Neue orale Antikoagulantien bei Niereninsuffizienz
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Neue orale Antikoagulantien bei Niereninsuffizienz

Kurz und bündig
Ausgabe
2018/2627
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03319
Swiss Med Forum. 2018;18(2627):549-550

Publiziert am 27.06.2018

Fokus auf … Ist eine Studie mit nicht erreichtem Endpunkt wirklich negativ?

– Bestehen Anhaltspunkte für potentiellen Nutzen?
– War die Studie zu wenig aussagekräftig («underpowered»)?
– War der primäre Endpunkt adäquat?
– Gab es Probleme in der Studiendurchführung?
– Wurde die Studie vorzeitig beendet?
Alle 5 Fragen könnten für EOLIA positiv beantwortet werden. ­Weitere wichtige Fragen für den kritischen Studienleser unter N Engl J Med 2016, doi: 10.1056/NEJMra1510064.
Verfasst am 25.05.2018.

Praxisrelevant

Neue orale Antikoagulantien (NOAK) bei Niereninsuffizienz

Eine ausgezeichnete Review erinnert uns daran, dass keine der grossen randomisierten Zulassungsstudien die Wirksamkeit von NOAK (Abb. 1) beim Vorhofflimmern und bei thromboembolischen Erkrankungen bei eGFR <30 ml/­min zuverlässig untersucht hatte. Hier haben also die Kumarine mit häufiger INR-Kontrolle einen wichtigen therapeutischen Platz. Es scheint deshalb angebracht, zur Vorsicht zu mahnen, denn die meisten Über-Antikoagulationen durch NOAK kommen bei PatientInnen häufig unvorhersehbar vor wie im Rahmen akuter Verschlechterungen der Niereninsuffizienz z.B. durch Volumenverluste bei Diarrhoe, Erbrechen u.a.m. Kurz und bündig ist auch die eGFR-basierte Medikamentendosierung nur sehr bedingt verlässlich. Viele Guidelines (Tab. 1) sind etwas «mutiger». Die vorliegende Arbeit [1] und auch eine relativ aktuelle Co­chrane-Analyse [2] empfehlen jedoch, NOAK nur bei eGFR >30 ml/min zu verwenden.
Abbildung 1: Wirkungsorte der oralen Antikoagulantien 
(Handelsnamen in der Schweiz: Rivaroxaban = Xarelto ® , Apixaban = Eliquis ® , Edoxaban = Lixiana ® , Dabigatran = Pradaxa ® , Kumarine = Marcoumar ® , Sintrom ® ).
Tabelle 1: In der Schweiz zugelassene neue orale Antikoagulantien (NOAK) und deren Indikationen (aus: Rosemann A. MediX-Guideline Neue/Direkte orale Antikoagulantien 03/2018. © mediX schweiz, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von mediX schweiz). 
Weitere wertvolle Informationen unter https://www.medix.ch/wissen/guidelines/blutkrankheiten/neue-direkte-antikoagulantien.html.
PräparatIndikationDosierung in initialer TherapiephaseDauer-MedikationDosisreduktion beiKontraindikation bei GFR**
Apixaban ­(Eliquis®)Nichtvalvuläres VHF2 × 5 mgFalls 2 der 3 Kriterien zutreffen:
– Kreatinin i.S. ≥133 µmol/l
– Alter ≥80 J.
– Gewicht ≤60 kg
2 × 2,5 mgGFR
<15 ml/min
VTE-Prophylaxe*12–24 h postoperativ 1. Gabe2 x 2,5 mgBis GFR 15 ml/min in dieser Indikation keine 
Dosisreduktion nötig
VTE-Therapie u. 
Sekundärprävention2 × 10 mg für 7 d2 × 5 mg
Dabigatran (Pradaxa®)Nichtvalvuläres VHF2 × 150 mg– GFR ≤50 ml/min
oder
– Alter ≥80 J.2 × 110 mgGFR
<30 ml/min
VTE-Therapie u. ­SekundärpräventionNMH/Fondaparinux od. UFH mind. 5 d vor DOAK-Therapie2 × 150 mg
Edoxaban
(Lixiana®)Nichtvalvuläres VHF1 × 60 mg– GFR ≤50 ml/min
oder
– Gewicht ≤60 kg
oder
– Komedikation P-gp-Inhibitoren: Cyclosporin, Dronedaron, ­Erythromycin, Ketoconazol, Chinidin, Verapamil
1 × 30 mgGFR
<15 ml/min
VTE-Therapie u. ­SekundärpräventionNMH/Fondaparinux od. UFH mind. 5 d vor DOAK-Therapie1 × 60 mg
Rivaroxaban ­(Xarelto®)Nichtvalvuläres VHF 1 × 20 mgGFR ≤50 ml/min1 × 15 mgGFR
<15 ml/min
VTE-Prophylaxe*6–10 h postoperativ 1. Gabe1 × 10 mgBis GFR 15 ml/min in dieser Indikation keine 
Dosisreduktion nötig
VTE-Therapie u. ­SekundärpräventionWo 1–3 höhere Dosis: 2 × 15 mg ED ab Wo 4: 1 × 20  mg1 × 20 mg
* Die Zulassung zur Thromboseprophylaxe ist beschränkt auf orthopädische Eingriffe wie elektive Hüft- oder Knieersatz-OP.
** Bei schwerer Niereninsuffizienz empfehlen die ESC-Guidlines ab einer GFR <30 ml/min keine DOAK mehr zu geben. Kontraindikation besteht gemäss Zulassungsstudien und Kompendium bei Dabigatran ab einer GFR <30 ml/min, bei den F Xa-Inhibitoren erst ab <15 ml/min.
DOAK: direkte orale Antikoagulantien; GFR: glomeruläre Filtrationsrate; VHF: Vorhofflimmern; VTE: venöse thrombembolische Ereignisse; NMH: niedermolekulares Heparin; UFH: ­unfraktioniertes Heparin; ED: Erhaltungsdosis; Wo: Woche; d: Tag
2 Cochrane database of systematic reviews 2017, DOI: 10.1002/14651858.CD011373.pub2.
Verfasst am 25.05.2018.

Für ÄrztInnen am Spital

EOLIA endet als Scherbenhaufen

Alles war so gut geplant, um endlich den Nutzen der venovenösen, extrakorporellen Membranoxygenation (ECMO) beim schweren Atemnotsyndrom (ARDS) des Erwachsenen verlässlich zu evaluieren: Klare Einschlusskriterien für schweres ARDS (s. «Fokus auf ...» im SMF 15/2018 [1]), standardisierte «State-of-the-Art»-Ventilationstechniken, Rekrutierung innerhalb von 7 Tagen nach Intubation. Die Studie verfehlte es schliesslich, den Vorteil der ECMO in Bezug auf die 60-Tage-Mortalität (primärer Endpunkt) zu beweisen, obwohl fast alle PatientInnen in der ECMO-Gruppe diese Therapie auch erhielten. Allerdings wurde die Studie durch ein Überwachungsboard («data and safety monitoring board») nach einer Rekrutierungsphase von 6 (!) Jahren frühzeitig beendet (nach 249 von ursprünglich geplanten 331 PatientInnen), weil es den Spezialisten in diesem Board unwahrscheinlich erschien, dass eine positives Endresultat herauskäme. Zusätzlich durfte von der Kontrollgruppe in die ECMO-Gruppe gewechselt werden, wobei ausser einer Sauerstoffsättigung von <80% über >6 h die Wechsel wenig standardisiert waren. Auffallend ist, dass 28% der (schwerstkranken) PatientInnen aus der Kontroll- in die ECMO-Gruppe gewechselt wurden und eine höhere Mortalität (57%) aufwiesen, was einen potentiellen
Nutzen der ECMO verwässert haben könnte. Ist diese negative Studie auch wirklich negativ (s. «Fokus auf ...»)? Wir können nur spekulieren, denn eine solch enorm anspruchsvolle Studie wird wohl nicht schnell wiederholt!
N Engl J Med 2018, doi: 10.1056/NEJMoa1800385, 
siehe auch die Editorials doi: 10.1056/NEJMe1805123 und 
doi: 10.1056/NEJMe1802676.
1 Schweiz Med Forum 2018, doi.org/10.4414/smf.2018.03253.
Verfasst am 26.05.2018.

Neues aus der Biologie

Wirkungsmechanismus von ­Dimethyl­fumarat

Im Rahmen einer Psoriasisbehandlung bei ­PatientInnen mit Multipler Sklerose wurde ein positiver Effekt von Dimethylfumarat (Tecfidera®) sowohl auf die Psoriasis als auch die Multiple Sklerose beobachtet. Die Luzerner Firma Fumapharm (inzwischen von Biogen gekauft) entwickelte das Dimethylfumarat, das mittlerweile als orales Präparat für die Reduktion der Schubhäufigkeit bei der Multi­plen Sklerose zugelassen ist. Nun wird auch noch der (oder zumindest ein wichtiger) Wirkungsmechanismus nachgeliefert: Aktivierte Lymphozyten generieren bei Autoimmunerkrankungen die Energie vorwiegend via Glykolyse und erst sekundär dann durch den Krebszyklus. Diesen Wechsel auf den glykolytischen Stoffwechselweg, wie dies auch Krebszellen tun, nennt man den Warburg-Effekt. Das glykolytische Enzym GADPH (Glyceral­dehyd-3-Phosphat Dehydrogenase) ist für die Regu­lation der Glykolyse zentral. Das Dimethylfumarat fügt nun Succinat-Reste an die GADPH und inaktiviert sie dadurch, den autoaggressiven Lymphozyten fehlt in der Folge der nötige Treibstoff. Interessant ist weiter, dass endogenes Fumarat ein metabolischer Intermediärstoff im Krebszyklus ist. Eine negative Feed-back-Hemmung vom Krebszyklus auf die Glykolyse scheint daher wahrscheinlich.
Verfasst am 25.05.2018.

Auch noch aufgefallen

Genetik des Kleinwuchses

Holländer, die weltweit längsten Menschen, werden im Durchschnitt 180 cm lang, US-Amerikaner 175 cm, Peruaner lediglich 165 cm, was ihr Leben in ­steilen Regionen aber leichter macht. Anscheinend gibt es bislang (neben Umweltfaktoren) etwa 700 (!) genetische Prädispositionen oder spezifische Allele, von denen jede(s) allein nur sehr geringe Längenunterschiede erklärt, im Falle der Peruaner alle 700 zu­sammen lediglich etwa 7 cm des rela­tiven Kleinwuchses. Überraschenderweise ist nun eine einzelne Mutation im Fibrillin-Gen (FBN1) bei etwa 5% der Peruaner (genetischer Hintergrund: 80% eingeboren, 16% europäisch, 3% afrikanisch) für den quantitativ grössten Effekt auf die Länge (minus 2,2 cm) identifiziert worden. Die Forscher vermuten, dass auch die dickere Haut von Andenbewohnern (Pachydermie) mit dieser Mutation assoziiert ist und einen besseren Schutz vor hoher UV-Strahlung in Bergregionen erbringt. Interessant ist, das beim Marfan-Syndrom eine Anzahl anderer Fibrillin-Mutationen identi­fiziert wurde, wodurch vielleicht auch die fallweise auffällige Körperlänge ­(neben der dünnen Haut) erklärbar wird.
Verfasst am 25.05.2018.

Das hat uns gefreut, nicht aber andere!

Genombasierte Krebstherapie auf dem Vormarsch

Herceptin® (Trastuzumab) für das HER2-po­sitive («human epidermal growth factor receptor 2») Mammakarzinom (eingeführt 1998) und Glivec® (Imatinib, eingeführt 2001) als spezifischer Inhibitor der Tyrosinkinase, die konstitutiv aktiv wird nach Translokation von BCR-ABL (u.a. chronisch myeloische Leukämie), waren/sind sehr erfolgreiche Medi­kamente. Sie wurden aufgrund eines vorher identifizierten molekulargenetischen Ziels hochspezifisch entwickelt. 2018 kommt nun fast jede(r) sechste von 610 000 analysierten PatientInnen mit metastastiertem Tumor­leiden für eine der zugelassenen genombasierten Therapien (n = 31) infrage! Allerdings pro­fitiert dann nur etwa die Hälfte wirklich überzeugend von dieser Therapie. Kurz und bündig ermunternd, zu langsam und zu ungenau für die anderen!
JAMA Oncology 2018, doi: 10.1001/jamaoncol.2018.1660.
Verfasst am 26.05.2018.

Das hat uns weniger gefreut

Dengue-Impfung in der Warteschlaufe

Der Impfstoff gegen Dengue erreicht nicht eine 100%ige Virusneutralisierung, weshalb Geimpfte, die noch nie ein Dengue-Fieber hatten, im Rahmen einer späteren Dengue-­Infektion mit schwerem hämorrhagischem Fieber (wie es Ungeimpfte nach einem Folgeinfekt erleiden) reagieren können. Da es keinen einfachen diagnostischen Test gibt, eine durchgemachte Dengue-Infektion zu beweisen, die WHO aber gerade deren Nachweis fordert, werden Impfung und Studien wohl überarbeitet werden müssen.
Science 2018, DOI: 10.1126/science.360.6387.360.
Verfasst am 26.05.2018.