Ophthalmologie: Refraktion und Kontaktlinsen
Schlaglicht der Schweizerischen Ophthalmologischen Gesellschaft

Ophthalmologie: Refraktion und Kontaktlinsen

Schlaglichter
Ausgabe
2019/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.03455
Swiss Med Forum. 2019;19(0102):35-36

Affiliations
Präsident der Kontaktlinsenkommission der Schweizerischen Ophthalmologischen Gesellschaft, Meyrin

Publiziert am 02.01.2019

Myopie ist weltweit ein ernsthaftes Problem. Zwei Behandlungsmethoden gelten als wirksam. Bei weichen Kontaktlinsen gibt es drei Fehler, die es zu vermeiden gilt.

Myopie: zwei wirksame Behandlungs­methoden

Allgemein wird behauptet, dass die Zahl der Kurzsichtigen nicht nur in den orientalischen Ländern, sondern auch in Europa steigt. Eine vor Kurzem veröffentlichte deutsche Studie hat dies jedoch infrage gestellt. Ausgehend von 1,2 Millionen Verschreibungen konnte sie nachweisen, dass von 2000 bis 2015 tatsächlich weder die Häufigkeit noch die Stärke der Myopie zugenommen hat [1].
Nichtsdestotrotz stellt Kurzsichtigkeit, insbesondere im Fernen Osten, wo ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung daran leidet, ein ernsthaftes weltweites Problem dar. Demzufolge muss alles dafür getan werden, um Abhilfe zu schaffen.
Bei Kurzsichtigkeit gelten zwei Behandlungsmethoden als wirksam: niedrig dosiertes Atropin (0,01%) und ­Orthokeratologie. Bei letzterer werden speziell geschliffene, flach angepasste formstabile Kontaktlinsen während der Nacht getragen. Sie können die Hornhaut für den folgenden Tag so formen, dass die Kurzsichtigkeit vorübergehend verringert wird.
0,01%iges Atropin ist ein preiswertes und leicht an­zuwendendes Produkt. Jeder Patient schafft es, seine Augen morgens mit einem Tropfen davon zu benetzen. Leider wurde es bisher noch von keinem der auf Augenheilkunde spezialisierten Unternehmen auf den Markt gebracht.
Orthokeratologie darf nur von Fachleuten durchgeführt werden. Bisher wird sie erst von wenigen Optometristen angewendet und ist kostenintensiv, was ihre Anwendung begrenzt. Darüber hinaus besteht bei dieser Behandlungsform ein Infektionsrisiko. In orientalischen Ländern kam es häufig zu Infektionen, jedoch nur, weil dort die Hygieneregeln nicht korrekt befolgt wurden, und die Methode von Nichtfachleuten unsachgemäss angewendet wurde.
Bei uns hingegen werden die Hygienevorschriften im Allgemeinen beachtet und Anweisungen der Fachleute besser eingehalten. Überdies sind Optometristen, die diese Behandlungsmethode anbieten, seriöse Fachpersonen. Zudem verfügen die heutigen Kontaktlinsen über eine hohe Sauerstoffpermeabilität, wodurch die Hornhaut ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird.
Ein kürzlich erschienener japanischer Artikel schlägt vor, beide Behandlungsmethoden miteinander zu kombinieren, um so bessere Resultate zu erzielen [2]. Dies bleibt zu überprüfen, einerseits, weil die aktuellen Studien nur an einer kleinen Patientenzahl durchgeführt werden, und andererseits, weil die tatsächliche Wirksamkeit erst langfristig beurteilt werden kann.
Chinesische Forscher haben verschiedene andere Methoden untersucht: Abstandhalter, um Schüler daran zu hindern, sich dem Computerbildschirm zu stark zu nähern, grosse Panoramafenster in den Klassenräumen, um die Fernsicht anzuregen, stündliche Gymnastikübungen an der frischen Luft etc. Dies jedoch ohne positive Resultate. Myopie ist eben hartnäckig.
Sobald das niedrig dosierte Atropin auf den Markt kommt, kann eine grosse Studie über seine Wirksamkeit durchgeführt werden, hoffentlich mit einem positiven Resultat.
Die Wirkung hochdosierten Atropins ist seit Langem wohlbekannt, einschliesslich der Lähmung der Akkommodation, die Lesen in der Nähe ohne Gleitsicht- oder Bifokalgläser verhindert.

Weiche Kontaktlinsen

Auf dem Markt gibt es derzeit zwei Arten weicher Kontaktlinsen: Hydrogel- und Silikon-Hydrogel-Kontaktlinsen. Hydrogel-Kontaktlinsen sind angenehmer zu tragen, weil sie mehr Wasser enthalten. Da die Wassermenge jedoch nicht 100% betragen kann, ist ihre Sauerstoffpermeabilität eingeschränkt (letztere wird in Dk angegeben; Hydrogel-Kontaktlinsen weisen nur selten einen Dk-Wert von über 40 auf). Werden die Kontaktlinsen jedoch auch nachts getragen, was bei zerstreuten Patienten leider zu häufig passiert, ist eine hohe Sauerstoffpermeabilität erforderlich, damit es am nächsten Tag nicht zu Problemen kommt.
Silikon-Hydrogel-Kontaktlinsen können hingegen bis zu 140 Dk erreichen, also einen um das Dreifache höheren Wert als Hydrogel-Kontaktlinsen. Sie sind seit dem Jahr 2000 auf dem Markt und wurden dafür ent­wickelt, 30 Tage lang ununterbrochen getragen zu werden. Ich habe sie über 100 Patienten angepasst und ­betreue noch immer 30 von ihnen. Sie haben keine Probleme mit diesen Linsen. Bei einigen waren anfangs kleinere Komplikationen aufgetreten, die jedoch alle in weniger als einer Woche abheilten. Es dürfte ziemlich schwierig werden, diese Patienten von der für sie äusserst komfortablen Art der Kontaktlinsennut­zung abzubringen.
Das Problem besteht darin, dass die Spitalstatistiken beim Dauertragen von Kontaktlinsen ein höheres Risiko ausweisen als beim ausschliesslichen Tragen tagsüber. Dazu ist jedoch zu sagen, dass in diese Statistiken auch Komplikationen einfliessen, die infolge von nicht ärztlich betreuten Kontaktlinsenkäufen im Internet aufgetreten sind. Ausserdem stammen die Daten aus Ländern, in denen sich das Gesundheitssystem von unserem unterscheidet, etwa Grossbritannien, oder aus solchen mit ungünstigen klimatischen Bedingungen, wie Australien oder Florida. Aufgrund dieser unklaren Datenlage können Ophthalmologen das Dauertragen während 30 Tagen nicht respektive nur in Sonder­fällen empfehlen. Beispielsweise dann, wenn der Pa­tient seine Kontaktlinsen nicht einsetzen und herausnehmen kann oder Wintersport in sehr grosser Höhe ausübt.
Es gibt drei Fehler, die es bei Kontaktlinsen zu vermeiden gilt:
– Der erste Fehler betrifft alle Träger von Tageslinsen. Diese müssen, wie schon ihr Name sagt, unbedingt jeden Tag entsorgt werden. Drei von fünf Patienten mit schweren Fusarium-Infektionen in Bern waren Kontaktlinsenträger, die dieselben Tageslinsen mehrere Tage hintereinander getragen hatten.
– Zweitens sollten Babys nach einer Operation wegen erblich bedingtem Katarakt keinesfalls weiche ­Kontaktlinsen angepasst werden. Während Babys bei halbharten Kontaktlinsen bereits das kleinste Staubkörnchen spüren und durch Weinen klarmachen, dass sie etwas stört, bleibt eine entsprechende Reaktion bei weichen Kontaktlinsen leider aus. Als Beispiel sei ein Baby genannt, das in Zürich weiche Kontaktlinsen angepasst bekommen hatte und unter diesen Hornhautge­schwüre entwickelte.
– Der dritte Fehler betrifft alle Kontaktlinsenträger, unabhängig von der Kontaktlinsenart. Er besteht darin, sich vor dem Anfassen der Kontaktlinsen nicht die Hände zu waschen.
Hinzuzufügen ist noch, dass Rauchen bei Kontaktlinsenträgern ungünstig ist, da Zigarettenrauch das Hornhautepithel schädigt, was einen Risikofaktor darstellt. Des Weiteren ist die Anpassung einer zu stark gewölbten Linse zwar für den Patienten sicherlich angenehm, da sie sich kaum bewegt, die Folge kann jedoch eine unzureichende Sauerstoffversorgung der Hornhaut mit roten und schmerzhaften Augen oder anderen Komplikationen sein. Daher ist es für den Kontaktlinsenanpasser unerlässlich, stets zu prüfen, ob sich die Linse auf dem Auge des Patienten auch ausreichend bewegt.
Eine weitere Regel besteht darin, Kontaktlinsen nicht ohne jährliche Kontrolluntersuchung zu verordnen. Denn die Statistiken zeigen, dass es zu weniger Komplikationen kommt, wenn eine jährliche Kontrolluntersuchung durchgeführt wird.
Bei Einhaltung all dieser Vorsichtsmassnahmen kommt es zu immer weniger Komplikationen, wie zum Beispiel Hornhautinfiltraten. Wir bemühen uns daher, unsere Patienten dementsprechend aufzuklären.
Überdies sollte der Kontaktlinsenanpasser jederzeit erreichbar sein. Bei einem Hornhautinfiltrat muss schnell reagiert und eine lokale Behandlung mit stündlicher Augentropfengabe begonnen werden. Wenn die Schmerzen am nächsten Tag abgeklungen sind, und der Patient wieder lächelt, ist alles ausgestanden. Wenn nicht, handelt es sich um eine schwere Infektion, die eine Spitaleinweisung erforderlich macht.
Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Albert Franceschetti
1bis, av. J.-D. Maillard
CH-1217 Meyrin
albert[at]franceschetti.net
1 Wesemann W. Analyse der Brillenstärke zeigt keine Zunahme der Myopie in Deutschland von 2000 bis 2015. Der Ophthalmologe. 2018;115:409–17.
2 Kinoshita N, Konno Y, Hamada N, Kanda Y, Shimmura-Tomita M, Kakekashi A. Additive effects of orthokeratology and atropine 0.01% ophtalmic solution in slowing axial elongation in children with myopia: first year results. Jpn J Ophtalmol. 2018;62(5):544–53.