Stuhlinkontinenz, Teil 2
Therapie

Stuhlinkontinenz, Teil 2

Übersichtsartikel AIM
Ausgabe
2019/2122
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08242
Swiss Med Forum. 2019;19(2122):349-353

Affiliations
Universitätsklinik für viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Bern

Publiziert am 22.05.2019

Nachdem im ersten Teil dieses Artikels Ursachen und Diagnostik der Stuhlinkontinenz zur Sprache gekommen waren, behandelt der vorliegende Teil die aktuell empfohlenen konservativen und chirurgischen Therapiemöglichkeiten.

Einleitung

Prinzipiell ist die Stuhlinkontinenz ein behandelbares Krankheitsbild. Eine konservative Therapie führt in vielen Fällen bereits zu einer relevanten Symptomverbesserung, womit die Notwendigkeit weitergehender Abklärungen oft entfällt. Umso wichtiger scheint uns, Symptome aktiv zu erfragen und eine entsprechende Basistherapie (s. auch Abb. 1 in Teil 1 dieses Artikels [1]) zügig einzuleiten.
Die im Folgenden beschriebenen Therapiemass­nahmen richten sich nach den Empfehlungen kürzlich erschienener Übersichtsarbeiten. Erste Therapieoptionen sind wegen der guten Erfolgsaussichten und fehlender Morbidität immer konservativ.

Allgemeine Massnahmen

Patientenaufklärung

Die Therapie beginnt mit einer ausführlichen Aufklärung der Patientinnen und Patienten bezüglich der physiologischen Abläufe der Defäkation und Funktion des Kontinenzorganes. Obwohl es hierzu keine Untersuchungen gibt, erachten wir es als äusserst wichtig, die erhobenen pathologischen Befunde in allen Details mit den Betroffenen zu besprechen. Ohne genaue und wiederholte Besprechung der Therapiemassnahmen hat die multimodale und zum Teil langwierige Stuhlinkontinenztherapie deutlich weniger Aussichten auf Erfolg.

Verhaltensmassnahmen

Als erste Massnahme sollten Nahrungsmittel und Aktivitäten mit negativem Einfluss auf die Kontinenz nach Möglichkeit gemieden werden. Typischerweise sollte auf alkoholische sowie koffeinhaltige Getränke, stark fetthaltige oder gewürzte Speisen, exzessiven Früchteverzehr sowie auf Produkte mit künstlichen Süssstoffen verzichtet werden. Das FODMAP-Ernährungskonzept (FODMAP = fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole) setzt auf die Vermeidung respektive Reduktion von kurzkettigen Kohlenhydratverbindungen in der Ernährung, was auch die Beschwerden von Pa­tienten mit Stuhlinkontinenz über eine Stuhlgangregulation positiv beeinflussen kann. Wir empfehlen bei Bedarf eine grosszügige Rücksprache mit den Spezialisten der Ernährungstherapie. Verhaltensmassnahmen wie der Versuch, die Defäkation zu einem bestimmten Zeitpunkt des Tages durchzuführen, oder ein bewusstes Anspannen des Sphinkters vor Aktivitäten, die bekannterweise zu ungewolltem Stuhlabgang führen, können die Inkontinenzproblematik ebenso verringern. Zur ­genaueren Erfassung solcher Zusammenhänge empfehlen wir den Patienten, ein Ernährungstagebuch und ein Stuhlprotokoll zu führen.

Hygiene

Ein weiterer symptomatischer Grundpfeiler der Basistherapie ist eine gute perianale Hygiene. Das Anoderm sollte sauber (Duschen, Klosomat, Feuchttücher etc.) und trocken gehalten werden. Ausgiebiges Reinigen nach dem Stuhlgang mit trockenem Toilettenpapier sollte unbedingt vermieden werden, da dies durch Friktion zu Hautabschürfungen und damit zu einer Verschlechterung der Symptomatik führen kann. Die Verwendung von Inkontinenzeinlagen schützt das Anoderm wie auch die Kleidung. Bei trockener und stark beanspruchter Haut empfehlen wir die Verwendung einer schützenden (z.B. zinkhaltigen) Hautcreme.

Medikamentös-konservative Therapie

Stuhlregulation

Das Ziel der Stuhlregulation sind regelmässige Stuhlgänge von normaler Konsistenz. Sowohl chronische Obstipation wie auch Diarrhoe können ursächlich mit Inkontinenz vergesellschaftet sein und sollten behandelt werden. Neben diätetischen Anpassungen verwenden wir in der Praxis mit gutem Erfolg Stuhlregula­toren auf Basis von Flohsamen. Die Verbesserung der Stuhlkonsistenz und die Erhöhung des Stuhlvolumens kann bereits nach kurzer Therapiedauer zu einer signifikanten Verbesserung der Inkontinenzbeschwerden führen. Als Nebenwirkung können vorübergehend Blähungen auftreten. Eine gute Patienteninformation und eine konsequente Einnahme des Produktes sind Grundvoraussetzungen für den Erfolg. Bei Patienten mit reduzierter rektaler Compliance, wie etwa bei Proktitis, Strikturen und Stenosen, sollten Flohsamen mit Vorsicht eingesetzt werden. Hier können Inkontinenzbeschwerden durch die Therapie aggraviert werden. In Alters- und Pflegeheimen finden sich überproportional viele Patienten mit Überlaufinkontinenz aufgrund von Stuhlimpaktation im Rektum. Der impaktierte Stuhl sollte ausgeräumt und zur Rezidivprophylaxe eine konsequente Stuhlregulation eingeleitet werden.

Beckenbodentraining/Beckenbodenphysio­therapie mit Biofeedbacktraining

Allgemeines Beckenbodentraining sollte unserer Meinung nach immer als konservative Massnahme empfohlen werden. Simple Übungen können anhand von Broschüren selbstständig von den Patientinnen und Patienten erlernt und durchgeführt werden. Es existieren kein Konsensus oder Richtlinien, wie diese Art von Beckenbodentraining instruiert werden soll. Studien zeigen jedoch insgesamt einen positiven Effekt dieser Therapie [2]. Ebenso ist die spezialisierte Beckenbodenphysiotherapie mit Biofeedback ein wichtiger Bestandteil der Inkontinenztherapie. Es soll eine im normalen Alltag wenig wahrgenommene Körperfunktion willkürlich beeinflusst und trainiert werden. Dabei wird spezifisch die Stärkung der Beckenbodenmuskulatur und eine isolierte Innervation der Beckenbodenmuskulatur angestrebt. Zudem wird die Verbesserung der Wahrnehmung und Toleranz von rektalen Dehnungsreizen sowie die Koordination der verschiedenen an der Defäkation beteiligten Strukturen trainiert. Nach einer Instruktionsphase durch in spezialisierter Beckenbodenphysiotherapie ausgebildete Fachkräfte kann der Patient auch hier entsprechende Übungen selbstständig durchführen. Studien konnten eine Erhöhung des Sphinkterkneifdruckes und eine Abnahme inadäquater Bauchwandkontraktionen nach dieser Therapie zeigen [2]. Des Weiteren fanden sich Verbesserungen im Bereich der rektalen Sensibilität sowie eine Verkürzung des rektoanalen Reflexes (Verzögerung zwischen Dehnungsreiz im Rektum und Kontraktion des externen Sphinkters) [3]. Problematisch beim Beckenbodentraining ist sicherlich das Fehlen eines standardi­sierten Behandlungsprotokolls. Trotz allem zeigt das Beckenbodentraining generell eine hohe Patientenzufriedenheit und wir empfehlen grundsätzlich immer eine Beckenbodenphysiotherapie nach ineffizienter konservativer Basistherapie, auch aufgrund der praktisch nicht vorhandenen Nebenwirkungen. Wenig Erfolgschancen der Beckenbodentherapie sehen wir bei Patientinnen und Patienten mit grossem strukturellem Defekt im Sphinkterapparat, isolierter Schwäche des internen Sphinkters, Überlaufinkontinenz, neurolo­gischen Pathologien mit Verlust der rektalen Wahrnehmung oder fehlendem Innervationsvermögen des externen Sphinkters.
Spezialisierte Physiotherapien finden sich beispielsweise auf der Homepage www.pelvisuisse.ch.

Medikamentöse Massnahmen

Die medikamentöse Therapie der Stuhlinkontinenz verfolgt zwei Hauptziele: (1.) eine Reduktion der Stuhlfrequenz und (2.) eine Verbesserung der Stuhlkonsistenz. Wie in einer «Cochrane Review» von 2013 zusammengestellt, sind keine fundierten Daten für eine spezifische medikamentöse Therapie zur Behandlung der Stuhlinkontinenz verfügbar. Einzig der Einsatz von Loperamid bei flüssigem Stuhl hat einen gesicherten ­Effekt. Loperamid wirkt sich positiv auf die Stuhlkonsistenz und damit auch auf die Urge-Symptomatik aus. Vor einem Therapieversuch mit Loperamid sollte die Ursache der Diarrhoe jedoch geklärt werden [4]. Einem ungeklärten Durchfall kann gelegentlich ein Galle­säureverlustsyndrom zugrunde liegen, weshalb eine ­Therapie mit Cholestyramin zu einer Besserung der ­Diarrhoe und somit der Inkontinenzbeschwerden führen kann.
Gute Patientenaufklärung, Normalisierung der Stuhlkonsistenz und Verhaltensmassnahmen zeigten in einer randomisierten Studie von Heymen et. al. [2] eine Reduktion der Inkontinenzrate um 60% und ein gänz­liches ­Sistieren der Inkontinenz bei 21% der Patienten.

Transanale Irrigation

Die intermittierende, transanale Irrigation ist eine ältere Methode zur symptomatischen Behandlung von Defäkationsproblemen und Inkontinenz. Verschiedene Studien konnten eine Verbesserung der Lebensqualität ­sowohl im kurzzeitigen wie auch im Langzeitverlauf zeigen. Die Irrigation erfolgt mit einem handelsüb­lichen Ballonkatheter [5]. Teure spezialisierte Systeme sind in der Regel nicht nötig.

Chirurgisch-interventionelle ­Massnahmen

Sakrale Neuromodulation (SNS)

Bei diesem Verfahren werden kontinuierlich bestimmte Sakralnerven (S2–S4) stimuliert. In einer ersten Phase erfolgt die Therapie über einen externen Stimulator mit Batterie. Nimmt die Stuhlinkontinenz während der zwei- bis dreiwöchigen Testphase um 50% ab (Frequenz oder Score), werden der definitive Stimulator und die Batterie subkutan in der Glutealregion implantiert (Abb. 1). Beide Eingriffe werden im Operationssaal in Lokalanästhesie vorgenommen. Aktuell ist ein SNS-Device mit transkutan ladbarer Batterie noch nicht auf dem Markt verfügbar. Dementsprechend muss zirka alle 5–7 Jahre ein Batteriewechsel erfolgen.
Abbildung 1: Intraoperatives Bild nach Einlage des temporären, sakralen ­Neurostimulators.
Eine der ersten, grösseren Studien zeigte einen defini­tiven SNS-Einbau bei 90% der Patienten nach der Testphase. Im Follow-up nach fünf Jahren präsentierten sich 36% der Patienten nach SNS-Einbau mit kompletter Stuhlkontinenz und bei insgesamt 89% wurde die Therapie bei signifikanter Verbesserung der Inkontinenzbeschwerden als Erfolg gewertet [6, 7]. Neuromodulation im Bereich der sakralen Nervenwurzeln kann sowohl bei Patienten mit intakten Sphinkteren wie auch bei Sphinkterdefekten, die weniger als 120° der Zirkum­ferenz betreffen, die Inkontinenzsymptomatik verbessern. Der genaue Mechanismus ist nach wie vor nicht geklärt. Die Verbesserung der Inkontinenz nach SNS-Einlage kann mit den gängigen Untersuchungsmodalitäten kaum dokumentiert werden [8]. Die Therapie mit SNS zeigt sich auch bei Patienten mit neurologischen Ursachen der Stuhlinkontinenz oder bei einem «low anterior resection syndrome» (LARS) nach tiefen Rektumresektionen erfolgsversprechend [9]. Die häufigsten Komplikationen sind Wundinfektionen und lokale Schmerzen im Modulationsgebiet (10%) [6].

Perkutane tibiale Nervenstimulation (PTNS)

Bei der PTNS-Therapie wird der Nervus tibialis posterior transkutan mit einer Elektrode stimuliert. Die Therapie erfolgt wöchentlich in 10–12 Sitzungen. Initial zeigten sich gute Ergebnisse mit signifikanter Reduktion der Stuhlinkontinenzrate [10], jedoch konnte der positive Effekt in einer neuen, grossen, multizentrischen randomisierten Studie nicht bestätigt werden [11]. In einer 12-wöchigen Behandlung mittels PTNS versus Scheinstimulation am lateralen Vorfuss konnte kein klinischer Benefit der PTNS gezeigt werden. Auch eine kürzlich publizierte Metaanalyse zeigt funktionell sowie hinsichtlich Reduktion der Inkontinenzrate und der «quality of life» deutlich bessere Ergebnisse der SNS-Therapie im Vergleich zur PTNS [12]. Trotz der vorliegenden Literatur führen wir die PTNS in unserer ­Klinik nach wie vor durch, da aus unserer Erfahrung die Behandlungsakzeptanz der PTNS bei Patientinnen und Patienten deutlich höher ist als bei der SNS.

Injektionen von «bulking agents»

Bei Patienten mit passiver Stuhlinkontinenz kann die Injektion sogenannter «bulking agents» (bestehend aus synthetischen Materialien / Rinderkollagen / autologen Substanzen) eine temporäre Verbesserung der Kontinenz bewirken. Diskutiert wird eine Erhöhung des Sphinkterruhedrucks durch das zusätzlich ein­gebrachte Volumen. Die Datenlage ist insgesamt wenig überzeugend für einen routinemässigen Einsatz dieser Produkte. Wir verwenden in ausgewählten therapierefraktären Fällen das Kollagen-Produkt Permacol®. Die Injektion erfolgt unter Sicht mithilfe des Proktoskopes submukosal im Bereich des proximalen Analkanals. Wir beobachten ein subjektiv gutes Ansprechen der ­Patientinnen und Patienten auf die Therapie, ­wobei in >50% der Fälle eine mehrfache Injektion für den ­gewünschten Therapieeffekt notwendig ist. Entsprechend der Literatur beobachten wir nach einer  Injektion mit Permacol® eine Verbesserung der Inkonti­nenzbeschwerden für einige Monate [13]. Die Behandlung mittels «bulking agents» ist nicht Teil der kassenpflichtigen Leistungen in der Schweiz, entsprechend muss bei Behandlungswunsch ein Kostenantrag gestellt werden.

Sphinkterplastik

Die überlappende oder End-zu-End-Sphinkterplastik ist seit Jahrzenten eine etablierte Therapie und zeigt bei korrekter Indikation eine gute kurzfristige Erfolgsrate in bis zu 90% der Fälle. Leider findet sich eine zunehmende Verminderung des Therapieerfolgs um etwa 50% nach fünf Jahren. Trotzdem bleibt die subjektive Patientenzufriedenheit nach Sphinkter-Repair in der Regel über Jahre hoch [14]. Die Morbidität des Eingriffs ist insgesamt gering. Häufigstes Problem sind postoperative Wundheilungsstörungen in 6–35% [15]. Bei traumatischen ­sowie postpartalen Verletzungen (Geburtstraumata, Pfählungsverletzungen) sollte die Plastik, falls möglich, direkt posttraumatisch durchgeführt werden. Ein Repair im Verlauf (3–6 Monate nach Trauma) ist möglich, zeigt aber etwas weniger gute Langzeitergebnisse. Im Gegensatz zu den ersten Studien von Parks zu dieser Technik wird heute im Normalfall von einer begleitenden temporären Kolostomie abgesehen [14].

Therapie der refraktären ­Stuhlinkontinenz

Dynamische Gracilisplastik / künstlicher ­Sphinkterersatz

Bei refraktärer Stuhlinkontinenz können invasive Interventionen wie die dynamische Gracilisplastik oder der Einbau von künstlichen Sphinktersystemen zum Einsatz kommen. Diese Techniken sind seit Längerem bekannt, wurden aber selten angewendet und kaum weiterentwickelt. Die künstlichen Sphinktere bestehen aus einer aufblasbaren Manschette mit einer Pumpe und integriertem Flüssigkeitsreservoir [16]. Die aufgepumpte Manschette führt durch mechanischen Verschluss des Analkanals zur Kontinenz. Die Datenlage zum Einsatz dieser Systeme ist knapp. Eine komplette Kontinenz ist nicht zu erreichen. Eine hohe Komplikationsrate mit notwendiger Explantation (30–40%) des Devices wird beschrieben [17]. Bei der dynamischen Gracilisplastik wird der M. gracilis unter Belassen des proximalen Ansatzes mobilisiert und zirkulär um den Analkanal geschlungen. Der Muskel wird durch einen Stimulator kontinuierlich tonisiert, was zu einer Verengung des Analkanals und zu einer verbesserten Kontinenz führen soll. Eine Reduktion der Stuhlinkontinenzrate von >50% wird zwei Jahre nach Gracilisplastik bei ca. 50% der Patienten beobachtet. Infektionen (28%) und Stimulatordysfunktion (15%) sind die am häufigsten dokumentierten Komplikationen [18]. Die wohl grösste prospektive Multizenteranalyse von 1999 beschreibt ein Therapieversagen in 41% sowie grössere Wundkomplikationen in 33% der Fälle [19]. Insgesamt gibt es kaum Kliniken, welche die beschriebenen Methoden (künstliches Sphinktersystem, Gracilisplastik) regelmässig durchführen. Dies mag insbesondere mit guten Alternativmethoden und den schlechten Resultaten zusammenhängen. Auch in unserer Klinik ist das Durchführen einer Gracilisplastik eine Rarität (Einsatz z.B. im Falle ausgedehntester Geburtstraumata, gänzlich fehlenden Perineums) [20].

Magnetischer Sphinkter

Eine weitere Innovation in Fällen der therapierefraktären Stuhlinkontinenz stellt die «magnetic anal sphincter augmentation» (MAS) dar. Eine Kette aus magnetischen Kugeln wird chirurgisch um den Analkanal positioniert und verstärkt dadurch einen lädierten Sphinkterapparat. In der 2017 erschienen Arbeit von Sugrue et al. wurden die ersten Langzeitresultate (5 Jahre) präsentiert. Bei 53% der eingeschlossenen Patientinnen und Patienten war die MAS-Therapie nach fünf Jahren erfolgreich (>50% Reduktion der Stuhlinkontinenz­episoden). Bei 23% der Studienpatienten musste das MAS-System während der Beobachtungsperiode auf gund verschiedener Komplikationen ausgebaut werden [21]. Eine neuere Publikation von April 2018 beschreibt gar den Fall einer «roboterassistierten» Implantation eines magnetischen Sphinkters [22]. Das bisher bekannte FENIX-System wurde von der Firma im April 2017 aus strategischen Gründen vom Markt genommen. Ob vergleichbare Systeme aktuell auf dem Markt / in Planung sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Obwohl vergleichende Studien momentan fehlen, scheint dieses System eine gute chirurgische Option bei refraktärer Stuhlinkontinenz zu sein.

Kolostomie

Bei einer therapierefraktären Stuhlinkontinenz und persistierendem Leidensdruck kann die Anlage einer Kolostomie als eine Option evaluiert werden. Üblicherweise wird in solchen Fällen eine laparoskopische, doppelläufige Sigmoidostomie angelegt. Der Eingriff ist wenig belastend und mit tiefer Morbidität (Hautprobleme, parastomale Hernie) vergesellschaftet. Die Patientenzufriedenheit nach Kolostomieanlage bei Stuhlinkontinenz ist hoch. In der Arbeit von Norton et. al. würden 84% der Patienten eine Stomaanlage aufgrund von Stuhlinkontinenz erneut durchführen lassen [23], in einer weiteren Arbeit von Colquhoun et al. zeigen 39 analysierte Patienten mit Stoma eine bessere Lebensqualität als diejenigen mit anhaltender Stuhlinkon­tinenz [24]. Insgesamt wird diese Lösung von den Pa­tientinnen und Patienten wegen offenbar akzeptabler Lebensqualität unter den oben beschriebenen Therapieformen selten gewünscht [25].

Ausblick

Ein erwähnenswerter neuer Therapieansatz ist die ­Implantation von 3 mm dicken, 23 mm langen «Zylindern» (sog. SphinKeeper™) in den intersphinktären Raum. Die Zylinder blasen sich auf nach Kontakt mit Flüssigkeit und passen sich an die individuelle Anatomie an. Ziel ist eine Volumenzunahme intersphinktär und damit eine Kontinenzverbesserung. Randomisierte Studien stehen aus [26].
Ein weiterer neuer Approach zur Verbesserung der Kontinenz ist die Injektion von autologen Myoblasten in den Sphinktermuskel. Die kürzlich erschienene Phase-2-Studie von Boyer et al. demonstrierte eine ­signifikante Reduktion der Inkontinenz 12 Monate nach intrasphinkärer Injektion von autologen Myoblasten. Diese aktuell noch experimentelle Therapie verursachte keine relevanten Komplikationen und wurde gut toleriert. Die innovative Strategie könnte sich in Zukunft als Alternative zur invasiveren SNS-Implantation erweisen [27].

Das Wichtigste für die Praxis

• Die Therapie soll stufenweise erfolgen und beginnt mit konservativen Massnahmen, die in hohem Prozentsatz bereits zufriedenstellenden Erfolg bringen.
• Beckenbodenphysiotherapie mit Biofeedbacktherapie wird beim Versagen der konservativen Massnahmen empfohlen und gehört bei praktisch allen Formen der Stuhlinkontinenz ebenfalls zur Basistherapie.
• Bei ungenügendem Ansprechen auf eine spezialisierte Beckenbodenphysiotherapie und Biofeedbacktherapie sollten die Einlage eines sakralen Neurostimulators (SNS) oder die Therapie mittels perkutaner tibialer Nervenstimulation (PTNS) diskutiert werden.
• Bei Sphinkterdefekten nach vaginaler Geburt oder anderweitigem Trauma sollte frühzeitig eine Sphinkterplastik durchgeführt werden. Bei älteren Sphinkterdefekten und neu aufgetretener Stuhlinkontinenz kann eine Sphinkterplastik evaluiert werden, falls weniger invasive Methoden versagen («bulking agents», SNS).
• Eine Gracilisplastik oder künstliche Sphinktersysteme sind in der Praxis sehr selten durchgeführte Therapieoptionen und können in Extremfällen bzw. bei grossem Leidensdruck in Erwägung gezogen werden, sollten die konservativen und chirurgischen Massnahmen keine Besserung bringen. Die Anlage einer Kolostomie ist ein in der Regel einfach durchzuführender, chirurgischer Eingriff, der bei unbefriedigendem sonstigem Therapieerfolg eine weitere Option darstellt.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Dr. phil. Peter Studer
Universitätsklinik für
viszerale Chirurgie
und Medizin
Inselspital
Freiburgstrasse 8
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peter.studer[at]insel.ch
www.darmzentrum-bern.ch