Sprue-ähnliche Enteropathie und viszerales Angioödem
Zweifel am Vorliegen einer Zoeliakie

Sprue-ähnliche Enteropathie und viszerales Angioödem

Der besondere Fall
Ausgabe
2019/2122
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08256
Swiss Med Forum. 2019;19(2122):364-366

Affiliations
a Medizinische Klinik, Spital Oberengadin; b Institut für Pathologie, Kantonsspital Graubünden

Publiziert am 22.05.2019

Ein 60-jähriger Patient wurde zugewiesen wegen seit vier Monaten bestehender Diarrhoe, Gewichtsverlust sowie episodisch auftretender, epigastrischer Schmerzen, einhergehend mit Übelkeit und Erbrechen.

Hintergrund

Wir berichten über einen 60-jährigen Patienten mit rezidivierenden, akuten Oberbauchschmerzen, Durchfall und Gewichtsverlust. Die Abklärungen ergaben ein viszerales Angioödem sowie eine zu einer Zoeliakie passende Histologie. Die Zoeliakie-spezifischen Antikörper waren aber negativ.

Fallbericht

Anamnese und Status

Der 60-jährige Patient wurde zugewiesen wegen seit vier Monaten bestehenden Durchfalls (4 × /Tag, nicht blutig), Gewichtsverlust von 8 kg sowie episodisch auftretender, epigastrischer, druckartiger Schmerzen, einhergehend mit Übelkeit und Erbrechen. Am Eintrittstag sowie bereits vier Wochen zuvor waren die Oberbauchschmerzen – nach schmerzfreiem Intervall – jeweils akut aufgetreten. In der Vorgeschichte fanden sich eine Hypothyreose (Levothyroxin-Na­trium 0,05 mg/d), eine arterielle Hypertonie (Olmesartan 20 mg/d, unregelmässige Einnahme seit sechs Jahren) sowie eine gastro­ösophageale Refluxkrankheit (Pantoprazol 20 mg/d, bei Bedarf). Eine obere Pan­endoskopie mit Biopsien sowie eine Ileokoloskopie 18 Monate zuvor waren unauffällig – bis auf eine kleine axiale Hiatushernie sowie ein tubuläres Adenom im Colon transversum.
Bei Eintritt lagen die Vitalparameter in der Norm (Blutdruck 125/78 mm Hg, Puls 69/min, Temperatur 36,5 °C). Klinisch fand sich ein weiches Abdomen mit leichter Druckdolenz im Oberbauch. Darmgeräusche waren nur spärlich vorhanden.

Befunde und Diagnose

Die Laborabklärung bei Eintritt ergab eine leichte Leukozytose von 11 000 g/l sowie ein Hämoglobin von 184 g/l bei ansonsten unauffälligem Differentialblutbild. Die übrigen Parameter (Elektrolyte, Transaminasen, alkalische Phosphatase, Kreatinin und C-reaktives Protein [CRP]) waren unauffällig.
Sonographisch waren dilatierte, flüssigkeitsgefüllte Dünndarmschlingen mit Pendelperistaltik – als Ausdruck einer Passagestörung – nachweisbar. Die am Eintrittstag durchgeführte Computertomographie (CT) des Abdomens zeigte einen Retentionsmagen sowie eine zirkuläre Wandver­dickung des Duodenums, insbesondere im Bereich der Pars descendens und der Pars horizontalis ohne perifokale Reaktion (Abb. 1). Ein Kalibersprung war nicht nachweisbar.
Abbildung 1: Abdomen-Computertomogramm mit zirkulärer Verdickung der Duodenalwand (pars horizontalis).
Die Tryptase im Serum lag in der Norm. Die Stuhluntersuchung ergab ein erhöhtes Calprotectin (1670 mg/kg Stuhl, Norm <50), dies bei unauffälligem Multi-PCR auf enteropathogene Erreger.
Passend zum Befund im CT fand sich in der Gastroskopie am Folgetag eine ödematöse Duodenalschleimhaut (Abb. 2). Biopsien aus dem Dünndarm wurden entnommen. Die Ileokoloskopie war unauffällig.
Abbildung 2: Endoskopie mit ausgeprägtem Ödem der Duodenalwand.
Eine Magnetresonanz-Enterographie am dritten Hospitalisationstag ergab – etwas überraschend – eine unauffällige Darstellung des Dünndarms ohne Wandverdickung oder Passagestörung.
Die Biopsien aus dem Kolorektum waren unauffällig. In der Mukosa des Magenan­trums fand sich herdförmig eine intraepitheliale CD3-Lymphozytose, vereinbar mit einer lymphozytären Gastritis. In den Duodenalbiopsien war eine totale Zottenatrophie mit deutlicher Kryptenhyperplasie und intraepithelialer Lymphozytose (CD3-Lymphozyten) nachweisbar (Abb. 3).
Abbildung 3: Totale Zottenatrophie der Duodenalschleimhaut mit Kryptenhyperplasie (links, H&E-Färbung) und deutliche intraepitheliale Lymphozytose (rechts, Immunhistochemie) entsprechend der Befunde bei einer Zöliakie. 55-fache Vergrösserung.
Insgesamt war der Befund somit passend zu einer gluten-induzierten Enteropathie (Marsh Typ 3c). Negative Zoeliakie-spezifische Antikörper sowie unauffällige Duodenalbiopsien 18 Monate zuvor liessen am Vorliegen einer Zoeliakie zweifeln. Anamnestisch fiel auf, dass die Symptomatik sowohl am Eintrittstag als auch vier Wochen zuvor jeweils zwei bis drei Stunden nach Einnahme von Olmesartan aufgetreten war. In den letzten Wochen war das Olmesartan aufgrund nor­maler Blutdruckwerte pausiert worden. Tatsächlich konnten sowohl die akut aufgetretenen Oberbauchschmerzen einhergehend mit Übelkeit und Erbrechen (viszerales Angioödem) als auch die seit vier Monaten bestehende Diarrhoe mit Gewichtsverlust (Atrophie der duodenalen Zotten bei Sprue-ähnlicher Enteropathie) auf den AT1-Antagonisten Olmesartan zurückgeführt werden.

Therapie und Verlauf

Olmesartan wurde am Eintrittstag sistiert. Das CRP stieg im Verlauf transient leicht an (maximal 31 mg/l). Das Calprotectin im Stuhl war bereits eine Woche nach Absetzen des Olmesartan regredient (119 mg/kg Stuhl). Im Rahmen eines Malabsorptionssyndroms fanden sich ein Folsäure-, ein Vitamin-B12- und ein Vitamin-D3-Mangel, die substituiert werden mussten. Bei sekundärer Laktoseintoleranz erfolgte eine laktose­arme Diät. Die Schmerzsymptomatik trat im Verlauf nicht mehr auf. Die Diarrhoe sistierte und der Patient nahm an Gewicht zu.

Diskussion

Die Sprue-ähnliche Enteropathie ist eine seltene, jedoch gravierende Nebenwirkung des AT1-Antagonisten Olmesartan. Sie ist klinisch charakterisiert durch eine chronische Diarrhoe mit Gewichtsverlust. His­tologisch findet sich ein Sprue-ähnlicher histopathologischer Befund in der Duodenalschleimhaut. 2013 erliess die «US Food and Drug Administration» (FDA) im Rahmen ihrer «Drug Safety Com­munication» eine entsprechende Warnung für Ol­mesartan. Inzwischen wurde dieses Krankheitsbild auch unter anderen Sartanen (wie Valsartan) beobachtet [1].
Beschrieben wurde die Sprue-ähnliche Enteropathie unter Olmesartan erstmals 2012 anhand einer – bis heute grössten – Fallserie von 22 Patienten [2]. Die meisten Patienten standen bereits Monate bis Jahre vor Auftreten der Diarrhoe unter Therapie mit Olme­sartan. Alle litten seit längerem an Durchfall (median 19 Monate) sowie schwerem Gewichtsverlust. Übelkeit, Erbrechen, Abdominalschmerzen, Blähungen und Müdigkeit waren weitere häufige Symptome. Mehr als die Hälfte der Patienten musste aufgrund der ausgeprägten Symptomatik hospitalisiert werden. Zoeliakie-spezifische Antikörper waren bei keinem Patienten nachweisbar. Die Duodenalschleimhaut wurde endo­skopisch als unauffällig, atroph oder nodulär beschrieben – nicht aber als ödematös wie bei unserem Patienten. Bei allen Studienteilnehmern zeigten die Duodenalbiopsien eine villöse Atrophie, die bei der Mehrheit vollständig war. Bei einem Drittel fand sich ein dickes Kollagenband subepithelial. Eine zusätzliche lymphozytäre oder kollagene Gastritis respektive Kolitis war bei ­einem Teil der Patienten nachweisbar. Therapeutisch blieb eine glutenfreie Diät ohne klinisches Ansprechen. Das Absetzen des Olmesartan hingegen hatte bei allen ein Sistieren der Diarrhoe und einen Anstieg des Körpergewichts zur Folge. Histologisch war praktisch immer – durchschnittlich acht Monate nach Absetzen des Olmesartan – eine Erholung der Duodenalschleimhaut nachweisbar.
Die Diarrhoe und der Gewichtsverlust bei dem hier beschriebenen Pa­tienten konnten durch die Duodenal­atrophie im Rahmen der Sprue-ähnlichen Enteropathie gut erklärt werden. Zum Eintritt führten aber Oberbauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Diese waren jeweils kurz nach Einnahme des Olmesartan – nach zwischenzeitlichem Pausieren – aufgetreten. Bei Eintritt zeigte sich in der Bildgebung eine Schwellung der Duodenalwand, die nach Absetzen des Olmesartan nicht mehr nachweisbar war. Für die akute Schmerzsymptomatik war somit ein viszerales Angioödem verantwortlich. Das viszerale Angioödem stellt eine bekannte Nebenwirkung der Hemmer des Angiotensin-konvertierenden Enzyms (ACE-Hemmer) dar, wird aber auch unter AT1-Antagonisten beschrieben und sollte deshalb in die Differentialdiagnose von ­Abdominalschmerzen miteinbezogen werden [3, 4].
Die Sprue-ähnliche Enteropathie und das viszerale Angio­ödem stellen somit zwei seltene intestinale Nebenwirkungen von Sartanen dar. Das Vorhandensein beider Entitäten bei demselben Patienten ist in der Literatur unseres Wissens bis anhin nicht beschrieben. Könnte ein pathophysiologischer Zusammenhang zwischen dem akutem (viszerales Angioödem) und dem subakut-chronischem Bild (Sprue-ähnliche Enteropathie) bestehen? Beim viszeralen Angioödem bedingt durch AT1-Antagonisten werden – wie beim duch ACE-Hemmer induzierten Angioödem – erhöhte Serumbradykininspiegel gemessen. Diese sind möglicherweise durch eine Stimulation der Endothelzellen infolge vermehrt zirkulierendem Angiotensin II bedingt [4]. Bei der Sprue-ähnlichen Enteropathie wiederum werden ein proapoptotischer Effekt durch eine vermehrte Expression von AT2-Rezeptoren an der Zelloberfläche von Enterozyten (die durch Angiotensin II aktiviert werden), eine genetische Komponente (Häufung von HLA-DQ2) sowie ein immunvermittelter Prozess (Hemmung von «transforming growth factor beta») als pathogenetische Faktoren in Betracht gezogen [2, 5]. Somit scheint bei beiden Erkrankungen Angiotensin II am Pathomechanismus beteiligt zu sein. Abschliessend lässt sich die Frage nach einem pathophysiologischern Zusammenhang derzeit aber nicht beantworten.

Das Wichtigste für die Praxis

• Olmesartan kann selten mit einer Sprue-ähnlichen Enteropathie ein­hergehen. Da Olmesartan häufig eingesetzt wird, kann diesem Krankheitsbild auch in der Praxis begegnet werden.
• Die Sprue-ähnliche Enteropathie kann Monate bis Jahre nach Beginn der Therapie auftreten. Sie ist charakterisiert durch eine schwere chronische Diarrhoe mit Gewichtsverlust.
• Die Zoeliakie-spezifischen Antikörper sind dabei negativ. Eine glutenfreie Diät ist ohne klinisches Ansprechen.
• Bei histologischem Befund einer Zoeliakie, aber negativer Serologie sollte an AT1-Antagonisten als mögliche Ursache gedacht werden.
• Ein viszerales Angioödem sollte in die Differentialdiagnose von akuten Abdominalschmerzen miteinbezogen werden. Dabei ist als mögliche Ursache an ACE Hemmer wie auch AT1-Antagonisten zu denken.
Wir danken Dr. med. St. Müller, Leitender Arzt Radiologie, Spital Oberengadin, für das Bildmaterial.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Robin Küchler, dipl. Arzt
Medizinische Klinik
Spital Oberengadin
Via Nouva 3
CH-7503 Samaden
robin.kuechler[at]gmx.ch
1 Herman ML, Rubio-Tapia A, Wu TT, Murray JA. A Case of Severe Sprue-Like Enteropathy Associated With Valsartan. ACG Case Rep J. 2015;2(2):92–4.
2 Rubio-Tapia A, Herman ML, Ludvigsson JF, et al. Severe spruelike enteropathy associated with olmesartan. Mayo Clin Proc. 2012;87(8):732–8.
3 Vasquez JL, Jaramillo JC, Fernandez C, Enriquez A, Mielgo R. Severe angioedema associated with olmesartan. Annals of Allergy, Asthma and Immunology. 2011;107(3):285.
4 Thalanayar PM, Ghobrial I, Lubin F, Karnik R, Bhasin R. Drug-induced visceral angioedema. J Community Hosp Intern Med Perspect. 2014;4:25260.
5 Ianiro G, Bibbò S, Montalto M, Ricci R, Gasbarrini A, Cammarota G. Systematic review: sprue-like enteropathy associated with olmesartan. Aliment Pharmacol Ther. 2014;40:16–23.