Pathologie: Digitale Pathologie – vom Objektträger zum Datenträger
Schlaglicht der Schweizerischen Gesellschaft für Pathologie

Pathologie: Digitale Pathologie – vom Objektträger zum Datenträger

Schlaglichter
Ausgabe
2019/0304
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.03446
Swiss Med Forum. 2019;19(0304):49-51

Affiliations
a Klinische Pathologie, Institut für Pathologie, Universität Bern, Bern; b Translational Research Unit (TRU), Institut für Pathologie, Universität Bern, Bern; c Institut für Pathologie Liestal, Kantonsspital Baselland, Liestal; d Institut für Medizinische Genetik und Pathologie, Universitätsspital Basel, Basel; e Institut für Pathologie, Kantonsspital Aarau, Aarau; f Département de Pathologie et d’Immunologie, Service de Pathologie Clinique, Hôpitaux Universitaires de Genève

Publiziert am 16.01.2019

Die Pathologie ist zur entscheidenden Disziplin in der Diagnostik und zur individualisierten Therapie von Krebserkrankungen geworden. Dies erfordert neue Wege in der morphologischen Diagnostik: Das Berufsfeld wird digitalisiert.

Hintergrund

Die Digitalisierung der Medizin ist unaufhaltsam und hält auch in der Pathologie Einzug. Die digitale Patho­logie beschreibt den Wechsel von der klassischen ­histopathologischen Diagnostik mit Mikroskop und Glas­objektträger zur virtuellen Mikroskopie am Computer. Allerdings hinkt die Pathologie bei der Digita­lisierung der Medizin im Vergleich zu anderen Berufsfeldern hinterher. Ein Blick auf die Radiologie, die mit der Digitalisierung bereits vor 40 Jahren durch die Einführung der Computertomographie begann, lässt uns erahnen, welche Revolution der Pathologie bevorsteht und welche Entwicklungsmöglichkeiten es noch geben könnte.

Neue Möglichkeiten und ­Herausforderungen

Die digitale Pathologie verspricht eine in ihren Grenzen noch nicht absehbare Erweiterung der klassischen Lichtmikroskopie. Traditionell müssen die Glasobjektträger in physischer Form vom Labor zum Pathologen gebracht werden. Das Lichtmikroskop bietet dem ­Pathologen die Betrachtung und Beurteilung jeweils nur eines einzigen Objektträgers in einer wechsel­baren Vergrösserung. Das könnte sich nun grundlegend ­ändern: Die Glasobjektträger werden bereits im Labor eingescannt, stehen ohne Transportwege unmittelbar zur Verfügung und ermöglichen dadurch eine virtuelle Mikroskopie und Diagnostik am Bildschirm [1].
Die direkten Vorteile dieser Methode bei der täglichen Routinearbeit sind offensichtlich:
– höhere Patientensicherheit durch fehlerfreie Zuordnung der Schnittpräparate;
– räumlich und zeitlich flexiblere Arbeitsmöglich­keiten;
– verbesserte Standardisierung und Optimierung ­mikroskopischer Methoden;
– gleichzeitige und schnelle Betrachtung mehrerer Regionen und mehrerer Färbungen in beliebigen Vergrösserungen;
– Informationsgewinn und Fehlervermeidung durch Integration digitalisierter klinischer, morphologischer und radiologischer Informationen an einem Arbeitsplatz;
– Vereinfachung der morphologischen Befundung durch digitale Tools wie Markierungen mit Kommentaren, Annotationen, Messungen, Auszählungen;
– Unterstützung des Beurteilungsprozesses durch ­digitale Quantifizierung diagnostischer und prädiktiver Marker;
– Standortunabhängigkeit: Konsultation von anderen Pathologen überall auf der Welt – schnellere und einfachere Vernetzung der Pathologen untereinander, insbesondere in Spezialgebieten;
– digitale Archivierung: einfacher und schneller Zugriff auf Fälle im digitalen Archiv; Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) für die Analyse vorhandener Bildarchive und die Entwicklung neuer Entscheidungshilfen und Klassifizierungssysteme für Diagnostik, Forschung und Lehre;
– Unterstützung von Akkreditierungsprozessen.
Zukünftige Anwendungsmöglichkeiten zeichnen sich bereits jetzt ab und werden vermutlich weit über die oben genannten Punkte hinausreichen [2]. Insbesondere die Quantifizierung von Biomarkern und die ermüdende Suche nach diagnostisch relevanten und repräsentativen Tumorarealen kann durch Computerprogramme automatisiert werden. Mit der virtuellen Mikroskopie können Muster erkannt und gespeichert werden und bei seltenen Befunden können Vergleichsfälle mit gleichem histologischem Muster gesucht und aus diesem Kontext heraus Diagnosevorschläge gemacht werden [3]. Mit den neuen Möglichkeiten der digitalen Pathologie können Pathologinnen und Pathologen die Vorteile von Computern nutzen, um langwierige und repetitive Aufgaben zu lösen [4]. Dabei wird die Digitalisierung den Pathologen jedoch nicht ersetzen, sondern vielmehr seine diagnostischen ­Fähigkeiten, seine morphologische Expertise und Erfahrung unterstützen, erweitern und ihn bei der Erfüllung immer neuer und zusätzlicher Aufgaben entlasten.
Für die Prognose und die Entscheidung, welche Therapie die Patientin oder der Patient erhält, ist eine korrekte Einschätzung durch den Pathologen immens wichtig. Heute basiert die Einschätzung des Pathologen auf ­genauem Hinsehen, oft Abzählen und Anteilsberechnung von Zellen, sowie der Erfahrung und dem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Berechnungen beispielsweise des Tumor-Gradings durch den Computer sollen und können die menschliche Expertise nicht ersetzen, aber sie können sie sinnvoll ergänzen und ­objektivierbarer machen [5]. Computeralgorithmen können Pathologen bei der morpho­logischen Befundung unterstützen, diese objektivierbarer machen und die Variabilität zwischen den Expertenbeurteilungen deutlich vermindern, so dass die pathologische Dia­gnostik weltweit vergleichbarer wird.
Die Vorteile für den Patienten liegen auf der Hand: Krebstherapien werden immer individueller und für jede Krebsart gibt es Spezialisten. Durch die Digita­lisierung können diese Spezialisten innerhalb von Sekunden erreicht und konsultiert werden. Die Diagnose kann schneller gestellt und die richtige Behandlung früher begonnen werden. Der Patient hat dadurch potentiell den Vorteil einer verbesserten Versorgung.
Noch ist die virtuelle Mikroskopie nicht in der pathologischen Routinediagnostik angekommen, sondern erst wenigen Zentren in der Schweiz und definierten Aufgaben vorbehalten. Die Gründe dafür liegen einerseits in den hohen Kosten für die notwendige Infrastruktur (Scanner, Speicherplatz, Einbindung in medizinische Informationssysteme), andererseits in der noch zögerlichen Akzeptanz unter den Pathologinnen und Pathologen. Das Lichtmikroskop gilt nach wie vor als Goldstandard in der Pathologie – genau wie Röntgenbilder seinerzeit in der Radiologie.
Der Prozess der Digitalisierung stellt die Pathologie vor neue Herausforderungen. Hierzu gehören zum ­Beispiel die Standardisierung verschiedener Scannersysteme, Bildverarbeitungssysteme, Bildformate und Schnittstellen der virtuellen Mikroskopie mit Patho­logie- und Klinikinformationssystemen oder die In­tegration von Subsystemen der Molekularpathologie. Aus­serdem ist die digitale Pathologie zu Beginn mit höheren Kosten verbunden als die klassische Patho­logie. In erster Linie arbeitet die klinische Pathologie mit histologischen, immunhistologischen und molekularen Techniken und diese müssen sekundär in ­einem weiteren Arbeitsschritt digitalisiert werden. ­Dabei werden in Abhängigkeit vom Präparat und vom Scanner grosse Datenmengen generiert, die nachfolgend gespeichert werden müssen. Aufgrund hoher Anforderungen an die mikroskopische Auflösung belegen ­histopathologische Bilddaten jedoch wesentlich mehr Speicherplatz als in der Radiologie. Das sind einige der Gründe, weshalb die Digitalisierung in der Pathologie derzeit noch wesentlich weniger verbreitet und standardisiert ist als in anderen Teilbereichen der Medizin. Mit der Entwicklung fortgeschrittener KI-gestützter ­diagnostischer Anwendungen entsteht jedoch ein enormes Potential zur Kosteneinsparung durch Effizienzsteigerung und Erhöhung der Patientensicherheit.
Abbildung 1: Beispiel einer Bildanalyse in der computer­gestützten Pathologie. A) Gewebeprobe eines kolorektalen Karzinoms, Hämatoxylin-Färbung, 6 mm Durchmesser. ­
 B) Automatische Erkennung von Tumorgewebe (rot), Stroma (grün), Muzin (blau) und Hintergrund (gelb) durch maschinelles Lernen. Im hier gezeigten Beispiel wurde die Gewebeerkennung anhand eines tiefen neuronalen Netzes durch­geführt. Diese Anwendung wurde zuvor anhand zahlreicher, durch einen Pathologen ausgewählter Beispiele «trainiert». Die so erstellte Applikation zur Gewebeerkennung und -klassifikation lässt sich anschliessend auf eine beliebige Anzahl an Gewebe­proben anwenden und kann mit weiteren Applika­tionen zur Zellquantifizierung und -klassifizierung kombiniert werden. C) Quantifizierung von Tumorzellen durch software­gestützte Erkennung und Segmentierung von Zellkernen. In diesem Beispiel finden sich 1567 Tumorzellen und 1595 Stromazellen. D) Computergestützte Morphometrie: Jede Zelle wurde räumlich auf einem X-Y-Koordinatennetz loka­lisiert und anhand morphometrischer Kriterien ausgewertet. Zellen mit besonders atypischen grossen Kernen (>30 μm Kernperimeter) wurden hellblau kodiert. Dieses Verfahren kann auf eine beliebige Anzahl an Parametern angewendet und mit Visualisierungsmethoden für Proteine und Nukleinsäuren kombiniert werden.

Diskussion

Die digitale Pathologie verspricht eine flexiblere, genauere und im Ablauf einfachere pathologische Dia­gnostik. Von der digitalen Pathologie erwartet man also entscheidende Impulse für eine Modernisierung des Faches und damit eine Steigerung ihrer Attrakti­vität. Mit der demografischen Entwicklung und der ­damit einhergehenden Zunahme von Krebserkrankungen sind sowohl der Bedarf an Pathologen als auch die fachlichen Anforderungen an diese in den letzten Jahren rasant gestiegen – und dieser Trend wird sich auch in der Zukunft noch fortsetzen. Die Pathologie ist längst zur entscheidenden Disziplin der Diagnostik und des Therapieentscheids von Tumoren geworden. Mit den Fortschritten der Molekularpathologie trägt die Pathologie zunehmend auch die Verantwortung für die Wahl der richtigen Therapie durch die behandelnden Ärzte. Der nächste Schritt ist die computergestützte Integration klinischer, digital-morphologischer und molekularer Daten. Die Pathologie wird damit zu einem Hauptakteur in der Weiterentwicklung der personalisierten Medizin. Allerdings leidet die Pathologie europaweit an Nachwuchssorgen. Hier kommt der Hype um die Digitalisierung des Faches ­Pathologie gerade zur rechten Zeit, um das Fach einerseits in eine für den Nachwuchs attraktive Zukunft zu führen und um andererseits auch weniger personalintensive, computerunterstützte Diagnosestellungen ­sowie eine weltweite Vernetzung von Pathologen zu ermöglichen. Mit der Umstellung auf digitale Technologien und vernetztes Arbeiten bereitet sich die Pathologie also nachhaltig auf die Zukunft vor. Diesem Umstand hat sich die Schweizer Gesellschaft für Pathologie (SGPath) gestellt und in ihren Reihen das Schweizer Konsortium für ­Digitale Pathologie (SDiPath; www.sdipath.ch) als Arbeitsgruppe gegründet.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
PD Dr. med. Kirsten D. Mertz
Institut für Pathologie Liestal
Kantonsspital Baselland
Mühlemattstrasse 11
CH-4410 Liestal
kirsten.mert[at]ksbl.ch
1 Grobholz R. Digital pathology: The time has come!. Pathologe. 2018;39(3):228–35.
2 Djuric U, Zadeh G, Aldape K, Diamandis P. Precision histology: how deep learning is poised to revitalize histomorphology for personalized cancer care. NPJ Precis Oncol. 2017;1(1):22.
3 Otalora S, Schaer R, Atzori M, Jimenez del Toro OA, Muller H. Deep learning based retrieval system for gigapixel histopathology cases and open access literature. bioRxiv. 2018.
4 Koelzer VH, Gisler A, Hanhart JC, Griss J, Wagner SN, Willi N, et al. Digital image analysis improves precision of PD-L1 scoring in cutaneous melanoma. Histopathology. 2018;73(3):397–406.
5 Arvaniti E, Fricker KS, Moret M, Rupp N, Hermanns T, Fankhauser C, et al. Automated Gleason grading of prostate cancer tissue microarrays via deep learning. Sci Rep. 2018;8(1):12054.