Evidenzbasierte Kontrazeptionsberatung
Häufige Risikosituationen in der Praxis

Evidenzbasierte Kontrazeptionsberatung

Übersichtsartikel AIM
Ausgabe
2019/1718
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08065
Swiss Med Forum. 2019;19(1718):286-291

Affiliations
a fertisuisse Olten und Basel, Zentrum für Kinderwunschbehandlung, Frauen- und Männermedizin; b Frauenklinik, Universitätsspitals Basel; c ­Frauenpraxis Buchenhof, Praxis für Mädchen und Frauen

Publiziert am 24.04.2019

Die Kontrazeptionsberatung kann vor allem bei Vorliegen von Begleiterkrankungen oder Risikofaktoren eine Herausforderung sein. Die online verfügbaren Handbücher der WHO sind im Praxisalltag hilfreiche Ratgeber.

Einführung

Die Entwicklung effektiver Kontrazeptiva hatte im Verlauf der letzten 60 Jahre einen enormen, positiven Einfluss auf die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Paaren im reproduktiven Alter. Heutzutage ist eine Vielzahl kontrazeptiver Optionen auf dem Markt, was uns Ärztinnen und Ärzten erlaubt, für jede Patientin/jedes Paar eine bestmögliche Auswahl an Verhütungsmethoden vorzuschlagen. Der optimale kontrazeptive Effekt kann nur erreicht werden, wenn die Anwenderin in die Auswahl und Entscheidungs­findung einbezogen wird («shared decision making» verbessert die Compliance). Dabei ist insbesondere auch das spezifische Ri­sikoprofil der Anwenderin mit dem Risikoprofil der kontrazeptiven Methode abzugleichen, um die optimale Wahl zu treffen.
Das Angebot einer breiten Auswahl an kontrazeptiven Methoden, evidenzbasiertes Wissen über Effektivität, Risiken und Nutzen der einzelnen Methoden sowie eine respektvolle und vertrauliche Beziehung zwischen Ärztin/Arzt und Anwenderin sind Qualitätsmerkmale einer guten Kontrazeptionsberatung, die der Anwenderin erlaubt, eine sachkundige Entscheidung zu treffen. Kontrazeptive Methoden werden in Hinblick auf Anwenderfreundlichkeit, Effektivität und Sicherheit stetig verbessert. Zudem werden neue Methoden entwickelt, die auf neuen Wirkstoffen oder -mechanismen, geänderten Dosierungen und Applikationsformen basieren. Parallel dazu produzieren klinische Studien unterschiedlicher Qualität eine nicht zu überblickende Flut an Resultaten, Schlussfolgerungen und Empfehlungen. Veraltete klinische Richtlinien und mangelndes Wissen über neue Evidenz limitieren ­sowohl die Qualität der Kontrazeptionsberatung als auch den Zugang der Anwenderinnen zu effektiver und sicherer Kontrazeption. Der vorliegende Artikel soll eine kurze Einführung in die Kontrazeptionsbetreuung geben, wobei wir vor allem auf häufige Risikosituationen eingehen. Die kontrazeptiven Risiken bei Vorliegen spezifischer Erkrankungen können in den «medical eligibility criteria for contraceptive use» der Weltgesundheitsorganisation (WHO-MEC) [1, 2], nachgeschlagen werden, was insbesondere für Patientinnen mit selteneren Erkrankungen relevant ist.

Wirksamkeit von Kontrazeptiva

Die Effektivität einer Kontrazeptionsmethode ist in ­hohem Masse abhängig von der korrekten Anwendung. Die Wirksamkeit eines Kontrazeptivums ist bei korrekter Anwendung deutlich höher als bei typischer Anwendung, die allerdings der Realität entspricht. Tabelle 1 enthält eine Gegenüberstellung der Pearl-Indices der Verhütungsmethoden bei optimaler sowie typischer Anwendung. Der Pearl-Index ist ein Mass für die Zuverlässigkeit von Verhütungsmitteln. Er entspricht der ­Anzahl ungeplanter Schwangerschaften, die bei hundert Frauen im Verlauf eines Jahres trotz der Anwendung eines Verhütungsmittels eintreten. Je niedriger der Pearl-Index ist, desto grösser ist der Schutz vor einer ungeplanten Schwangerschaft.
Tabelle 1: Wahrscheinlichkeit einer ungeplanten Schwangerschaft in % im ersten Jahr unter Anwendung einer Verhütungsmethode (Pearl-Index) (adaptiert von [2]).
MethodeTypische AnwendungOptimale Anwendung
Keine Methode8585
Spermatizide2818
Kalender-, Temperatur- und Methoden, die auf die Detektion der ­Ovulation basieren24 0,4 (sympto-thermal)1– 5 ­(Kalender)
Coitus interruptus22 4
Kondom für Männer18 2
Kondom für Frauen21 5
Diaphragma12 6
Orale Kontrazeptiva 9 0,3
Verhütungspflaster (Evra®) 9 0,3
Verhütungsring (NuvaRing®) 9 0,3
Dreimonatsspritze (Depot Provera®) 6 0,2
Kupferspirale 0,8 0,6
Levonorgestrel-haltige Spirale ­(Mirena®) 0,2 0,2
Verhütungsstäbchen (Implanon®) 0,05 0,05
Tubensterilisation 0,5 0,5
Vasektomie 0,15 0,10
1 Die Sicherheit dieser Methoden ist nur bei periodischer Enthaltsamkeit gewährleistet und erfordert gute Schulung und konsequente Selbstuntersuchungen. Die Anwendung von Kondomen (oder anderen Methoden) in der fertilen Phase des Zyklus an Stelle von Enthaltsamkeit verringert die Sicherheit.

Kontrazeption und Sexualität

Die Wahl des richtigen Kontrazeptivums beinhaltet naturgemäss auch eine Unterhaltung über das Sexualverhalten der Anwenderin. So ist es wichtig zu wissen, ob zum Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen Barrieremethoden angewendet werden müssen (i.d.R. Kondome) oder ob eine stabile und treue Sexualbeziehung vorliegt, so dass Methoden ohne Barriereschutz gewählt werden können. In stabilen Partnerschaften mit endgültigem Kontrazeptionswunsch ist bei Risikosituationen insbesondere auch die Unterbindung des Mannes als Option zu diskutieren.
Die Frage des Effekts der hormonellen Kontrazeptiva auf die weibliche Libido wird immer wieder diskutiert, vor allem auch in Zusammenhang mit den androgenen/antiandrogenen Partialeffekten der Gestagene. In der Zusammenschau der vorhandenen Literatur kann gesagt werden, dass hormonelle Kontrazeptiva global keinen relevanten negativen Effekt auf die Libido zu haben scheinen [3]. Im Individualfall kann eine Anpassung des Kontrazeptivums sinnvoll sein. Dabei kann vor Wechsel zu nichthormonellen Methoden zunächst durchaus ein anderes hormonelles Kontrazeptivum gewählt werden.

Empfängnisverhütung ist in der Schweiz weit verbreitet

Heute stellen hormonelle Kontrazeptiva in der Schweiz die häufigste Verhütungsmethode bei Frauen unter 40 Jahren dar. Bei der Schweizerischen Gesundheits­befragung im Jahr 2012 gaben 80% der Personen zwischen 15 und 49 Jahren, die in den letzten zwölf Monaten mindestens eine Partnerin respektive einen Partner hatten, an, ein Verhütungsmittel zu benutzten (Abb. 1). Die Anzahl Schwangerschaftsabbrüche ist im internationalen Vergleich relativ niedrig: 2013 belief sich diese Quote für in der Schweiz wohnhafte Frauen auf 6,4‰. Bei den jungen Frauen unter 20 Jahren war die Quote sogar noch kleiner: 2013 lag sie bei den in der Schweiz wohnhaften jungen Frauen bei 4,0‰.
Abbildung 1: Schweizerische Gesundheitsbefragung 2012 (Quelle: Bundesamt für ­Statistik 2014). 1  Verhütungsring, -pflaster, -stäbchen oder Dreimonatspritze.

Gesundheitliche Risiken im Falle einer ­ungeplanten Schwangerschaft

Grundsätzlich muss zwischen zwei Risikosituationen unterschieden werden: Frauen und/oder Feten, deren Gesundheit durch eine ungeplante Schwangerschaft beeinträchtigt würde, und Frauen, die durch die Verhütungsmethode per se einem gesundheitlichen Risiko ausgesetzt würden. Erkrankungen, die im Falle einer Schwangerschaft mit einer Gefährdung von Mutter und/oder Kind einhergehen, sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Wenn schwerwiegende gesundheitliche Risiken für Mutter und Kind bestehen, müssen Verhütungsmittel empfohlen werden, die maximal effizient sind. Der alleinige Einsatz von Barrieremethoden (Kondome, Diaphragma) ist ungenügend. Allerdings kann die korrekte Anwendung von Kondomen sexuell übertragbare Infektionen effizient verhindern und sollte generell empfohlen werden. Frauen unter Behandlung mit teratogenen Medikamenten sollten ebenfalls eine sehr sichere Verhütungsmethode anwenden. Bei malignen Erkrankungen ist die durch Chemotherapie induzierte Amenorrhoe kein sicherer Schutz vor einer ungeplanten Schwangerschaft.
Tabelle 2: Erkrankungen, die im Falle einer Schwangerschaft mit einer Gefährdung von Mutter und/oder Kind einhergehen (adaptiert von [1]).
Komplizierte Herzklappenerkrankungen
Schlaganfall
Thrombophilie
Arterielle Hypertension (systolisch >160 mm Hg oder diastolisch >100 mm Hg)
Koronare Herzkrankheit
Insulinabhängiger Diabetes mellitus mit Nephro-, Retino-, Neuro- oder anderen Angiopathien oder Bestehen der Erkrankung seit >20 Jahren
Peripartale Kardiomyopathie
Sichelzellanämie
Systemischer Lupus erythematosus
Brustkrebs
Endometriumkarzinom
Ovarialkarzinom
Maligne Trophoblasterkrankungen
Maligne Lebertumoren (Hepatome) und hepatozelluläres ­Karzinom
Schistosomiasis mit Leberfibrose
Fortgeschrittene Leberzirrhose
HIV/AIDS
Tuberkulose
Epilepsie
St. n. Organtransplantation in den vergangenen zwei Jahren
St. n. bariatrischer Chirurgie in den vergangenen zwei Jahren
Behandlung mit teratogenen Medikamenten

Risiko von Krebserkrankungen bei ­kombinierten hormonellen Kontrazeptiva

In der «Royal College of General Practitioners’ Oral Contraception Study» [4] wurden 46 022 Frauen, die 1968 und 1969 rekrutiert wurden, bis zu 44 Jahre lang observiert. Das Risiko, an einem kolorektalen Karzinom, einem Endometrium- oder Ovarialkarzinom zu erkranken, war bei Anwenderinnen auch nach Absetzen der Pille reduziert. Der Schutzeffekt schien für mehr als 30 Jahre zu bestehen. Lymphatische und ­hämatologische Krebserkrankungen traten in der ­Kohorte ebenfalls seltener auf. Insgesamt war die ­Mortalitätsrate in dieser Studie niedriger als in der ­Allgemeinbevölkerung, hauptsächlich weil keine Teilnehmerinnen mit chronischen Erkrankungen rekrutiert wurden. Weitere Limitationen waren die fehlenden Informationen zu potentiellen «confounders» unter anderem Body-Mass-Index (BMI), Alkoholkonsum, Ernährung und sportlicher Aktivität sowie Änderungen des Nikotinkonsums im Verlauf.
Dem gegenüber steht ein möglicherweise leicht erhöhtes Risiko für die Erkrankung an einem Mamma- und Zervixkarzinom. Die Studien zum erhöhten Risiko ­einer Brustkrebserkrankung sind kontrovers. Allgemein kann man wohl von einer leichten Risikoerhöhung ausgehen. Im Vergleich zu Frauen, die nie eine hormonelle Kontrazeption angewendet haben, ist das relative Risiko von Anwenderinnen, an Brustkrebs zu erkranken, 20% höher. Das relative Risiko steigt bis auf 38% für Frauen, die mehr als zehn Jahre hormonelle Kontrazeption anwenden. Inwieweit die Risikoerhöhung auch für die neuen niedrig dosierten Pillen, die Gestagenpille und die Hormonspirale gilt, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Das absolute Risiko bleibt, aufgrund der Tatsache, dass eine Brustkrebserkrankung in dieser Altersgruppe selten ist, gering (1 Fall auf knapp 8000 Anwenderinnen) [5].

Kombinierte hormonelle Kontrazeptiva und thrombembolische Erkrankungen

Vor allem kombinierte hormonelle Verhütungsmittel, die Ethinylestradiol (EE) und ein Gestagen enthalten, gehen mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen einher [6, 7].
1960 erfolgte in den USA die Zulassung des ersten ­hormonellen Kontrazeptivums (Enovid®), das 150 μg Mestranol und 9,85 mg Norethynodrel enthielt. Seither sind synthetische Östrogene weiterentwickelt worden, was zu einer erheblichen Reduktion der Dosis und ­Nebenwirkungen geführt hat. Heute enthalten sogenannte kombinierte hormonelle Kontrazeptiva am häufigsten EE in Dosen von 15–35 µg sowie ein Gestagen. EE hat eine lange Halbwertzeit und ist – unabhängig von der Anwendungsform (oral, vaginal oder transdermal) – wohl hauptsächlich für die Veränderungen des hämostatischen Systems verantwortlich. Estradiol (körpereigenes Östrogen) und Estradiolvalerat (synthetische 17-Pentonylester des natürlichen Geschlechtshormons Estradiol) werden im Vergleich zu EE rascher zu Estron metabolisiert und beeinflussen die Gerinnungsfaktoren wesentlich weniger. Der prokoagulatorische Effekt von EE wird durch die erniedrigte Konzentration an Protein S, Aktivierung der Protein-C-Resistenz, erhöhte Konzentration der Gerinnungsfaktoren VII und VIII und des Fibrinogens sowie indirekt durch die erhöhte Konzentration der D-Dimere (Abbauprodukte des Fibrins und damit Marker der Fibrinolyse) erklärt. Allerdings konnte der Nachweis einer direkten Korrelation zwischen den oben genannten hämostatischen Surrogatmarkern und dem Risiko einer thrombembolischen Komplikation nicht erbracht werden.
Hormonelle Kontrazeptiva, die nur Gestagene enthalten, gehen nicht mit einem erhöhten Risiko für Thrombembolien einher. Gestagene der ersten Generation, die in den 60er Jahren entwickelt wurden, haben eine ähnliche Struktur wie Testosteron. Androgene Gestagene, sogenannte Gestagene der zweiten Generation (z.B. ­Levonorgestrel) heben die prokoagulatorische Wirkung von EE auf Gerinnungsfaktoren am stärksten auf. Im Vergleich dazu sind Gestagene ohne androgene Par­tialwirkung, sogenannte Gestagene der dritten Generation (z.B. Desogestrel, Gestoden und Norgestimat) respektive Gestagene mit antiandrogener Partialwirkung (z.B. Dienogest, Drospirenon und Cyproteronacetat) schwächere Antagonisten des EE. Möglicherweise spielt daher die Gestagenkomponente der kombinierten oralen Ovulationshemmer eine sekundäre Rolle bei der Inzidenz thrombembolischer Komplikationen. Resultate grosser Observationsstudien sind allerdings widersprüchlich, so dass die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) [6] aufgrund der heutigen Datenlage keinen Anlass sieht, für Erstverschreibungen bei jungen gesunden Frauen ohne Risikofaktoren Zweitgenerationspräparate zu bevorzugen oder Frauen, die bereits eine Drittgenerationspille oder eine Pille mit Drospirenon respektive Cyproteronacetat verwenden, eine andere Pille zu verschreiben.

Venöse thromboembolische Erkrankungen

Die Inzidenz venöser thromboembolischer Erkrankungen (VTE) ist altersabhängig und liegt bei Frauen, die keine kombinierten hormonellen Kontrazeptiva anwenden, im Alter von 15–35 Jahren bei 1–2 und von 35–44 Jahren bei 3–8 pro 10 000 Frauenjahre. Bei Anwendung einer niedrig dosierten Pille (<50 µg EE) verdoppelt sich die Inzidenz auf 5,5–10 pro 10 000 Frauenjahre (20–24 Jahre 3,5/10 000; 30–34 Jahre 7,2/10 000; 40–44 Jahre 15,7/10 000). Im Vergleich dazu beträgt das Risiko gesunder Frauen, in der Schwangerschaft oder im Wochenbett eine VTE zu erleiden, 8–30 per 10 000 Schwangerschaften. Die Mortalität wird bei VTE auf 1–2% geschätzt. Die nicht orale Verabreichung (Vaginalringe, Pflaster) senkt das Risiko nicht. Das Risiko ist vor allem bei Erstanwenderinnen und im ersten Anwendungsjahr (speziell in den ersten 3 Monaten) erhöht, was die Bedeutung der Prädisposition zeigt. Innert dreier Monate nach Absetzen sinkt das erhöhte Risiko wieder auf das altersentsprechende Basisrisiko [6]. Die SGGG empfiehlt bei Erstverschreibungen die Abgabe des «Informationsblattes für Anwenderinnen kombinierter hormonaler Kontrazeptiva» (erhältlich auf www.sggg.ch) und eine klinische Verlaufskontrolle nach drei Monaten. Bei positiver Familienanamnese für VTE sollte eine Thrombophilieabklärung erfolgen [6].

Intrauterine Kontrazeption

Die T-förmige Kupferspirale mit mindestens 380 mm [2] Kupfer gehört zu den effektivsten hormonfreien kontrazeptiven Methoden. Die rahmenlose Kupferkette, die mit einem Knoten im Myometrium verankert wird, und der unbefestigte intrauterine Kupferball sind kleiner, werden allerdings häufiger ausgestossen als T-förmige Spiralen [8, 9].
Die kontrazeptive Wirkung von Kupferspiralen beruht hauptsächlich auf der spermiziden Wirkung der ­Kupferionen sowie der Fremdkörperreaktion des Endometriums, welche die Implantation eines Embryos verhindert. Die Levonorgestrel-haltigen intrauterinen Systeme (LNG-IUS) bewirken zusätzlich eine Atrophisierung des Endometriums und eine Verdickung des Zervikalschleims. Sie sind in zwei Grössen erhältlich – 32 × 32 mm und 28 × 30 mm. Die kleinen LNG-IUS sind gleich gross (28 × 30 mm), enthalten 13,5 mg oder 19,5 mg Levonorgestrel und wirken drei respektive fünf Jahre lang. Die 32×32 mm grossen LNG-IUS haben einen Gesamtgehalt von 52 mg LNG und halten fünf Jahre.
Vor Einlage einer Spirale muss eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden. Eine schriftliche Einwilligung der Frau sollte eingeholt werden. Die SGGG stellt hierfür ein online erhältliches Aufklärungsprotokoll zur Verfügung.
Bei der Einlage der IUS ist der Nutzen von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), topischem Lidocain zur Analgesie und Misoprostol zum Zervix-Priming, um die Konsistenz der Zervix zu verändern («weicher» zu machen), nicht erwiesen. Zudem ist der Einsatz von ­Misoprostol «off label» und die Patientin muss darüber aufgeklärt werden. Wenn eine schwierige Spiraleneinlage erwartet wird, kann ein Zervikalblock in Erwägung gezogen werden. Schmerzen, die nach der Einla­ge auftreten, sprechen in der Regel gut auf NSAR an.
In etwa 5% kommt es zu einer Expulsion der Spirale, am häufigsten in den ersten drei Monaten [9]. Frauen sollten deshalb in regelmässigen Abständen das Vorhandensein der Rückholfäden überprüfen.
Zu den wichtigsten Vorteilen des LNG-IUS gehören die Linderung von Endometriose-assoziierter Dysmenorrhoe und die Reduktion des Blutverlustes bei Hypermenorrhoe. Bei anfänglich auftretenden Zwischenblutungen kann die zusätzliche Gabe eines kombinierten Ovulationshemmers für drei Monate hilfreich sein. Die Oligo-/Amenorrhoe-Rate ist abhängig von der LNG- Dosis, der vorbestehenden Blutungsstärke und dem BMI der Anwenderin und beträgt ein Jahr nach Einlage der grossen LNG-IUS knapp 60 respektive 16% und bei den kleinen IUS je nach LNG-Dosis 10–25% [10, 11].
Ovarialzysten treten bei LNG-IUS häufiger auf und bilden sich in der Regel spontan zurück. Eine routinemäs­sige sonografische Kontrolle ist bei Beschwerdefreiheit nicht nötig. Das Risiko einer ektopen Schwangerschaft ist bei Anwendung von Spiralen zwar geringer als ohne Verhütung, tritt aber eine Schwangerschaft unter liegender Spirale ein, ist das Risiko eines ektopen Sitzes der Schwangerschaft erhöht [12].

Gestagenimplantate und Injektionen von Depotgestagenen (Dreimonatsspritze)

Gestagenimplantate (Etonogestrel) und Injektionen von Depotgestagenen (Medroxyprogesteronacetat) gehören wie die Spiralen zu den sehr effizienten Langzeitverhütungsmethoden. Die Gestagene verhindern die Ovulation und durch Veränderung des Zervixmukus die ­Penetration von Spermien.
Unter Anwendung von Gestagenimplantaten und Depotgestagenen ist das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen kaum erhöht. Gestagenimplantate verändern häufig das Blutungsmuster, meistens treten Blutungen seltener, unregelmässig oder gar nicht auf und sind weniger schmerzhaft. In etwa 25% kommt es allerdings zu verlängerten oder häufigen Blutungen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Anwendung von Gestagenimplantaten und der Zunahme von ­Kopfschmerzen, Gewichtsveränderungen, Stimmungs­schwankungen und Libidomangel konnte nicht nachgewiesen werden [13]. Die neue Generation der Implantate enthält zusätzlich zu Etonogestrel das röntgendichte ­Bariumsulfat, um das Auffinden nicht mehr tastbarer Stäbchen zu erleichtern.
Depotgestagene (Dreimonatsspritze) führen häufiger zu einer Amenorrhoe. Sie eignen sich daher zur Behandlung Endometriose-assoziierter Schmerzen. Eine leichte Verringerung der Knochendichte kann auftreten und ist nach Absetzen der Depotgestagene reversibel. Eine Knochendichtemessung vor oder während der Anwendung ist nicht indiziert. Anwenderinnen sollten auf eine ausreichende Kalzium- und Vitamin-D- Zufuhr sowie körperliche Bewegung achten. Adoleszente (<18 Jahre) Frauen mit einem BMI >30 kg/m2 [2] scheinen ein höheres Risiko für eine Gewichtszunahme zu haben [14]. Frauen sollten informiert werden, dass es nach ­Beendigung der Kontrazeption mit Depotgestagenen bis zu einem Jahr dauern kann, bis wieder ovulatorische Zyklen auftreten [15].

Medizinische Kriterien für die Auswahl

Seit 1996 publiziert die WHO in Zusammenarbeit mit den US-amerikanischen «Centers of Disease Control and Prevention» (CDC) ein evidenzbasiertes Handbuch mit medizinischen Auswahlkriterien für effektive Verhütungsmethoden, die sogenannten «medical eligibility criteria for contraceptive use» (MEC). Es handelt sich ­dabei um eine vierstufige Risikoklassifizierung verschiedener Verhütungsmethoden in bestimmten physiologischen Situationen (z.B. postpartum, Stillen), aber auch bei Begleiterkrankungen der Ratsuchenden. Zur Auswahl stehen effektive, reversible Methoden mit einem niedrigen Pearl-Index, nämlich:
– CHC: kombinierte hormonelle Kontrazeptiva (Pille, Pflaster, Ring);
– POP: Gestagenpille (Minipille);
– Implant: Gestagenimplantat;
– DPMA: Dreimonatsspritze;
– Cu-IUD: Kupferspirale;
– LNG-IUD: Hormonspirale.
Tabelle 3 enthält eine Beschreibung der vier Risikoklassen (Beispiele von Risikoklassifizierungen: Tab. 4 a/b). Für bestimmte Erkrankungen gibt es zudem eine Empfehlung, ob die Verhütungsmethode initiiert respektive weitergeführt werden darf. Die Kombination von Erkrankungen und das Vorliegen von Risikofaktoren werden im Handbuch ebenfalls berücksichtigt.
Tabelle 3: Risikoklassifizierung der Verhütungsmethoden (adaptiert von [1]).
KategorieErklärung
1Keine Restriktion für den Einsatz der Verhütungsmethode (sog. Methode der ersten Wahl).
2Vorteile überwiegen die Risiken der ­Verhütungsmethode.
3Risiken überwiegen die Vorteile der Verhütungsmethode (sog. relative Kontraindikation).
4Es besteht eine inakzeptable Gesundheits­gefährdung. Die Kontrazeptionsmethode ist ­kontraindiziert.
Tabelle 4a: Risikoklassifizierung der Verhütungsmethoden bei Raucherinnen ­
in Abhängigkeit vom Alter.
 CHCaPOPbImplantcDPMAdCu-IUDeLNG-IUDf
Frauen <35 Jahren211111
Frauen >35 Jahre 
 <15 Zigaretten/Tag311111
 >15 Zigaretten/Tag411111
a kombinierte hormonelle Kontrazeptiva; b Gestagenpille; c Gestagenimplantat; d Dreimonatsspritze; e Kupferspirale; f Hormonspirale.
Tabelle 4b: Risikoklassifizierung der Verhütungsmethoden bei venösen ­Thrombembolien (VTE).
 CHCaPOPbImplantcDPMAdCu-IUDeLNG-IUDf
St. n. TVTg / LEh422212
Akute TVT / LE433313
Akute TVT / LE unter OAKi422212
Erstgradig Verwandte mit VTE*211111
Chirurgische Intervention mit längerer Immobilisation422212
Hereditäre ­Thrombophilie422212
Antiphospholipidsyndrom433313
* Bei unauffälligem Thrombophilie-Screening der Anwenderin.
a kombinierte hormonelle Kontrazeptiva; b Gestagenpille; c Gestagenimplantat; d Dreimonatsspritze; e Kupferspirale; f Hormonspirale; g tiefe Venenthrombose; h Lungenembolie; i orale Antikoagulation.

Kontrazeption bei Frauen über 40 Jahre

Frauen über 40 Jahre stellen eine besondere Risikogruppe dar, denn die Abnahme der Fertilität schützt nicht vor einer ungeplanten Schwangerschaft. Obwohl die Verhütung mittels Sterilisation durch Unterbindung der Eileiter oder Vasektomie die häufigste Verhütungsmethode in dieser Altersgruppe ist, zeigen Daten aus den Niederlanden und Grossbritannien, dass die Rate der Schwangerschaftsabbrüche in dieser Altersgruppe drei- bis viermal höher ist als bei Frauen zwischen 31 und 35 Jahren. Hinzu kommt das erhöhte Risiko für Fehlgeburten, fetale Chromosomenstörungen, maternale und neonatale Komplikationen während der Schwangerschaft. Die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt vor der 20. Schwangerschaftswoche beträgt 10% im Alter von 20 Jahren und steigt auf 50% im Alter von 40–44 Jahren und 90% ab 45 Jahren [16].
Ab dem Alter von 40 Jahren rutschen die kombinierten oralen Kontrazeptiva für normalgewichtige, nicht rauchende Frauen aus der Risikokategorie 1 in die Kategorie 2. Diese Risikozunahme muss der Frau mitgeteilt und Alternativen wie Gestagenpille, LNG-IUS, Kupferspirale, Gestagendepot und Gestagenimplantate (alle Risikokategorie 1) müssen mit ihr besprochen werden. Mit dem Einverständnis der Frau können kombinierte orale Kontrazeptiva bei fehlenden zusätzlichen Risiken (Rauchen, Adipositas) weiterverschrieben werden. Voraussetzung ist eine offene Beratung über alle Optionen. Denn wie eine kürzlich durchgeführte, deutschsprachige Online-Umfrage offenbarte, verhütete die Mehrheit der teilnehmenden Frauen zwar mit oralen Kontrazeptiva, wünschte sich aber entgegen der Annahme der behandelnden Gynäkolog(inn)en mehr Informationen über Langzeitverhütungsmethoden [17].
Gemäss epidemiologischer Daten sind 96% aller Frauen im Alter von 55 Jahren postmenopausal, weswegen die englische «Faculty of sexual and reproductive health» das Absetzen kontrazeptiver Methoden im Alter von 55 Jahren empfiehlt [18].

Die Vorteile hormoneller Kontrazeption überwiegen die Nachteile

Hormonelle Kontrazeptiva haben auch nichtkontrazeptive Vorteile. Sie werden erfolgreich in der Behandlung des polyzystischen Ovarsyndroms, der Endome­triose, von starker Akne, Dysmenorrhoe und abnormen uterinen Blutungen eingesetzt. Die Einnahme hormoneller Kontrazeptiva ist mit einem verminderten Risiko für Ovarial-, Endometrium- und Kolonkarzinom assoziiert. Andererseits erhöhen kombinierte hormonelle Kontrazeptiva das Risiko für Venenthrombosen, Brustkrebs und Zervixkarzinom [4, 5, 7].
Schwangerschaft und Geburt sind auch heutzutage nicht ungefährlich. In hochentwickelten Ländern sterben pro 10 000 Lebendgeburten 2–3 Mütter, eine vergleichsweise geringe Anzahl. In Entwicklungsländern ist die Sterblichkeit der Mütter zehnfach höher.
In der Praxis müssen zusammen mit der Frau unter Berücksichtigung von Begleiterkrankungen, Lebensstil und Präferenzen Vor- und Nachteile aller Verhütungsmethoden abgewogen werden.

Ausblicke

Viele der aufgeworfenen Fragen zu Risiko und Nutzen der verschiedenen Verhütungsmethoden sind nach wie vor mit Unsicherheiten belastet, da es keine idealen Studien gibt, die frei von Biases und Confoundern sind, und klassische Clinical Trials nicht durchführbar sind, wenn es um seltene Nebenwirkungen geht. Wir brauchen also weiterhin Post-Marketing-Surveillance in grossem Umfang und es wäre wünschenswert, dass Behörden, Ärzteorganisationen, Pharmaindustrie, Patientenvertretungen in Projekten der praktischen Effizienz und Sicherheit noch enger zusammenarbeiten würden, damit wir aus den modernen Möglichkeiten der Datenerhebung den maximalen Nutzen ziehen können.
Gleichzeitig benötigen wir Forschungen zur Entwicklung von transdermalen und -vaginalen Kombinationspräparten mit Estradiol sowie Forschungen zu neuen Östrogenen wie Estetrol, ebenso wie zu neuen Gestagenen und neuen Applikationsformen sowie zu neuen Formen der natürlichen Familienplanung, die neue digitale Techniken nutzen.
Was unsere Patientinnen brauchen, ist eine fundierte, individualisierte Verhütungsberatung, die aufzeigen kann, dass bei jeder Entscheidung für eine Verhütungsmethode Vor- und Nachteile individuell gegeneinander abgewogen und besprochen werden müssen.

Das Wichtigste für die Praxis

• Bei Begleiterkrankungen, die im Falle einer ungeplanten Schwangerschaft zu erheblicher Gefährdung von Mutter und Kind führen, braucht es eine maximal sichere Verhütungsmethode. Die WHO «medical eligibility criteria for contraceptive use» sind eine praktische Hilfe bei der Wahl der richtigen Verhütungsmethode.
• Eine weitere Risikogruppe sind Frauen über 40 Jahre, die oft von un­gewollten/ungeplanten Schwangerschaften betroffen sind. Auch sie brauchen trotz sinkender Fekundität eine sichere Verhütungsmethode.
• Kombinierte hormonelle Kontrazeptiva erhöhen das Risiko für Venenthrombosen. Das Risiko für ein Mammakarzinom ist möglicherweise leicht erhöht. Andererseits ist das Risiko für Kolon-, Endometrium- oder Ovarialkarzinom verringert.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Rebecca Moffat
Universitätsspital Basel
Spitalstrasse 21
CH-4031 Basel
rebecca.moffat[at]usb.ch
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