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Die Nuklearmedizin entwickelt sich zunehmend in eine therapeutische Fachrichtung. Nach Validierung von Lutetium-177-DOTATATE bei neuroendokrinen Tumoren illustrieren wir diese Entwicklung am Beispiel der Lutetium–177-PSMA-Therapie.

Hintergrund
Die Nuklearmedizin entwickelt sich von einem diagnostischen Fach in eine zunehmend auch therapeutische Fachrichtung. Am Beispiel der neuroendokrinen Tumoren (NET) wurde die hohe Wirksamkeit therapeutischer Radioliganden (Lutetium-177-DOTATATE; Lutathera®, Advanced Accelerator Applications SA, Saint-Genis-Pouilly, France) am Beispiel der Dünndarm-NET gut illustriert [1]. Es zeigte sich eine Reduktion der Rezidivrate um 80% pro Jahr gegenüber einer Therapie mit langwirksamem Octreotid (Sandostatin® LAR®, Novartis Pharma, Rotkreuz, Schweiz). Diese eindrückliche Verbesserung des progressionsfreien Überlebens ergibt sich einerseits aufgrund der hohen Aktivität langlebiger, therapeutischer Radioisotope als auch aus dem Prinzip, die Expression des Zielantigens vor einer therapeutischen Anwendung mittels PET/CT (Positronen-Emissions-Tomographie/Computertomographie) oder SPECT/CT (Einzelphotonen-Emissions-Computertomographie/Computertomographi; konventionelle nuklearmedizinische Technik) nachzuweisen. Dieses Prinzip, eine Krankheit mit einem diagnostischen Radiopeptid bildgebend darzustellen, gefolgt von einer chemisch nahezu identischen, therapeutischen Radiopeptidtherapie, nennt sich Thera(g)nostik. Dies ist ein Kunstbegriff aus Therapie und Diagnostik und trägt wesentlich dazu bei, geeignete Patientinnen und Patienten für eine Therapie auszuwählen, um danach vorhersehbare und vor allem bessere Therapieresultate zu erzielen.
Thera(g)nostik
Das theranostische Prinzip lässt sich generell auf jede Krankheit anwenden, die über eine Zielstruktur verfügt, welche mit entsprechenden Radioliganden in vivo markiert werden kann. In den letzten Jahren hat vor allem die «prostate-specific membrane antigen»(PSMA)-gerichtete Radioligandentherapie Aufmerksamkeit erregt. Im Ausland wird diese Therapie bereits zunehmend angeboten, Resultate verschiedener Studien wurden publiziert und an Kongressen gezeigt. Der PSMA-Rezeptor ist ein Membranrezeptor, der von Prostatagewebe und, in geringerem Ausmass, im peripheren und zentralen Nervensystem sowie in Dünndarm- und Speicheldrüsengeweben exprimiert wird. Im Prostatagewebe findet sich der Rezeptor vor allem bei malignen Prostatakarzinomzellen, wobei die Expression mit dem Grad der Entdifferenzierung zunimmt und auch in der hormonrefraktären Situation als «target» erhalten bleibt [2]. Diese über die Krankheitsentwicklung stabil ausgeprägte Expression des PSMA-Rezeptors auf der malignen Prostatazelle führte bereits im letzten Jahrzehnt zur Entwicklung erster diagnostischer, Jod-basierter Radiotracer für PSMA, wobei erst die Einführung eines Gallium-68-basierten PET-Tracers das wirkliche Interesse an dieser theranostischen Prozedur auslöste.
Die vorteilhafte Kombination einer Verteilung von PSMA-Rezeptoren vor allem auf Tumorgewebe von Prostatakarzinomen mit der sehr hohen Sensitivität und Spezifität von PSMA-Radiotracern führte zur theranostischen Weiterentwicklung der PSMA-Liganden für die therapeutische Anwendung. Nach initialen vielversprechenden Daten liegt nun aus mehreren Studien und Serien eine relativ breite Datenlage vor. Erste Verteilungsstudien von Gallium-68-PSMA-617 wurden Ende 2015 durchgeführt. Es zeigte sich eine sehr hohe Anreicherung sowohl in den Tumoren als auch in den Speicheldrüsen und den Nieren [3]. Mitte 2016 wurden erste Ergebnisse der Lutetium-177-PSMA-617-Therapie publiziert. Es zeigte sich bei 21/30 Patienten ein Ansprechen des prostataspezifischen Antigens (PSA), wobei 13/30 einen PSA-Rückgang von mehr als 50% aufwiesen. Die Nebenwirkungen beschränkten sich auf eine milde Hämatotoxizität sowie eine gelegentliche Xerostomie (<10%) [4]. Diese Daten wurden in weiteren multizentrischen Studien validiert [5, 6]. Als Prädiktor für ein schlechteres Ansprechen auf die Therapie fanden sich vor allem Zeichen eines Leberbefalls mit erhöhten Transaminasen oder erniedrigtem Albumin [7]. In derselben Studie zeigte sich an multipel vorbehandelten Patienten ein mittleres Gesamtüberleben von 60 Wochen. In einem kürzlich erschienenen «systematic review» erwies sich Lutetium-177-PSMA in einer späteren Therapielinie («3rd-line») als eine gut verträgliche und potentiell wirksame Alternative (Gesamtüberleben 11 Monate [7–20 Monate]) [8].
Das Fallbeispiel eines 63-jährigen Patienten ist in Abbildung 1 dargestellt.

Mit freundlicher Genehmigung von Prof. R. Baum, Klinik Bad Berka, Deutschland.
Aufgrund der Daten aus diesen Studien wurde die Substanz 2017 von Endocyte (Endocyte Inc. West Lafayette, IN, USA) lizenziert. Erste prospektive Phase-II-Daten zeigten bei meist mit Chemotherapie vorbehandelten Patienten (87%) eine Reduktion des PSA in 57% der Fälle. Beschriebene Toxizitäten waren vor allem leichte Mundtrockenheit (87%), transiente Nausea (50%) und Müdigkeit (50%) sowie eine Thrombozytopenie (13%). Bildgebend wurde bei 82% der Patienten ein Ansprechen nachgewiesen. Eine symptomatische Verbesserung der assoziierten subjektiven Beschwerden zeigte sich bei 37% der Patienten [9].
Nach diesen vielversprechenden vorwiegend Phase-II- Daten soll nun eine Phase-III-Studie zeigen, ob sich das Ansprechen und die Wirksamkeit der Lutetium-177-PSMA-Therapie auch im randomisierten Vergleich bestätigen lassen und sich der Surrogatmarker der Reduktion des PSA in einen klinischen Benefit, im besten Sinne in einen Überlebensvorteil, übertragen lässt.
Eine multizentrische, multinationale, prospektive, randomisierte Phase-III-Studie (VISION Trial; NCT03511664) beginnt aktuell, Patienten zu rekrutieren. Die Einschlusskriterien sind ein metastasiertes, kastrationsresistentes Prostatakarzinom nach mindestens einer taxanhaltigen Chemotherapie, einer antihormonellen Behandlung der neuen Generation sowie einem positiven Gallium-68-PSMA-PET/CT (>80% der Metastasen PSMA-positiv). Als primärer Endpunkt wurde das Gesamtüberleben festgelegt. Weitere sekundäre Endpunkte sind ein radiologisch progressionsfreies Überleben, das radiologische Ansprechen («RECIST») und das Auftreten von «skeletal related events» (SRE). Die Ergebnisse dieser Studie werden massgebend sein, inwiefern diese Therapie Eingang in die Standardbehandlung des metastatischen, kastrationsresistenten Prostatakarzinoms nach Erhalt von Chemotherapie finden wird.
Die Entwicklung und Weiterentwicklung im Bereich der nuklearmedizinischen Rezeptor- und Peptidtherapien beschreiben ein neues Paradigma in unserer Fachrichtung. Einmal mehr findet eine Transformation des überwiegend als diagnostisch wahrgenommenen Faches in eine therapeutische oder theranostische Fachrichtung mit grossem Entwicklungspotential statt. Bezogen auf die PSMA-Therapie zum Beispiel findet eine Weiterentwicklung hin zu äusserst potenten Alphastrahlern (Isotope, die Heliumkerne emittieren) statt. Erste Resultate am Menschen mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom erscheinen vielversprechend mit einem PSA-Abfall bei mehr als 90% der Patienten bei geringen Nebenwirkungen [10]. Diese Resultate sind jedoch sehr präliminär und müssen in grösseren Studien validiert werden.
Bereits werden neue theranostische Tracer, zum Beispiel Peptide gegen das «fibroblast activated protein» (FAP) bei verschiedenen soliden Tumoren [11], gegen den «chemokine receptor 4» (CXCR4) beim multiplen Myelom [12] oder den Cholecystokinin-2-Rezeptor (CCK2R) beim medullären Schilddrüsenkarzinom [13] entwickelt und in ersten Serien am Menschen überprüft. Dies zeigt deutlich, dass wir erst am Anfang einer spannenden und vielversprechenden Entwicklung von theranostischen Möglichkeiten stehen.
Diskussion
Die Zukunft wird zeigen, inwiefern diese Therapien Eingang in die Standardtherapie finden. Es ist jedoch sicher, dass sich die Nuklearmedizin als Fach ändert und ändern muss, um auf all diese raschen Entwicklungen eingehen zu können. Die Nuklearmedizin wird sich künftig noch stärker klinisch fokussieren müssen und in der Folge auch vermehrt als klinisches Fach beziehungsweise als klinischer Partner wahrgenommen werden. In Zusammenarbeit mit unseren Kollegen beispielsweise aus der Onkologie, Urologie, Gynäkologie oder Endokrinologie müssen Kollaborationen gesucht werden, um diese Neuerungen, sobald sie klinisch validiert wurden, hoffentlich unseren Patientinnen und Patienten zur Verfügung zu stellen.
Kopfbild: © Amandee | Dreamstime
Korrespondenz:
Prof. Dr. med.
Niklaus Schaefer
Abteilung für Nuklearmedizin und molekulare
Bildgebung
Departement
medizinische Radiologie
Universitätsspital Lausanne (CHUV)
Rue du Bugnon 46
CH-1011 Lausanne
niklaus.schaefer[at]chuv.ch
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