Nierenfunktionsverschlechterung unter Aliskiren und Itraconazol
Aktuelles aus den Regionalen Pharmacovigilance-Zentren und Tox Info Suisse

Nierenfunktionsverschlechterung unter Aliskiren und Itraconazol

Aktuell
Ausgabe
2018/36
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03346
Swiss Med Forum. 2018;18(36):722-724

Affiliations
a Regionales Pharmacovigilance-Zentrum Zürich, Klinik für Klinische Pharmakologie & Toxikologie, UniversitätsSpital Zürich und Universität Zürich; b Tox Info Suisse, assoziiertes Institut der Universität Zürich
Die beiden Autoren haben zu gleichen Teilen zum Artikel beigetragen.

Publiziert am 05.09.2018

Ein aktueller Fall aus den Regionalen Pharmacovigilance-Zentren und Tox Info Suisse.

Folgen der UAW: Vorübergehend beeinträchtigt
Verlauf: Ohne Schaden erholt
Kausalitätsbeurteilung: Sicher

Der klinische Fall

Der 53-jährige Patient stand unter Dauertherapie mit 300 mg Aliskiren/12,5 mg Hydrochlorothiazid (­Rasilez® HCT). Aufgrund einer Nagelmykose wurde die Indikation einer Pulstherapie mit Itraconazol durch den Dermatologen gestellt. Gemäss Schema nahm der Pa­tient während einer Woche täglich 2×200 mg Itraconazol ein, gefolgt von einer dreiwöchigen Pause. Zehn Tage nach der Itraconazoleinnahme beklagte der Patient Abdominalbeschwerden und Sodbrennen. Labordia­gnostisch zeigte sich ein deutlich erhöhter Serumkreatininwert von 297 µmol/l bei einer Baseline von 73 µmol/l (1 Jahr zuvor). Es wurde eine Therapie mit 40 mg Pantoprazol begonnen. Im Verlauf der dreiwöchigen Itraconazolpause wurde ein kontinuierlicher Abfall des Serumkreatinins auf 157  µmol/l beobachtet, mit erneut deutlichem Anstieg nach dem zweiten Itraconazolpuls – wiederum auf 191 µmol/l (Abb. 1). Im Verlauf wurden Itraconazol und Rasilez® HCT pausiert, wobei der Kreatininwert neuerlich rückläufig auf 123 µmol/l war. Der Patient erholte sich auch klinisch. Weitere Informationen speziell zu symptomatischen Hypotonien, Blutdruckmessungen oder Plasmakonzentrationen von Aliskiren liegen nicht vor.
Abbildung 1: Serumkreatininverlauf nach der 1. und 2. Pulstherapie mit Itraconazol im Vergleich zum Baseline-Kreatinin (73 μmol/l).
Anamnestisch sind eine Nagelmykose, eine arterielle Hypertonie unter Therapie mit 10 mg Felodipin und 100 mg Metoprolol, rezidivierende Gichtanfälle, eine chronisch-venöse Insuffizienz und eine mögliche hypertensive Nephrosklerose mit Albuminurie bekannt.

Klinisch pharmakologische Beurteilung

Rasilez® HCT enthält den Renininhibitor Aliskiren und das Thiaziddiuretikum Hydrochlorothiazid und weist somit zwei verschiedene Angriffspunkte zur Kontrolle des Blutdrucks bei Patienten mit essentieller Hypertonie auf [1]. Die physiologische Funktion von Renin basiert auf dem Aufrechterhalten der renalen Perfusion durch Umwandlung von Angiotensinogen in Angiotensin I. Das durch das «Angiotensin-converting Enzyme» (ACE) gebildete Angiotensin II ist über die Bindung an den AT1-Rezeptor ein potenter Vasokonstriktor. Es führt zu Erhöhung des Blutdrucks, erhöhter kardialer Kontraktilität, vaskulärer und kardialer Hypertrophie, an der Niere zu tubulärer Natriumrückresorption und Inhibition der Reninfreisetzung, zu Effekten am sympathischen Nervensystem und in der Nebennierenrinde zu Stimulation der Aldosteronsynthese. Bei stark eingeschränkter renaler Perfusion wird vorwiegend die efferente renale Arteriole kontrahiert [2]. Aliskiren hemmt humanes Renin mit dessen Effekten und inhibiert folglich das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS). In der Schweizer Arzneimittelinformation wird eine einmal tägliche Dosierung von bis 300 mg Aliskiren empfohlen. Die absolute Bioverfügbarkeit von Aliskiren beträgt 2,6%, wobei gezeigt wurde, dass P-Glykoprotein (P-gp oder MDR1/Mdr1a/1b) das wichtigste Effluxsystem darstellt, das sowohl an der intestinalen Absorption sowie auch der biliären Exkretion beteiligt ist [1]. P-Glykoprotein ist ein Effluxtransporter, der die Aufnahme, Verteilung oder Ausscheidung von Substraten reguliert. Dabei wird die zelluläre Aufnahme und somit die Resorption von Arzneistoffen aus dem Darmlumen in die Enterozyten und aus der Blutzirkulation in bestimmte Organe limitiert. Weiter wird die hepatische und renale Elimination von Arzneistoffen, durch Lokalisation des P-Glykoprotein-Transporters an Hepatozyten und Nierenepithelzellen, unterstützt. Das P-Glykoprotein schützt somit den Körper durch limitierte intestinale Aufnahme, Verhinderung einer Akkumulation im Gehirn sowie durch biliäre und renale Exkretion vor potentiell toxischen Xenobiotika. P-Glykoprotein kann hingegen auch durch Medikamente beeinflusst werden [3–5] (Tab. 1). Unter «Warnhinweise und Vorsichtsmassnahmen» von Rasilez® HCT wird darauf hingewiesen, dass die gleichzeitige Verabreichung von Aliskiren mit starken P-Glykoprotein-Inhibitoren wie Itraconazol und Ci­closporin A nicht empfohlen wird, da diese zu einer Wirkverstärkung von Aliskiren führen können [1]. Das Triazol-Antimykotikum Itraconazol hemmt neben der Ergosterolbiosynthese in der Pilzzellmembran auch P-Glykoprotein und Cytochrom P 450 (CYP) 3A4. Auch wird die gleichzeitige Anwendung von Aliskiren und Itraconazol in der Fachinformation von Itraconazol nicht empfohlen [6]. Die gleichzeitige Einnahme von P-Glykoprotein-Inhibitoren und Aliskiren führt, abhängig von der inhibitorischen ­Potenz, zu einem Anstieg der Aliskirenexposition im Menschen.
Tabelle 1: Übersicht über P-Glykoprotein-Inhibitoren und -Subtrate [11–13].
P-Glykoprotein-InhibitorenP-Glykoprotein-Substrate
Antiarrhythmika
Chinidin*, Amiodaron2, Dronedaron2, Propafenon2
Antiarrhythmika
Chinidin1, Amiodaron
Alpha- und Betablocker
Carvedilol2
Alphablocker
Prazosin1
Betablocker
Propranolol
Betablocker
Talinolol1, Propranolol
Kalziumkanalblocker
Verapamil*, Diltiazem, Felodipin, Nifedipin
Kalziumkanalblocker
Diltiazem, Verapamil
Natriumkanalinhibitoren
Ranolazin2
Herzglykoside
Digoxin*
Antihypertensiva
Reserpin1
Thrombininhibitor
Dabigatran2
 Statine
Pitavastatin1, Atorvastatin
Antibiotika
Clarithromycin2, Erythromycin
Antibiotika
Erythromycin
Antimykotika
Ketoconazol1, Itraconazol2
 
Antidepressiva
Amitryptilin, Sertralin
Antihistaminika
Fexofenadin*, Terfenadin
Neuroleptika
Haloperidol
 
Steroidhormone
Progesteron, Testosteron
Antiemetika
Domperidon, Ondansetron
 Antidiarrhoika
Loperamid1
Malariamittel
Mefloquin
 
Immunsuppressiva
Ciclosporin1, Tacrolimus1
Immunsuppressiva
Ciclosporin, Tacrolimus
Kinasehemmer
Lapatinib2
Zytostatika
Doxorubicin, Daunorubicin, ­Paclitaxel, Methotrexat
HIV-Proteasehemmer
Ritonavir*, Lopinavir und Ritonavir2, Saquinavir und Ritonavir2, Tipranavir und Ritonavir2
HIV-Proteasehemmer
Ritonavir, Saquinavir
HCV-Proteasehemmer
Telaprevir2
 
Nahrungsmittel
Grapefruitsaft
 
* In vitro wie auch klinisch verwendete P-Glykoprotein-Substrate/-Inhibitoren
1 In vitro verwendete P-Glykoprotein-Substrate/-Inhibitoren
2Klinisch verwendete P-Glykoprotein-Substrate/-Inhibitoren
HIV: humanes Immundefizienzvirus; HCV: Hepatitis-C-Virus
Die Kombination von Aliskiren 150 mg und Itraconazol 2×100 mg führte zu einer Erhöhung der Fläche unter der Arzneimittel-Zeit-Kurve («area under the curve» [AUC]) und der maximalen Plasmakonzentration (Cmax) von Aliskiren um das 6,5- respektive 5,8-Fache [7]. Die gleichzeitige Einnahme von Aliskiren und dem Antimykotikum Ketoconazol 2×200 mg, ebenfalls ein CYP3A4- und P-Glykoprotein-Inhibitor, der sich aber durch pharmakokinetische Eigenschaften von Itraconazol unterscheidet, führte in geringerem Ausmass ebenfalls zu einer Erhöhung der AUC von Aliskiren um 76% [7, 8]. Auch unter dem bekannten P-Glykoprotein-Inhibitor Ciclosporin wurde ein Anstieg der AUC (4,3-fach) und der Cmax (2,5-fach) von Aliskiren verzeichnet [9]. Unter höheren Aliskirendosen oder auch Mehrfacheinnahme kann dabei auch das Risiko von sym­ptomatischen Hypotonien erhöht sein [7]. Anhand dieser Arzneimittelinteraktionsstudien mit Aliskiren in Kombination mit Itraconazol, Ketoconazol und Ci­closporin wird der Effekt diverser P-Glykoprotein-Inhibitoren auf die Pharmakokinetik von Aliskiren verdeutlicht [7–9]. Die Reduktion des prärenalen Blutdrucks, unter anderem durch verminderte Volumenzunahme, sowie gleichzeitige Reduktion des glomerulären Drucks durch Abfall der postglomerulären Arteriolenresistenz über Vasodilatation der Vasa efferentia kann ­somit zu einer Niereninsuffizienz führen. Als unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) wird in der Schweizer Arzneimittelinformation von Rasilez® HCT gelegentlich (<1/100, ≥1/1000) eine Nierenfunk­tionsstörung und selten (<1/1000, >1/10 000) ein Nierenversagen beschrieben [1]. Nierenfunktionsstörungen sind hingegen unter Itraconazol oder der Begleitmedikation mit Felodipin und Metoprolol nicht dokumentiert [6, 10].
Im vorliegenden Fall wurde der Anstieg des Serumkrea­tininwerts bei Kombination von Aliskiren und Itraconazol im Rahmen einer klinisch relevanten pharmakokinetischen Interaktion zwischen den zwei Substanzen interpretiert [14]. Der Rückgang der Nierenparameter nach dem ersten Itraconazolpuls kann als positive Dechallenge gewertet werden. Der erneute Anstieg unmittelbar nach Beginn des zweiten Itraconazolpulses stellt eine positive Rechallenge dar. Nach Beendigung der zweiten Itraconazolphase kam es dann im weiteren Verlauf wieder zu einem Rückgang der Nierenwerte.
Erhöhtes Alter, vorbestehende Nierenfunktionseinschränkung wie z.B. hypertensive Nephrosklerose im vorliegenden Fall, Volumendepletion oder bestimmte Medikamente wie Röntgenkontrastmittel, gewisse ­Antibiotika, Chemotherapeutika und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) stellen unter anderem Risikofaktoren für ein akutes Nierenversagen dar [15].
Zusammenfassend wurde aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs, der Dokumentation in der Arzneimittelinformation und Fachliteratur, der positiven De- und Rechallenge mit Besserung nach Absetzen und Auftreten derselben Symptomatik nach Wieder­beginn, die Kausalität zwischen dem Auftreten der akuten Nierenfunktionsverschlechterung und der ­Einnahme von Rasilez® HCT in Kombination mit Itraconazol gemäss den Kriterien der «World Health Organization» (WHO) und des «Council for International Organizations of Medical Sciences» (CIOMS) als sicher beurteilt.
SW ist auch Mitglied des «Pharmacovigilance Risk Assessment Committee» (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA. Die dargestellten Aspekte und Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und können nicht so verstanden oder zitiert werden, dass sie im Namen des PRAC gemacht werden oder die Position des PRAC widerspiegeln. Die Autoren erklären, dass kein Interessenskonflikt besteht.
PD Dr. med. Stefan Weiler, PhD, MHBA
Klinik für Klinische Pharmakologie und Toxikologie
UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
Stefan.Weiler[at]usz.ch
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