Radiologie: Künstliche Intelligenz: die Radiologie im Wandel der Zeit
Schlaglicht der Schweizerischen Gesellschaft für Radiologie

Radiologie: Künstliche Intelligenz: die Radiologie im Wandel der Zeit

Schlaglichter
Ausgabe
2019/0304
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08035
Swiss Med Forum. 2019;19(0304):56-58

Affiliations
a Universitätsinstitut für Diagnostische, Interventionelle und Pädiatrische Radiologie, Inselspital, University of Bern, Bern; b Experimentelle Radiologie, Department of BioMedical Research, University of Bern, Bern; c ARTORG Center for Biomedical Engineering Research, University of Bern, Bern;
d Direktion Technologie und Innovation, Inselspital, Bern

Publiziert am 16.01.2019

Wie wird sich die Radiologie durch den Vormarsch der künstlichen Intelligenz verändern? Ist der Fortschritt eine Erleichterung bei repetitiven Tätigkeiten oder wird die Technologie den Menschen ersetzen? Wird es das Fach noch brauchen?

Hintergrund

Unsere heutige, hochtechnisierte Gesellschaft wird massgeblich von Computerprogrammen respektive Computeralgorithmen beeinflusst. Man denke nur an Applikationen wie die Fahrplangestaltung des öffentlichen Verkehrs oder die automatisierten Fertigungsanlagen der Industrie. Ermöglicht wird dieser technische Fortschritt durch den Einsatz modernster Hochleistungsrechner. Mittlerweile verfügen auch weite Teile der Bevölkerung über sogenannte «Smart Phones», die im Grunde nichts anderes als ebensolche Spitzenrechner im Taschenformat sind. Der Schritt vom «Smart Phone» zum «smarten» Automobil der letzten Jahre war daher absehbar. «Smarte», also schlaue, Applikationen beeinflussen und lenken somit bewusst und unbewusst das tägliche Leben. Konsequenterweise macht diese Entwicklung auch vor der Medizin nicht halt. Doch wo steht die «smarte» Radiologie im Jahr 2018?

«Smarte» Radiologie

Insbesondere die Radiologie als hochtechnisierter Teilbereich der Medizin hat bereits früh begonnen, sich mit «smarter» Technologie auseinanderzusetzen. Bereits seit mehr als zehn Jahren können Rundherde der Lunge mit Unterstützung eines Computeralgorithmus, sogenannter «computer-assisted detection»(CAD)-Systeme, gefunden werden. Kontinuierliche Weiterentwicklung hat diese CAD-Systeme mittlerweile soweit verfeinert, dass eine semi-automatisierte Befundung teilweise bereits durchgeführt wird. Durch die Einführung dieser Systeme konnte einerseits die Genauigkeit in der Thorax-Computertomographie (CT) signifikant gesteigert werden [1–3]; andererseits konnte die Strahlendosis wesentlich reduziert werden [4, 5]. Trotzdem ist die Detektion eines Lungenrundherdes aus technischer Sicht ein relativ linearer Prozess: Aus der Thorax-CT werden kontinuierliche Strukturen wie Blutgefässe, Atemwege, Atelektasen und Thoraxwand erkannt («segmentiert») und vom Programm subtrahiert; übrig bleibt im Idealfall der Knoten, der auf den Bildern markiert wird und dann durch den Radiologen weiter beurteilt werden kann. Bis zu diesem Punkt wurde noch keine «Gedächtnisleistung» im engeren Sinne von der «Maschine» abverlangt.
Ein Schlagwort der vergangenen Jahre in diesem Zusammenhang ist die «künstliche Intelligenz» respektive die lernende Maschine. Als konsequente Weiterentwicklung der Computertechnologie entstehen mittlerweile Systeme, die auf Basis vordefinierter Parameter selbständig in der Lage sind, Muster und Abläufe zu erlernen, wie zum Beispiel Schachcomputer («Deep Blue») vor einigen Jahren. Dieses Erkennen von Mustern und Strukturen auf Basis des Erlernten wurde bereits in der Erkennung von Gesichtern auf Bildern erprobt. Hier ergibt sich ein neues, spannendes Feld in der bildgebenden Diagnostik, vor allem der Radiologie.
Wie bereits oben erwähnt, ist die simple Detektion ­einer Lungenläsion nur ein Schritt in der Diagnose eines möglichen Tumors. Die Interpretation durch den geschulten Radiologen steht dabei nach wie vor an erster Stelle – handelt es sich hier um ein Malignom oder doch nur um ein Granulom? Auch der Experte hat sein Wissen durch fortwährendes Lernen und Ansehen tausender Fälle erlernt. Analog dazu und mit steigender Rechenleistung können entsprechende artifizielle, neuronale Netzwerke eine künstliche Intelligenz schaffen, die diesen Vorgang imitiert. Natürlich steckt diese Entwicklung noch in den Kinderschuhen, jedoch ist es von immanenter Wichtigkeit, sich mit diesen Verfahren auseinanderzusetzen. Man denke an die komplexen Bildbefunde der interstitiellen Lungenerkrankungen. Mehr als 200 unterschiedliche Entitäten befallen das Lungengerüst und manifestieren sich in der Thorax-CT mit mehr oder weniger spezifischen Mustern. Insbesondere die Diagnostik der Lungengerüst-Erkrankungen erfordert Kenntnis der einzelnen bildmorphologischen Erscheinungsformen und deren Kombination, klinische Hintergrundinformationen und erhebliche Erfahrung von Seiten des befundenen Radiologen. Erste vorklinische Studien konnten bereits das Potential von Computeralgorithmen zur Detektion und Unterscheidung von unterschiedlichen Fibrosemustern in der hochaufgelösten CT der Lunge zeigen [6–8]. Aufgrund des hohen Gewebekontrastes und der detailreichen Ortsauflösung der CT ist die Lunge von technischer Seite besonders geeignet, diese Experimente durchzuführen.
In Anbetracht der Datenmengen, die in der modernen Medizin generiert werden, erscheint es essentiell, diese zum Wohl der Patienten zu nutzen. Vernetzte, klinikübergreifende Systeme könnten relevante Befunde, nicht nur der Radiologie, zusammenfassen und damit die Diagnostik und in weiterer Folge auch die Therapie erleichtern. Dies wird häufig auch mit dem Schlagwort «big data» umschrieben. Wir sind der Überzeugung, dass diese technologische Entwicklung die radiologische Diagnostik nachhaltig beeinflussen wird.
Mit «deep learning»-Algorithmen, zum Beispiel dem «Convolutional Neural Network» (CNN), ist es den Forschern der künstlichen Intelligenz gelungen, einen Meilenstein in der Bilderkennung zu erreichen, insbesondere zusammen mit der immensen Rechenleistung der heutigen Computer. Dieses System lernt mit tausenden von Bildern, ein Objekt, einen Menschen oder Strassenränder zu erkennen. Das Geheimnis seines Erfolges liegt darin, dass es wie das menschliche Gehirn mit mehreren Ebenen funktioniert. Eine Ebene erkennt die Form des Objektes, eine die Farbe, eine weitere das Oberflächenmuster und so weiter, und am Schluss werden diese Informationen ausgetauscht zur richtigen Klassierung.
Dieser Fortschritt in der Bilderkennung drängt sich natürlich in der Radiologie, der bildgebenden Diagnostik, auf. Im Prinzip geht es um nichts anderes, als um Gesichtserkennung von Krankheiten. In Bern lernt ein spezieller Computer gerade die verschiedenen CT-Muster der Lungenfibrose zu detektieren, weil alle medizinischen Disziplinen Mühe haben, diese richtig einzuteilen. Der Computer ist den Radiologen schon heute in gewissen Teilaspekten der Fibrosemuster-Erkennung überlegen (Abb. 1).
Abbildung 1: Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Erkennung von Lungenfibrose-Mustern auf computertomographischen Bildern. Zuerst muss die Lunge von den Thoraxweichteilen und Knochen extrahiert werden (Segmentierung), durch «machine learning» hat der Computer gelernt, alle Fibrosemuster zu erkennen und kann sie anzeigen, hervorheben und auch deren Volumen berechnen.
Dieses Prinzip wird sich unaufhaltsam auf den ganzen Körper und wahrscheinlich die ganze Medizin ausweiten und den Ärzten und Patienten Hilfe leisten in der täglichen Routine. Es geht nicht darum, dass die Radiologen oder andere Berufsgruppen abgeschafft werden sollen, sondern es geht um eine Ko-Existenz, die wir ja schon alle kennen und schätzen gelernt haben: zum Beispiel der Autopilot im Flugzeug, der ständig überwacht, ob die Flugroute stimmt, und sogar selber geradeaus fliegen kann.
Aber während der heiklen Flugphasen, wie beim Starten und Landen, oder bei Notfällen bedarf es weiterhin der Erfahrung der Piloten. Analog dazu kann in der Radiologie ein Computer eingesetzt werden zum Suchen von Pathologien: Er screent die tausend Bilder des ganzen Körpers und findet kleinste Pathologien oder Anomalien in Sekundenschnelle. Im besten Fall kann er in Zukunft sogar einen Vorschlag machen für die möglichen Krankheiten.
Ein weiteres Problem ergibt sich bei der Entscheidungsfindung durch den Computeralgorithmus. Es gibt unterschiedliche Ansätze; jedoch besteht ein integraler Bestandteil des «Lernverhaltens» darin, dass der Computer die zu beurteilenden Bilder mit bereits erfassten, das heisst «erlernten», Matrizen vergleicht. Die Vergleiche geschehen nach einem binären Prinzip und erfolgen randomisiert, das heisst die einzelnen Schritte, die zum Gesamtergebnis führen, sind im Einzelnen nicht zu verfolgen. Dies führt momentan zum Dilemma, dass sich die Frage stellt: Wie weit wollen wir der Maschine in ihren Entscheidungen vertrauen und uns somit in eine Abhängigkeit begeben?
Schlussendlich zeigt die Entwicklung in Richtung Ko­operation: Mensch und Maschine. Letztlich sehen wir weiterhin eine Kollaboration der Radiologen und klinischen Partner, die, unterstützt durch diverse – «smarte» – Applikationen, die Patientendiagnostik und Versorgung weiter optimieren werden (Stand 2018).

Schlussfolgerung

Der Einsatz von Systemen, die in der Lage sind, artifiziell zu lernen und eine «künstliche Intelligenz» zu entwickeln, steht momentan noch am Anfang. Komplexe Computeralgorithmen und aufwändige Validierungsstudien sind notwendig, um den möglichen klinischen Einsatz zu untersuchen. Im Hinblick auf die rasante Entwicklung der vergangenen Jahre ist davon auszugehen, dass diese Systeme in naher Zukunft in der Radiologie zum Einsatz kommen werden. Der Schwerpunkt dieser Computersysteme wird vor allem auf der Unterstützung zur Detektion und radiologischen Diagnostik liegen.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. rer. physiol. Dr. med. Johannes T. Heverhagen
Universitätsinstitut für Diagnostische, Interventionelle und ­Pädiatrische
Radiologie
Freiburgstrasse 10
Inselspital
Universität Bern
CH-3001 Bern
Johannes.Heverhagen[at]insel.ch
1 Christe A, Leidolt L, Huber A, Steiger P, Szucs-Farkas Z, Roos JE, Heverhagen JT, Ebner L. Lung cancer screening with CT: evaluation of radiologists and different computer assisted detection software (CAD) as first and second readers for lung nodule detection at different dose levels. Eur J Radiol. 2013;82(12):e873–8.
2 Huber A, Landau J, Ebner L, Bütikofer Y, Leidolt L, Brela B, et al. Performance of ultralow-dose CT with iterative reconstruction in lung cancer screening: limiting radiation exposure to the equivalent of conventional chest X-ray imaging. Eur Radiol. 2016;26(10):3643–52. Erratum in: Eur Radiol. 2016;26(10):3653.
3 Ebner L, Roos JE, Christensen JD, Dobrocky T, Leidolt L, Brela B, et al. Maximum-Intensity-Projection and Computer-Aided-Detection Algorithms as Stand-Alone Reader Devices in Lung Cancer Screening Using Different Dose Levels and Reconstruction Kernels. AJR Am J Roentgenol. 2016;207(2):282–8.
4 Ebner L, Bütikofer Y, Ott D, Huber A, Landau J, Roos JE, et al. Lung nodule detection by microdose CT versus chest radiography (standard and dual-energy subtracted). AJR Am J Roentgenol. 2015;204(4):727–35.
5 Christe A, Szucs-Farkas Z, Huber A, Steiger P, Leidolt L, Roos JE, et al. Optimal dose levels in screening chest CT for unimpaired detection and volumetry of lung nodules, with and without computer assisted detection at minimal patient radiation. PLoS One. 2013;8(12):e82919.
6 Anthimopoulos M, Christodoulidis S, Ebner L, Christe A, Mougiakakou S. Lung Pattern Classification for Interstitial Lung Diseases Using a Deep Convolutional Neural Network. IEEE Trans Med Imaging. 2016;35(5):1207–16.
7 Christodoulidis S, Anthimopoulos M, Ebner L, Christe A, Mougiakakou S. Multisource Transfer Learning With Convolutional Neural Networks for Lung Pattern Analysis. IEEE J Biomed Health Inform. 2017;21(1):76–84.
8 Anthimopoulos MM, Christodoulidis S, Ebner L, Geiser T, Christe A, Mougiakakou SG. Semantic Segmentation of Pathological Lung Tissue with Dilated Fully Convolutional Networks. IEEE J Biomed Health Inform. 2018 Mar 26. doi: 10.1109/JBHI.2018.2818620. [Epub ahead of print].