Lungenerkrankung und etwas seltener (ca. 20%) Lungenembolie. Fast die Hälfte der Patienten hat mehr als eine Diagnose, die zu Dyspnoe führt. Treten neue oder vom Charakter her andere Symptome auf bei Patienten mit bekannter ­Dyspnoe, müssen weitere Ursachen gesucht werden. Gerade die Lungenembolie sollte nicht verpasst werden [2]. Jugendliche oder Kinder haben häufiger Asthma­anfälle beziehungsweise Pseudokrupp, schlanke Raucher Spontanpneumothoraces. Diabetiker können bei Ketoazidose Atemnot bekommen.

Untersuchung ohne diagnostische Hilfsmittel

Hören Sie bereits beim Betreten des Wagons ein inspiratorisches Atemgeräusch (Stridor), können Sie von einer akuten Obstruktion der oberen Atemwege ausgehen. Aspirierte Fremdkörper, allergische Schleimhautschwellungen oder symptomatisch werdende Pharynx- oder Larynxtumoren kommen infrage.
Eine hohe Atemfrequenz ist das sensitivste und früheste Alarmzeichen bei Atemnot. Der Einsatz von Atemhilfsmuskulatur deutet auf eine schwere Störung hin. Häufig nehmen Patienten dabei eine typische Haltung ein und stützen sich mit den Armen ab.
Eine obstruktive Ventilationsstörung lässt sich oft ohne Stethoskop diagnostizieren. Ein verlängertes ­Exspirium weist auf einen Asthmaanfall oder eine Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) hin. Bei schweren Formen kommt es zu fast fehlenden Atemexkursionen trotz grosser Anstrengung («silent chest»). Hier bleibt nicht viel Zeit.
Zyanose ist ein spätes Hypoxiezeichen, dessen Ausprägung von der Menge an ungesättigtem Hämoglobin abhängt. Somit ist eine Zyanose bei Anämie schlechter erkennbar [3].
Eine Kohlendioxid(CO2)-Retention führt zu Tachykardie, Kaltschweissigkeit und im Verlauf zu Somnolenz.
Bei Sprechdyspnoe helfen Fremdanamnese oder geschlossene Fragen, Atem zu sparen.
Durch Pulspalpation können Herzinsuffizienzursachen wie Vorhofflimmern, Tachy- und Bradykardien vermutet werden. Gestaute Halsvenen oder periphere Ödeme deuten auf eine kardiale Ätiologie der Dyspnoe. Eine kühle oder marmorierte Peripherie kann auf ­einen kardiogenen Schock hinweisen.
Kribbeln um den Mund, in den Händen und Füssen deutet eher auf eine Panikattacke mit Hyperventilation. Psychogene Hyperventilation ist eine Ausschlussdia­gnose, die mit Vorsicht gestellt werden soll, bis gefährliche Ursachen ausgeschlossen sind. Passt das Bild nicht eindeutig oder verschwinden die Symptome nicht innert 20 Minuten, sollte eine Abklärung erfolgen.
Alarmzeichen bei Dyspnoe («red flags») sind in Tabelle 2 zusammengefasst.
Tabelle 2: «Red flags» bei Dyspnoe.
Stridor
Zyanose
Vigilanzminderung
Thoraxschmerzen
Kaltschweissigkeit
Kreislaufinstabilität

Therapie ohne Hilfsmittel

Die Therapieoptionen sind deutlich eingeschränkt. Vielleicht liesse sich im Zug ein Epipen® oder ein In­halationsspray auftreiben. Manchmal hilft aber auch schon die Anwesenheit einer Fachperson.
Heroische Manöver wie die Entlastung eines Pneumothorax mit improvisiertem Material oder gar eine Cricoidotomie mit einem Taschenmesser sollten nur in der Reanimationssituation erwogen werden.
Fast bei allen Formen von Atemnot profitieren Patienten von der Instruktion, möglichst ruhig zu atmen. Atemarbeit verbraucht zusätzlich Sauerstoff (O2) und erzeugt CO2. Betroffene sollten sich möglichst wenig anstrengen, Panik vermeiden und sich, falls notwendig, nur langsam bewegen. Gesunde können sich durch übermässige Anstrengung nicht in eine gefährliche Hypoxie manövrieren. So vergeuden Kurzstreckenprofischwimmer bis 50 m oft keine Zeit für das Atmen trotz maximaler Anstrengung. Im Gegensatz dazu können Patienten mit schwer eingeschränkter Lungenfunktion schon beim Auf-die-Toilette-Eilen in eine tödliche Hypoxie geraten.
Ein Atemwegskollaps (z.B. bei Tracheomalazie) wird verstärkt bei forcierter Inspiration. Obstruktive Ventilationsstörungen werden schlimmer bei Tachypnoe und lassen sich durch Lippenbremse lindern.

Dyspnoe beim Hausbesuch

Szene 2


Ihre Tante vom Nachbardorf ruft sie an, der Onkel atme plötzlich so schwer, wolle aber nicht ins Krankenhaus. Sie sind unterwegs mit einem Notfallkoffer mit Stethoskop, Blutdruckmanschette und Pulsoxymeter.

Mögliche Dyspnoeursachen

Akute Atemnot bei älteren Patienten ohne Vorgeschichte ist ein Alarmzeichen. Infrage kommen vor ­allem akute Herzinsuffizienz (Myokardinfarkt, hypertensive Krise, Rhythmusstörung), Lungenembolie, Pneumonie oder Sepsis. Weniger wahrscheinlich sind allergische Reaktion, Pneumothorax, Intoxikation oder metabolische Entgleisung (Ketoazidose).

Untersuchung mit beschränkten diagnostischen Möglichkeiten

Bei Ihrem Eintreffen ist ihr Onkel bereits nicht mehr richtig bei Bewusstsein, er ist zyanotisch, tachypnoisch, tachykard (130/min) und hypoton (94/53 mm Hg). Das Pulsoxymeter zeigt 83%, wobei sie den Wert hinterfragen bei den kalten, kaum perfundierten Fingern. Über der Lunge hören sie basal beidseits grobblasige Rasselgeräusche.
Die Zeit drängt. Ihrer Tante erklären sie, dass die Situation lebensbedrohlich sei. Bei vorhandenem Lebens-/Therapiewillen muss Ihr Onkel schnellstmöglich ins Krankenhaus mit Sanität und Anästhesieunterstützung. Ihre Tante sollte Medikamentenliste, gegebenenfalls eine Patientenverfügung oder ältere Berichte mitgeben.

Therapie prähospital

Sie können versuchen, die Atmung durch Oberkörperhochlagerung zu optimieren. Ist die Vigilanz stark eingeschränkt, sodass die Zunge in den Rachen fällt, hilft der Esmarch-Handgriff. Bei diesem wird der Atemwegs­kollaps durch Anheben und Vorschieben des Unterkiefers verhindert. Alternativ kann ein Wendl- oder Guedel-Tubus eingesetzt werden (Abb. 1).
Abbildung 1: Der Wendl-Tubus (oben) wird nasal eingeführt, der Guedel-Tubus (unten) wird oral eingeführt. Beide halten die Zunge nach vorn und können eingesetzt werden, um den Atemwegskollaps bei Vigilanzminderung zu verhindern.
Vor der O2-Gabe bei akuter Atemnot besteht eine nur teils begründete Zurückhaltung. Hohe O2-Konzentra­tionen sind längerfristig ungesund [4]. Ausserdem können COPD-Patienten durch O2-Gabe tatsächlich in eine CO2-Narkose geraten, wenn ihr Atemantrieb vom O2-Partialdruck im Blut abhängt (statt wie bei Gesunden vom CO2). Einem tachypnoischen Patienten mit einer O2-Sättigung unter 85% sollte trotzdem mindestens zu Beginn grosszügig O2 verabreicht werden unter Beobachtung. Hypoxie tötet schneller als Hyperkapnie!
Für COPD-Patienten sind Systeme wie Nasenbrillen oder offene Masken sinnvoller als geschlossene Systeme mit Tot­raum, wo sich CO2 akkumulieren kann. Bei Reservoirmasken kann eine CO2-Akkumulation durch ausreichenden O2-Fluss (mind. 8 l/min) vermindert werden.
Rettungsdienste haben häufig die Möglichkeit, eine nichtinvasive Beatmung zu beginnen. Formal ist dies kontraindiziert bei unruhigen oder aspirationsgefährdeten Patienten. Eine Sedation unruhiger Patienten muss gut abgewogen werden, um die Situation nicht weiter zu verschlimmern. Eine Intubation ausserhalb des Krankenhauses ist riskanter wegen der eingeschränkten personellen und technischen Ressourcen. Manchmal lässt sie sich aber nicht umgehen. Besondere Zurückhaltung ist angezeigt bei erwartet schwierigem Atemweg: Stridor, kurzes Kinn, kleine Mundöffnung, rigide Halswirbelsäule, kurzer Hals, Adipositas, postprandial oder bei Ileus. Wenn möglich sollte vor einer Intubation der Kreislauf stabilisiert und eng überwacht werden, um einen fatalen Ausgang zu vermeiden [5].

Stationäres Dyspnoe-Assessment mit ­allen verfügbaren Ressourcen

Szene 3


Der Onkel Ihrer Kollegin aus Szene 2 kommt intubiert, sediert und relaxiert bei Ihnen im Schockraum an mit steigendem Katecholaminbedarf zur Kreislaufunterstützung. Jede Minute zählt.
Eine Anamnese ist nicht mehr möglich, von der Sanität sollten möglichst alle relevanten Informationen übernommen werden. Besonders wichtig sind Telefonnummer von Angehörigen und mutmasslicher Patientenwille.

Untersuchung mit allen diagnostischen ­Möglichkeiten

In dieser Situation ist es sinnvoll, systematisch entsprechend den «Advanced Cardiac Life Support – Primary Survey Guidelines» zu beginnen (ABC):
– Atemwegssicherung mit Tubus beidseitige Beatmung überprüfen mittels Auskultation (Risiko von Tubusfehllage oder Pneumothorax im Rahmen der Beatmung mit hohen Drücken).
– O2-Sättigung.
– Messung des exspiratorischen CO2:
Ein hohes CO2 weist auf ein zu geringes Atemminutenvolumen hin. Ein tiefes oder sinkendes CO2 ist oft das erste Zeichen eines ungenügenden Kreislaufs. Beim Kreislaufstillstand kommt kein CO2 mehr zurück in die Lunge. Bei Tubusfehllage im Ösophagus ist nach wenigen Atemzügen kein CO2 mehr messbar, bei Einlungenventilation bei zu tiefem Tubus ist es vermindert.
– Puls und Blutdruckmessung geben weitere Hinweise über den Kreislauf. Normale Werte schliessen eine schwere Organperfusionsstörung nicht aus. Hautkolorit und -temperatur der Füsse und Rekapillarisationszeit ergeben zumindest bei gesundem Gefässstatus ein gutes Bild der Mikroperfusion.
– So rasch wie möglich sollte Blut abgenommen werden. Optimal wäre eine arterielle Blutgasanalyse. So kann die Beatmung optimiert und anhand des Laktats der Kreislauf beurteilt werden. Ausserdem könnten eine schwere Hypoglykämie, schwere Elektrolytverschiebungen wie Hypo-/Hyperkaliämie oder eine schwere Anämie schnell erkannt und therapiert werden.
– Zusätzlich sollte ein Routinelabor mit Blutbild, Gerinnung, «type and screen», Herzenzymen, C-reaktivem Protein, Kreatinin, Leberwerten, «brain natriuretic peptide» (BNP), Thyroidea-stimmulierendem Hormon (TSH) und gegebenenfalls D-Dimeren abgenommen werden. Bei Hinweisen für einen Infekt auch Blutkulturen, bei entsprechendem Verdacht ein Toxikologie-Screen im Urin, wobei die zur Intubation verwendeten Opiate oder Benzodiazepine ebenfalls erscheinen.
– Kardiale Dyspnoe-Ursachen wie Myokardinfarkt oder Rhythmusstörungen können im Elektrokar­diogramm diagnostiziert werden.
– Bei Verdacht einer kardialen Genese sollte früh eine fokussierte Echokardiographie erfolgen (Wandbewegungsstörungen als Hinweis für einen akuten Infarkt, Perikardtamponade, schwere Klappenvitien, Aorten­dissektion, Takotsubo-Kardiomyopathie, Rechtsherzbelastung bei Lungenembolie).
– Bei pulmonalem Fokus kann eine Computertomographie (CT) weiterhelfen: Infiltrat, Lungenembolie, Pleuraerguss, Pneumothorax, Aortendissektion oder Perikardtamponade?
– Ist der Patient zu instabil für einen Transport ins CT oder ist eine Blutung wahrscheinlich, kann im Schockraum sonographisch freie Flüssigkeit intraabdominal oder pleural gesucht werden. Geübte Thoraxsonographeurinnen/-sonographeure erkennen auch zuverlässig Pneumothorax, Lungenödem oder pneumonische Infiltrate (Abb. 2–4) [6, 7].
Abbildung 2: Bild eines Lungenödems mit sogenannten ­B-Linien: Bei Nachweis von mehr als drei B-Linien pro ­Gesichtsfeld beidseits in 2/4 untersuchten Schnitten passt das Bild zu ­einem Lungenödem. Mit freundlicher Zurverfügungstellung von Dr. med. R. Horn, Leitender Arzt, Notfallstation, Kantonsspital Glarus.
Abbildung 3: Bild einer gesunden Lunge: im M-Mode interkostal liegen die Linien bis zur Pleura parallel, von der Pleura an sind die Linien rau aufgelockert (Seashore-Zeichen). Ein Pleuragleiten kann im B-Mode erkannt werden. Mit freundlicher Zurverfügungstellung von Dr. med. R. Horn, 
Leitender Arzt, Notfallstation, Kantonsspital Glarus.
Abbildung 4: Bild eines Pneumothorax: Beim M-Mode-Schnitt im Interkostalraum besteht ein Muster von geraden Linien intra- wie extrathorakal (Stratosphären-Zeichen). Mit freundlicher Zurverfügungstellung von Dr. med. R. Horn, Leitender Arzt, Notfallstation, Kantonsspital Glarus.
– Das Thoraxröntgen ist für Fragen wie Tubuslage, Infiltrat, Herzgrösse, Stauungszeichen, Ergüsse oder Pneumothorax eine Alternative zum CT. Neben der tieferen Strahlenbelastung ist die rasche Verfügbarkeit von Vorteil. Trotzdem verliert es im Schockraumsetting an Bedeutung.
– Eine trotz Hypotonie warme Peripherie deutet auf einen distributiven Schock am ehesten bei Sepsis, passt aber auch zu einer allergischen Reaktion. In dieser Situation ist im Zweifelsfall die frühzeitige Gabe eines Breitspektrumantibiotikums gerechtfertigt. Bei hohem Verdacht auf Anaphylaxie können Adrenalin, Antihistaminika und Steroide verabreicht werden.

Fragwürdige Sauerstoffsättigungswerte

Eine spezielle Situation sind Patienten mit tiefer O2-Sättigung bis unter 80% ohne jegliche Atemnot.
Falsch tiefe O2-Sättigungswerte treten auf bei schlechter peripherer Durchblutung bei Kälte oder Schock. Auch Nagellack kann die Messung verunmöglichen. Zudem können falsch tiefe Werte beobachtet werden bei Patienten, bei denen zum Beispiel im Rahmen einer Tumorentfernung eine Lymphabflussdarstellung mit Methylenblau durchgeführt wurde. Im Zweifel sollten tiefe Messwerte ernst genommen und eine entsprechende Therapie eingeleitet werden. Zu einem Schreck können Sättigungswerte bei chronisch hypoxischen Patienten führen. Chronisch Lungenkranke, vor allem aber Patienten mit zyanotischem Herzvitium, tolerieren zum Teil symptomlos O2-Sättigungen unter 70%. In diesem Bereich wird die Messung der Pulsoxymeter ungenau.
Gefährlicher als falsch tiefe sind falsch hohe O2-Sättigungswerte. Carboxyhämoglobin (CoHb) und Methämoglobin (MetHb) können Messwerte deutlich verfälschen. Besonders nach Rauchgasinhalation muss daran gedacht werden. Medikation mit Sulfonamiden, Nitraten oder Konsum von sexuellen Stimulanzien (Amylnitrit) können zu erhöhtem MetHb-Spiegel führen.

Nichtinvasive Ventilation (NIV)

Jemandem mit Erstickungsangst eine luftdichte Maske im Gesicht zu fixieren, ist eine belastende Massnahme. Wichtig ist das vorsichtige Vorgehen am Anfang. Oft hilft es, erst mit etwas Morphin die Atemnot zu dämpfen. Falls möglich kann die Maske von der Patientin oder dem Patienten selbst aufgesetzt werden. Die einstellbaren Drücke (PEEP = positiv endexspiratorischer Druck und inspiratorischer Unterstützungsdruck) sollten am Anfang tief, jeweils maximal 5 mbar, gewählt und anschliessend in 1 mbar-Schritten erhöht werden. Wichtig dabei ist eine gute Kommunikation mit den Patienten. In der Regel bringen allein die dichte Maske und 100% O2 eine Verbesserung der Sättigung. Das Ziel ist die Verbesserung des Gasaustausches über die nächsten Stunden. Es lohnt sich, beim Installieren und Anpassen einige Minuten mehr Zeit zu investieren und eine tiefere O2-Sättigung zu tolerieren. Dafür kann Vertrauen in die Therapie gewonnen werden. Ab einem Gesamtdruck (PEEP + Unterstützungsdruck) von >20 mbar besteht die Gefahr, dass Luft in den Magen gelangt. Ein überblähter Magen erhöht das Aspirationsrisiko und beeinträchtigt die Zwerchfellbeweglichkeit. Je höher die Beatmungsdrücke, desto eher entsteht ein Luftleck. Der Luftzug im Gesicht ist für die Patienten unangenehm, verschlechtert die Erkennung der Maschine von In- und Exspiration und somit die Patienten-Ventilator-Synchronisation. Aus­serdem führt eine Maske, die sehr satt angezogen werden muss, rasch zu schmerzhaften Decubitus im Gesicht.
Mit NIV kann manchmal eine Intubation umgangen werden, vor allem bei rasch reversiblen Dyspnoe-Ursachen wie einem Lungenödem [8]. Hier wird durch den erhöhten intrathorakalen Druck die Vorlast durch den verminderten Bluteinstrom in den Thorax gesenkt. Die Nachlast des linken Ventrikels wird reduziert durch den erleichterten Blutausstrom aus dem Thorax.
COPD-Patienten mit Hyperkapnie und Azidose profitieren besonders, wenn es gelingt, eine Intubation zu vermeiden, da das Weaning hier schwierig ist [9, 10]. Eine Hyperkapnie ohne Azidose ist möglicherweise chronisch vorbestehend und der Nutzen von NIV fragwürdig.
Bei zu erwartender längerfristiger Verschlechterung der Lungenfunktion (z.B. Pneumonie) kann durch NIV die Zeit am Tubus verkürzt werden. Hier ist der Nutzen aber geringer und das Risiko einer verspäteten Intubation unter erschwerten Bedingungen grösser.

Kontraindikationen für die nichtinvasive Ventilation

Unkooperative oder vigilanzgeminderte Patienten sind für NIV schlecht geeignet. Viel Sekret ist ebenfalls eine relative Kontraindikation. Bei gewissen Gesichtsformen und bei Bartträgern ist die Maske kaum dicht zu bekommen. Verschiedene Grössen und Modelle können helfen, Maskenwechsel sind für Patienten aber eine zusätzliche Belastung (Abb. 5). Es ist wichtig, dabei Hektik zu vermeiden.
Abbildung 5: Beatmungsmasken: Mund-Nase-Masken (links), Full-Face-Maske (rechts).
Der erhöhte intrathorakale Druck führt zu einem verminderten venösen Blutrückstrom. Bei hypovolämen Patienten kann dies kreislaufrelevant werden und schlimmstenfalls sogar einen Kreislaufstillstand provozieren. Auch deswegen mit tiefen Beatmungsdrücken starten und den Blutdruck im Auge behalten!
Dasselbe Risiko besteht bei Lungenemboliepatienten mit Rechtsherzbelastung. NIV birgt weniger Gefahr als eine Intubation, der PEEP sollte aber möglichst tief gewählt werden.
Ein Pneumothorax wird verstärkt durch positive Beatmungsdrücke.
Tritt unter NIV innert zwei Stunden keine Besserung ein (weniger Dyspnoe, tiefere Atemfrequenz, bessere Blutgaswerte), sollten die Patienten intubiert werden.

«High flow oxygen»

Bei reinen Oxygenationsstörungen (respiratorische Partialinsuffizienz) ist «high-flow-oxygen» eine Alternative zur NIV [11, 12]. Hierbei wird ähnlich wie bei ­einer Nasenbrille O2 nasal appliziert. Allerdings mit Gasflüssen bis 60 l/min und einer zusätzlichen Befeuchtung und Erwärmung des Atemgases.
Die Therapie ist deutlich weniger invasiv als NIV, entlastet jedoch nicht von Atemarbeit. Bei geschlossenem Mund entsteht zusätzlich wenig PEEP, der die Oxygenation verbessert. Zudem wird eine Verminderung des Totraumes postuliert, da durch den hohen O2-Fluss in der Nase etwas CO2 aus dem Nasenrachenraum entfernt wird. Allerdings können Patienten mit schneller Inspiration und grossem Atemzugvolumen trotz der hohen Gasflüsse nichtoxygenierte Luft neben den ­Nasenkanülen einatmen. Dafür sind während der Therapie Essen und Sprechen möglich und «high flow oxygen» wird meist als deutlich angenehmer empfunden als NIV.
Für beide Therapien gilt: frühzeitig an eine Intubation (Tab. 3) denken und mit den Patienten besprechen! Eine Notfallintubation ist eine Gefahr für Patienten, eine Belastung für Angehörige und Stress für das Anästhesieteam.
Tabelle 3: Intubationsindikationen.
Zeichen der respiratorischen ErschöpfungTachypnoe (Atemfrequenz >35/min)
Steigendes CO2 in der arteriellen Blutgasanalyse mit ­Eintrübung
pH unter 7,2 respiratorisch bedingt trotz Therapie
Schwere Hypoxie
Aspirationsgefahr bei fehlenden/abnehmenden Schutzreflexen (GCS <8)*
Drohender Verlust des AtemwegsProgredientes Ödem (enoraler Insektenstich, Verätzung, ­Angioödem, Inhalationstrauma nach Brand)
Insuffizienter Hustenstoss mit progredientem Sekretverhalt
Auf anderem Weg nicht kontrollierbare Schmerzen
* Bei reversibler Vigilanzminderung (z.B. Alkoholintoxikation, postiktaler Zustand) muss das Risiko einer Aspiration gegenüber dem Risiko einer Intubation abgewogen werden. Oft reicht Seitenlage und Oberkörperhochlagerung.
CO2 = Kohlendioxid; GCS = Glasgow Coma Scale

Das Wichtigste für die Praxis

• Dyspnoe ist ein Notfall, bei dem die Zeit für eine genaue Diagnostik fehlen kann.
• Entscheidend sind eine rasche Einschätzung der Gefahr und ein früher Therapiebeginn.
• Auch ohne aufwändige Abklärungen können eine Verdachtsdiagnose gestellt und erste therapeutische Schritte eingeleitet werden.
• Bei starker Dyspnoe und unter Beobachtung dürfen auch Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) grosszügig Sauerstoff erhalten.
• Mittels nichtinvasiver Beatmung (NIV) können teilweise Intubationen vermieden werden. Die Therapie kann aber für Patienten genauso belastend sein. Umso wichtiger ist die Kommunikation mit den Betroffenen.
• «High flow oxygen» ist eine Alternative zur NIV bei Oxygenationsstörungen, hilft aber kaum bei Ventilationsstörungen mit Kohlendioxid(CO2)-Retention.
• Eine zu späte Intubation ist ebenso gefährlich wie eine schlecht vorbereitete Intubation. Früh daran denken!
• Kommunikation am Tubus ist schwierig. Entscheidende Fragen sollten wenn möglich vor einer Intubation geklärt werden.
Ich bedanke mich bei Frau Dr. med. Anna Imhof, Medizincontrolling Universitätsspital Basel, für die kritischen Korrekturen und Rückmeldungen und bei Herrn Dr. med. Rudolf Horn, Leitender Arzt Notfallstation, Kantonsspital Glarus, der mir die sonographischen Abbildungen freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Magnus Stalder
Klinik für Innere Medizin
Klinik für Medizinische Intensivmedizin
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
magnuspaul.stalder[at]usb.ch
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2 Ray P, Birolleau S, Lefort Y, Becquemin MH, Beigelman C, Isnard R, et al. Acute respiratory failure in the elderly: etiology, emergency diagnosis and prognosis. Crit Care. 2006;10(3):R82.
3 Elsasser S. Zyanose. Schweiz Med Forum. 2003;03(19):447–54.
4 Girardis M, Busani S, Damiani E, Donati A, Rinaldi L, Marudi A, et al . Effect of Conservative vs Conventional Oxygen Therapy on Mortality Among Patients in an Intensive Care Unit: The Oxygen-ICU Randomized Clinical Trial. JAMA. 2016;316(15):1583–9. doi: 10.1001/jama.2016.11993.
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