Grosser Tumor im Retroperitoneum
Eine Rarität an seltener Stelle

Grosser Tumor im Retroperitoneum

Der besondere Fall
Ausgabe
2019/0708
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.03380
Swiss Med Forum. 2019;19(0708):137-139

Affiliations
a Bauchzentrum, St. Claraspital AG, Basel; b Gynäkologische Onkologie, St. Claraspital AG, Basel; c Viollier AG, Allschwil

Publiziert am 13.02.2019

Eine 80-jährige Frau wurde vom behandelnden Gynäkologen zur weiteren Abklärung bei unklarem, die Vagina komprimierenden Tumor zugewiesen.

Hintergrund

Im vorliegenden Fall wollen wir eine Rarität (solitär ­fibröser Tumor [SFT]) an einer seltenen Lokalisation (Retroperitonealraum) vorstellen.

Fallbericht

Anamnese

Eine 80-jährige Frau wurde uns vom behandelnden Gynäkologen zur weiteren Abklärung bei unklarem, die Vagina komprimierenden Tumor zugewiesen. Der Patientin ist zudem eine seit mehr als einem Jahr bestehende und an Grösse zunehmende, vor allem beim ­Sitzen schmerzhafte Schwellung in der linken Gesässbacke aufgefallen. Stuhl- oder Harnunregelmässigkeiten wurden ebenso wie eine B-Symptomatik verneint. In der persönlichen Anamnese ist lediglich ein seit ­Jahren bestehendes cervico-spondylogenes Schmerzsyndrom zu eruieren, zudem besteht ein Zustand nach offener Cholezystektomie vor Jahrzehnten. Die Patientin nimmt keine regelmässige Medikation ein.

Status und Befund

Die Patientin präsentierte sich in einem ausgezeich­neten Allgemein- und Ernährungszustand. Die Vitalparameter waren unauffällig. Bei der Untersuchung fiel eine deutliche Asymmetrie der Glutealregion auf (Abb. 1), zudem war eine Resistenz im linken Unterbauch palpabel. Bei der digitalen-rektalen Untersuchung wurde ebenfalls eine Raumforderung linksseitig palpiert. Inguinal waren keine Lymphadenopathien tastbar. Inspektorisch und palpatorisch konnte eine Deviation der Vagina nach rechts festgestellt werden.
Abbildung 1: Sichtbare Raumforderung gluteal links mit ­Deviation nach rechts (Die Publikation erfolgt mit dem Einverständnis der Patientin).
Eine Spekulumuntersuchung und eine transvaginale Sonographie waren nicht durchführbar. Laborchemisch fielen bei ansonsten unauffälligen Werten eine hypochrome, mikrozytäre Anämie (118g/l), eine Leuko­zytose von 19,4 × 109/l sowie ein leicht erhöhtes C-reaktives Protein (26 mg/l) auf. Im abdominalen Ultraschall sah man eine grosse Raumforderung im kleinen Becken linksseitig mit verdrängender Wirkung. Im MRI stellte sich ein überwiegend solider und scharf begrenzter Tumor im kleinen Becken dar, der sich bis in die glutealen Weichteile ausdehnte mit eindrücklicher Verlagerung der Organe nach rechts und ventral (Abb. 2). Im anschliessend durchgeführten Ganzkörper 18F-FDG PET/CT wurde ein erhöhter Metabolismus des Tumors festgestellt (Abb. 3) ohne Hinweis auf thorakale oder abdominelle Metastasierung. Der Tumor konnte ra­diologisch keinem eindeutigen Ursprung zugewiesen werden.
Abbildung 2: Magnetresonanztomographie des kleinen Beckens, nativ, T2-Wichtung: (A) horizontal, (B) sagittal: hypointenser, scharf berandeter Tumor (roter Pfeil) mit Verlagerung der angrenzenden Organe, bis nach gluteal reichend.
Abbildung 3: PET/CT 18F-FDG: horizontal, solide Raumforderung mit intenser, ­heterogener FDG-Akkumulation (roter Pfeil).

Diagnose

Die Ultraschall-gesteuerte, perkutane Biopsie ergab die Diagnose einer Neoplasie vereinbar mit einem SFT. Hinweise auf eine Malignität (Hyperzellularität, Zell­atypien, Mitosen, Tumornekrosen oder ein infiltratives Wachstum) konnten keine festgestellt werden.

Therapie

Aufgrund der radiologischen und histologischen Befunde wurde der Patientin eine primäre Exstirpation des Tumors empfohlen. Durch eine mediane Laparo­tomie konnte der retroperitoneal lokalisierte Tumor ­reseziert werden. Makroskopisch erfolgte jedoch bei breitflächigen Adhärenzen im Bereich des linken Schambeines keine Resektion im Gesunden (R2). Dies wurde histologisch auf einer Strecke von ca. 3 cm bestätigt. Die definitive Gewebeuntersuchung bewies den SFT (Abb. 4) und wies auf ein erhöhtes Rezidiv- und Metastasierungsrisiko hin (siehe unten). Das Resektat mass 18 × 9 × 8 cm und wog gut 1000 g (Abb. 5). Postoperativ trat eine Neurapraxie des linken N. obturatorius auf. Ansonsten hat sich die Patientin vom Eingriff erfreulicherweise gut erholt.
Abbildung 4: Solitär fibröser Tumor mit zahlreichen Mitosen (HE-Färbung; 400×).
Abbildung 5 : Exzisat, ca. 18 × 9 × 8 cm, gut 1000 g schwer.

Diskussion

Der SFT gehört zu den fibroblas­tischen/myofibroblastischen Weichteiltumoren mit einer intermediären Di­gnität (selten metastasierend). Diese Entität war unter unterschiedlichen Namen (z.B. «Hämangioperizytom» oder «benignes Mesotheliom» und andere) bekannt und vor allem mit der Pleura assoziiert. Die Entdeckung einer rekurrenten, genetischen Alteration führte zur Vereinigung dieser ursprünglich eigenständigen Entitäten unter dem Überbegriff SFT [1]. Dabei handelt es sich um eine intrachromosomale Genfusion (NAB2-STAT6), lokalisiert auf dem langen Arm des Chromosom 12q13, eine Mutation, die für das Tumorwachstum verantwortlich gemacht wird. Beim SFT handelt es sich um eine sehr seltene Entität, welche am häufigsten in der 5.–6. Lebensdekade auftritt und keinen Unterschied bezüglich der Geschlechter zeigt [1].
Symptome sind zumeist unspezifisch und abhängig von der Lokalisation. Dabei kann der SFT an jeder möglichen anatomischen Stelle auftreten [2]. Bei einem langsamen und meist indolenten Wachstum macht sich der SFT klinisch vor allem mit der Verdrängung benachbarter Organe und den damit hervorgerufenen Symptomen bemerkbar. Je nach Lokalisation kann, wie im hier besprochenen Fall, eine eindrückliche Grösse erreicht werden. Als paraneoplastisches Syndrom kann in etwa 5% der Fälle eine Hypoglykämie auftreten, ­welche durch die Resektion des Tumors regredient ist. Ursächlich wird eine Produktion von «Insulin-like growth factor» (IGF-2) diskutiert [3].
Differentialdiagnostisch sind andere Weichteiltumoren, zum Beispiel Fibrosarkome oder Liposarkome, zu ­nennen und müssen aktiv ausgeschlossen werden. Die definitive Diagnosestellung erfolgt mit der histolo­gischen Untersuchung. Dabei ist neben dem mikroskopischen Bild eines mesenchymalen Tumors unter ­anderem eine vermehrte STAT6- und CD34-Positivität in der Immunphänotypisierung wegweisend [1]. Mit der Histologie kann zudem eine Aussage über das ­Risiko einer Metastasierung/eines Rezidivs getroffen werden. Demicco et al. [4] schlagen ein Risikostratifizierungsmodell vor, welches als Faktoren das Alter (>55 Jahre), eine hohe Mitoseaktivität, die Grösse des Tumors sowie Tumornekrosen beinhaltet und drei Kategorien («low», «intermediate» und «high risk») festlegt.
Als therapeutischer Goldstandard des SFT im Retro­peritoneum gilt bei lokalisierter Erkrankung die komplette Tumorexstirpation. Eine Resektion im Gesunden ist anzustreben. Eine prä- oder postoperative Strahlentherapie wird nicht routinemässig eingesetzt [5]. Die Datenlage zu dieser Therapie ist marginal. In der Literatur sind einzig Fallserien und -berichte zu finden, ­denen jedoch keine Empfehlung zu entnehmen ist. ­Anhand der Risikokategorisierung und dem Ergebnis der chirurgischen Therapie kann eine adjuvante oder postoperative Radiotherapie diskutiert werden.
Der vorgestellte Fall zeigt exemplarisch das oligosymptomatische Wachstum des Tumors und die aus der verdrängenden Wirkung resultierende Klinik.
Der Tumor konnte per Laparotomie entfernt werden. Die Diagnose erfolgte mit dem immunhistochemischen Nachweis von STAT6 und CD34, ein dedifferenziertes ­Liposarkom konnte durch eine fehlende MDM2 Amplifikation ausgeschlossen werden.
Aufgrund des Alters der Patientin, der Grösse des ­Tumors und des Nachweises von 21 Mitosen/10 high-power fields (HPF) liegt in unserem Fall gemäss oben genanntem Modell ein hohes Risiko für eine aggressive Biologie vor. Bei zusätzlicher R2-Resektion wurde eine postoperative Strahlentherapie mit der Patientin besprochen. Frau S. war in Anbetracht ihres Alters und einer möglichen Toxizität im Bestrahlungsfeld diesbezüglich sehr zurückhaltend. Dementsprechend wurden engmaschige radiologische Verlaufskontrollen empfohlen. In den ersten Kontrollen (drei und zwölf Monate) zeigte sich erfreulicherweise kein Tumorrezidiv.

Das Wichtigste für die Praxis

• Der solitär fibröse Tumor wurde hauptsächlich mit der Pleura assoziiert, kann aber in jeder möglichen Lokalisation auftreten.
• Symptome treten vor allem durch das verdrängende Wachstum auf.
• Die operative Entfernung ist der therapeutische Goldstandard.
• Die Indikation für eine Radiotherapie (prä- oder postoperativ) sollte anhand der individuellen Risikokonstellation gestellt werden.
• Das Metastasierungs- und Rezidivrisiko ist abhängig vom Alter, der oben genannten histologischen Kriterien und der Grösse des Tumors.

Abkürzungen:


NAB2: NGFI-A (Nerve Growth Factor Inducible A gen) Binding Protein
STAT6: Signal Transducer and Activator of Transcription
MDM2: Murine Double Minute Oncogene
Die Autoren bedanken sich bei Frau Dr. Meurer für die Bereitstellung des radiologischen Bildmaterials und bei Herrn Prof. Harms für seinen Rat im Bereich der Strahlentherapie. Dank geht auch an Andrea Amstad.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Benjamin Stillhard,
dipl. Arzt
St. Claraspital AG
Kleinriehenstrasse 30, ­Postfach
CH-4016 Basel
benjamin.stillhard[at]claraspital.ch
1 Thway K, Ng W, Noujaim J, Jones RL, Fisher C. The Current Status of Solitary Fibrous Tumor: Diagnostic Features, Variants, and Genetics. Int J Surg Pathol. 2016;24(4):281–92.
2 Musyoki FN, Nahal A, Powell TI. Solitary fibrous tumor: an update on the spectrum of extrapleural manifestations. Skeletal Radiol. 2012;41(1):5–13.
3 Zafar H, Takimoto CH, Weiss G. Doege-Potter Syndrome: hypoglycemia associated with malignant solitary fibrous tumor. Med Oncol. 2003;20(4):403–8.
4 Demicco EG, Wagner MJ, Maki RG, Gupta V, Iofin I, Lazar AJ, et al. Risk assessment in solitary fibrous tumors: validation and refinement of a risk stratification model. Mod Pathol. 2017t;30(10):1433–42.
5 Rajeev R, Patel M, Jayakrishnan TT, Johnston FM, Bedi M, Charlson J, et al. Retroperitoneal solitary fibrous tumor: surgery as first line therapy. Clin Sarcoma Res. 201;5:19.