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Hintergrund
Der Begriff «Porzellanaorta» wird dann verwendet, wenn die Aorta (vor allem die Aorta ascendens) ausgeprägte, meist zirkumferentielle Verkalkungen aufweist. Bei kardiologischen und herzchirurgischen Eingriffen spielen Verkalkungen der Aorta ascendens und des Aortenbogens eine grosse Rolle, weil interventionelle und/oder chirurgische Manipulationen im Bereich der Aorta ascendens und proximal vom Abgang der supra-aortalen Äste im Aortenbogen zu zerebralen, peripheren und seltener viszeralen Embolisationen führen können. Diese stellen ein grosses Risiko für Schlaganfall mit bleibenden neurologischen Schäden dar. Aortendissektion und -ruptur sind seltener [1–3]. Patienten mit Porzellanaorta benötigen eine individuelle therapeutische Strategie, die im Herz-Team festgelegt werden sollte.
Fallbericht
Anamnese
Ein 71-jähriger Patient litt seit Monaten an progredienter Dyspnoe bei bekannter schwerer Aortenklappenstenose mit mittelschwerer Insuffizienz und schwerer koronarer 3-Gefässerkrankung. Eine ostiale Stenose des Ramus interventricularis anterior (RIVA) wurde von den Kardiologen wegen ausgeprägter Verkalkungen als nicht geeignet für eine Katheterintervention beurteilt. Anamnestisch wies der Patient einen Zustand nach chirurgischer Resektion eines Pharynxkarzinoms im Jahre 1972 auf mit adjuvanter strahlentherapeutischer Behandlung.
Status und Befunde
Als wesentlicher kardiovaskulärer Befund bestand eine ausgeprägte, postaktinische Verkalkung im Bereich der Aorta ascendens (Abb. 1).
Der Patient litt unter residualen Schluckstörungen als Folge des radikalen Pharynxeingriffs. Zusätzliche Risikofaktoren waren eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, eine periphere und zerebrale arterielle Verschlusskrankheit, eine leichte Niereninsuffizienz sowie eine mittelschwer eingeschränkte linksventrikuläre Funktion (LV-EF 40%). Mit einem errechneten Euroscore I von 34,2% sowie Euroscore II von 12,6% gehörte der Patient in die Hochrisikogruppe. Die verkalkte Aorta ascendens wurde als Risikoraktor nicht berücksichtigt, da es bis anhin nicht in die Euroscore-Berechnung aufgenommen wurde.
Nach Evaluation aller Befunde im interdisziplinären Herz-Team wurde – nicht zuletzt wegen der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit – ein klassischer chirurgischer Eingriff empfohlen, wobei für den Klappenersatz ein «Hybridverfahren» im Sinne einer offenen TAVI-Prothesenimplantation (TAVI = Transkatheter-Aortenklappenimplantation) geplant wurde.
Therapie
Der Operationszugang erfolgte durch mediane Sternotomie. Intraoperativ konnte die ausgeprägte Porzellanaorta bestätigt werden, allerdings waren die Verkalkungen auf die proximale Aorta ascendens beschränkt. Zusätzlich zeigten sich erhebliche Verdickungen mit Verkalkungen am Epikard und am Truncus pulmonalis (Abb. 2).
Der Eingriff wurde am normothermen kardiopulmonalen Bypass durchgeführt. Die arterielle Kanülierung erfolgte im proximalen Aortenbogen und die Abklemmung im Bereich des kranialsten, nicht verkalkten Teils der Aorta ascendens. Die linke Brustwandarterie (Arteria thoracica interna) wurde auf den Ramus interventricularis anterior anastomosiert. Die Aorta ascendens wurde deutlich kranialer als üblich in einem Bereich ohne Verkalkungen eröffnet. Unter direkter Sicht wurden die schwerst verkalkte Aortenklappe reseziert und der Aortenklappenanulus entkalkt. Nach Ausmessen des Anulus wurde eine entsprechende ballonexpandierbare TAVI-Klappe (Edwards Sapien 3, Grösse 26 mm) vorbereitet und unter direkter Sicht implantiert. Dies ermöglichte eine ideale Positionierung der Klappe in den nativen Anulus. Da die Verankerung der TAVI-Klappe nicht wie üblich in der verkalkten nativen Klappe erfolgte, wurde sie mit zwei Prolene-Nähten im Bereich des Aortenklappenanulus gesichert.
Die Entwöhnung vom kardiopulmonalen Bypass war unproblematisch; die Aortenklemmzeit betrug 63 Minuten.
Verlauf
Der früh-postoperative Verlauf war unauffällig. Die Lage und Funktion der Aortenklappenprothese waren normal (Abb. 3). Es traten keine kardialen oder zerebralen Komplikationen auf.
Bei vorbestehenden Schluckstörungen infolge Resektion und Bestrahlung des Pharynx war der Verlauf wegen rezidivierender Aspiration und Pneumonie verzögert. Der Patient konnte nach einer verlängerten Hospitalisationszeit in gebessertem Zustand in die stationäre Rehabilitation entlassen werden.
Diskussion
Verkalkungen der Aorta ascendens werden bei bis zu 6–8% aller Patienten beobachtet, bei denen eine koronare Revaskularisation oder ein Aortenklappenersatz vorgesehen ist [1, 4]. Dies kann zu einer deutlichen Steigerung der neurologischen Komplikationsrate führen [2, 3, 5]. Aus diesem Grund wird die sogenannte Porzellanaorta heute als relative Kontraindikation zu einem konventionellen chirurgischen Eingriff betrachtet. Die Empfehlungen der europäischen Gesellschaften für Kardiologie und Herzchirurgie betrachten die Porzellanaorta als Befund, bei dem ein kathetertechnisches Verfahren in der Regel bevorzugt werden sollte [6]. Auch amerikanische Veröffentlichungen unterstützen diese Einstellung [7]. Bereits in den 1980er-Jahren wurden Strategien definiert, um das Risiko einer potentiellen, unkontrollierbaren Embolisation während eines herzchirurgischen Eingriffs zu vermeiden. Dazu zählen 1. die periphere Kanülierung für den arteriellen Rückfluss (iliakal oder axillär), 2. die intraluminale Ballonokklusion der Aorta anstelle einer Abklemmung von aussen, 3. der hypotherme Kreislaufstillstand, um den Ort der Abklemmung besser zu kontrollieren respektive die verkalkte Aorta ohne Abklemmungsbedarf zu ersetzen, und schliesslich 4. die sogenannte «no aortic touch»-Technik bei der koronaren Revaskularisation mit T- oder Y-Anastomosen ohne Berührung der Aorta, am schlagenden Herzen [8–11].
Im vorliegenden Fall erfolgte, nach Rücksprache mit den Kardiologen, die Implantation einer TAVI-Klappe unter direkter Sicht, was eine ideale Positionierung der Klappe in den nativen, entkalkten Anulus ermöglichte, obwohl die Aorta deutlich kranialer als üblich eröffnet wurde und dadurch der Zugang zur Aortenwurzel etwas erschwert war.
Die Planung eines solchen Eingriffs wird in enger Zusammenarbeit mit Kardiologen und Anästhesisten durchgeführt. Die präzise Analyse der Verteilung von Verkalkungen, die Auswahl des optimalen Ortes für die arterielle Kanülierung, die Art des zerebralen Schutzes und schliesslich die Definition der minimalen und maximalen Varianten sind wichtige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Eingriff.
Die hier beschriebene «Hybrid-Prozedur» ist eine moderne chirurgische, interventionelle Möglichkeit zur Lösung dieses Problems. Eine klassische TAVI-Implantation wurde als Option für die Behandlung der Aortenklappenstenose wegen der peripher-arteriellen Verschlusskrankheit nicht weiter verfolgt. Ein transapikaler Zugang wäre möglich gewesen, die Revaskularisation des RIVA hätte grundsätzlich auch durch diesen lateralen Zugang erfolgen können; letzterer stellt in unserer Klinik kein Standardverfahren dar. Zudem sind nach Bestrahlung des Mediastinums und schwerer Aortenklappenstenose die Resultate der klassischen TAVI mit einer erhöhter Rate von Migration der TAVI-Klappe sowie von Aortenanulusruptur verbunden [12].
Die in diesem Fall angewendete Technik hatte den Vorteil, dass die native stark verkalkte Aortenklappe komplett reseziert und der Aortenklappenanulus vollständig entkalkt werden konnten. Dies wirkt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit auf die Rate der paravalvulären Leckagen günstig aus, Als Alternative wäre die Implantation einer nahtlosen «sutureless» Klappe (zum Beispiel die Perceval® von Liva Nova oder die Intuity®-Klappe von Edwards) gewesen. Da wir ähnliche Eingriffe mit unseren Kardiologen bereits bei Aorten- wie auch bei Mitralklappenfehlern durchgeführt haben, fiel es uns leicht, die Katheterklappe zu verwenden [13, 14].
Es scheint uns erforderlich, dass die zukünftige Generation von Herzchirurgen die strategischen Möglichkeiten herzchirurgischer Eingriffe bei Vorliegen einer Porzellanaorta kennt und praktiziert. Dies bleibt wichtig für Patienten, bei denen eine TAVI-Prozedur noch nicht indiziert sein sollte oder ausnahmsweise nicht praktikabel wäre.
Das Wichtigste für die Praxis
• Eine Porzellanaorta ist keine Kontraindikation für eine Herzoperation.
• Eingriffe am Herzen sind bei Patienten mit Porzellanaorta praktisch immer machbar. Sie benötigen jedoch eine sorgfältige Evaluation innerhalb eines Herz-Teams.
• Hybrid-Verfahren können bei solchen Eingriffen von Vorteil sein.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Prof. Dr. Dr. med.
Thierry Carrel
Universitätsklinik für
Herz- und Gefässchirurgie
Inselspital
CH-3010 Bern
thierry.carrel[at]insel.ch
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