Ungewöhnliche Metastasierung eines Mammakarzinoms
Gewichtsverlust, Unwohlsein und Inappetenz als Anzeichen

Ungewöhnliche Metastasierung eines Mammakarzinoms

Der besondere Fall
Ausgabe
2019/4142
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2019.08300
Swiss Med Forum. 2019;19(4142):692-694

Affiliations
a Klinik für Innere Medizin, Kantonsspital Frauenfeld; b Institut für Pathologie, Kantonsspital Münsterlingen

Publiziert am 09.10.2019

Wir präsentieren hier den Fall einer ungewöhnlichen Metastasierung in den Gastrointestinaltrakt eines sechs Jahre zuvor diagnostizierten Mammakarzinoms.

Hintergrund

Das Mammakarzinom ist das häufigste Malignom der Frau, typische Metastasierungsorte sind Knochen, Lunge, Leber, Hirn, Weichteile und Nebennieren. Wir präsentieren hier den Fall einer ungewöhnlichen Metastasierung in den Gastrointestinaltrakt eines sechs Jahre zuvor diagnostizierten Mammakarzinoms.

Fallbericht

Anamnese

Die 76-jährige Patientin, bei der eine chronische Niereninsuffizienz, eine hypertensive Herzkrankheit und eine Anämie seit langem bekannt waren, wurde uns zur Abklärung eines ungewollten Gewichtsverlusts von zehn Kilogramm in einem Zeitraum von vier Monaten zugewiesen. Es bestanden seit etwas zwei Wochen ein anhaltendes Unwohlsein und Inappetenz, der Patientin war eine Nahrungsaufnahme kaum möglich, im Anschluss musste sie häufig erbrechen, zudem war der Stuhlgang flüssig.
Im April 2011 war bei ihr ein invasiv-lobuläres Mammakarzinom links mit Siegelringzellen diagnostiziert worden (Abb. 1). Initial hatte ein Tumorstadium pT2 pN3a M1 G2 L1 V0 R0 bestanden, Östrogenrezeptoren (ER) 80%, Progesteronrezeptoren (PR) 60%, «human epidermal growth factor receptor 2» (HER-2) negativ, Proliferationsmarker Ki67 (Antigen Ki-67) 1%, normwertiger Tumormarker CA 15-3 (Cancer-Antigen 15–3).
Abbildung 1: Primärtumor Mamma (HE-Färbung): nichtkohäsives invasives Wachstum in Einzelzellreihen sowie ringförmige Umlagerung vorbestehender Strukturen.
Bereits bei Erstdiagnose hatten sich ossäre Metastasen gezeigt (kraniozervikaler Übergang der Wirbelsäule, Brustwirbelkörper 8, 11, Iliosakralgelenk rechts, Spina iliaca anterior superior rechts und Os coccygis). Im ­April 2011 war eine Quadrantektomie der linken Mamma mit axillärer Lymphonodektomie erfolgt mit einer initialen palliativen endokrinen Therapie mit Letrozolum (Aromatasehemmer), im März 2012 war eine Osteoklastenhemmung mit dem RANK-Inhibitor Denosumab begonnen worden. Bei Frakturgefährdung durch die Osteolysen, insbesondere im Halswirbel­säulenbereich, war eine lokale palliative Radiotherapie (30 Gy) durchgeführt worden. Bei steigendem Tumormarker CA15-3 war in der Kon­troll-Positronen-Emis­sions-Tomographie (PET) im August 2016 eine neu ­aufgetretene ossäre Metastase im Humerus rechts festgestellt worden. Aufgrund der Krankheitsprogredienz wurde die endokrine Therapie auf Fulves­trantum (Oestrogenrezeptor-Antagonist) umgestellt.

Status und Befunde

Der Allgemeinzustand der Patientin war reduziert, der Zustand kachektisch. Im Labor zeigten sich eine ­Leukozytose (12 600/µl), prärenale Nierenfunktionseinschränkung (Kreatinin 172 µmol/l), Elektrolytstörungen (Natrium 134 mmol/l, Kalium 3.2 mmol/l) und Erhöhung der Cholestase-Werte (Gamma-Glutamyltransferase 134 U/l, alkalische Phosphatase 154 U/l, Bilirubin gesamt 19 µmol/l), Pankreasamylase (92 U/l) und Aspartat-Aminotransferase (60 U/l). Das Hämoglobin (115 g/l) hielt sich im Vergleich zu den vorigen Werten stabil. Die Tumormarker waren erhöht (Carcinoembryonales Antigen (CEA) 10,2 µg/l, CA 15-3 DPC 54 kU/l, CA 19-9 1573 U/ml). Die Stuhlkulturen blieben ohne Wachstum, insbesondere gab es auch keinen Nachweis von Parasiten, Protozoen oder Helminthen, das Calprotectin war normwertig. Sonographisch waren keine intraabdominalen Metastasen erkennbar, es fanden sich eine reizlose Cholezystolithiasis und nicht erweiterte intra- oder extrahepatische Gallenwege.
Im Computertomogramm (CT) von Thorax und Abdomen (Kontrastmittel i.v.) bestanden bilaterale, vorbekannte Pleuraverdichtungen ohne Progredienz.
In der Ösophago-Gastro-Duodenoskopie imponierten ausgeprägte ulcero-erosive Veränderungen im Ösophagus distal betont, chronische gastritische Veränderungen im Magenkorpus und Antrum, zwei flache ­Ulzerationen im Übergang zu Pars II duodeni, zudem duodenal ein vergröbertes Relief (Abb. 2A).
Abbildung 2: Duodenum (A) und terminales Ileum (B): 
Ersichtlich ist die ausgeprägte Vergröberung des Reliefs.
Die Koloskopie wies ein ausgeprägt diffus alteriertes Relief mit Vergröberungen im terminalen Ileum auf (Abb. 2B), weiter leichte, chronische Oberflächenveränderungen im Colon ascendens.
In den Biopsien (Magen, Duodenum, terminales Ileum, Colon ascendens, linkes Kolon bis rektosigmoidal) zeigten sich histologisch Infiltrate ­eines Adenokarzinoms mit Siegelringzellen, im Biopsat vom Colon ascendens bestand bei ungefähr 30% der Tumorzellen eine leichtgradige nukleäre Reaktivität für ER, keine Reaktivität für PR, HER-2 negativ (Abb. 3 A und B).
Abbildung 3: A) Metastase Magen (HE-Färbung): kleine, ­solide Zellgruppen, Einzelzellen und Siegelringzellen in der Lamina propria. B) Metastase Ileum (AB-PAS-Färbung): ­intrazytoplasmatisches Muzin (blau) von nichtkohäsiven ­Infiltraten, teils mit Siegelringzellen in der Lamina propria.

Diagnose

Diffuse Infiltration eines invasiv-lobulären Mamma­krazinoms in Magen, Dünndarm, Colon und Rektum mit chronischer Diarrhoe und B-Symptomatik.
Cholestase a.e. durch Fulvestrantum verursacht, differentialdiagnostisch diffuse, bildgebend nicht nachweisbare hepatische Infiltration durch das Malignom.

Therapie und Verlauf

Wir hydrierten und therapierten symptomatisch (Pantoprazol, Loperamid und Metoclopramid, angepasste Ernährung [protein- und energiereiche Kost, Zwischenmahlzeiten]). Im Verlauf zeigte sich die Diarrhoe leicht regredient und persistierte auf tiefem Niveau, das Gewicht stabilisierte sich.
Die antihormonelle Therapie mit Fulvestrantum und die Gabe von Denosumab wurden fortgeführt. Zweieinhalb Wochen nach Austritt wurde die Patientin ­erneut mit Allgemeinzustandsverschlechterung aufgrund ungenügender Trinkmenge und Inappetenz eingewiesen. Nach erneuter intravenöser Hydrierung entschieden sich die Patientin und ihre Angehörigen aufgrund der fortgeschrittenen Erkrankung, des Alters der Patientin und ihrer gesundheitlichen Gesamtsituation, eine am interdisziplinären Tumorboard empfohlene Umstellung der Chemotherapie auf Paclitaxel (Zytos­tatikum) und Leflunomid (Immunmodulator) nicht durchzuführen.
«Best supportive care» und der Spitalaustritt mit Spitexbetreuung zuhause mit Notfallplan wurden erarbeitet und organisiert. Zehn Wochen nach Manifestation der gastrointestinalen Metastasierung verstarb die Patientin zuhause. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt.

Diskussion

Brustkrebs ist weltweit das häufigste Malignom bei Frauen und in weniger entwickelten Ländern die häufigste Krebs-assoziierte Todesursache, in entwickelten Ländern die zweithäufigste nach Lungenkrebs [1]. Typische Metastasierungsorte sind Lunge, Leber, Knochen, Hirn, Weichteile und Nebennieren. Eine gastrointestinale Metastasierung ist hingegen in der klinischen Erfahrung weniger häufig und bekannt [2]. Der duktale Karzinomtyp (invasives Mammakarzinom «no special type» [NST] nach WHO 2012) ist zwar der häufigste histologische Typ, jedoch metastasiert der seltenere lobuläre Typ deutlich öfter in den Gastrointestinaltrakt [3, 4]. Ein Grund ist nicht bekannt, ein Zusammenhang mit dem HER2-Status oder E-Cadherin-Verlust wird vermutet. Solche Fernmetastasen können auch viele Jahre nach initialer Diagnose und Therapie auftreten [5, 6], rektale Metastasen typischerweise nach fünf bis sieben Jahren wie in unserem Fall, noch seltener auch als Erstmanifestation mit grosser Latenz bis zum Auftreten von Symptomen des eigentlichen Primarius Brustkrebs [7]. Gastrointestinale Metastasen bei Brustkrebs können den gesamten Gastrointestinaltrakt von Mund [8] bis After [9] betreffen, der häufigste Metastasierungsort im Gastrointestinaltrakt ist mit Abstand der Magen [6]. Die Symptomatik durch die gastrointestinalen Ableger ist unspezifisch und reicht von Gewichtsverlust, Inappetenz, Bauchschmerzen, Diarrhoe, Dysphagie bis hin zur gastrointestinalen Blutung oder Obstruktion [6]. Die Metastasen imponieren als Ulcera, Mukosaverdickungen, Linitis Plastica-ähnliche Läsionen oder solide Tumoren [10]. Endoskopie und histologische Untersuchungen sind die diagnostischen Mittel der Wahl, der Vergleich der Histomorphologie, Immunhistochemie, inklusive Hormonrezeptorstatus und insbesondere der spezifischen immunzytochemischen Marker GATA-3 und «gross cystic disease fluid protein 15» (GCDFP-15) des primären Mammakarzinoms und die Verteilung der gastrointestinalen Läsionen hilft, die Diagnose zu stellen [11] respektive von ­einem gering differenzierten Magenkarzinom abzugrenzen. Negative Biopsieergebnisse aus der Endoskopie schliessen eine Metastase jedoch nicht aus, da die Epithelschicht relativ spät betroffen ist, und es dadurch zu einer hohen Rate an falsch-negativen Ergebnissen kommt. Deshalb müssen eventuell auch andere Untersuchungsmodalitäten wie beispielsweise endosonographisch-gesteuerte Feinnadelpunktionen oder Makrobiopsien in Erwägung gezogen werden, wenn ein hoher klinischer Verdacht besteht [12, 13].
Unser Fall ist insofern besonders bemerkenswert, da die gastrointestinale Metastasierung des Mammakarzinoms nicht nur unilokulär, sondern sowohl im oberen Gastrointestinaltrakt (Magen, Duodenum) als auch im unteren (Ileum, Kolon, Rektum) gleichzeitig aufgetreten ist. Es sind uns nur wenige publizierte Fallbeispiele mit einer so ausgedehnten gastrointestinalen Metastasierung bekannt [14]. Ein Wechsel des Hormonrezeptor-Status bei Rezidiv oder Metastasierung tritt beim Mammakarzinom häufig auf, und insbesondere der Verlust von ER- oder HER-2-Reaktivität sprechen für eine schlechte Prognose [15].

Das Wichtigste für die Praxis

Bei Patienten mit Mammakarzinom und gastrointestinalen Symptomen muss der Gastrointestinaltrakt genau und unter Umständen auch invasiver untersucht werden. Insbesondere beim lobulären Typ kann Jahre nach der Erstdiagnose eine diffuse intestinale Metastasierung auftreten.
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Adriana Stamm
Kantonsspital Frauenfeld, Klinik für Innere Medizin
Postfach
CH-8501 Frauenfeld
adriana.stamm[at]triemli.zuerich.ch
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