Primärprophylaxe mit Aspirin®: ­viele Überraschungen bei älteren PatientInnen
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Primärprophylaxe mit Aspirin®: ­viele Überraschungen bei älteren PatientInnen

Kurz und bündig
Ausgabe
2018/42
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03395
Swiss Med Forum. 2018;18(42):851-852

Publiziert am 17.10.2018

Fokus auf ... NSAR-induzierten Atemwegs­erkrankungen*

Klinik:
– Obere Luftwege: verstopfte Nase, Rhinorrhoe, Niesen; inspektorisch: Pansinusitis, Polypen
– Untere Luftwege: Laryngospasmus, Husten, Giemen (Asthma)
– Seltener:
• Haut: Urtikaria, Rötungen
• Gastrointestinal: Schmerzen, Nausea
Mechanimus:
– Hemmung des Cox2-Enzyms mit Depletion an Prostaglandin E2 und sekundärer Überexpression der Leukotriene
Auslöser/Exazerbationen:
– Virale Infekte
– Alkoholkonsum, gastro-ösophagealer Reflux, Allergen- und Staubexpositionen, körperliche Anstrengungen
Diagnostik:
– Anamnese (respiratorische Symptome innerhalb von 90 Minuten nach Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika [NSAR])
– «Verschattung» der Sinus im Nebenhöhlen-CT
– NSAR-Exposition (nasal, peroral) mit Nachweis klinischer Symptome und Veränderungen in der Lungenfunktion
*Die Krankheit hat viele Namen: «Aspirin-exazerbierte respiratorische Erkankung», «Prostaglandinsynthesehemmer-Intoleranz» u.a.m.
NEJM 2018, doi:10.1056/NEJMra1712125. Siehe auch Swiss Med Forum 2011, https://doi.org/10.4414/smf.2011.07582.
Verfasst am 16.09.2018.

Praxisrelevant

Primärprophylaxe mit Aspirin®: ­viele Überraschungen bei älteren PatientInnen

1. Nicht besser als Plazebo zur Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse
Im Rahmen einer prospektiven, plazebo­kontrollierten Studie (ASPREE) kam bei knapp 20 000 PatientInnen im Alter von etwa 70 Jahren ohne bekannte kardiovaskuläre Vorerkrankungen oder Demenz und einer medianen Nachbeobachtung von 4,7 Jahren heraus, dass 100 mg enterisch verkapselte Azetylsalizylsäure (Aspirin®) nicht besser war als das Plazebo. Die Studie wurde in Australien und den USA durchgeführt. Patientengruppen mit höherem kardiovaskulären ­Risiko (schwarze Hautfarbe, hispanisch in den USA) wurden schon mit 65 Jahren in die Studie aufgenommen. Die untersuchten primären (zusammengesetzten) Endpunkte waren: Auftreten von Herzinfarkten und Schlaganfällen (beide tödlich oder nicht) sowie Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz. Allerdings erlitten die mit Azetylsalizylsäure behandelten PatientInnen vermehrt relevant Blutungen.
2. Kein Effekt auf Neudiagnosen von Demenz
Die gleiche Population wurde auch plazebokontrolliert in Bezug auf die Wirkung von Azetylsalizylsäure auf die Demenzentwicklung und ein Kriterium der Lebensqualität (Überleben ohne subjektive körperliche Einschränkungen) untersucht. Die Resultate sind in einem Zwillingsartikel ebenfalls publiziert, obwohl die genannten Endpunkte ja unmittelbar mit den Fragestellungen unter (1.) zusammenhängen. Auch hier hatte Azetylsalizylsäure keinen protektiven Effekt über knapp fünf Jahre, aber eben mehr relevante Blutungsereignisse.
3. Ikonoklastisch: Mortalität erhöht
Die gleiche Studienpopulation zum Dritten! Die mit Azetylsalizylsäure behandelten Pa­tientInnen wiesen gegenüber jenen unter Plazebo-Einnahme eine signifikant höhere Mortalität auf: nämlich 1,6 Todesfälle mehr auf 1000 PatientInnen pro Jahr. Überraschenderweise war diese Mortalitätszunahme aber nicht der oben erwähnten erhöhten Blutungsinzidenz geschuldet, sondern einer erhöhten Mortalität durch maligne Erkrankungen (3,1% unter Azetylsalizylsäure, 2,5% unter Plazebo)! Der Effekt beschränkte sich nicht auf eine spezifische Krebserkrankung. Diese Beobachtung ist in bemerkenswertem Gegensatz zu Metaanalysen, welche die Resultate randomisierter Studien bislang so interpretierten, dass 4–5 Jahre nach kontinuierlicher Azetylsalizylsäure-Therapie die Krebsmortalität abzusinken beginnt und dann mindestens 15 Jahre aufrechterhalten wird. Ein Mysterium bleibt der Mechanismus der erhöhten Mortalität – falls diese sich bestätigt.
Kurz und bündig: Die ganze Studie spricht gegen eine Primärprophylaxe mit Acetylsalicylsäure von fünf Jahren bei 70-Jährigen – zumindest in einer enterisch verkapselten Präparation. Zu deren Bioverfügbarkeit und relevanten Pa­tientenfaktoren wie Adipositas und anderen gibt es ja wichtige offene Fragen (siehe SMF 37/2018 [1]). Die multiplen Endpunkte machen eine Evaluation der Ergebnisse und den Verlass auf die Unterschiede zwischen den Gruppen («intergroup comparisons») naturgemäss schwieriger. Wir sind gespannt auf die vielen Editorials und Kommentare, die eine solche Studie in der Regel initiiert.
Übrigens: Die Interventionsphase von ASPREE wurde vorzeitig gestoppt, da eine Weiterführung der Azetylsalizylsäure-Prophylaxe keinen signifikanten Benefit hinsichtlich des primären Endpunktes erwarten liess. Dieser Stopp wurde vom «National Institute on Aging» (eine Abteilung der «National Institutes of Health») verfügt, welches die Studie teilfinanzierte.
1 Swiss Med Forum 2018, 
https://doi.org/10.4414/smf.2018.03377.
Verfasst am 16.9.2018.

Neues aus der Biologie

Hoffnung im Kampf gegen Multiresistenz

Die Mitglieder der sogenannte ESKAPE-Pathogene (Enterococcus faecium, Staphylococcus aureus, Klebsiella pneumoniae, Acinetobacter baumannii, Pseudomonas aeruginosa und Enterobacter species) haben das grösste Potential unbehandelbare, multiresistent bedingte Infekte zu verursachen. Die Chancen dazu nehmen in Abwesenheit neuer Antibotika mehr und mehr zu. Namentlich die gram-negativen Mitglieder (Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae, Acinetobacter baumannii und Pseudomonas aeruginosa) sind problematisch, weil sie eine bakterielle Doppelmembran aufweisen, die für einen grossen Teil von antibiotischen Molekülen den Zugang zu ihrem theoretischen Wirkungsort behindern. Im Zwischenraum zwischen zytoplasmatischer und äusserer Membran gibt es eine sogenannte Signalpeptidase, die von den bakteriellen Proteinen, welche diese Membranen überwinden müssen, die Signalsequenz abschneidet. Ohne diese Peptidase sind Bakterien nicht überlebensfähig. Durch chemische Alterationen natürlich vorkommender sogenannter Arylomycine, welche diese Signalpeptidase («bacterial type 1 signal peptidase») hemmen, gelang es, die Wirkungsstärke der Enzymhemmung massiv zu erhöhen und eine breitspektrige, von den gegenwärtigen Resistenzmechanismen nicht betroffene Bakterizidie auf gram-negative Erreger zu erreichen. Da die bakteriellen Signalpeptidasen chemisch von jener des Menschen sehr verschieden sind, ergibt sich die Hoffnung, dass die Hemmsubstanzen beim Menschen nebenwirkungsarm eingesetzt werden könnten.
Nature 2018, doi.org/10.1038/s41586-018-0483-6.
Verfasst am 16.09.2018.

Koppelung von Knochenaufbau und­ ­Knochenabbau

In der Regel sind Knochenaufbau und Knochenabbau in ihren Aktivitäten eng aufeinander abgestimmt. Kleinere Ungleichgewichte führen über Jahre zu Veränderungen der ­Knochenmasse, zum Beispiel Osteoporose, während die primär knochenaufbauende Wirkung von Medikamenten in relativ kurzer Zeit von einer Stimulation der Knochenresorption gefolgt ist (ohne weitere Wirkung auf die Knochenmasse) und vice versa wird der Knochenaufbau im Gefolge antiresorptiver Therapien ebenfalls gehemmt. Mit dem Denosumab hemmen Sie bei Ihren PatientInnen z.B. den sogenannten RANK-Liganden (RANK-L) aus den Osteozyten und dadurch die Osteoklastenaktivität (siehe Abb. 1). Die Osteoblasten haben auch einen RANK-L, seine Funktion war aber unklar. Nun wird berichtet, dass RANK aus den Osteoklasten sezerniert wird und diesen RANK-L im Osteoblasten bindet und im Gefolge davon dann die Osteoblastenaktivität und Knochenneubildung stimuliert (Abb. 1). Mechanistisch ist es ein ungewöhnlicher Stimulationsmechanismus durch den Rezeptor (RANK) auf seinen Liganden (RANK-L), ein sogenanntes «reverse signalling». Dies sind wichtige Hinweise zur Entwicklung therapeutischer Methoden zur Verhinderung der Hemmung des Knochen­aufbaus bei resorp­tionshemmenden Medikamenten (limitierte Wirksamkeiten, aber auch happige Nebenwirkungen wie adynamische Knochenerkrankung und atypische Femur­frakturen).
Abbildung 1: Interaktionen zwischen den Osteozyten, Osteoklasten und Osteoblasten. Direkte Signalübermittlung von Osteozyten via den RANK-Liganden auf den RANK-Rezeptor im Osteoklasten. Umgekehrte Signalübermittlung via sezernierten RANK-Rezeptor (der hier eigentlich zu einem Liganden wird) aus den Osteoklasten auf den RANK-Liganden (der somit zu einem Rezeptor wird) mit konsekutiver ­Stimulation des Knochenaufbaus. RANK = «receptor activator of NFkB», L = Ligand (von RANK).
Nature 2018, doi.org/10.1038/s41586-018-0482-7.
Verfasst am 16.9.2018.

Immer noch lesenswert

Frühzeitige ERCP besser als konservative Strategie bei biliärer Pankreatitis

121 PatientInnen mit biliärer Pankreatitis, stratifiziert nach dem Schweregrad, wurden ­entweder innert 72 Stunden mittels endoskopisch retrograder Cholangio-Pankreatikografie (ERCP) und endoskopischer Sphinkterotomie oder konservativ-konventionell versorgt. Die Interventionsgruppe wies weniger Komplikationen auf - allerdings nur wenn man die schwersten Pankreatitis-Attacken untereinander verglich. In der Interventionsgruppe starb 1 von 59 und in der konservativen Gruppe starben 5 von 62 PatientInnen. Die Hospitalisationszeit verkürzte sich dank der Intervention von 17 auf 9,5 Tage.
The Lancet 1988, doi.org/10.1016/S0140-6736(88)90740-4.
Verfasst am 17.9.2018

Auch noch aufgefallen

Allopurinol (meist) immer noch gut genug

Hyperurikämie und Gicht sind wichtige Risiko­faktoren für kardiovaskuläre und chronische Nierenerkrankungen. In einer Medicare-Kohorte von fast 100 000 ca. 75-jährigen PatientInnen fand man keinen Unterschied darin, ob die Gicht mit Allopurinol oder mit Febuxostat für >3 Jahre behandelt wurde; die Risiken für Myokardinfarkte, Apoplexien, Herzinsuffizienz, koronare Revaskularisationen und Gesamtmortalität blieben gleich.
Verfasst am 16.09.2018