Hepatologie: Die Leberzirrhose ist nicht mehr die Leberzirrhose!
Schlaglicht der Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie

Hepatologie: Die Leberzirrhose ist nicht mehr die Leberzirrhose!

Schlaglichter
Ausgabe
2018/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2018.08015
Swiss Med Forum. 2018;18(5152):1090-1092

Affiliations
a Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Basel
b Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Bern

Publiziert am 19.12.2018

Die Prognose der dekompensierten Leberzirrhose ist schlecht, ihre Häufigkeit steigt. Ein optimales diagnostisches und therapeutisches Management kann Krankheitsverlauf und Überleben dieses potentiell reversiblen Krankheitsbildes wesentlich verbessern.

Hintergrund

Die Leberzirrhose ist definiert als schwerer Leberparenchymschaden induziert durch Nekrose, Entzündung und Fibrogenese und histologisch charakterisiert durch Parenchymverlust, Knotenbildung und vaskuläre ­Architekturstörung [1]. Die häufigsten zugrundeliegenden Erkrankungen sind alkoholische- und nicht-alkoholische Fettleberkrankung (AFLD/NAFLD), Virushepatitiden (Hepatitis B und C), Speicherkrankheiten (Hämochromatose, α1-Antitrypsinmangel, M. Wilson) und autoimmune Erkrankungen. Die Zirrhose ist weltweit für >1 Million Todesfälle pro Jahr verantwortlich, ihre Prävalenz steigt [2]. Wesentlich hierfür ist die alarmierende Zunahme der NAFLD auf bis zu 25% der Bevölkerung, was Thema des Schlaglichts Hepatologie im Jahr 2017 war [3]. Sie galt lange als Endstadium chronischer Lebererkrankungen, heute wird diskutiert, in welchen Fällen die Fibrose reversibel sein kann [4, 5]. Daher ist der Begriff «Zirrhose» eventuell nicht mehr zeitgemäss, und es wurde vorgeschlagen, ihn künftig durch «chronische Lebererkrankung im fortgeschrittenen Stadium» zu ersetzen [6].
Während die «kompensierte Phase» meist asymptomatisch verläuft, finden sich klinische Zeichen oft erst im Stadium der Dekompensation. Die Leberzirrhose ist eine Multisystemerkrankung, deren Morbidität und Mortalität assoziiert ist mit den Komplikationen infolge der portalen Hypertonie wie zum Beispiel Varizen, Aszites, Splenomegalie, hepatische Enzephalopathie (HE) und Immundysfunktion. Infektionen und Gastrointestinalblutungen sind die häufigsten Gründe für Hospitalisation, Dekompensation, Leberversagen und Versagen anderer Organe, genannt «acute-on-­chronic»-Leberversagen (ACLF) [7], und bedingen die damit assoziierte hohe Mortalität. Eine weitere Komplikation mit hoher Mortalität ist das hepatozelluläre Karzinom (HCC).
Es ist daher wichtig, die Diagnose von Lebererkrankungen frühzeitig zu stellen und diese bestmöglich zu therapieren, die Leberzirrhose und eventuelle Komplika­tionen zu erkennen und symptomatisch zu behandeln. Bei progredienter Dekompensation ist zu evaluieren, ob eine Lebertransplantation als kurativer Ansatz in Frage kommt (Abb. 1).
Abbildung 1: Grundzüge des diagnostischen und therapeutischen Managements. Die Diagnose- und Therapieoptionen zeigen die wichtigsten Punkte. Wann welche der Massnahmen erforderlich sind, entscheidet der Arzt. Hilfreich sind hierzu die «Guidelines» der «European Association for the Study of the Liver» EASL («Journal of Hepatology» 2018). 
AFP: Alpha-Fetoprotein; LOLA: L-Ornithin-L-Aspartat; TIPS: «transjugular-intrahepatic-portosystemic shunt-Implantation».

Management der Leberzirrhose 
im Jahr 2018

In Anbetracht der Häufigkeit und schlechten Prognose gab die «European Association for the Study of the Liver» (EASL) dieses Jahr erstmalig «Guidelines» zum diagnostischen und therapeutischen Management der dekompensierten Leberzirrhose heraus [8]. Diese umfangreiche Zusammenfassung zur Behandlung sämtlicher möglicher Komplikationen ist für Ärzte, die Pa­tienten mit Leberzirrhose behandeln, von grosser praktischer Relevanz. Viele der Empfehlungen entsprechen dem bisherigen Management, aber ihre Gültigkeit wurde anhand der aktuellsten Datenlage neu überprüft.
Aus diesem Grund werden hier nur einzelne relevante Aspekte hervorgehoben, die im Vergleich zu vorherigen «Guidelines» [9, 10] mit höherer Evidenz empfohlen werden. Ergänzt werden sie durch zukunftsweisende aktuelle Studien, die noch nicht in die «Guideline» eingehen konnten.

Prävention

Nationale Screening-Programme für das frühzeitige Erkennen von Lebererkrankungen sind sinnvoll, aber bisher nicht etabliert [11]. Für die NAFLD wird empfohlen, Risikopopulationen (metabolisches Syndrom, Typ-2-Dia­betes) zu screenen [12]. Es liegt somit in der Verantwortung der Ärzte, erhöhte Leberwerte zu verfolgen und die Ätiologie zu suchen, da die meisten Lebererkrankungen heilbar sind. Dadurch kann das Auftreten der Leberzirrhose verhindert werden.
Einen Beitrag zur Zirrhose-Prävention können Patienten durch regelmässigen Kaffeekonsum leisten. Neuere Studien haben gezeigt, dass der Konsum von mindestens drei Tassen Kaffee täglich nicht nur bei Patienten mit Lebererkrankungen [13], sondern auch in der Normalbevölkerung die Leberfibrose senken kann [14].

Therapie der zugrundeliegenden Hepatopathie

Als wichtigster Punkt wird hervorgehoben, dass zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Diagnosestellung die zugrundeliegende Hepatopathie behandelt werden muss. Das heisst, je nach Ätiologie soll eine Gewichtsreduktion, strikte Alkoholkarenz, antivirale Therapie usw. eingeleitet werden, um das Auftreten und die Komplikationen der Zirrhose abzuwenden und den Bedarf an Organen für eventuelle Lebertransplantationen zu reduzieren.

Hepatitis C

In diesem Zusammenhang sei auch betont, dass alle Patienten mit Hepatitis C – auch mit Leberzirrhose Child A – eine antivirale Therapie der Hepatitis C erhalten sollen. Die Heilungschancen sind gut, die Nebenwirkungen gering. Die Therapie sollte fachärztlich durchgeführt werden nach den aktuellen Empfehlungen der EASL [15] und SASL (https://sasl.unibas.ch/6SASLguidelines.php). Für Patienten mit Leberzirrhose Child B/C kann ebenfalls eine Therapie evaluiert werden. Dies soll an einem Zentrum erfolgen und im Gesamtkonzept die Evaluation einer Transplantation miteinbeziehen. Für die Hepatitis B und C gibt es Hinweise, dass sich die Fibrose und portale Hypertonie nach erfolgreicher Therapie zurückbilden können [4, 16, 17]. In welchen Fällen eine Leberzirrhose reversibel ist, bleibt Gegenstand weiterführender Studien.

«Transjugular intrahepatic portosystemic Shunt»

Zur Therapie der Komplikationen der portalen Hypertonie wurde der Stellenwert der «transjugular-intrahepatic-portosystemic shunt»(TIPS)-Implantation in der «Guideline» gefestigt. TIPS ist ein interventionell eingelegter Shunt zwischen einem Portalvenenast und ­einer Lebervene, der den erhöhten portalvenösen Druck absenken kann. Ein TIPS soll evaluiert werden nach der Episode einer akuten Varizenblutung (als «Rescue»-Therapie einer medikamentös und endoskopisch nicht beherrschbaren Blutung oder als «early TIPS» zur Sekundärprophylaxe bei ausgewählten Risikopatienten mit schlechter Prognose [Child C 10–13 Punkte oder Child B und aktive Blutung zur Zeit der Endoskopie]) oder bei Patienten mit therapierefraktärem Aszites. Nach den Initialstudien wurde die Technik optimiert, und neuere Studien und Metaanalysen zeigten, dass der TIPS die Komplikationen der portalen Hypertonie (Aszites, Varizenblutung) verhindern und auch das Überleben verbessern kann [18, 19]. Als häufigste Komplikation der TIPS-Implantation kann eine HE auftreten oder sich verschlechtern, in diesem Falle muss eine TIPS-Verkleinerung diskutiert werden. Die TIPS-Implantation sollte allerdings nur an Zentrumsspitälern mit entsprechender Expertise erfolgen und nach sorgfältiger Evaluation und Ausschluss von Kontraindikationen.

Albumin

Bei spontanbakterieller Peritonitis (SBP) ist zusätzlich zu Antibiotika die Gabe von Albumin (1,5 g/kg KG an Tag 1 und 1 g/kg KG an Tag 3) ausdrücklich empfohlen. Für andere Infektionen wird Albumin aufgrund fehlender Datenlage nicht empfohlen.
Über die Empfehlung der EASL hinausgehend zeigte eine aktuelle Studie (ANSWER), dass auch bei Patienten mit Leberzirrhose und unkompliziertem Aszites die Langzeitgabe von Albumin (Erhaltungstherapie mit 40 g/Woche) zusätzlich zur diuretischen Therapie die Asziteskontrolle und das Überleben signifikant verbessern kann [20]. Dies ist eine einfach umsetzbare Massnahme ohne zu erwartende Komplikationen, die bei entsprechenden Patienten angewendet werden kann.
Die experimentelle und klinische Erforschung neuer Therapieoptionen der Leberzirrhose ist ein aktives Feld mit dem Fokus auf Reduktion der Entzündung, Nekrose und Fibrose in der Leber, Steigerung der Regeneration und Wiederherstellung der Immunfunktion. In den kommenden Jahren sind innovative Neuerungen zu erwarten.

Diskussion

Die Leberzirrhose ist häufig und hat eine hohe Mortalität, sie muss aber nicht immer als «Endstadium» aufgefasst werden. Hier wird ein Einblick in die vielfältigen Optionen zur Prävention, kausalen und symptomatischen Therapie der Zirrhose gegeben. Damit kann das Auftreten verhindert und der Verlauf günstig beeinflusst werden. Komplikationen und Dekompensation können verhindert, Organe eingespart und das Überleben kann verbessert werden.
Es ist wichtig, Lebererkrankungen frühzeitig zu dia­gnostizieren und zu behandeln, erst recht, wenn bereits ein fortgeschrittenes Stadium – genannt Zirrhose – vorliegt.
Die Autoren danken Professor Dr. Beat Müllhaupt und PD Dr. Dr. ­David Semela für die kritische Durchsicht des Manuskriptes und wertvolle Anregungen.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
PD Dr. med. Dr. phil. ­Christine Bernsmeier
Gastroenterologie und Hepatologie
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
christine.bernsmeier[at]usb.ch
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