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Perkutane Verfahren im Bereich der kardiovaskulären Medizin haben während der letzten Jahrzehnte enorme Fortschritte gemacht. Zu den bewährten Koronareingriffen sind strukturelle Eingriffe dazugekommen. Eingriffe an Herzklappen, endovaskuläre Behandlungen von Aortenaneurysmen, Vorhofsohrverschlüsse und viele andere werden heute an zahlreichen Zentren als Teil der klinischen Routine durchgeführt. Während 2008 perkutane Herzklappeneingriffe einen eher experimentellen Charakter hatten, das Wissen der Operateure begrenzt und das Material noch nicht ausgereift war, ist gerade die perkutane Implantation einer Aortenklappe («transcatheter aortic valve implantation», TAVI) eine Prozedur mit exzellenten, reproduzierbaren Resultaten geworden [1]. Randomisierte Studien haben gezeigt: TAVI führt im Vergleich zur konventionellen offenen Operation sowohl bei Patienten mit hohem, mittlerem, aber auch mit niedrigem Risiko zu sehr guten Resultaten [2–4].
Die Vorteile dieser perkutanen Verfahren für unsere Patienten liegen auf der Hand: Der Hautschnitt ist kleiner, die Aorta muss nicht geklemmt werden, eine Herz-Lungen-Maschine ist nicht notwendig. Die Eingriffs- und Hospitalisationsdauer sind kürzer, und viele Eingriffe können in lokaler Anästhesie durchgeführt werden. Dies führt dazu, dass Patienten schneller wieder auf den Beinen sind. Ein Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik ist meist nicht notwendig.
Nicht alle Patienten, die von kathetertechnischen Verfahren profitieren, können über die Femoralgefässe behandelt werden. Vor zehn Jahren mussten bis zu 30% der Patienten über einen alternativen Zugang behandelt werden (transapikal über eine Minithorakotomie links, direkt aortal über die Aorta ascendens, über die Aorta axillaris oder carotis oder transcaval). Dank Erfahrung, besserer Techniken und Materialien ist es heute möglich, fast alle Patienten über die Leiste zu behandeln. So wurden 2018 am Luzerner Kantonsspital über 96% der perkutanen Aortenklappen über die Aorta femoralis in lokaler Anästhesie implantiert. Ganz neu gibt es die Möglichkeit, mittels Ultraschallimpulsen die Verkalkung der Gefässe aufzulockern und so auch bei stark verkalkten Gefässen einen transfemoralen Zugang zu ermöglichen.
In dieser Ausgabe des Swiss Medical Forum berichtet das Herzteam des Inselspitals Bern über einen Patienten, der eigentlich von einem perkutanen Verfahren profitiert hätte [5]. Der Patient hat eine schwere Aortenstenose und eine ostiale RIVA-Stenose, die besser chirurgisch revaskularisiert wird. Zusätzlich besteht eine stark verkalkte Aorta bei Status nach Bestrahlung eines Pharynxkarzinoms 1972. Solche Patienten haben ein hohes Komplikationsrisiko, wenn die Aorta bei der Herzoperation kanüliert und geklemmt wird. Als Hybridverfahren drängt sich hier eine TAVI über den transfemoralen Zugang auf, gefolgt von einer chirurgischen Revaskularisation ohne Herz-Lungen-Maschine. Dies kann über einen minimal-invasiven Zugang (Minithorakotomie linksseitig, Länge ca. 6 cm) erfolgen, ein sogenanntes MIDCAB-Verfahren. Im publizierten Fall wurde aber eine transfemorale TAVI wegen peripherer arterieller Verschlusskrankheit nicht versucht, wobei aus dem Fallbericht nicht hervorgeht, ob diese derart schwer war, dass TAVI transfemoral trotz der oben beschriebenen Techniken nicht möglich gewesen wäre.
Der von den Berner Kollegen beschriebene Fall zeigt, wie sehr die Möglichkeiten all dieser Verfahren die Arbeit des Herzteams verkompliziert, aber auch bereichert haben. Noch vor wenigen Jahren haben Kardiologen Patienten mit schweren Klappenvitien diagnostisch abgeklärt und dann dem Chirurgen für eine Operation zugewiesen. Die Besprechung fokussierte dabei auf die Abschätzung von Nutzen und Risiko des geplanten chirurgischen Eingriffs. Heute stehen für viele Klappenvitien ein oder mehrere perkutane Verfahren zur Verfügung. Bei der Entscheidungsfindung spielen viele Faktoren eine Rolle: der Patient, die Evidenz, aber auch die lokale Expertise. So weit, so gut. Leider lässt sich nicht leugnen, dass häufig auch noch andere Faktoren wie Fallzahlen, finanzielle Anreize oder Prestige in die Entscheidungsfindung einfliessen. Um diese Faktoren möglichst zu eliminieren, braucht es Herzzentren, die organisatorisch und finanziell eine Einheit bilden.
Aus verschiedenen Gründen gestaltet sich die Bildung solcher Zentren schwierig. Die interventionelle Kardiologie ist in den meisten Spitälern (auch im Luzerner Kantonsspital) dem Departement Medizin angegliedert, die Herzchirurgie dem Departement Chirurgie. Beide gehören zu den profitabelsten Kliniken ihrer Departemente, entsprechend gering ist die Bereitschaft, diese in die Unabhängigkeit zu entlassen. Nach Ansicht beider Autoren lässt sich ein organisatorisch und finanziell unabhängiges Herzzentrum nur erreichen, wenn eine Art Ausgleichszahlung an die anderen Kliniken geleistet wird. Gut schweizerisch – wie sich dies politisch auf Ebene der Kantone bewährt hat.
Ein eigenständiges Herzzentrum, das Kardiologen und Herzchirurgen vereint, wäre unabhängiger von finanziellen Interessen und Fallzahlen. Im Zentrum stünde unser wichtigstes Gut – die Qualität der Behandlung unserer Patienten.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Kopfbild: © Raquel Camacho Gómez | Dreamstime.com
PD Dr. med. Stefan Toggweiler
Herzzentrum
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
CH-6000 Luzern
stefan.toggweiler[at]luks.ch
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