Neuroradiologie: Ultrahochfeld-MRT – neuer Meilenstein in der zerebralen Bildgebung?
Schlaglicht der Schweizerischen Gesellschaft für Neuroradiologie

Neuroradiologie: Ultrahochfeld-MRT – neuer Meilenstein in der zerebralen Bildgebung?

Schlaglichter
Ausgabe
2019/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.03447
Swiss Med Forum. 2019;19(0102):29-31

Affiliations
a Universitätsinstitut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, Inselspital, Bern
b Klinik für Neuroradiologie, UniversitätsSpital, Zürich

Publiziert am 02.01.2019

Mit der kürzlich erfolgten Zulassung eines Ultrahochfeld-Magnetresonanz-Systems mit einer Feldstärke von 7 Tesla ergeben sich neue dia­gnostische Anwendungen in der Neuromedizin. In der Schweiz werden 2019 zwei dieser Systeme in Betrieb gehen. Was sind die klinisch relevanten Anwendungs­gebiete?

Hintergrund

In den letzten zehn Jahren sind weltweit bereits mehr als achtzig Ultrahochfeld-Magnetresonanz (UHF-MR)-Systeme in Betrieb genommen worden. Definitions­gemäss handelt es sich hierbei um Magnetresonanz­tomographie (MRT)-Geräte mit einer Feldstärke oberhalb der im klinischen Betrieb verwendeten 3 Tesla. Bisher lag der Anwendungsbereich – auch wegen der aufwendigen baulichen Massnahmen – grösstenteils in der Grundlagenforschung. Die höhere Feldstärke verbessert den Signal-Rausch-Abstand (SNR), wodurch eine höhere räumliche Auflösung und eine Verkürzung der Messzeit erreicht werden können. Spezielle Bildkontraste profitieren deutlich von UHF-Systemen, andererseits nehmen auch Bildartefakte zu, was eine aufwendige Spulentechnologie und Nachverarbeitung erfordert. Viele der technischen Schwierigkeiten konnten bereits überwunden werden. Neue klinische Anwendungs­felder für die UHF-Bildgebung sind vielfältig, mit der muskuloskelettalen Bildgebung und dem Neuroimaging werden zeitnah zwei Bereiche besonders profitieren.
Anwendungsgebiete in der Neuromedizin umfassen die frühe diagnostische Abgrenzung neurodegenerativer Erkrankungen wie dem idiopathischen Parkinsonsyndrom von nichtdegenerativen Erkrankungen, die sich mit ähnlichen Symptomen manifestieren. Zudem die Diagnoseoptimierung struktureller epileptogener Läsionen, die hochauflösende Gefässdarstellung von Aneurysmen und arteriovenösen Malformationen sowie die Gewebscharakterisierung zerebraler Tumoren. Darüber hinaus wird die UHF-MRT im Rahmen wissenschaftlicher Studien zur Differentialdiagnostik und Charakterisierung der Krankheitsaktivität bei der multiplen Sklerose herangezogen, ausserdem zur Erfassung und Prognoseabschätzung von Nervenläsionen und neuromuskulären Erkrankungen und zur optimierten Lokalisationsdiagnostik eloquenter Hirnareale mittels funktioneller Kernspintomographie [1]. Nachdem erste klinische Vergleichsstudien gezeigt haben, dass die UHF-Bildgebung bei den oben genannten Erkrankungen durch einen höheren Gewebskontrast und eine Verbesserung der räumlichen Ortsauflösung im Submilimeter-Bereich wichtige Zusatzinformationen liefern kann [2], möchten wir im Folgenden die klinisch relevanten Fortschritte in der UHF-Bildgebung zusammenfassen.

Klinisch relevante Fortschritte

Bei der bildgebenden Diagnostik der multiplen Sklerose (MS) weisen erste Untersuchungen auf einen verbesserten Nachweis intrakortikaler MS-Läsionen hin. Mittels Multikontrast-Bildgebung unter Einbezug von FLAIR («fluid-attenuated inversion recovery»), «double-in­version recovery»-Sequenzen, der suszeptibilitätsgewichteten Bildgebung und der MP2-RAGE-Doppelkontrasttechnik verbessert sich die Detektionsfähigkeit intrakortikaler Läsionen um bis zu 50%, insbesondere bei rein intrakortikal und subpial gelegenen Läsionen [3, 4]. Der Nachweis intrakortikaler Läsionen erlaubt zudem eine bildgebende Abgrenzung von anderen, mit ähnlichen Signalveränderungen der weissen Hirnsubstanz einhergehenden, Veränderungen (wie den Mikroangiopathien). Das Potential der UHF-MRT zur Detektion von frühen Eisenablagerungen in MS-Plaques und tiefen Hirnstrukturen sowie die Darstellung eines «zentralen Venen-Signals» mittels suszeptibiltätsgewichteter Bildgebung spielen ebenfalls eine Rolle bei der Differenzialdiagnose zu anderen entzündlichen ­Erkrankungen des Zentralnervensystems (Abb. 1). Die UHF bietet hier besondere Vorteile beim Nachweis ­mikrostruktureller Eigenschaften von Läsionen [5, 6].
Abbildung 1: A) Darstellung der periventrikulären und kortikalen Venen mittels Ultrahochfeld-Magnetresonanztomographie (UHF-MRT) an einem gesunden Probanden. B) Darstellung randständiger pathologischer Eisenablagerungen in Demyelinisierungsherden um eine zentrale Vene bei einem Patienten mit multipler Sklerose (Pfeil). 
(Sequenz: SWI, mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. Dr. Simon Robinson und Herrn Prof. Dr. Siegfried Trattnig, ­Exzellenzzentrum für Hochfeld-MRT, Medizinische Universität Wien).
Die kontrastmittelfreie Gefässdarstellung bei neurovaskulären Erkrankungen basiert auf Messungen von ungesättigten Blutprotonen in der zu untersuchenden Schicht. Diese sogenannte «time-of-flight»(TOF)-MR- Angiographie bietet einen ausgezeichneten Kontrast zwischen den Protonen, die mit dem aufwärts gerichteten Strom des arteriellen Blutes gegen stationäre ­Bildelemente bewegt werden. Eine alternative Technik (Phasenkontrast-MR-Angiographie[-A]) basiert auf den Phasendifferenzen, die durch Strömungscodierungs-Gradienten zwischen sich bewegenden und stationären Protonen erzeugt werden. Hierbei werden Informationen über Strömungsgeschwindigkeitsprofile und die Strömungsrichtung innerhalb des zu untersuchenden Gefässes erfasst. Simultane «multi-slice»- oder Multi-Band-Bildgebungstechniken von UHF-MRT-Systemen und 4D-MR-Fluss-sensitive Techniken mit Phasenkontrast-MRA bieten Vorteile in Bezug auf Akquisitionszeit und zeitliche Auflösung und erlauben die mikrovaskuläre Darstellung der tiefen perforierenden Arterien. Gradientenecho (MP-RAGE) und TOF-MRA ermöglichen eine bessere Abgrenzung der zuführenden und im ­Nidus von Gefässmalforma­tionen gelegenen Gefässe und ihrer drainierenden Venen. Verbessert ist ebenso die Abgrenzung von Kavernomen, assoziierten venösen Malformationen und der Gefässmikroarchitektur des Gehirns [7, 8].
Applikationen für UHF-MRT in der Neuroonkologie ­fokussieren auf eine möglichst exakte Gewebscharakterisierung bezüglich Malignitätskriterien, Prognoseabschätzung und Therapieansprache der adjuvanten Behandlung. Für die Planung von neurochirurgischen Eingriffen ist die Darstellung von Infiltrationsbereichen jenseits der schrankengestörten Bezirke insbesondere bei höhergradigen Gliomen von Bedeutung. Die UHF-MRT bietet Vorteile bei der Differenzierung zwischen Tumor und Umgebung, der Detektion kleiner Läsionen, der Charakterisierung der Mikrovaskulatur und Subkompartimentierung von Tumoren. Auch die Darstellung der Lagebeziehung zu Hirnnerven und die Abgrenzung eloquenter Hirnareale sind verbessert, ebenso die metabolische Bildgebung. Eine relativ neue klinisch anwendbare Technik ist der «chemical exchange saturation transfer» (CEST). Diese Methode beruht auf dem spontanen chemischen Austausch zwischen Protonen von in Lösung befindlichen Stoffwechselmetaboliten und Protonen von freiem Wasser. CEST ermöglicht die Identifizierung einer Vielzahl endogener Metabo­liten, wie zum Beispiel von Amidprotonen (einem Marker der Proteinkonzentration) und Hydroxylprotonen (einem Marker für Gliafunktion und -dichte), mit denen Tumoren mit ungünstigen molekularen Markerprofilen (wie z.B. dem «wild type» der Isocitrat-Dehydrogenase) identifiziert werden können. Vorteile von CEST sind die hohe räumliche Auflösung, das Fehlen ionisierender Strahlung im Vergleich zu Verfahren wie der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) sowie eine höhere Empfindlichkeit gegenüber der konventionellen Magnetresonanztomographie [9].
Bei den neurodegenerativen Erkrankungen kann die UHF-MRT die klinische Differenzialdiagnose von Parkinson-Syndromen unterstützen. Dorsolaterale nigrale Hyperintensitäten, die auf der suszeptibilitätsgewichteten MRT (SWI) mittels dem sogenannten «Swallow-Tail»-Zeichen nachgewiesen werden können, korrelieren mit intakten Nigrosom-1-Komplexen (Clustern von dopaminergen Zellen innerhalb der Substantia nigra). Diese Befunde fehlen bei Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom und können der Erkrankung um mehrere Jahre vorausgehen. Eine aktuelle Metaanalyse zum Verlust der dorsolateralen Hyperintensität als bildgebendem Marker für Parkinson hat im Vergleich zu normalen Kontrollen eine hohe Sensitivität und Spezifität von <90% nachgewiesen. Eine neuere Studie bestätigte die Nachweisbarkeit des «Swallow-Tail»-Zeichens, stellte jedoch deren diagnostische Konsistenz in Frage [10], so dass hier weitere Studien notwendig sind, um die klinische Wertigkeit zu validieren.
Bei Patienten mit Epilepsie besteht der Mehrwert der UHF-MRT in einer verbesserten Darstellung von strukturellen epileptogenen Veränderungen und/oder Fehlbildungen der Grosshirnrinde. In-ivo-Studien bei 7 Tesla mit hochauflösenden zweidimensionalen Gradientene­cho(2D GRE)-Akquisitionen konnten zeigten, dass T2*-basierte Bildgebung das gesamte Spek­trum kortikaler Läsionen erfassen kann. In einer Studie an elf Patienten mit Verdacht auf fokale kortikale Dysplasie (FCD) waren die typischen bildgebenden Merkmale (kortikale Verdickung und Unschärfe der Mark-Rinden-Zone) in 100% respektive 89% sichtbar [11]. Aufgrund der hohen Auflösung und des andersartigen Gewebskontrastes ­sehen sich klinische Neuroradiologen allerdings auch mit bildgebenden Befunden konfrontiert, die nicht zwingend mit dem Urspung einer Epilepsie korrelieren müssen. Unklare Suszeptibilitätseffekte, mikrostrukturelle Veränderungen und eine zunehmende Datenmenge, die durch den bildgebenden Experten analysiert werden müssen, können die Interpretationssicherheit beinträchtigen. So entsprechen etwa 10% der «MRT-­positiven» Befunde bei Epilepsiepatienten nicht einer tatsächlichen strukturellen epileptogenen Läsion [12] und es ist notwendig, klinisches Fachwissen und Bildinformation sorgfältig abzugleichen, um das Potential der UHF-MRT in vollem Umfang zu nutzen.

Diskussion

Die zukünftigen Anforderungen an die Anwendung der UHF-MRT in der klinischen Praxis sind umfangreich. Bildgebende UHF-Biomarker müssen ihre Überlegenheit (und nicht nur die «non-inferiority») gegenüber konventionellen MR-Systemen beweisen. Die klinischen Indikationen werden Erkrankungen betreffen, die sich bildgebend bevorzugt oder ausschliesslich mit der UHF-MRT diagnostizieren lassen. Mögliche Vorteile müssen mit methodisch bedingten Nachteilen wie der momentanen, technologisch bedingten Einschränkung in der Sequenzauswahl, Feldinhomogenitäten und -verzerrungen (B0- und B1-Feld) und hieraus resultierenden aufwendigen Korrekturverfahren sowie auch von Limitationen aufgrund von Sicherheitsrestriktionen (Implantate) abgewogen werden. Ein hohes Potential lässt sich derzeit in der Diagnostik und dem Krankheitsmonitoring von Hirntumoren, der präinterventionellen nichtinvasiven Gefässdia­gnostik komplexer ­zerebraler Malformationen, der prächirurgischen Abklärung struktureller epileptischer Läsionen und der bildgebenden Diagnostik von neuroimmunologischen Erkrankungen abschätzen. Mit der Einrichtung zweier neuer klinisch zugelassener Hochfeld-MRT-Systeme können klinische Fragestellungen in ausgewählten Fällen zukünftig an mehreren Standorten in der Schweiz bearbeitet werden.
Man darf also durchaus gespannt sein, was die Zukunft auf diesem Gebiet bringen wird.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. med. Roland Wiest
Universitätsinstitut für Diagnostische und Inter­ventionelle Neuroradiologie
Inselspital
Freiburgstrasse
CH-3010 Bern
roland.wiest[at]insel.ch
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