Herzstillstand ausserhalb des Spitals: mit oder ohne Adrenalin?
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Herzstillstand ausserhalb des Spitals: mit oder ohne Adrenalin?

Kurz und bündig
Ausgabe
2018/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03390
Swiss Med Forum. 2018;18(39):788-789

Publiziert am 26.09.2018

Fokus auf ... COPD, Asthma oder beides («overlap»)?

Eine neue Übersicht kommt zum Schluss, dass in vielen Ländern der westlichen Welt diese Krankheiten – obzwar sie eine ähnliche Pathophysiologie aufweisen – falsch kategorisiert werden, mit negativen Folgen zumindest auf die Wahl der initial besten Therapie. Aus diesen Gründen sei kurz und bündig versucht, diese drei Krankheiten (Tab. 1) so einfach wie möglich auseinanderzuhalten.
Tabelle 1: Charakteristika von Asthma, Asthma/COPD-Overlap (ACO) und COPD sowie die aktuell empfohlenen, jeweiligen Therapieschritte.
Verdacht auf COPD
AsthmaACOCOPD
Dyspnoe, Giemen, Husten, ­Engegefühl, variabel in ­Intensität und über die ZeitCharakteristika von Asthma und COPDDyspnoe, chronischer Husten oder Sputumproduktion, ­Exposition (Tabak, Umwelt- und Berufsnoxen)
Spirometrie: Zumindest ­partielle Reversibilität der ­Einschränkung des exspira­torischen Atemflussesoder: COPD mit stark positivem Bronchodilatationstest: 
±400 ml oder +15% des FEV1 und/oder signifikante ­Eosinophilie (>300/mm3)Spirometrie: Persistierende ­Limitation des exspiratorischen Atemflusses
Therapiestufen
1. ICS1. ICS/LABA1. LAMA oder LABA
2. ICS/LABA2. ICS/LABA2. LAMA/LABA
3. + LAMA oder neuere Anti- asthmatika3. ICS/LABA/LAMA3. LAMA/LABA + ICS oder andere
Die Zahlen vor den Therapiestufen bedeuten: 1. = leichte, 2. = mittelschwere, 3. = schwere Form.
ICS = inhalatorische Glukokortikoide, LABA = langwirksame β-Agonisten, LAMA = langwirksame
muskarinerge ­Antagonisten.
Mit bestem Dank an PD Dr. D. Franzen (Zürich) für die fachliche Durchsicht.
Verfasst am 28.08.2018.

Praxisrelevant

Herzstillstand ausserhalb des Spitals: mit oder ohne Adrenalin?

Die eindrückliche, sog. PARAMEDIC-Studie untersuchte Plazebo-kontrolliert die Wirkung von intravenösem Adrenalin (mittlere Dosis etwa 5 mg) auf die 30-Tage-Mortalität und den neurologischen Verlauf bei Herz-Kreislauf-Stillständen (n = 8014 PatientInnen!) ausserhalb einer stationären Infrastruktur. Die Adrenalinzufuhr erfolgte durchschnittlich nach 21 Minuten (im Spital wären dies als akzeptierter Standard ca. 3 Minuten) zusätzlich zu den mechanischen und elektrischen Reanimationsmassnahmen. Kurz und bündig bestätigte diese grösste aller Studien die enorm schlechte Prognose dieser Komplikation: Überlebenswahrscheinlichkeit in der Adrenalingruppe nur 3,2%, in der Plazebogruppe 2,4% (p = 0,02). Der bescheidene, signifikante Effekt von Adrenalin steht im Gegensatz zur deutlichen, initialen Verbesserung der Hämodynamik (längerfristige Folge des Schweregrades der Grundkrankheit und/oder fehlende Standardisierung des Vorgehens innerhalb des nachgeschalteten Spitals?). Auch der Preis des Überlebens scheint erheblich: ­Signifikant schwerere neurologische Defizite der Überlebenden in der Adrenalingruppe. Siehe auch «Das hat uns nachdenklich gestimmt».
N Engl J Med 2018, doi:.10.1056/NEJMoa1806842.
Verfasst am 28.08.2018.

Neues aus der Biologie

Der Ursache nosokomialer Infekte auf der Spur!

Antibiotika, vor allem diejenigen mit sog. breitem Spektrum, sind eine wichtige Ursache nosokomialer Infekte, so z.B. der Pseudomonas-Pneumonien. Eine vorgängige antibio­tische Therapie führt zu einer dramatischen Veränderung der kommensalen Keime im bronchialen und intestinalen Raum (Mikro­biome). Diese Veränderungen führen zu einer massiven Einschränkung der IgA-Produktion der Mukosa und einer erhöhten Anfälligkeit auf Pseudomonas-Infekte. Diese Arbeit – illustriert durch die Abbildung 1 – zeigt, dass ein «normales» Mikrobiom wichtig für die geregelte IgA-Sekretion ist (keimfrei aufgezogene Mäuse haben keine IgA-Produktion). Physio­logischerweise liegt also eine bisher wenig beachtete protektive, mikrobiell-immunologische Interaktion vor, die durch Antibiotika empfindlich gestört wird. Therapeutisch interessant: Die transnasale IgA-Repletion hatte einen signifikanten protektiven Effekt!
Abbildung 1: Die normale Keimflora des Darmes und der Bronchien induziert via einen komplexen, aber gut charakterisierten Signalweg (TLR-APRIL/BAFF) in den B-Zellen/Plasmazellen der Mukosa die Produktion sekretorischer IgA (slgA), welche die Pseudomonas-Erreger neutralisieren. Die breitspektrige Antibiose (ABx) stört diese Interaktion mit Gefahr eines invasiven Pseudomonas-Infektes. Mittels transnasaler IgA-Supplementation kann diese Gefahr minimiert werden. 
(Aus: Lohmeyer J, et al. Antibiotic therapy-induced collateral damage: IgA takes center stage in pulmonary host defense. J Clin Invest. 2018;128(8):3234–6. Copyright © 2018, American Society for Clinical Investigation, mit freundlicher Genehmigung.)
J Clin Invest 2018, doi.org/10.1172/JCI97065.
Verfasst am 29.08.2018.

Das hat uns nachdenklich gestimmt

Patientenwille eintätowieren?

Eine der ersten Fragen beim Spitaleintritt an PatientInnen oder Angehörige ist heute: «Haben Sie eine Patientenverfügung?». Der Wunsch – zum Beispiel – eines allgemeinen Verzichts auf Reanimationsmassnahmen ist aber den Notärzten in der Akutsituation (siehe «Praxisrelevant») meist nicht bekannt. Angesichts der (wiederum dokumentiert schlechten) Prognose eines Herzstillstands ausserhalb des Spitals bekommt diese Willensäusserung wieder neue Aktualität. Der da und dort geäusserte Vorschlag, sich einen Schriftzug «Bitte nicht wiederbeleben» als Tattoo auf die linke Brustseite (dort wo die Schock-Elektroden aufgesetzt werden müssen, cave aber bei Situs inversus!) anbringen zu lassen, ist vielleicht originell. Eine solche «Mitteilung» ist aber rechtlich wohl nicht bindend und brächte die Rettungsequipe in ungerechte Skrupel. Alle Haustiere tragen heute einen subkutanen Chip, warum nicht auch Menschen (mit abruf­barem Akutalisierungsdatum des Patientenwillens)?
Verfasst am 29.08.2018.

Auch noch aufgefallen

Schistosomiasis bei MigrantInnen 
und autochton in Europa

Bei etwa 6% der MigrantInnen, v.a. aus Afrika [1], die in Europa ankommen, muss (müsste?) eine Schistosomiasis diagnostiziert werden [2]. Weltweit geht man von über 250 Millionen infizierten Menschen aus. Akut präsentiert sich die Krankheit mit Fieber, Myalgien und Hämaturie, eine chronische Zystitis, obstruktive ­Uropathie, Karzinome der Harnblase und eine portale Hypertonie sind Langzeitfolgen. Die Eier der Schistosomen werden durch ­Faeces und Urin aus­geschieden und können Süsswasserschnecken infestieren. Deren Exkretion der Larven kann schwimmende Menschen via subkutane Invasion wieder befallen. Nun ist die Krankheit – in Folge des Urinierens eines infestierten Menschen ins Wasser – auch in Europa (vorerst in Korsika) ange­siedelt. Bei der Schistosomen-­Form handelt es sich um ein Hybrid zwischen Schistosoma haematobium und dem tierischen ­Parasiten Schistosoma bovis. Dieses ist für ­Menschen invasiver (d.h. pathogener) als das singuläre S. haematobium [3]!
Hier der Tipp für die Herbstferien Ihrer PatientInnen oder Sie selber: auf Korsika nicht im Cavu-Fluss und angrenzenden Süsswassern baden!
1 Inf Dis of Poverty 2018, doi.org/10.1186/s40249-018-0440-5.
3 Lancet Inf Dis 2016, doi:10.1016/S1473-3099(16)00175-4.
Verfasst am 29.08.2018.

Immer noch lesenswert

Pathogenese der Familiären Hyper­cholesterinämie

1974 publizierten die späteren Nobelpreisgewinner (1985) Brown und Goldstein die Beobachtung, dass in vitro gezüchtete Hautfibroblasten von 5 miteinander nicht verwandten PatientInnen mit homozygoter Hypercholesterinämie im Vergleich zu Fibroblasten gesunder Menschen eine massiv geringere Bindungskapazität für Iod-markiertes LDL aufwiesen. Sie zeigten, dass durch diese defekte Bindung an den (später entdeckten) LDL-Rezeptor die LDL-induzierte Suppression der (3-OH-3-Methylglutaryl-) Coenzym-A-Reduktase-Aktivität wegfiel. Eine Steigerung der endogenen Cholesterinsynthese war die Folge.
Proc Nat Acad Sci (USA) 1974, doi.org/10.1073/pnas.71.3.788.
Verfasst am 27. 08.2018.

Wussten Sie?

Was ist «Peto’s Paradox»?
Welche der folgenden Antworten ist richtig?
A) Die Hyperkaliämie-induzierte Aldosteron-Sekretion führt nicht zur Natriumretention und/oder Hypertonie (ja sogar zum Gegenteil!).
B) Grossgewachsene Organismen haben mehr Zellen (theoretisch erhöhte onkologische Vulnerabilität), aber trotzdem nicht häufiger Malignome.
C) Beim grossen Harlekin-Frosch (Pseudis paradoxa, sic!) wird die Kaulquappe fast 25 cm, der Frosch selber aber nur etwa 7,5 cm lang.
Verfasst am 29.08.2018.
Die Antwort finden Sie auf der nächsten Seite.

Antwort auf das «Wussten Sie?»

Alle der drei vorgeschlagenen Lösungen sind inhaltlich richtig! «Peto’s Paradox» (Antwort B ist richtig) meint aber die fehlende Erhöhung der Krebserkrankungen bei grösseren Organismen. Ein möglicher Mechanismus dafür wurde kürzlich bei Elefanten gefunden: Diese grossgewachsenen Tiere haben im Verlaufe ihrer Evolution ein pro-apoptotisches Gen (Leukemia inhibiting factor 6 [LIF6]), welches auf Ebene der Transkription durch das Tumorsuppressorgen-TP53 stimuliert wird, akquiriert. TP53 selber ist wichtig für die Reparatur von erworbenen DNA-Schäden.
Cell Reports 2018, 
doi.org/10.1016/j.celrep.2018.07.042.