Fragen Ihre Patient(inn)en schon danach?
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Fragen Ihre Patient(inn)en schon danach?

Kurz und bündig
Ausgabe
2018/50
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.08003
Swiss Med Forum. 2018;18(50):1051-1052

Publiziert am 12.12.2018

Fokus auf ... Karpaltunnelsyndrom

– Häufigste Kompressionsneuropathie (Nervus medianus) der oberen Extremität
– Jährliche Inzidenzen: Frauen ca. 4/1000, Männer ca. 2/1000
– Symptome: Parästhesien, Schmerzen, Hyposensibilitäten im Ausbreitungsgebiet des Nervus Medianus, nächtlich oft ­exazerbiert
– Symptome in bis zu 50% bilateral
– Diagnostik: Anamnese und Klinik, Elektrophysiologie für ­unklare Fälle und vor Operation schwerer Fälle
– Eine Glukokortikoidinjektion mit besserer Symptomkontrolle nach sechs Wochen als volare Schienen (Effekt der Kombi­nation?)
Lancet 2018, doi.org/10.1016/S0140-6736(18)31572-1. 
Verfasst am 06.11.2018.

Praxisrelevant

Fragen Ihre Patient(inn)en schon danach?

In der Appendix sollen abnorm gefaltete sogenannte Alpha-Synuclein-Eiweisse vorkommen, wie sie auch im Gehirn von Menschen mit Morbus Parkinson gefunden werden. Diese Blinddarm-Synucleine können in vitro auch als Initiatoren weiterer Synuclein-Aggregate dienen. Ist da etwas dran für die Patho­genese des Morbus Parkinson? Laut Schwe­dischen Epidemiologen (1,6 Millionen Menschen, insgesamt eindrückliche 91 Millionen Patientenjahre) ist eine Appendektomie (Jahre/Dekaden zurückliegend) mit einer Risikoreduktion von etwa einem Fünftel, einen Morbus Parkinson zu entwickeln, assoziiert [1]. Natürlich: Wieder eine Assoziation, kein Beweis, der auch nicht durch die enorme Popularisierung der Resultate via Laienmedien erbracht wird. Vorerst wollen wir uns daran erinnern, dass es eine etwas störende Statistik in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit gibt, dass eine epidemiologische Assoziation auch einer (typischerweise später entdeckten) kausalen Beziehung entspricht: Die Hürde liegt bei einer Risikoveränderung von etwa einem Faktor 4 [2]!
1 Sci Transl Med 2018, 
doi:;10.1126/scitranslmed.aar5280.
2 Science 1995, doi: 10.1126/science.7618077.
Verfasst am 06.11.2018.

SAVR oder TAVR?

Die kardiologische Literatur scheint die onkologische mit der Zahl verwendeter Abkürzungen überholt zu haben: Angesichts der Erfolge des mit einem Katheter vorgenommenen Aortenklappenersatzes TAVR, früher TAVI, («transcatheter aortic valve replacement») wird dieser Eingriff naturgemäss auch immer mehr bei Patient(inn)en mit symptomatischer Aortenstenose, aber an sich niedrigem Operationsrisiko als Alternative zum chirurgischen Klappenersatz SAVR («surgical aortic valve replacement») erwogen. 1660 Patient(inn)en (Alter = 80 Jahre) wurden 1:1 entweder in die Gruppe mit chirurgischem oder mit Katheter-basiertem Klappenersatz randomisiert und im Hinblick auf den neurologischen Verlauf untersucht (Endpunkte: Schlaganfall/TIA oder Enzephalopathie, letztere etwas locker als «verändertes Bewusstsein» definiert). Das Operationsrisiko musste als mittel eingeschätzt worden sein. Nach 30 Tagen wiesen die mit TAVR behandelten Patient(inn)en signifikant weniger Schlaganfälle (3,3 versus 5,4%) und weniger Enzephalopathien (1,6 versus 7,8%) auf. Ein Vorteil der nach zwölf Monaten aber verloren ging [1].
Im gleichen Heft wird übrigens über den TAVR bei Patient(inn)en (n = 200, 11 verschiedene Zentren) mit niedrigem Operations­risiko berichtet: kurzer Spitalaufenthalt, 0% Morta­lität nach 30 Tagen und 0% («dis­abling») Schlaganfälle, welche die Lebensqua­lität ­relevant einschränken, ebenfalls nach 30 ­Tagen [2].
1 JACC 2018, doi.org/10.1016/j.jacc.2018.07.093. 
2 JACC 2018, doi.org/10.1016/j.jacc.2018.08.1033.
Verfasst am 06.11.2018.

Für Ärztinnen und Ärzte am Spital

Allergisch auf Penicilline – wirklich?

Wie häufig geben doch Patient(inn)en an, an ­einer Beta-Laktam-Allergie (Penicillin-Allergie) zu leiden! Angeblich bis zu 10% der ins Spital Eintretenden. Meist werden darunter Antibiotika-assoziierte Diarrhoen oder Exantheme verstanden. Die unkritische Übernahme ­dieser «Allergiediagnose» kann zu teuren und sinnlosen Abklärungen führen oder auch ­einen Verzicht auf das in der gegebenen Situation eigentlich beste Antibiotikum nach sich ziehen. So ist dokumentiert, dass Pati­ent(inn)en mit Beta-Laktam-Allergie vermehrt breitspektrige Nicht-Beta-Laktam-Antibiotika erhalten, mit – unter anderem – erhöhtem Risiko für Methicillin-resistente Staphylokokken- und Clostridium-difficile-Infekte wie auch Infekte des Operationssitus. Übrigens: Innerhalb von zehn Jahren verlieren 80% ihre Hypersensitivität gegen Beta-Laktame – auch wenn es sich um eine echte IgE-vermittelte Reaktion gehandelt hatte.
Weitergehende Hinweise in SMF 2017, 
doi.org/10.4414/smf.2017.02892.
Verfasst am 07.11.2018, auf Hinweis von Prof. K. Neftel (Gléresse).

Enteroviren-PCR bei Kindern

Eine Studie aus Frankreich fand, dass bei 822 kindlichen Patient(inn)en mit Fieber ohne erkennbaren Fokus oder einem Sepsis-ähnlichen Syndrom die Testung des Blutes mittels einer Enteroviren-PCR («polymerase chain reaction») in 357 Fällen (43%) positiv ausfiel. Die Testung erwies sich auch als diagnostisch hilfreich, wenn zum Beispiel aus praktischen Gründen keine erfolgreiche Liquorpunktion bei einem vermuteten Infekt des zentralen Nervensystems vorgenommen werden konnte. Die zusätzliche PCR-Testung schien – bei einer schnellen Analytik – auch den Verbrauch von Antibiotika und die Hospitalisationszeit zu reduzieren. Die häufigsten Erreger bei Fieber ohne Fokus-/Sepsis-ähnliches Bild in dieser Studie waren: 1. Enteroviren, 2. Bakterien, 3. Parechoviren. Letztere möchte der «Editorialist» daher ebenfalls in einer multiplex PCR-Analytik miterfasst haben.
Lancet Infect Dis 2018, 
doi.org/10.1016/S1473-3099(18)30479-1. 
Verfasst am 06.11.2018.

Neues aus der Biologie

Ein «neues» Phänomen: «NETosis»

Granulozyten sind die wichtigsten Zellen in der ersten Abwehrlinie gegen, zum Beispiel, bakterielle Infekte. Sie töten die Bakterien entweder durch lysosomale Verdauung nach Phagozytose oder durch Sekretion endogener Antibiotika (sogenannte antimikrobielle Peptide [AMPs], z.B. Defensine) ab. Eine dritte und weniger sowie noch nicht sehr lange bekannte Form ist die Sekretion sogenannter «neutrophil extracellular traps» (NETs) (auf Deutsch: neutrophile extrazelluläre Fallen). Der Prozess als Ganzes wird als «NETosis» (auf Deutsch: NETose) bezeichnet [1]. «NETosis» wird bei Entzündungsstimuli (z.B. durch Lipopolysacharide, Interleukin-8 etc.) ausgelöst und umfasst die Sekretion von Proteinen und Chromatin der Neutrophilen. Das Chromatin (Stücke der DNA und Kernproteine) bildet mehrere 100 nm lange, netzartige Strukturen («nets») auf denen antimikrobielle oder proteolytische Eiweisse (z.B. Metalloproteinasen) angeordnet werden. Man geht davon aus, dass damit das Abtöten von Bakterien in diesen Fallen («traps») mit minimalem Schaden für das Wirtsgewebe erfolgen kann, weil im Rahmen der NETose die Granulozyten auch eine der Formen eines Zelltodes erleiden.
«NETosis» kann aber offensichtlich auch Schaden anrichten: Es bleibt ein Mysterium warum eine Reihe solider Tumore (namentlich Mammakarzinom, Prostatakarzinom, Nierenzellkarzinom) Jahre, ja Dekaden nach klinischer Vollremission sich mit Metastasen zurückmelden können. Ein Mechanismus könnten Entzündungsstimuli sein (z.B. in den Lungen durch Nikotinabusus oder Umwelt­noxen entstanden), die eine solche Netose ­aktivieren, wodurch Bindegewebe-auflösende Enzyme (Proteasen, die Laminin spalten) freigesetzt werden. Bislang schlafende Tumor­zellen ­können so aktiviert und zur Proliferation (via sogenannter Integrin-Signale) gebracht werden. In Mäusen konnten neutralisierende Antikörper gegen die Bindungsstelle der Proteasen auf dem Laminin diesen Weckruf an verborgene Krebszellen ver­hindern [2].
1 Journal of Cell Biology 2007, doi: 10.1083/jcb.200606027. 
2 Science 2018, doi:10.1126/science.aao4227.
Verfasst am 06.11.2018.

Immer noch lesenswert

Der stärkste Vasokonstriktor

1980 beschrieben Furchgott und Zawadzki eine von einem intakten Endothel abhängige Vasodilatation mit konsekutiver Identifizierung eines «endothelial derived relaxation factors» (EDRF), dem – neben anderen – Nitrat­oxid. Schon damals war klar, dass auch ein Endothel-abhängiger Vasokonstriktor vorliegen musste. Diesen Faktor identifizierten ­Yanagisawa und Kollegen 1988 als Endothelin und zwar aus dem Überstand von aortalen ­Endothelzellen des Hausschweins. Das Endothelin wird nach proteolytischer Spaltung ­eines Vorläuferhormons (Präproendothelin) freigesetzt und erwies sich als viel stärker und länger wirksam als Noradrenalin. Später wurden die zellulären Rezeptoren (ETA und ETB) entdeckt. Gegen diese Rezeptoren wurden Antagonisten entwickelt (mit Bosentan als erster zugelassener Substanz), die vorwiegend zur Behandlung der pulmonal-arteriellen Hypertonie, aber auch zur Verbesserung der peripheren Zirkulation bei Sklerodermie, eingesetzt werden.
Nature 1988, doi:10.1038/332411a0. 
Verfasst am 06.11.2018.

Auch noch aufgefallen

Beta-1-selektive Blocker zur Prävention der Osteoporose?

Es ist wohl allgemein bekannt – wird aber wahrscheinlich zu wenig beachtet – dass für postmenopausale Frauen nach der weitgehenden Verbannung der Östrogene und auch ältere Menschen ausser bei Hochrisikosituationen (relevante Frakturgefährdung) keine wirksame Prävention/Therapie der Osteopenie/Osteoporose zur Verfügung steht. Neue Studien beim Menschen bestätigen nun die früheren tierexperimentellen Beobachtungen, dass die zentralnervöse sympathische Nervenaktivität via die Aktivierung des Beta-1-Rezeptors die Knochenmasse negativ reguliert. Eine Beta-1-Blockade, z.B. durch das billige Atenolol, könnte also in diese Lücke springen (Abb. 1).
Abbildung 1: Der negativen Regulierung der Knochenmasse durch das Zentralnervensystem könnte via Beta-1-Blockade gegengesteuert werden (aus Khosla S, Drake MT, Volkman TL, Thicke BS, ­Achenbach SJ, Atkinson EJ, et al. Sympathetic β 1-adrenergic signaling contributes to regulation of human bone metabolism. J Clin Invest. 2018;128(11):4832–42. doi: 10.1172/JCI122151. Copyright © 2018, American Society for Clinical Investigation, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung).
J Clin Invest 2018, doi.org/10.1172/JCI122151. 
Verfasst am 06.11.2018.