Gastroenterologie: 30 Jahre Protonenpumpenhemmer: «the dark side»
Schlaglicht der Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie

Gastroenterologie: 30 Jahre Protonenpumpenhemmer: «the dark side»

Schlaglichter
Ausgabe
2018/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.08005
Swiss Med Forum. 2018;18(5152):1085-1086

Affiliations
Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Kantonsspital, St. Gallen

Publiziert am 19.12.2018

Seit ihrer Einführung haben Protonenpumpenhemmer Erfolge gefeiert, die ihresgleichen suchen. 30 Jahre später suchen wir nach ihrer «dunklen Seite» und zeitweise scheint es, als hätten wir sie gefunden. Können wir es uns aber leisten, auf die Protonenpumpenhemmer zu verzichten?

Können wir uns Protonenpumpen­hemmer leisten?

Der Protonenpumpenhemmer(PPI)-Markt scheint auch 30 Jahre nach Markteinführung endlos zu wachsen. So wurde Omeprazol 10 mg im März 2010 für die Selbstmedikation freigegeben, gefolgt von anderen nicht verschreibungspflichtigen PPIs mit 20 mg zur kurzfristigen Therapie von Refluxbeschwerden und Magenbrennen. Daraus folgende Probleme für unser Gesundheitswesen sind steigende Kosten in dieser Medikamentenklasse und das Potential zunehmender Nebenwirkungen für unsere Patienten. So bedarf es einer Neubeurteilung des Einsatzes der PPIs und einer Gewichtung des Ausmasses der mit der Säurehemmung einhergehenden Nebenwirkungen. Im Rahmen des Programms «Health Technology Assessment» (HTA) des Bundes sollen bestehende Leistungen und verschiedene Medikamentenklassen, welche bisher von der obligatorischen Krankenversicherung (OKP) vergütet wurden, gemäss den Prinzipien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit reevaluiert werden. Nicht wirksame und nicht effiziente Leistungen sollen reduziert werden, um so eine Qualitätssteigerung mit Kosteneindämmung zu erreichen. Anlass hierfür ist der stetige Anstieg der ­Gesamtausgaben im schweizerischen Gesundheitswesen. Gemäss OECD-Standards stiegen die Ausgaben im Jahr 2016 auf 80,7 Milliarden Franken, das sind 3,8% mehr als im Vorjahr.
Neben den Kosten spielen die vermeintlichen Nebenwirkungen, besonders im Hinblick auf die zunehmend überalterte Bevölkerung, eine wichtige Rolle. Dabei muss beachtet werden, dass randomisierte Studien über lange Beobachtungszeiten bei den PPIs fehlen. Die kürzlich publizierte Studie im Lancet [1] zeigt hingegen einen protektiven Effekt und wird hier kurz diskutiert. Dementsprechend ist Vorsicht geboten, wenn man sich zunehmend nur mit der «dark side» der PPIs beschäftigen soll.

Weniger oder mehr Malignität?

Die Idee, mit PPIs die Inzidenz des Ösophaguskarzinoms zu senken, indem man den Reflux behandelt und Endoskopien zur Überwachung von Dysplasien im Barrett-Ösophagus durchführt, überzeugt. Leider war die Strategie bisher nicht effektiv, da weiterhin ein Anstieg der Ösophaguskarzinom-Inzidenz zu verzeichnen ist. Säure und Gallensalze sind für einen karzinogenen DNA-Schaden verantwortlich, und deshalb sind Therapien chemopräventiv, wenn sie den Ösophagus davor schützen. Der Bruch der DNA-Doppelstränge ist die verheerendste Form der DNA-Schädigung, sodass Säure ein Karzinogen für den Ösophagus darstellt. Diese In-vitro-Untersuchungen wurden in translationellen Studien bei Probanden mit Barrett-Ösophagus bestätigt, indem man vor und nach ösophagealer Perfusion des Barrett-Ösophagus mit 0,1 N Salzsäure zeigen konnte, dass Phospho-H2AX-Spiegel (Western Blot) als Zeichen einer DNA-Schädigung anstiegen. Entsprechend macht es Sinn, Säurereflux bei Patienten mit Barrett-Ösophagus zu kontrollieren, und PPIs sind diesbezüglich die effektivste Anti-Reflux-Therapie [2]. In einer grossen randomisierten Studie im Lancet (AspECT) konnte zudem über acht Jahre gezeigt werden, dass eine Hochdosis-PPI-Therapie (80 mg) in Kombination mit Aspirin® (300 mg) zu einer Verbesserung des kombinierten Endpunktes aus Mortalität, Karzinom-und Dysplasieinzidenz führt [1].
Im Magen sieht es mit der Wirkung der PPIs aber anders aus. Die Langzeitbehandlung mit PPI führt bei den meisten Patienten zu einer Hypergastrinämie und zu einer gesteigerten Prävalenz von ECL-Zell-Hyperplasie (ECL = enterochromaffin-ähnliche Zellen) im Magen. Patienten mit einer Helicobacter-pylori-Infektion zeigen unter der Langzeit-PPI-Behandlung häufiger eine Mukosaatrophie im Magenkorpusbereich als Helicobacter-pylori-negative Patienten. Eine mögliche Folge ist das Fortschreiten der Atrophie und Metaplasie hin zur Dysplasie. Jedoch fehlt zu dieser Theorie die Evidenz, und es fanden sich in der Cochrane Database of Systematic Reviews 2014 keine neuroendokrinen ­Tumore oder Magenkarzinome bei Patienten mit PPI-Langzeittherapie [3].
Zurzeit gibt es keine Evidenz, dass eine Langzeitanwendung von PPIs eine Magenmukosaatrophie oder Metaplasiebildung beschleunigen kann, wobei die Resultate der einzelnen Studien zu unbestimmt waren. Unlängst fielen Fallbeschreibungen auf von Magenkarzinomen unter PPIs, welche allerdings im Rahmen einer perniziösen Anämie und chronischen Gastritis auftraten. Hingegen kann eine diffuse oder lineare/mikronoduläre ECL-Zell-Hyperplasie gehäuft im Rahmen jahrelanger PPI-Therapien auftreten. Die klinische Bedeutung diesbezüglich ist nicht geklärt. Eine Eradikation von Helicobacter pylori sollte entsprechend vor dem Beginn einer Langzeitbehandlung mit PPIs erfolgen und wird allgemein empfohlen [3–5].

Die «Facts» zu Langzeitneben­wirkungen

Weiterhin unklar bleibt der Mechanismus, mit dem PPIs das Risiko für ein chronisches Nierenleiden und für einen akuten Nierenschaden erhöhen sollen, und es ist nicht gezeigt worden, ob PPIs ohne zusätzliche Risikofaktoren schädlich sein können [6].
Die «US Food and Drug Administration» (FDA) nahm in den letzten Jahren zudem Stellung zu Osteoporose, Hypomagnesiämie und Clostridium-difficile-Infektionen unter PPI-Therapie. Die Ursache vermehrter Frakturen unter Langzeit-PPI-Therapie bleibt unklar, gekennzeichnet durch drei epidemiologische Studien, die keinen klaren Zusammenhang zwischen Knochendichte und Langzeitgabe von PPIs zeigten [7]. Zudem wurde zwischen 1999 und 2016 generell ein erhöhter Einsatz von Medikamenten mit potentiell Osteoporose-fördernder Wirkung festgestellt, vor allem bei Patienten mit erhöhtem Frakturrisiko (postmenopausal, ältere Patienten). Auch der Grund für die gelegentlich auftretende Hypomagnesiämie ist unklar, wobei eine selektive Malabsorption im Dünndarm postuliert wird. Schwere Nebenwirkungen in dieser Situation sind Tetanie, epileptische Anfälle, Tremor, carpopedale Spasmen, Vorhofflimmern, supraventrikuläre Tachykardien und ein abnormales QT-Intervall. Zudem kann es zu einer Parathormonsekretionshemmung und Hypokalzämie kommen. Eine weitere fragliche Nebenwirkung bildet die Clostridium-difficile-Infektion oder -Diarrhoe (CDAD), welche in verschiedenen Studien maximal 1,4–2,75-fach erhöht ist bei Langzeit-PPI-Therapierten gegenüber Patienten ohne PPI.
Klinisch relevant scheinen Interaktionen mit Thrombozytenaggregationshemmern. Es gibt zurzeit jedoch keine Evidenz für einen Zusammenhang zwischen PPI-Monotherapie und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko. Lediglich in der Zusammenschau von Daten aus Beobachtungsstudien scheint das Risiko erhöht (RR 1,25, 95% CI 1,11–1,42), jedoch nicht, wenn man nur Daten aus randomisierten Studien berücksichtigt (RR 0,89, 95% CI 0,34–2,33) [8]. Die kombinierte Anwendung von Clopidogrel und PPI ist mit einer erhöhten Anzahl von 
«major cardiovascular events» (MACE) nach perkutaner Koronarintervention (PCI) verbunden, was früheren Meta-Analysen entspricht. Die Langzeitmortalität ist allerdings statistisch unter PPIs nicht verändert, weshalb weitere randomisierte Studien benötigt werden, um abschliessend ein Urteil bilden zu können [9].

Zusammenfassung und Ausblick

Trotz zunehmendem Kostendruck und Regulationsmassnahmen erleben die PPIs eine nach wie vor unerreichte Popularität auf dem Gesundheitsmarkt. Dass die Magensäure im Ösophagus schädlich ist, konnte wissenschaftlich in Tierversuchen und anhand von Biomarkern am Menschen gezeigt werden. Der protektive Schutz der PPIs bezüglich eines Adenokarzinoms im Ösophagus konnte zudem in einer grossen randomisierten klinischen Studie gezeigt werden. ECL-Hyperplasie im Magen, aber nicht Magenkarzinome sind wahrscheinlich Folge der durch PPIs verursachten 
Hypergastrinämie. Nebenwirkungen wie Nierenleiden, Osteoporose und Hypomagnäsiämie sind wie auch die Interaktion mit Clopidogrel im Gesamtkontext von Multimorbidität und Multimedikation bei älteren Patienten zu sehen. Die korrekte Dosierung und Medikation wird hier vermehrt zu beachten sein.
Mit PPI wurde Millionen von Menschen geholfen, und es sieht nicht so aus, als ob wir uns deswegen zur «dark side» hinbewegen. Der vernünftige Einsatz der PPIs wird auch hier entscheiden über «the good and the bad».
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med. Jan Borovicka
Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie
Kantonsspital
Rorschacherstrasse 95
CH-9007 St. Gallen
jan.borovicka[at]kssg.ch
1 Jankowski JAZ, de Caestecker J, Love SB, Reilly G, Watson P, Sanders S, et. al. Esomeprazole and aspirin in Barrett’s oesophagus (AspECT): a randomised factorial trial. Lancet. 2018;392(10145):400–8.
2 Souza RF. From Reflux Esophagitis to Esophageal Adenocarcinoma. Dig Dis. 2016;34:483–90.
3 Song H, Zhu J, Lu D. Long-term proton pump inhibitor (PPI) use and the development of gastric pre-malignant lesions. Cochrane Database Syst Rev. 2014;(12):CD010623.
4 Lundell L, Vieth M, Gibson F, Nagy P, Kahrilas PJ. Systematic review: the effects of long-term proton pump inhibitor use on serum gastrin levels and gastric histology. Aliment Pharmacol Ther. 2015;42(6):649–63.
5 Ko Y, Tang J, Sanagapalli S, Kim BS, Leong RW. Safety of proton pump inhibitors and risk of gastric cancers: review of literature and pathophysiological mechanisms. Expert Opin Drug Saf. 2016;15(1):53–63.
6 Lazarus B, Chen Y, Wilson FP, Sang Y, Chang AR, Coresh J, Grams ME. Proton Pump Inhibitor Use and the Risk of Chronic Kidney Disease. JAMA Intern Med. 2016;176(2):238–46.
7 Skjødt MK, Ostadahmadli Y, Abrahamsen B. Long term time trends in use of medications associated with risk of developing osteoporosis: Nationwide data for Denmark from 1999 to 2016. Bone. 2018; Aug 29.
8 Batchelor R, Kumar R, Gilmartin-Thomas JFM, Hopper I, Kemp W, Liew D. Systematic review with meta-analysis: risk of adverse cardiovascular events with proton pump inhibitors independent of clopidogrel. Aliment Pharmacol Ther. 2018; doi: 10.1111/apt.14955. [Epub ahead of print] PubMed PMID: 30178881.
9 Bundhun PK, Teeluck AR, Bhurtu A, Huang WQ. Is the concomitant use ofclopidogrel and Proton Pump Inhibitors still associated with increased adverse cardiovascular outcomes following coronary angioplasty?: a systematic review and meta-analysis of recently published studies (2012–2016). BMC Cardiovasc Disord. 2017;17(1):3.