Das reversible zerebrale Vasokonstriktionssyndrom
Das aktuelle Konzept einer Krankheit mit vielen Namen

Das reversible zerebrale Vasokonstriktionssyndrom

Der besondere Fall
Ausgabe
2019/1314
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.03195
Swiss Med Forum. 2019;19(1314):232-236

Affiliations
Kantonsspital St. Gallen
a Klinik für Allgemeine Innere Medizin/Hausarztmedizin; b Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin; Klinik für Intensivmedizin; d Klinik für Neurologie

Publiziert am 27.03.2019

Wir berichten über den Fall einer 40-jährigen Frau, die sich aufgrund eines neuartigen, akuten, starken und episodisch-rezidivierenden Kopfschmerzes primär bei ihrem Hausarzt vorstellte.

Hintergrund

In der täglichen Praxis stellt der Patient mit heftigem, akutem, neuartigem Kopfschmerz eine diagnostische und therapeutische Herausforderung dar, da das Spek­trum möglicher Ursachen von benignen Konditionen bis zu potentiell letal verlaufenden Erkrankungen reicht. Da das Krankheitsbild des reversiblen zerebralen Vasokonstriktionssyndroms (RCVS) in der Literatur unter zahlreichen Synonymen zu finden ist, existieren viele Missverständnisse und fehlerhafte Krankheitskonzepte. Der vorliegende Artikel soll dabei helfen, mit diesen aufzuräumen und das aktuelle Krankheitskonzept vermitteln.

Fallbericht

Anamnese

Wir berichten über den Fall einer 40-jährigen Frau, die sich aufgrund eines neuartigen, akuten, starken und episodisch-rezidivierenden Kopfschmerzes primär bei ihrem Hausarzt vorstellte. Er behandelte die klinisch unauffällige Patientin konservativ mit Analgetika (Paracetamol, Metamizol) und Tizanidin. Eine Woche zuvor war die Patientin mittels primärer Sectio cesarea von ihrem vierten Kind entbunden worden. Der Schwangerschafts- und Geburtsverlauf waren unauffällig gewesen. Die Patientin hatte zu Beginn der Schwangerschaft ­aufgehört zu rauchen (ungefähr 3 «pack years»), trank zuletzt keinen Alkohol und nahm keine Drogen ein. ­Abgesehen von den erwähnten wurden zuletzt keine anderen Medikamente eingenommen. Ein Kopftrauma wurde nicht berichtet.
Bei fehlender Besserung der Symptomatik stellte sich die Patientin selbst in einem externen Spital vor, wo im Rahmen der Diagnostik mittels nativer Schädel-Computertomographie (CT) eine kleine kortikale Subarachnoidal­blutung links frontal festgestellt wurde (Abb. 1).
Abbildung 1: Initiale native Schädel-Computertomographie mit Darstellung der links frontalen kortikalen Subarachnoidalblutung.
Aufgrund dieses Befundes erhielt die Patientin eine weiterführende Abklärung mittels CT- und Magnetre­sonanz(MR)-Angiographie der intrakraniellen hirnversorgenden Gefässe sowie eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Neurokraniums, wobei kein Hinweis auf eine aneurysmale Subarachnoidal­blutung gefunden wurde. Die Kopfschmerzen waren unter symptomatischer analgetischer Behandlung unvollständig regredient. Der arterielle Blutdruck normalisierte sich unter antihypertensiver Therapie mit Lisinopril, so dass die Patientin nach Hause entlassen werden konnte.
Da am Abend des Entlassungstages die Kopfschmerzen aber erneut zunahmen und zudem verschwommenes Sehen, ein leichtes Taubheitsgefühls der rechten Körperhälfte und Abgeschlagenheit auftraten, stellte sich die Patientin erneut vor. Es fand sich klinisch auch weiterhin ein unauffälliger Befund. Der arterielle Blutdruck zeigte sich aber mit systolischen Werten von über 200 mm Hg deutlich erhöht.
Für eine intensivierte Blutdruckbehandlung wurde die Patientin auf der Intensivstation aufgenommen. Auch mittels sechsfacher medikamentöser Kombinationstherapie (Lisinopril, Hydrochlorothiazid, Spironolacton, Doxazosin, Dihydralazin, Urapidil) konnte das zu diesem Zeitpunkt fixierte Behandlungsziel von <160 mm Hg systolisch nur schwer erreicht werden. In einer MRT des Neurokraniums zeigten sich am Aufnahmetag neu leichte T2-hyperintense Marklagerveränderungen ­okzipital links (Abb. 2), weshalb an ein posteriores ­reversibles Enzephalopathie-Syndrom (PRES) gedacht wurde.
Abbildung 2: Magnetresonanztomographie des Neurokra­niums nach Symptomverschlechterung mit flauer ­T2-hyperintenser Marklagerveränderung links parietal.
Drei Tage später zeigte die Patientin neu eine psychomotorische Verlangsamung, Kopfschmerzexazerbation, bilaterale Sehstörungen und tonische Verkrampfungen aller Extremitäten, weshalb eine Verlegung in unser Spital erfolgte.

Status und Befunde

Hier zeigte sich bei Eintritt klinisch-neurologisch eine wache, unruhige, psychomotorisch verlangsamte Pa­tientin, die nicht sprach und keine Aufforderungen ­befolgte. Die Hirnnerven waren soweit prüfbar intakt, die Patientin zeigte jedoch eine tonische Blickwendung nach oben und dystone Mund- und Zungenbewegungen. An den Extremitäten fanden sich eine tonische Beugung der Arme und eine Streckung der Beine. Eine ungezielte Reaktion auf Schmerzreize war gegeben. Die Muskel­eigenreflexe und das Zeichen nach Babinski waren aufgrund der starken tonischen Muskelaktivität nicht konklusiv beurteilbar.
Die Patientin musste für die weitere Diagnostik und zum Schutz vor einer Aspiration intubiert werden.
Das durchgeführte Schädel-CT zeigte im Vergleich zu den Voruntersuchungen eine zunehmende Resorption der Subarachnoidalblutung frontal links. Zudem war nun ein diskretes parietookzipitales Hirnödem erkennbar. CT-angiographisch zeigten sich generalisierte ­Kaliberirregularitäten der intrakraniellen Arterien, akzentuiert in der posterioren arteriellen Strombahn, gut vereinbar mit Vasospasmen. Passend dazu fand sich in der CT-Perfusion beidseits eine verzögerte/verminderte Durchblutung parietookzipital sowie entlang der gesamten Mantelkante. Hinweise für eine Hirnvenen-/Sinusthrombose fanden sich nicht (Abb. 3).
Abbildung 3: A) CT-Angiographie bei Eintritt in unser Spital. B) Im Vergleich dazu eine CT-Angiographie aus einer früheren Bildgebung derselben Patientin mit Zeichen einer deutlichen diffusen Vasokonstriktion. C) CT-Perfusion zum Eintrittszeitpunkt (von oben links nach unten rechts: zerebraler Blutfluss (CBF), zerebrales Blutvolumen (CBV), «time to drain» (TTD) und «mean transit time» (MTT) mit Darstellung einer ausgeprägten Hypoperfusion parietookzipital und frontal beidseits.
Während eines Sedationsstopps am Folgetag öffnete die Patientin spontan ihre Augen. Die Pupillen waren mittelweit und nicht lichtreagibel. Es bestand eine konjugierte Kopf- und Blickwendung nach links oben. Die Kornealreflexe waren beidseitig, der okulozephale Reflex gut auslösbar. Die Patientin kaute auf dem Tubus und hustete. Es bestand kein Meningismus. Unverändert konnten eine starke tonische Beugung der Arme und Streckung der Beine beobachtet werden. Die Patientin wurde deshalb erneut sediert.
Ein weiteres Schädel-CT zeigte ein progredientes supratentorielles Hirnödem. Das Kaliber der intrakraniellen Arterien, insbesondere der Arteriae cerebri anteriores und mediae war weiterhin deutlich vermindert. Es bestanden allenfalls gering regrediente, jedoch weiterhin ausgedehnte Perfusionsminderungen in den anterioren und posterioren Stromgebieten. Vor diesem Hintergrund wurde die klinische Symptomatik der Patientin als kortikale Dezerebrationshaltung interpretiert. Ein Elektroenzephalogramm (EEG) wurde bei schlüssiger Erklärung und fehlender therapeutischer Konsequenzen (tiefe Analgosedation) nicht durchgeführt.

Therapie

Wir entschieden uns zur Einlage einer intrakraniellen Druckmesssonde («intracranial pressure»[ICP]-Sonde), um bei klinisch-neurologisch wegen der analgo-sedierenden Medikation nicht beurteilbaren Patientin eine Zielwert-gesteuerte Hirndrucktherapie (<15 mm Hg) durchführen zu können. Nach zunächst noch normalen Drücken kam es im Laufe einer Stunde zu einem Anstieg des ICP bis auf maximal 30 mm Hg, weshalb eine konservative Hirndrucktherapie (Triple-H-Therapie [Hypertonie, Hypervolämie, Hämodilution], tiefe Sedation, 25–30° Kopfhochlagerung, Kopf in Neutralstellung) eingeleitet wurde. Zudem erhielt die Patientin eine medikamentöse Therapie mit Nimodipin und Magnesiumsulfat. Der intrakranielle Druck liess sich trotz maximaler Therapie nur schwer kontrollieren. Es traten sogenannte A-Wellen oder Lundberg-Wellen auf, so dass eine Hypothermiebehandlung eingeleitet und die ICP-Sonde durch eine externe Ventrikeldrainage ersetzt wurde. Hiermit konnte im Verlauf eine suffi­ziente Kontrolle des erhöhten intrakraniellen Drucks erreicht werden.
Zur Standortbestimmung und Prognoseabschätzung wurde noch am selben Tag eine MRT des Neurokraniums durchgeführt, die eine grossvolumige supratentorielle Hirnparenchymischämie mit zytotoxischem und vasogenem Ödem entlang der mittelliniennahen Konvexität beidseits, parietal beidseits sowie mit grossem okzipitalen Anteil zeigte (Abb. 4).
Abbildung 4: Verlaufs-Magnetresonanztomographie des ­Neurokraniums (von oben links nach unten rechts: «diffusion weighted imaging»[DWI]-, «apparent diffusion coefficient»­[ADC]-, «fluid attenuated inversion recovery»[FLAIR]-, ­T1-Sequenzen) mit Darstellung einer grossvolumigen supratentoriellen Hirnparenchymischämie mit zytotoxischem und vasogenem Ödem entlang der mittelliniennahen Konvexität beidseits, parietal beidseits sowie mit grossem okzipitalen Anteil. Die Unterscheidung zwischen einem vasogenen und einem zytotoxischen Ödem erfolgt mit Hilfe der diffusions­gewichteten Sequenzen. In der DWI b1000 sind sowohl das vasogene als auch das zytotoxische Ödem im Vergleich zum Hirnparenchym hell. Die Unterscheidung erfolgt anhand des ADC: zytotoxisch = dunkel, vasogen = hell.
Sonographisch fanden sich klare Hinweise für Vasospasmen (Abb. 5). Eine EEG ergab eine leicht bis mittelschwere Allgemeinveränderung. Die Liquoranalytik war unauffällig.
Abbildung 5: Transkranielle, mit Ultraschallsignalverstärker optimierte Doppler-/Duplexsonographie der Arteria cerebri media links mit deutlich erhöhten systolischen und mittleren (Spitzen-)flussgeschwindigkeiten.

Verlauf

Als Komplikationen entwickelte die Patientin im Verlauf eine ventilationsassoziierte Pneumonie und eine ausgedehnte Beckenvenenthrombose beidseits, weshalb einerseits eine antibiotische Therapie, andererseits eine orale Antikoagulation durchgeführt wurden.
Nach ungefähr einem Monat konnte die Patientin bei vorhandenem Schluck- und Hustenreflex erfolgreich extubiert werden. Zu diesem Zeitpunkt war die Patientin wach, eine verbale Kommunikation war nicht möglich, da die Patientin mutistisch war. Aufgrund der Ausdehnung der Infarkte musste zudem von einer schweren zentralen Sehstörung (Differenzialdiagnose: kortikale Blindheit) ausgegangen werden, die jedoch aufgrund der massiv antriebsgeminderten Patientin nicht objektiviert werden konnte. Bei schwerer Dysphagie musste zur Ernährung eine perkutane enterale Gastrostomie angelegt werden. Die Patientin zeigte eine Reaktion auf verbale und taktile Stimuli sowie teils gezielte motorische Bewegungen der Arme sowie ungezielte Bewegungen der Beine. Es bestand ein deut­liches pyramidales Syndrom. Vasospasmen waren zuletzt nicht mehr nachweisbar.
Ungefähr drei Monate später, befand sich die Patientin noch immer in stationärer neurologischer Rehabilita­tionsbehandlung. Dort war sie wach, orientiert und es war eine adäquate verbale Kommunikation möglich. Es lagen eine kortikale Blindheit und eine hochgradige spastische Tetraparese vor, wobei rechts wenig Kon­trolle über die Hand bestand. Die Patientin konnte schlucken. Sie wies schwere Wahrnehmungsstörungen auf.

Diagnose

Aufgrund der Anamnese, des klinischen Verlaufs sowie der Ergebnisse der paraklinischen Untersuchungen konnte die Diagnose eines RCVS gestellt werden.

Diskussion

Der Fallbericht illustriert viele typische Elemente des RCVS. Es wird heute als vereinheitlichender Begriff für eine Gruppe von Krankheitsbildern gebraucht, die ty­pische angiographische und klinische Eigenschaften (reversible, segmentale und multifokale Vasokonstriktion intrazerebraler Arterien; akute, schwere Kopfschmerzen mit oder ohne fokale neurologische Zeichen) teilen und früher unter vielen verschiedenen Bezeichnungen in der Literatur zu finden waren (s. Tab. S1 der Online-Appendix). Das wichtigste Element ist der akute, intensive Kopfschmerz, der häufig die Kriterien eines Donnerschlagkopfschmerzes («thunderclap headache» [TCH]) erfüllt. Eine Definition des TCH findet sich in der Klassifikation der Kopfschmerzen der internationalen Kopfschmerzgesellschaft (.ichd-3.org [1]).
Die Ursachen des RCVS sind multipel und lassen sich in primäre/spontane und sekundäre Formen unterteilen [2]. In Europa und Amerika sind dabei mehrheitlich ­sekundäre Formen anzutreffen, wobei an den ersten beiden Stellen Drogen- und Medikamenten-assoziierte Formen und an dritter Stelle die Postpartalphase stehen. Es können auch mehrere Auslöser gleichzeitig vorhanden sein ([3–6], Daten präsentiert von Ducros am EAN 2017 in Amsterdam [nicht publiziert]). Die Liste beschriebener Ursachen ist lang (s. Tab. S2 der Online-Appendix).
Pathophysiologisch werden verschiedene Mechanismen diskutiert, etwa sympathische Überaktivität, endotheliale Dysfunktion, oxidativer Stress, individuelle Suszeptibilität. Die genaue Häufigkeit in der Bevölkerung ist unbekannt. Die verfügbaren Daten stammen aus insgesamt sechs publizierten Fallserien weltweit. Frauen dürften etwa viermal häufiger betroffen sein als Männer. Für die Postpartalphase wird eine Häufigkeit von 1 auf 900 Geburten genannt. Der Erkrankungsgipfel liegt etwa zwischen 40 und 45 Jahren. Zumeist ist die Kopfschmerzanamnese zuvor leer (55–75%).
Der klinische Verlauf des RCVS ist in den meisten Fällen rein zephalgisch (60–92%). Dabei tritt meist ein rezidivierender TCH für ein bis vier Wochen Dauer auf (75–94%), der typische Trigger hat (70–80%; körperliche Anstrengung, Emotionen, Valsalvamanöver, auch Duschen und Baden). Häufig treten Blutdruckkrisen auf (34–46%). Fokale neurologische Zeichen sind in 8–43% der Fälle beschrieben, epileptische Anfälle in 1–17% [4–12]. Der Verlauf ist meistens günstig (mRS 0–1 86%), selten jedoch schwerwiegend und gelegentlich auch letal (mRS 6, 2,5%, insbesondere Frauen) [4, 13]. Ursächlich für einen schweren Verlauf ist meistens das Auftreten eines Hirnschlags. Das RCVS kann jedwede Form einer intrakraniellen Blutung verursachen, wobei eine kortikale Subarachnoidalblutung (kSAB) die häufigste Form darstellt. Ein RCVS ist insbesondere bei unter 60-jährigen Patienten die häufigste Ursache ­einer kSAB (60%; insgesamt 0–38%). Ein ischämischer Hirninfarkt tritt seltener auf (4–33%) und ist in Registerdaten in 1–13% der ischämischen Hirninfarkte bei jungen Patienten Folge eines RCVS. In der Postpartalphase ist ein RCVS die häufigste Ursache eines ischämischen Hirninfarktes (24%). Rezidive des RCVS sind in ungefähr 5% innerhalb von 3 ± 2 Jahren nach dem Erst­ereignis beschrieben [8].
Der klinische Verlauf nach Auftreten eines typischen TCH folgt einem charakteristischen Muster. Dabei kommt es in der ersten Woche zu Blutungen und zerebralen Ischämien etwa um den zwölften Tag. Die Kopfschmerzen enden meistens nach einer Woche. Der Verlauf der Erkrankung ist per definitionem monophasisch ohne neue klinische Zeichen nach einem Monat. In der Literatur sind mindestens 104 Fälle von Patienten ohne TCH beschrieben. Danach können progressive, nur leichte bis mittelschwere Kopfschmerzen vorkommen, möglich ist auch kein Kopfschmerz zum Zeitpunkt der Diagnose.
Ein RCVS ist bei Patienten mit TCH auf der Notfallstation mindestens so häufig wie eine aneurysmale Subarachnoidalblutung.
Für das RCVS wurden Diagnose­kriterien [6] publiziert (Tab. 1). In den meisten Fällen wird die Anamnese auf das Krankheitsbild hinweisend sein. Wichtig sind der angiographische Nachweis des Auftretens und Verschwindens einer Vasokonstriktion mit typischem Muster (prolongierte, multifokale, bilaterale, segmentale Konstriktion und Dilatation [«strings and beads»]). Dabei ist der MR-Angiographie der Vorzug zu geben. Da in der initialen Untersuchung eine Vasokonstriktion fehlen kann (bis zu 77% normal), wird eine Verlaufs­untersuchung nach einer Woche empfohlen. Eine Lumbalpunktion sollte aus differenzialdiagnostischen Überlegungen (siehe unten) durchgeführt werden. Typischerweise findet sich ein unauffälliger Liquor. Eine Lumbalpunktion sollte in jedem Fall bei typischem Kopfschmerz und initial normaler Bildgebung erfolgen. Es wird empfohlen, nach seltenen Ursachen eines RCVS mit spezifischer Behandlungsoption zu suchen (z.B. Phäochromozytom, Karzinoid, Paragangliom).
Tabelle 1:Diagnosekriterien des zerebralen Vasokonstrik­tionssyndroms (RCVS)(nach[6]).Alle Punkte müssen erfüllt sein).
Akuter, heftiger Kopfschmerz(oft «thunderclap headache») mit oder ohne fokale neurologische Zeichen oder epileptische Anfälle
Monophasischer Verlauf ohne neue klinische Zeichen nach einem Monat
Nachweis einer segmentalen Vasokonstriktion der intrazere­bralen Arterien mittels Computertomographie, Kernspintomographie oder digitaler Subtraktionsangiographie
Kein Nachweis einer aneurysmatischen Subarachnoidal­blutung
Normaler oder annähernd normaler Liquor (<15 Zellen/μl, ­<100 mg/dlProtein)
Vollständige Regredienz oder signifikanter Rückgang der ­VasokonstriktionzwölfWochen nach Symptombeginn
Evidenzbasierte Empfehlungen zur Therapie des RCVS liegen nicht vor. Sie ist in der Regel symptomatisch mit Analgesie, Reizabschirmung, Anxiolyse, sofern nötig Antikonzeptiva-Therapie und massvoller Blutdruckbehandlung. Möglicherweise auslösende Substanzen und Triggerfaktoren sollten sofern möglich gestoppt/eliminiert werden. Nimodipin kann per os/enteral zur symptomatischen Behandlung des Kopfschmerzes eingesetzt werden, verhindert aber keine ischämischen Ereignisse und verbessert nicht die Prognose. Der Einsatz von Steroiden sollte vermieden werden, da diese das Behandlungsergebnis verschlechtern können [4]. Schweren Einzelfällen mit zerebralen Ischämien bleibt die intraarterielle Behandlung mittels Papaverin und/oder perkutaner transluminaler Angioplastie (PTA) vorbehalten. Zere­brovaskuläre Komplikationen werden nach den üblichen Therapieschemata behandelt.
Immer wieder wird die Frage laut, ob die beobachtete Vasokonstriktion im Kontext einer Subarachnoidal­blutung nun eher ursächlich oder Folge der Blutung ist. Für eine RCVS sprechen das andere Patientenprofil und die anderen Ursachen der Blutung, ihre Lokali­sation an der Konvexität, die prolongierten, multifo­kalen, bilateralen, segmentalen Konstriktionen und Dilatationen («strings and beads») sowie die oftmals koinzidentelle intrazerebrale Blutung und/oder ein PRES, das bevorzugte Vorkommen von Grenzzonen­infarkten gegenüber territorialen Infarkten und der fehlende Nachweis eines rupturierten Aneurysmas oder einer arterio-venösen Malformation.
Ein RCVS kann gegenüber einer primären Angiitis des zentralen Nervensystems (PACNS) wie folgt abgegrenzt werden: Die PACNS geht zwar auch in ungefähr der Hälfte der Fälle mit Kopfschmerzen einher, diese haben jedoch üblicherweise nicht die Charakteristik eines TCH. Der klinische Verlauf ist üblicherweise schwerer (etwa Hirnschlag, epileptische Anfälle, Enzephalopathie) und das MRT ist fast immer abnorm, wobei ein ischämisches Läsionsmuster deutlich häufiger als ein hämorrhagisches Muster beobachtet werden kann. Ein abnormer Liquor findet sich in ungefähr Dreiviertel der Fälle. Die Vasokonstriktion ist eher exzentrisch und peripher gelegen. Eine Darstellung entzündlicher Gefäss­pathologie kann mit sogenannten «dark-blood» Sequenzen im MRT erfolgen.

Das Wichtigste für die Praxis

Wann muss an ein zerebrales Vasokonstriktionssyndrom (RCVS) gedacht werden?
• Bei jedem kürzlich aufgetretenem, ungewöhnlichen Kopfschmerz, vor ­allem im Fall eines rezidivierenden «thunderclap headache» (TCH), und bei zunehmend intensiven Kopfschmerzen.
• Bei Subarachnoidalblutung, vor allem an der Konvexität.
• Bei jedem ischämischen oder hämorrhagischen Hirnschlag, auch ohne Kopfschmerzen, für den keine gute Erklärung gefunden werden kann.
• Im Kontext eines posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndroms (PRES) oder einer zervikalen Dissektion hirnversorgender Gefässe.
• Die typischen Triggerfaktoren müssen berücksichtigt werden.
Die Online-Appendix ist als separates Dokument verfügbar unter: https://doi.org/10.4414/smf.2019.03195.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Jochen Vehoff
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacherstrasse 95
CH-9007 Sankt Gallen
jochen.vehoff[at]kssg.ch
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