Checklisten: Verbesserung der Sicherheit im Operationssaal
Notfall-Checklisten und Simulationstrainings ergänzen Standard-Checklisten

Checklisten: Verbesserung der Sicherheit im Operationssaal

Übersichtsartikel
Ausgabe
2019/1516
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08088
Swiss Med Forum. 2019;19(1516):268-271

Affiliations
Departement für Anästhesie, Kantonsspital Baden AG

Publiziert am 10.04.2019

Analog zur Aviatik helfen Checklisten auch im Operationssaal dabei, dass Behandlungsschritte nicht vergessen gehen und Handlungsabläufe in der vorgesehenen Reihenfolge durchgeführt werden.

Einführung

Checklisten werden seit Jahrzehnten erfolgreich in der Luftfahrt eingesetzt. Sie bestehen aus sequentiell angeordneten Handlungsanweisungen, die Kontrollen und Aktionen in der richtigen Reihenfolge enthalten. Piloten arbeiten vom Start bis zum Ausstieg aus der Maschine mit Checklisten – sowohl bei Routinearbeiten als auch bei Zwischenfällen –, damit sichergestellt wird, dass Abläufe korrekt sind und keine wichtigen Schritte vergessen gehen. Die konsequente Anwendung hat in den letzten Jahren seit der verpflichtenden Einführung die Flugsicherheit dramatisch erhöht.
Checklisten im Operationssaal sind prinzipiell nichts Neues. Im Kantonsspital Baden arbeiten wir im perioperativen Setting bereits seit 2014 mit Checklisten, seitdem wir bei dem inzwischen schweizweit bekannten Projekt «progress! – sichere Chirurgie» ­(WHO-Checkliste; www.patientensicherheit.ch/pilotprogramme-progress/sichere-chirurgie) ein Pi­lot­spital ­waren. Im Rahmen dieser Checkliste wird ein «sign-in» [1] beim Einschleusen des Patienten in den Opera­tionstrakt durchgeführt, das die Patientenidentität ­sowie die geplante Operation auf der korrekten Seite bestätigt. Zudem werden Fakten wie Diagnosen, Nüchternheit, Intubationsanatomie, Allergien etc. nochmals hervorgehoben.
Vor der Narkoseeinleitung wird vom Anästhesieteam ein weiterer anästhesiespezifischer Check durchgeführt, die «Ready for Induction»-Checkliste. Dabei wird gemeinsam überprüft, ob sämtliche Medikamente, Maschinen, Intubationsmaterialien bereit respektive funktionstüchtig sind.
Vor Beginn einer Operation kommt wiederum die oben erwähnte WHO-Checkliste zur Anwendung. In Anwesenheit aller involvierten Fachrichtungen (Anästhesie, Chirurgie, operationstechnische Assistenten) wird ein gemeinsames «team time-out» durchgeführt, das nochmals die Vorstellung aller anwesenden Personen beinhaltet und Patientendaten, Eingriff, Allergien und mögliche Schlüsselstellen während des Eingriffs berücksichtigt.
Nach erfolgreichem Beenden der Operation erfolgt ein abschliessendes «sign-out», welches das weitere Prozedere (Verlegung, spezielle Verordnungen etc.) des Patienten betrifft.
Eine Operation und das Abarbeiten der dazu gehörigen Checkliste sind täglich wiederkehrende Routinevorgänge. Einen ebenso grossen Nutzen haben Checklisten bei unvorhersehbaren Situationen, möglicherweise noch in den Nachtstunden oder an Wochenendtagen, wenn Teams zusammen arbeiten, die sich unter Umständen nur wenig kennen. In diesen Momenten kann es zu Stress und Unachtsamkeit des Personals kommen, was dazu führt, dass wichtige Basismassnahmen, Therapiepunkte und Behandlungskonzepte vergessen gehen. Da wir, wie oben erwähnt, bereits effektiv mit Checklisten arbeiten, haben wir in Anlehnung an die «Stanford Cognitive Aid Group» [2] unsere «Digital Emergency Checklists» entworfen. In der Literatur beschriebene Simulationsstudien zeigen regelmässig, dass der Outcome eines Patienten nach einer Notfall­situa­tion besser ist, wenn mit Checklisten gearbeitet wird [3]. Um adäquat und effektiv mit diesen Check­listen arbeiten zu können, ist es jedoch unumgänglich, dass das Personal den Umgang damit versteht und sich in immer wiederkehrenden Übungen mit diesen vertraut macht.
Im Kantonsspital Baden sind die «Digital Emergency Checklists» Teil des Einarbeitungskonzeptes neuer Mitarbeiter. Wir führen regelmässig stattfindende Fortbildungen durch (u.a. Assistentenfortbildungen), in denen die «Digital Emergency Checklists» detailliert vorgestellt und durchgespielt werden, um das Bewusst­sein über deren Vorhandensein und gezielte Anwendung zu fördern. Zudem finden monatlich dreistündige Simulationstrainings statt, in denen in kleinen Teams, bestehend aus Kaderarzt, Assistenzarzt und Pflegepersonal, die Anwendung der Checklisten fallspezifisch trainiert wird. Jeder Mitarbeiter hat so dieMöglichkeit, einmal im Jahr an einem Simulations­training teilzunehmen.

Definition «Digital Emergency Checklists»

Unsere «Digital Emergency Checklists» sollen das anästhesiologische Team in unvorhersehbaren und seltenen Akutsituationen unterstützen und eine schnelle, adäquate Therapie gewährleisten. Solche Situationen stellen für das gesamte Team eine Herausforderung dar. Es müssen zeitnah Prioritäten gesetzt und Therapieabläufe festgelegt werden. Teams sollen nach klar definierten Regeln und Prozessen arbeiten können.
In den «Digital Emergency Checklists» wird das dia­gnostische und therapeutische Vorgehen in lebensbedrohlichen, perioperativ auftretenden Situationen kurz und prägnant wiedergegeben. Wir entwerfen mit Absicht nur eine digitale Form und verzichten somit bewusst auf eine Papierform. So können Anpassungen gemäss den aktuell geltenden Behandlungs-Guide­lines einfach umgesetzt werden. In der konkreten Notfallsituation haben alle Team-Mitglieder dieselbe, aktuelle Version.

Anforderungen an Checklisten

Unser Ziel ist es, angelehnt an die Aviatik klare und einfach strukturierte Checklisten für Ärzte- und Pflegepersonal der Anästhesie unabhängig ihrer Erfahrung und Hierarchiestufe zu entwerfen. Die beschriebenen Abläufe in den entsprechenden Notfallszenarien sollen für alle Beteiligten jederzeit zugänglich sein, wodurch die medizinische Notfallversorgung nachhaltig verbessert werden soll. Die Checklisten sollen einfach, klar und übersichtlich in Form und Inhalt gestaltet sein, sodass jede in der Anästhesie tätige Person diese auch ohne regelmässiges Training verstehen und anwenden kann.

Wirksamkeit von Checklisten

In Anlehnung an die «Stanford Anaesthesia Cognitive Aid Group» [2] haben wir beim Entwurf unserer Checklisten die aktuelle Datenlage mithilfe der Suchmaschine Pubmed hinzugezogen. Lelaidier et al. [4] beschreiben in ihrer randomisierten Cross-over-Simulationsstudie, dass Teilnehmer mithilfe einer Checkliste in der technischen Leistung, wie zum Beispiel der Behandlung einer malignen Hyperthermie respektive einer Intoxikation mit Lokalanästhetika, einen besseren Outcome hatten. Zudem schnitt diese Gruppe auch hinsichtlich der nichttechnischen Leistung (Kommunikation, Leadership, Entscheidungsfindung und Problemlösung) besserab. Auch die randomisiert kontrollierte Studie von St. ­Pierre et al. [5], bei der es um die Behandlung eines akuten TUR-Syndroms ging, zeigte eine bessere Adhärenz an den entsprechenden Behandlungsalgorithmus, im Vergleich zum Team, das ohne Checkliste arbeitete.

Umsetzung am Kantonsspital Baden

Grundlage für die «Digital Emergency Checklists» des perioperativen Bereichs des Kantonsspitals Baden ist die deutsche Übersetzung «Merkhilfen für perioperative Zwischenfälle» vom März 2017 (Abb. 1), die auf der englischen Originalversion 3.1 «Emergency Manual – Cognitive Aids for Perioperative Critical Events» aus dem Herbst 2016 der «Stanford Anaesthesia Cognitive Aid Group» basiert. Die «European Society of Anaesthesiology» hat vergleichbare Checklisten publiziert. Aufgrund persönlicher Beziehungen des Chefarztes der Anästhesie des Kantonsspitals Baden zur Stanford-Gruppe haben wir uns für die amerikanische Variante entschieden. Inhaltlich unterscheiden sich die beiden Versionen kaum. Uns sprach allerdings die übersichtlichere Gliederung der amerikanischen Version an.
Abbildung 1: Die deutsche Version des «Emergency Manual – Cognitive Aids for Perioperative Critical Events» der «Standford Anesthesia Cognitive Aid Group» [6] diente als Grundlage bei der Erstellung der «Digital Emergency Checklists des Kantonsspitals Baden.
Das Dokument wurde inhaltlich angepasst, da in der Schweiz die Medikamentennamen anders lauten oder in anderen Ampullengrössen erhältlich sind. Zudem wurde das Dokument gestalterisch modifiziert.
Die Checklisten (Abb. 2) sind fortlaufend in einem ­interaktiven PDF-Dokument auf dem Intranet des Kantonsspitals Baden abgelegt und auf den Desktops aller Rechner im perioperativen Bereich verlinkt. So kann das PDF in einer dringlichen Akutsituation mit einem Mausklick geöffnet werden. Dank der Interaktivität des PDF-Dokuments kann man über Links direkt in die gewünschte Checkliste navigieren. Die Einführung der «Digital Emergency Checklists» erfolgte im April 2018.
Abbildung 2: Beispiel einer «Digital Emergency Checklist» des Kantonsspitals Baden.
Sollte man sich einmal in der Umgebung ausserhalb des perioperativen Bereichs befinden und gerade keinen Computer in der Nähe haben, gibt es eine Smartphone-basierte, ebenfalls interaktive Version des Dokuments, sodass man jederzeit und überall an die gewünschten Informationen gelangen kann.
Eine Beurteilung, wie häufig die Checklisten seit Einführung zum Einsatz kamen und ob im Alltag tatsächlich Fehler vermieden werden konnten, ist bisher nicht erfolgt. Wir planen aber, dies prospektiv zu erheben.

Einteilung der Checklisten

In Analogie zum international bekannten ABCDE-Schema in der Versorgung von Traumapatienten haben wir unsere «Digital Emergency Checklists» am Kantonsspital Baden entsprechend gegliedert. Die Idee dahinter ist die schnelle, zuverlässige und prioritätenorientierte Erfassung sowie die zielgerichtete Einleitung von Behandlungsmassnahmen der bedrohlichsten Störungen der Vitalfunktionen («treat first what kills first»). Eine Übersicht über die Einteilung unserer «Digital Emergency Checklists» findet sich in Tabelle 1.
Tabelle 1: Übersicht über die Einteilung der«Digital Emergency Checklists» des ­Kantonsspitals Baden.
ProblemkategorieLeitsymptom/Verdachtsdiagnose
A-ProblemeUnerwartet schwieriger Atemweg
B-ProblemeBronchospasmus
Hypoxämie
Pneumothorax
C-ProblemeAnaphylaxie
Asystolie
Hypotonie
Instabile Bradykardie
Instabile Kammertachykardie – Kammerflimmern
Instabile supraventrikuläre Tachykardie
Myokardischämie
Pulslose elektrische Aktivität (PEA)
Stabile supraventrikuläre Tachykardie
Venöse Luftembolie
D-ProblemeVerzögertes Aufwachen
FeuerFeuer am Patienten
GeburtshilfeFruchtwasserembolie
Hilfreiche TelefonnummernHilfreiche Telefonnummern
MetabolischMaligne Hyperthermie
RegionalanästhesieLokalanästhetika-Intoxikation
Totale Spinalanästhesie
TechnischesO2-Ausfall
Stromausfall im Operationstrakt
TransfusionTransfusionsreaktion
Hämorrhagie – Massentransfusion

Limitationen

Eine erschwerte Handhabung der «Digital Emergency Checklists» kann in personell weniger gut besetzten Diensten, vor allem im Nachtdienst, auftreten, da bei eingeschränkten personellen Ressourcen alle Hände direkt am Patienten gebraucht werden.
Simulationsszenarien müssen in regelmässigen zeitlichen Abständen im gesamten anästhesiologischen Team trainiert werden, um eine sichere Handhabung der Checklisten gewährleisten zu können und Sicherheit in deren Anwendung zu vermitteln.

Schlussfolgerungen

Voraussetzung der im Kantonsspital Baden angewendeten «Digital Emergency Checklists» für ein effektives Arbeiten innerhalb des Teams und eine adäquate Behandlung des Patienten in Notfallsituationen sind regelmässige Schulungen des Personals. Sowohl durch die digitale Präsenz in unserem Intranet als auch in der Smartphone-Variante ist es jedem Mitarbeiter der Anästhesie überall und jederzeit möglich, sich mit den «Digital Emergency Checklists» vertraut zu machen und sein Wissen zu vertiefen. Eine ständige und unkomplizierte Aktualisierung der Checklisten gemäss dem aktuellen Wissensstandard ist durch unsere digitale Version gewährleistet. Fehler, die in Stresssituationen auftreten, nehmen deutlich ab, da einem fixen Handlungsalgorithmus gefolgt wird. Das Gefühl der Sicherheit des gesamten Teams der Anästhesie in Baden spiegelt den Erfolg und die allseits positive Resonanz der «Digital Emergency Checklists» in selten auftretenden Situationen im Operationsalltag wider.
Weitere Studien sind nötig, um den Nutzen von anästhesiespezifischen Checklisten zu evaluieren. Ausserdem wäre es interessant zu erheben, wie viele Spitäler in der Schweiz bereits mit anästhesiespezifischen Checklisten arbeiten.

Das Wichtigste für die Praxis

• Analog zur Arbeit der Piloten im Cockpit helfen uns Checklisten auch im Operationssaal dabei, Wesentliches in der Patientenbehandlung nicht zu vergessen. Unerwartet schwerwiegende Situationen im Operationsalltag werden so rasch erkannt und ruhig und systematisch bewältigt.
• Klare, einfach strukturierte Checklisten in digitaler Form sorgen für die Initiierung adäquater Behandlungsschritte. Von besonderer Bedeutung dabei ist, dass das richtige Leitsymptom erkannt respektive die richtige Verdachtsdiagnose gestellt wird.
• Regelmässige Simulationsszenarien gewährleisten die optimale Handhabung der «Digital Emergency Checklists» in Akutsituationen.
• Wir verfolgen mit den Checklisten das Ziel, die Patientensicherheit zu erhöhen und den Outcome unserer Patienten nachhaltig zu optimieren.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Birgit Menzli-Schuster,
dipl. Ärztin
Departement für Anästhesie
Kantonsspital Baden AG
Im Ergel 1
CH-5404 Baden
birgit.menzli[at]ksb.ch
1 Haynes AB, Weiser TG. A surgical safety checklist to reduce morbidity and mortality in a global population. N Engl J Med. 2009;360(5):491–9.
2 Emergency manual [Internet]. Stanford Medicine, emergency manual, Available from: http://emergencymanual.stanford.edu/downloads.html
3 Marshall SD. Helping experts and expert teams perform under duress: an agenda for cognitive aid research. Anaesthesia. 2017;72(3):289–95.
4 Lelaidier R, Boet S, Faure A, Lilot M, Lecomte F, et al. Use of a hand-held digital cognitive aid in simulated crises: the MAX randomized controlled trial. Br J Anaesth. 2017;119(5):1015–21.
5 St Pierre M, Breuer G, Strembski D, Schmitt C, Luetcke B. Does an electronic cognitive aid have an effect on the management of severe gynaecological TURP syndrome? A prospective, randomised simulation study. BMC Anesthesiol. 2017;17(1):72.