Hitzewallungen, die den Atem rauben
Vasovagal oder kardiogen?

Hitzewallungen, die den Atem rauben

Was ist Ihre Diagnose?
Ausgabe
2018/34
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03298
Swiss Med Forum. 2018;18(34):681-685

Affiliations
Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne
a Médecine interne; b Cardiologie

Publiziert am 22.08.2018

Ein 88-jähriger Mann konsultiert uns nach einem ohnmachtsbedingten Sturz, dem Hitzewallungen und ein Gesichtserythem vorausgegangen waren.

Fallbeschreibung

Ein 88-jähriger Mann, seit mehreren Jahren wegen eines erlittenen Schlaganfalls im Bereich der linken Fissura sylvii (ohne Folgeschäden) im Rahmen eines früheren Vorhofflimmerns und -flatterns bekannt und mit Acenocumarol, Nifedipin und Atenolol behandelt, konsultiert uns nach einem ohnmachtsbedingten Sturz, dem Hitzewallungen und ein Gesichtserythem vorausgegangen waren. Der Patient gibt an, dass es seit zwei Monaten immer häufiger (bis zu 25 Mal pro Tag) zu ähnlichen, einige Sekunden dauernden Episoden ohne Auslöser gekommen sei.
Bei der klinischen Untersuchung ist der Patient stabil und der Status unauffällig. In der Auskultation sind keine Herzgeräusche feststellbar. Das Elektrokardiogramm zeigt ein Vorhofflimmern mit variabler atrioventrikulärer (AV) Überleitung und normaler ventrikulärer Frequenz. Der Schellong-Test ist negativ. Die Laboruntersuchung ist unauffällig.

Frage 1: Welche Diagnose ist in diesem Stadium am wahrscheinlichsten, um die Symptome des Patienten zu erklären?


a) Ein Karzinoidsyndrom?
b) Eine medikamentöse Ursache?
c) Eine Mastozytose?
d) Eine Herzrhythmusstörung?
e) Eine vasovagale Synkope?
Als Differentialdiagnose bei einem Gesichtserythem kommen ein Karzinoidsyndrom, ein Phäochromozytom und eine Mastozytose in Frage. Diese Erkrankungen treten jedoch, insbesondere bei älteren Menschen, nur selten auf.
Eine medikamentöse Ursache ist angesichts der Kombination eines Gesichtserythems, der Hitzewallungen und der Einnahme eines Kalziumantagonisten vom Dihy­dropyridintyp wie Nifedipin mögflich. Die zusätzliche blutdrucksenkende Wirkung des Betablockers könnte ebenfalls zu der Symptomatik beitragen.
Eine vasovagale Synkope ist die in der Allgemeinbevölkerung häufigste Ursache für einen Ohnmachtsanfall. Das klinische Erscheinungsbild ist bei älteren Menschen häufig atypisch, ohne eindeutige Korrelation zwischen den Symptomen und möglichen auslösenden Faktoren. Die Häufigkeit der Episoden und der negative Schellong-Test scheinen jedoch gegen diese Diagnose zu sprechen.
Eine Herzrhythmusstörung ist die zweithäufigste Ursache von Ohnmachtsanfällen bei Erwachsenen, insbesondere in der geriatrischen Population und stellt in unserem Fall aufgrund der bekannten supraventrikulären Arrhythmie die wahrscheinlichste Ursache dar. Abbildung 1 zeigt das am Aufnahmetag angefertigte EKG.

Frage 2: Auf welche Herzrhythmusstörung weist dieses EKG hin (Abb. 1)?


a) Auf ein typisches Vorhofflattern mit AV-Block dritten Grades?
b) Auf ein typisches Vorhofflattern mit Sinusarrest?
c) Auf ein typisches Vorhofflimmern mit AV-Block dritten ­Grades?
d) Auf ein Vorhofflimmern mit AV-Block zweitenGrades Typ Mobitz II?
e) Auf ein Vorhofflimmern mit nachfolgendem Sinusarrest?
Abbildung 1: Das EKG am Aufnahmetag.
Die unregelmässige ventrikuläre Frequenz und das Auftreten von F-Wellen unterschiedlicher Morphologie und Amplituden sprechen für Vorhofflimmern und gegen Vorhofflattern, bei welchem die F-Wellen monomorph sind.
Bei einem AV-Block muss per definitionem eine regelmässige Sinusaktivität vor dem Block zu verzeichnen sein.
Das EKG unseres Patienten weist auf Vorhofflimmern, gefolgt von einem 3,6-sekündigen Sinusarrest mit nachfolgendem junktionalem Rhythmus hin. Es ist jedoch zu beachten, dass die Vorhoftätigkeit sich vor dem Sinusarrest (vor und nach dem ersten QRS-Komplex in den präkordialen Ableitungen) kurzzeitig organisiert und dabei einem Vorhofflattern gleicht. Aufgrund des Sinusarrests kommt es zu den berichteten Symptomen in Form von Hitzewallungen in Kombination mit einem Gesichtserythem ohne Synkope. Angesichts der deutlichen Korrelation zwischen der festgestellten Arrhythmie und der Symptomatik wird die Diagnose Sick-Sinus-Syndrom gestellt.

Frage 3: Welches der folgenden Medikamente begünstigt kein Sick-Sinus-Syndrom?


a) Diltiazem
b) Nifedipin
c) Atenolol
d) Donepezil
e) Lithium
Betablocker sowie Kalziumantagonisten, die nicht der Dihydropyridinklasse angehören (Diltiazem, Verapamil), Digoxin, Acetylcholinesterase-Hemmer (Donepezil, Rivastigmin), Lithium und Sympathikolytika (Clonidin) können ein Sick-Sinus-Syndrom auslösen. Kalziumantagonisten der Dihydropyridinklasse (Nifedipin, Nicardipin, Amlodipin) bewirken hingegen eine periphere Vasodilatation, die eine reflektorische Tachykardie auslöst.
Da keine reversible Ursache für ein Sick-Sinus-Syndrom vorliegt, besteht die einzige wirksame Behandlung in der Implantation eines Herzschrittmachers.

Frage 4: Die Nomenklatur der Stimulationsart eines Herzschrittmachers beruht auf einem internationalen, aus fünf Buchstaben bestehenden Code, von denen in der Praxis meist die ersten drei verwendet werden. Worüber geben sie Auskunft?


a) Über den Detektionsort, den Stimulationsort und die Betriebsart?
b) Über den Detektionsort, die Betriebsart und den Stimula­tionsort?
c) Über den Stimulationsort , den Detektionsort und die Betriebsart?
d) Über den Stimulationsort, die Betriebsart und den Detek­tionsort?
e) Über die Betriebsart, den Stimulationsort, und den Detektionsort?
Der erste Buchstabe gibt Auskunft über den Stimula­tionsort, der zweite über den Ort der Detektion. Die verwendeten Buchstaben stehen für den Vorhof (A), die Herzkammer (V), Vorhof und Herzkammer (D) oder keinen der beiden (0) (Tab. 1).
Tabelle 1: Der internationale Code zur Nomenklatur der Schrittmachertypen.
1. Buchstabe2. Buchstabe3. Buchstabe4. Buchstabe5. Buchstabe
StimulationsortDetektionsortBetriebsartFrequenzadaptationMultifokale Stimulation
0 = keine0 = keine0 = keine0 = keine0 = keine
A = AtriumA = AtriumI = InhibitionR = Frequenzadaptation A = Atrium
V = VentrikelV = VentrikelT = Triggerung  V = Ventrikel
D = A + VD = A + VD = T + I D = A + V
Der dritte Buchstabe gibt die Betriebsart des Herzschrittmachers infolge eines registrierten Ereignisses an. Im inhibierten Modus, «inhibited» (I), wird die Abgabe eines Impulses bei Registrierung herzeigener Aktivität unterdrückt und im getriggerten oder ausgelösten Modus, «triggered» (T), führt ein registriertes Signal zur Abgabe eines Impulses durch den Herzschrittmacher. Ferner gibt es einen dualen Modus (D), bei dem beide Modi («triggered» und «inhibited») zur Anwendung kommen.
Der vierte Buchstabe gibt die Möglichkeit an, die Frequenzrate an die körperliche Aktivität des Patienten anzupassen (R), während der fünfte Buchstabe den Ort einer eventuellen multifokalen Stimulation im Vorhof (A), der Herzkammer (V) oder in Vorhof und Herzkammer (D) bezeichnet. Der letzte Modus wird hauptsächlich zur Stimulation beider Vorhöfe während einer Resynchronisation bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz eingesetzt.

Frage 5: Welcher Stimulationsmodus wäre zur Behandlung des Sick-Sinus-Syndroms unseres Patienten am besten geeignet?


a) Der DDDR-Modus?
b) Der AAI-Modus?
c) Der AAIR-Modus?
d) Der VDD-Modus?
e) Der VVIR-Modus?
Wie in Tabelle 2 zusammengefasst, ahmt der DDDR-Modus die physiologische Erregungsleitung des Herzens am besten nach. Er ist der Goldstandard, wenn eine regelmässige oder intermittierende Sinusaktivität besteht [2]. Dies ist insbesondere bei einem Sick-Sinus-Syndrom mit paroxysmalem Vorhofflimmern und AV-Überleitungsstörungen der Fall.
Tabelle 2: Übersicht über die verschiedenen Herzschrittmachermodi.
StimulationsmodusIndikationKontraindikation
VVIStimulation des Ventrikels Vorhofflimmern mit symptomatischer Bradykardie– Schrittmachersyndrom
– Hämodynamische Notwendigkeit einer Zweikammer­stimu­lation
Detektion des Ventrikels
Inhibition des Stimulators bei spontaner ­Ventrikelaktivität
AAIStimulation des Atriums Symptomatische Bradykardie mit erhaltener AV-ÜberleitungSick-Sinus-Syndrom mit ­assoziiertem AV-Block
Detektion des Atriums
Inhibition des Stimulators bei spontaner ­Vorhofaktivität
VDDStimulation des VentrikelsAV-Block mit erhaltener ­SinusfunktionSick-Sinus-Syndrom
Detektion des Atriums und des Ventrikels
Inhibition oder Stimulationbei Detektion ­spontaner Aktivität
DDDStimulation und Detektion beider Herzkammern– Sick-Sinus-Syndrom und AV-Block
– Vorausgegangenes Schrittmachersyndrom
Permanentes Vorhofflimmern oder -flattern
Inhibition der Vorhofstimulation bei Detektion eigenständiger Aktivität mit Stimulation des ­Ventrikels nach eingestelltem AV-Intervall
Inhibition der Ventrikelstimulation bei ­eigenständiger Ventrikelaktivität
AV: atrio-ventrikulär
Liegt kein AV-Block vor, könnten der AAI- oder der AAIR-Modus am besten geeignet sein. Eine kürzlich durchgeführte Studie hat jedoch bei Patienten mit Sick-Sinus-Syndrom, die einen Herzschrittmacher mit AAIR-Modus trugen, festgestellt, dass bei diesen im Vergleich zu Patienten mit DDDR-Herzschrittmachern die Inzidenz für paroxysmales Vorhofflimmern erhöht war [3]. Überdies besteht bei AAI- respektive AAIR-Herzschrittmachern das Risiko einer erneuten Operation, wenn sich ein AV-Block entwickeln sollte.
Der VDD-Modus kommt bei einem AV-Block ohne assoziiertes Sick-Sinus-Syndrom zum Einsatz.
Der VVI(R)-Modus ist bei allen Bradykardiearten und überwiegender atrialer Tachyarrhythmie anwendbar (bei permanentem Vorhofflimmern muss der VVIR-Modus eingesetzt werden), gewährleistet jedoch keine atrioventrikuläre Synchronisation. Eine atrioventrikuläre Desynchronisation wird durch eine retrograde Überleitung im Gegenteil noch begünstigt, wodurch es zu Vorhofflimmernepisoden oder einem Schrittmachersyndrom (verringerte Herzfrequenz bei erhöhtem Füllungsdruck und reflektorischer Vasodilatation) kommen kann, was für den Patienten sehr unangenehm ist [4].
Da der VDD- und der AAI-Modus in unserem Fall nicht indiziert sind, erhält der Patient angesichts seines früheren Vorhofflimmerns, seines fortgeschrittenen Alters und des geringeren Komplikationsrisikos als bei der Implantation eines DDD-Schrittmachers einen Einkammerschrittmacher mit VVIR-Modus.
Durch die Implantation gingen alle Symptome vollständig zurück.
Ob eine Indikation für die Fortsetzung der therapeutischen Antikoagulation besteht, ist noch ungeklärt. Das Risiko für thromboembolische Ereignisse (ermittelt anhand des CHA2DS2-VASC-Score) beträgt 4,8%, pro Jahr während das Risiko für hämorrhagische Ereignisse (ermittelt anhand des HAS-BLED-Score) 5,8% pro Jahr beträgt.
Obgleich das Blutungsrisiko höher ist als das thromboembolische Risiko, wurde bei diesem Patienten, der unabhängig allen Aktivitäten des täglichen Lebens nachgeht und eine hohe Lebensqualität aufweist, aufgrund seines vorhergehenden ischämischen Schlaganfalls und da bis dato keine Blutungen unter therapeutischer Antikoagulation aufgetreten sind, die Acenocumarolbehandlung fortgesetzt.

Diskussion

Das Sick-Sinus-Syndrom ist definiert als Fehlfunktion des Sinusknotens, die sich in Form von schweren Sinusbradykardien (<50 bpm) oder symptomatischen Sinusarresten (>3 Sekunden) mit fehlendem adäquaten Ersatzrhythmus äussert. In manchen Fällen geht es mit atrialen Tachyarrythmien (Vorhoffflattern und -flimmern) und AV-Überleitungsstörungen («Tachykardie-Bradykardie-Syndrom») einher. Es kann zu einer chronotropen Inkompetenz führen (fehlende Anpassung der Herzfrequenz an den metabolischen Bedarf).
Die Korrelation der EKG-Abweichungen mit Symptomen wie Ohnmachtsanfällen, Synkopen, Belastungsdyspnoe, Palpitationen, Hitzewallungen oder Thoraxschmerzen ist für die Diagnosestellung unerlässlich. Es sollte beachtet werden, dass Asthenie oder Fatigue in der geriatrischen Population Anzeichen eines Sick-Sinus-Syndroms darstellen können.
Die häufigste Ursache ist ein strukturelles Remodeling des Herzens aufgrund einer idiopathischen oder altersbedingten Degeneration und/oder Fibrose des Sinusknotens und des übrigen Erregungsleitungssystems. Zur Erinnerung,: Der Kollagenanteil im Sinusknoten steigt mit zunehmendem Alter; bei Kindern beträgt er 38% gegenüber 70% bei Erwachsenen. Das Remodeling kann mit einer veränderten Expression bestimmter Ionenkanäle der Sinuszellen einhergehen und so ihre elektrische Aktivität beeinträchtigen [1, 4].
Beim Auftreten eines Sick-Sinus-Syndroms bei einem akuten Myokardinfarkt mit Beteiligung der rechten Koronararterie oder des Ramus circumflexus der linken Koronararterie ist an eine ischämische Ursache zu denken.
Stoffwechselstörungen (Hypothyreose, Hypo- und Hyperkaliämie und Hypokalzämie) sowie infiltrative (Hämochromatose, Amyloidose) oder entzündliche (Sarkoidose) Erkrankungen müssen ebenfalls als Ursache abgeklärt werden. In selteneren Fällen ist das Sick-Sinus-Syndrom genetisch bedingt und entsteht aufgrund von Mutationen spezifischer Ionenkanäle [1, 4].
Um ein Sick-Sinus-Syndrom festzustellen, gibt es mehrere Ansätze. Wenn sich im EKG keine Rhythmusanomalie zeigt, ist als nächstes ein Belastungstest durchzuführen, um eine den Symptomen zugrunde liegende myokardiale Ischämie auszuschliessen und festzustellen, ob ein Sick-Sinus-Syndrom in Form einer chronotropen Inkompetenz vorliegt.
Bei unauffälligen Testresultaten ist ein Langzeit-EKG indiziert. Werden keine symptomatischen Ereignisse aufgezeichnet, kann das Holter-EKG gegebenenfalls entsprechend der Toleranzgrenze des Patienten wiederholt oder über mehrere Wochen durchgeführt werden. Die Implantation eines subkutanen Ereignisrekorders ist übrigens, angesichts der Kosten eines Holter-EKGs, nach wie vor eine kostspielige Untersuchungsmethode. Aktuell sollte diese Indikation in Anbetracht des nicht zu vernachlässigenden Anstiegs der Gesundheitskosten mit Zurückhaltung gestellt werden.
Zusätzlich kann eine elektrophysiologische Untersuchung durchgeführt werden, wenn keine Korrelation zwischen den verschiedenen EKG-Aufzeichnungen und den Symptomen des Patienten festgestellt und keine Alternativdiagnose gestellt werden kann [1] (Abb. 2).
Abbildung 2: Algorithmus beim Verdacht auf ein Sick-Sinus-Syndrom.

Antworten:


Frage 1: d. Frage 2: e. Frage 3: b. Frage 4: c. Frage 5: a.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Livia Whiting
Centre hospitalier ­universitaire vaudois (CHUV)
Rue du Bugnon 46
CH-1011 Lausanne
Livia.Whiting[at]chuv.ch
1 Semelka M, Gera J, Usman S. Sick Sinus Syndrome: A Review. Am Fam Physician. 2013;87:691–6.
2 Boriani G, Tukkie R, Manolis AS, Mont L, Pürefellner H, Santini M, et al. Atrial antitachycardia pacing and managed ventricular pacing in bradycardia patients with paroxysmal or persistent atrial tachyarrythmias: the MINERVA randomized multicenter international trial. Eur Heart J. 2014;35:2352–62.
3 Nielsen JC, Thomsen PE,  Højberg S, Møller M, Vesterlund T, Dalsgaard D, et al. A comparison of single-lead atrial pacing with dual-chamber pacing in sick sinus syndrome. Eur Heart J. 2011;32:686–96.
4 John RM, Kumar S. Sinus node and atrial arrhythmias. Circulation. 2016;133:1892–900.
5 Alings AM, Abbas RF, Boumas LN. Age-related changes in structure and relative collagen content of the human and feline sinoatrial node. A comparative study. Eur Heart J. 1995;16:1655–67.